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Kritik

Die Literatur hat ihre Längen

Bella Triste, Ausgabe 45
Hamburg

 

I – Die Literatur hat ihre Längen

Okay, okay, aber ich weiß wirklich nicht, was das soll. Nein, ich bin durchaus nicht zynisch, ich habe nur den Text gelesen, was allerdings auf dasselbe herauskommt. Ja, ja, ich werde trotzdem vernünftig argumentieren.

Der Text, bei dem ich es mir nicht verkneifen kann, polemisch einzuleiten, ist von Jan Schillmöller, er nennt sich „Pingpong“ und macht auch allerlei Anstalten, diesem Titel fein-unsinnig gerecht zu werden, gestützt auf einen stets angepingten, nie antwortenden Subtext und eine Übersaat an Nuanciertheit.

Unsere Tage im Haus hatten eine implizite Ordnung. Es gab eine Struktur die allen Beobachtungen zugrunde lag.

Soweit die beiden Anfangssätze. Sie stecken einen Rahmen und sind bereits das Omen des geringen Manövers, das dieser Text unternehmen wird, während er sich an Details aufhängt und alle Aussagen zur Staffage verdammt. Ein Anfang, der sich, rückblickend, sofort in eine Höhe glatter Schnörkeligkeit hinaufschraubt und bis zum Ende des Textes nicht mehr herunterkommt.

Da sind ein Ich und eine Frau – sie beobachten einander, er von einem Fenster oberhalb, sie blickt von einer kleinen Grünfläche mit Blautannen und weißen und schwarzen Kaninchen herauf. Soweit das schöne Areal, die Besetzung, die Idylle. Und es wird noch idyllischer! Wir kriegen minuziös, vom Eistee-Geschmack und seiner Marke über die Unbequemlichkeit der Körperhaltung bis hin zum blutigen Milchzahn allerhand Belangloses, metamäßig um den sich reckenden Leserhals geschlungen (und sollen uns fühlen, als wär’s ein Blumenkranz), der verzweifelt versucht jenseits der ausgebreiteten Szenarios etwas Aufkommendes zu sehen, nicht nur eine gute Beschreibungskunst, die sich nicht zu weit von ihrer Unverfänglichkeit entfernt, sondern irgendwas, dass den ganzen Aufwand rechtfertigt. Das sollte ein Text nämlich meiner Meinung nach schon – den ganzen Aufwand des Schreibens und des Lesens rechtfertigen. Das Schlimme ist halt, dass sich der Schreibende, wenn er dann alles schön und sinnfrei hingeschrieben hat und mit einem Satz wie

Dann trat ich zurück und sah das Bild als Ganzes.

beendet, befriedigt zurücklehnen kann; aber für den Leser ist es doch echt nur ein Schlag ins Gesicht. Bei aller Liebe, bei aller Symmetrie, aller Feinsinnigkeit und aller netten Nutzlosigkeit.

Leicht lose kreuzt Virigina Brunns Erinnerungstextauszug „Apfelbäume“ auf dem Meer ihrer frühen Kindheit. Das Prägende, dem sich der Text verpflichtet, wird immer wieder in den Hintergrund gedrängt durch die Gleichförmigkeit, die ausbleibende Einfärbung des Tons – was sehr gelungen wirkt, weil dadurch die Fassung der Geschichte jene diffuse Klarheit bekommt, die frühkindliche Erfahrungen umgibt. Erfahrungen, die elementar sind, aber für das Kind eher Vorkommnisse als eingeordnete und verstandene Tatsachen. Außerdem wird das Individuelle durch den Ton nicht herausgestrichen und kann so aus jeder Beschreibung, jeder Nuance der Geschichte erwachsen, bildet sich und wird nicht vorschnell eingefärbt durch die Art, wie es erzählt wird.

Irgendwie kann ich mich mit dem Inventar von Ronya Othmanns Gedichten nicht anfreunden. Es ist: so seicht, so mal-eben. Haltlos, aber darin fest, sortiert. Und es wird kaum ausgebrochen aus der Sprache, aus der Formulierung, aus der Aussage, da wird an nichts gezogen, was am Wegrand liegt, da wird jede Zeile zum Selbstgänger und alles geht weiter bis zuletzt. Ich kann die Struktur nicht durchdringen, hin zum Auffallenden, Inspirierenden. Kann mir keinen Reim auf die fehlende Windung der Sätze machen. Die Zeilen sind keine Phrasen, aber sie wirken wie welche. Eigentlich ist mir das, was dort gesagt wird, nicht unwillkommen, aber fremd ist mir so eine Lyrik, die nur sagt: es ist hier; die nicht Tatkraft der Sprache, sondern Abgelegtes der Sprache ist.

Ich wünschte, ich könnte wenigstens mit den Gedichten von Ole Schwabe mehr anfangen. Er weiß sie immerhin nett zu beenden:

wie hundert männer in sandalen
da fragst du noch

das sind zwei nette Zeilen. Aber der Rest. Der Rest ist wirklich (und ich wünscht ich könnt es anders formulieren) belanglos, da schneit nichts raus, man schneit nur ein, die Wörter stehen da hip und frech, aber keiner springt in die Luft, weil du Pseudo-Surrealismus aufdrehst und schreibst:

wo die warane kinder
machen wie air france

 

II – Texte beähren die Anwesenheit

Es gibt ja Texte, die sind einfach cool, die haben einen Drive, die sind sich für nichts zu schade, außer für Langeweile, für Fadheit. Achim Jägers „die weiten steppen der kasachei“, eine ständige exende Wortsauftour, berlinernd und in Schräglage, eine Geschichte um zwei Clowns, die sich zu einem Typen hauen, der auf einmal alles in seinem Leben blitzeblank gekriegt hat und nicht mehr mit ihnen vegetieren und rotzig sein will, ist eine kleine, burleske Oper, ein Tanz um den stilsicheren Aberwitz, und es endet mit bunten Tüchern und nem Feuerzeug. Schon abgefahren.

Ich tötete ein Insekt und ich sang Lieder in fremden Sprachen von einem weißen Pferd das Angst vor anderen Pferden hatte

Das ist mir ein bisschen zu widerrufsbetrieben, zu suchend, was Mario Wurmitzer in seinen Verwilderungen aufbaut. Die Form ist sehr gelungen und hin und wieder macht ein Satz auch etwas auf, aber gleichzeitig lässt die Bewegung des Textes keine wirkliche Verdichtung zu. So kann man nur dieser Bewegung folgen und ist ein bisschen unterwältigt.

Wenn zwei Dinge oft genug nah beieinander stehen, stellt jemand eine Statistik auf.

Margarita Iovs Essay „Die sicheren Ufer verlassen“ ist so vieles: klug, gelungen, wichtig, leicht spielerisch, leicht melancholisch, unverbohrt, packend, tief, schlicht, berührend, nachdenklich stimmend etc.

Das Thema: Krebs. Die Krankheit, die einer von drei Europäern im Laufe seines Lebens bekommen wird. Anhand ihrer eigenen Familiengeschichte – immer wieder unterbrochen von Abschnitten, in denen die statistischen Wahrscheinlichkeiten und Bedingungen für das Krebsrisiko aufgeführt werden – setzt sich Iov mit dem konditionierten Kosmos auseinander, der diese Krankheit umgibt, allem voran die Statistik, den Do’s und Don’ts, der Hysterie, den Empfehlungen, der Angst. Wie soll man überhaupt mit der Möglichkeit „Krebs“ umgehen? Was in dieser Hinsicht unternehmen?

Eine andere Prognose war: Heute soll es regnen. Aber stattdessen schien die Sonne. Das war auch nicht gelogen, aber wahr war es auch nicht. Es war wahrscheinlich. Ab wann ist etwas so wahrscheinlich, dass es war ist?

Es kann auf diese Fragen nur hunderttausende Antworten geben. Und während sie unerbittlich die Risiken und statistischen Prognosen aufzählt, schafft die Autorin es, uns unter der Hand zu vermitteln, dass letztlich all diese Erörterungen an einem Punkt keine Rolle mehr spielen: beim einzelnen Menschen. Der bekommt entweder Krebs oder nicht.

Die Statistik bietet nur die Illusion der Kontrolle.

Natürlich gibt es viel, das man vermeiden kann bzw. wobei man skeptisch und vorsichtig sein sollte. Doch letztlich – und damit schließt sich der Kreis zum Titel hin – kann sich das einzelne Leben auf keine Statistik verlassen, weil die Statistik sich nicht darum kümmert, auf welcher Position man in ihr steht, um welche Position man sich bemüht. Sie zieht die Summe, definiert aber nicht die einzelnen Elemente. Sichere Ufer gibt es nicht. Wie heißt es in einem Gedicht von Erich Kästner:

Wird‘s besser, wird’s schlimmer?,
fragt man alljährlich.
Seien wir ehrlich:
Leben ist immer
lebensgefährlich.

Ein großartiger Text, für den ich Margarita Iov ausdrücklich dankbar bin. Und der wieder einmal bestätigt, dass ich mich, was Essays angeht, voll auf Bella verlassen kann.

Zuletzt ein Interview mit Antonia Baum, sehr aufrichtig, unkompliziert und sympathisch. Ein kurzer, aber guter Einblick in die Grundlagen des Schreibens und des Schreibens als Arbeit.

Ich bin gegen Ende hin wieder etwas versöhnt mit dieser Bella-Ausgabe, wobei: es gibt in dieser Literaturzeitschrift immer wieder Texte, gegen die sich etwas in mir auflehnen will. Ich bin (und das schreibe ich hier nicht, um bescheiden zu wirken, sondern weil ich betonen will, dass nicht Intoleranz oder große Selbstverliebtheit diese Aussage forcieren) nur das Maß meiner eigenen Dinge, aber gerade was Lyrik angeht, kann ich oft nicht ersehen, was Reizvolles in den Gedichten liegen soll. Warum werden auch Texte ausgewählt, die so kleine Kreise ziehen, so wenig riskieren? Man kann natürlich immer nur nehmen was da ist und es ist frech von mir, diese Frage überhaupt zu stellen. Sie kommt nur leider auf, wenn man sich mal wieder nicht nur über eine bestimmte Schreibhaltung ärgert, sondern einfachen keinen Ertrag in den Worten sehen kann, die man liest. Das ist dann ganz schön … trist.

 

Autor_innen dieser Ausgabe: Antonia Baum, Virginia Brunn, Heinz Helle, Margarita Iov, Achim Jäger, Matthias Nawrat, Ronya Othmann, Jan Schillmöller, Ole Schwabe, Kilian van de Water, Mario Wurmitzer

Tatjana von der Beek (Hg.) · Helene Bukowski (Hg.) · Sirka Elspaß (Hg.) · Fritz Handerer (Hg.) · Zoë Martin (Hg.) · Marina Schwabe (Hg.)
BELLA triste 45
BELLA triste
2016 · 5,35 Euro
ISSN:
1618-1727

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