Zuhause in einer Buchstabenwolke. TODESMÄR von Magdalena Jagelke
18.06.2012 | Der aufmerksame Leser, scheint mir, ist jener, der die großen Buchhandelsketten umgeht, lieber stöbert er in den kleineren Bücherstuben oder sucht gleich in der Fülle des Internets. Es hat etwas Labyrinthisches, aber eben das macht den Reiz aus. Jede Entdeckung ist eine eigene Entdeckung und nicht der dezente Hinweis einer Spiegelbestsellerliste. Ein aufmerksamer Leser ist auch ein wenig elitär, er will das Massenprodukt nicht, jedenfalls nichts ...
Verse über das Beharren
16.06.2012 | Wulf Kirsten, der in Weimar lebt, hatte die letzten drei seiner sieben Gedichtbände im Ammann-Verlag, Zürich veröffentlicht, zuletzt erdlebenbilder (2004). Nach dessen Schließung im Jahr 2010 legt der Vielgeehrte, vor zwei Jahren schließlich Ringelnatz-Preisträger, nun bei S.Fischer seinen neuesten Gedichteband fliehende ansicht vor. Es handelt sich um ein Hardcover-Buch in guter Verarbeitung (incl. Lesebändchen),...
Im Land des Überdrusses oder Von der Unzulänglichkeit des Lebens.
15.06.2012 | Wo beginnt Literatur und wo das eigentliche Leben? Wie viel der eigenen Biographie findet sich in sogenannten fiktionalen Texten? Ist es möglich, hinter ein Werk zu treten, vielleicht gänzlich dahinter zu verschwinden? Und benötigt ein literarischer (oder jeglicher) Text das Wissen um die AutorInnen und deren Leben? Fragen, die nicht erst seit Barthes und dem Poststrukturalismus in der Literaturwissenschaft omnipräsent, wenn nicht gar bis zum Überdruss grundlegend geworden sind. ...
Mitten am Rand
14.06.2012 | In seinem neuen Roman arbeitet Hahn an einem vertrackten wie simplen Problem: Zentren mögen Zentren sein, definiert werden sie durch den Rand. Das gilt topologisch – Deterritorialisierung, Knoten, … –, das gilt aber auch für das Individuum. Dieses Problem beginnt mit dem deutlich als exemplarisch markierten Text („Wohnort: Wort”) sogleich, worin man einen Künstler namens Gregor kennen lernt, der in den Augen einer fürsorglichen ...
Vor der Zeit
13.06.2012 | Wer zum genussvollen Lesen eines der schön gestalteten Bücher der im Lilienfeld Verlag erscheinenden Reihe Lilienfeldiana zur Hand nimmt, kann im Grunde nichts falsch machen. Ich habe das einige Male getan, und Bücher von Knud Hjorto oder Norah Lange gelesen, die wundervoll in der Hand lagen und mich enorm unterhielten, die mich meine Gegenwart für einen Moment vergessen ließen, wie man so schön sagt, die mir aber auch einen Blick in eine mir bis dahin verborgene Welt eröffneten. ...
Die Zerklüftung der Welt
11.06.2012 | Der Zusammenbruch des kommunistischen Systems hat auf beiden Seiten des ehemaligen Eisernen Vorhangs ein Sinnvakuum hinterlassen. Spürbar war das zunächst vor allem in den Ländern des ehemaligen Ostens, denn sie mussten sich gewissermaßen neu erfinden. In diese Leerstelle hinein drangen nationalistische und religiöse Heilsideennsätze, die den revolutionären Veränderungen der Jahre um 1990 zu Grunde lagen. ...
Couchkompatible Schockwirkungen. Shakespeares Hühner - Erzählungen von Ralf Rothmann
07.06.2012 | Prosa vom Feinsten. Kühne Bilder. Dabei durchaus unkonventionell und en detail schockierend. Hier weiß jemand sehr genau, wie man im Kopf des Lesers Bilder erzeugt. Und was für welche! Acht aufregende Erzählungen für Leser, die gerne mal eben abtauchen wollen, in kurzweilige, abgeschlossene Einzelgeschichten, „was für zwischendurch“, in Spielfilmlänge lesbar. Diese Prosa ist präzise. Bildstark. Virtuos. Packend. Atmosphärisch dicht. Rothmann erzählt aus ...
Ausschweifendes Abschweifen!
06.06.2012 | Wieder einmal reist Thomas Kapielski, oder zumindest das, was da in Ich-Form daherkommt und dadurch die Trennlinie zwischen Erzähler und Autor unscharf werden lässt, in der deutschsprachigen Welt herum. Eine Reise, die den 1951 in Charlottenburg geborenen Philosophen, Theo- und Philologen, Dichter, Geo- und Fotographen, Maler und Nasenflötist etwa nach München, Stuttgart, Graz und Basel, aber auch immer wieder zurück in jenes Berlin führt, »das nichts ausläßt und alles duldet, sofern es sich um Schwachsinn, Ausschweifung und »Tolleranz« handelt.« ...
Autoren als Netzwerker – Ralph Winter verweist den Begriff einer literarischen Nachkriegsgeneration der 1920er Jahre ins Reich der Mythen / Von Florian Keisinger
05.06.2012 | Im Jahr 1903 schrieb AndréGide für die französische Literaturzeitschrift „La Phalange“ einen kurzen Beitrag, in dem er der Frage nachging, ob große Literatur zwangsläufig „national“ sein müsse, oder ob sie darauf verzichten könne (auf Deutsch findet man den Text unter der Überschrift „Nationalismus und Literatur“ im zwölften Band der von Raimund Theis und Peter Schnyder herausgegebenen „Gesammelten Werke“ AndréGides). Seine Antwort weist ...
Sterben lassen? Nicht in diesem Leben.
04.06.2012| Ein Leipziger Literaturprofessor lehrte mich einst, dass die Literatur im Wesentlichen nur zwei Themen kennt: die Liebe und den Tod. Und strenggenommen gäbe es ohne den Tod auch keine Liebe, für die es sich zu kämpfen lohnt. Also kennt die Literatur nur ein Thema: den Tod. Folgen Leser, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler dieser Auffassung, so ist der Tod und die Angst, die er im Menschen erzeugt, Keimzelle aller Erzählung. ...
„Ausbrechen in die Freiheit des Schweigens“: Gesammelte Gedichte von Wolfgang Bächler
02.06.2012 | Wolfgang Bächler — das war einer der wenigen Dichternamen, mit denen ich damals im Deutschunterricht konfrontiert wurde. Natürlich waren ausschließlich zeitkritische Gedichte überhaupt der Behandlung wert, deshalb war Bächler als Mitglied der ersten Tagung der Gruppe 47 und angeblicher Vertreter der sogenannten Kahlschlagliteratur ein treffliches Beispiel für die Dichtung jüngerer Vergangenheit, und ich erinnere mich deutlich, daß es ...
Keine eigentümliche Adaption. Graphic Novel: In der Strafkolonie
01.06. 2012 | Dass sich der anspruchsvolle Comic bzw. die anspruchsvolle Graphic Novel auch im deutschsprachigen Raum immer größerer Beliebtheit erfreut, ist keine neue Information mehr. Der Comicmarkt boomt regelrecht und wie immer wollen alle etwas vom Kuchen abhaben. In rascher Folge sollen und wollen Zeichner und Texter ihre Werke schaffen und veröffentlichen. Dabei scheint es ein besonderes Glück zu sein, dass hier auf einen gewaltigen Fundus ...
Immer auf der Spur - Zu Fall und Stelle von Ingo Springenschmid
30.05.2012 | Ingo Springenschmid hat im Laufe der Jahrzehnte sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Literatur ein Werk von eminenter Bedeutung geschaffen. Es lohnt sich auch immer, beim Betrachten seiner Bilder die Literatur mitzudenken, die Bilder gleichsam zu lesen (vgl. dazu den Titel seiner 2002 erschienenen Sammlung von kunsttheoretischen und -praktischen Schriften, Reden und Artikeln „Kunst zu Lesen“) und bei der Lektüre seiner literarischen Texte ...
Gesprachgewordene Existenz. Georges Perros
29.05.2012 | Autobiografien gibt es wie Sand am Meer und nicht alle sind wirklich aufschlussreich. Dezent verschleierte Selbstbeweihräucherung oder trockenes Faktengedresche, rückblickende Erklärungsversuche oder in lineare Chronologie gepresste Lebensphilosophien – nicht jeder Mensch ist interessant, nicht jede Biografie weiß zu fesseln. Das trifft auch auf jene zu, die hinter großen literarischen Werken stehen. Mit Georges Perros reiht sich eine weitere Autobiografie ...
Spurensuche in der Asservatenkammer der Sprache. Eine Wiederbegegnung mit fast vergessenen Wörtern und der Welt, der sie entstammen.
28.05.2012 | Thomas Böhme hat im Keller seines Hauses eine ganz eigene Asservatenkammer. Dort liegen, säuberlich verstaut, Worte, die kurz vor ihrem endgültigen Vergessenwerden, das Glück hatten Böhme zu begegnen, der sie aufnahm, ihnen sein Ohr lieh und schließlich, als sich schon mehr als hundert von ihnen bei ihm eingefunden hatten, beschloss, ihre Geschichten zu erzählen. So jedenfalls, stelle ich mir die Entstehung dieses Buches vor. ...
Was bleibt. Neue Gedichte von Michael Hillen
27.05.2012 | Die Gedichte Michael Hillens sind Momentaufnahmen. Gleich ob er sein dichterisches Objektiv auf Dinge oder Menschen richtet, immer geht sein Bemühen dahin, sie in ihrer Essenz zu erfassen, ihrem unverbrüchlichen Kern, von dem aus sie in ihrer inneren Dimension erkannt werden können. In diesem Sinne handelt es sich um Meditationen, die vom Lebendigen und dessen Vergänglichkeit handeln, aber auch von seinem Nachwirken. ...
Coming of Age Story - Chucks von Cornelia Travnicek
27.05.2012 | Ein wenig komme ich mir nach der Lektüre wie ein alter Mann vor, vielleicht, weil der Tod in meiner Lebensphase eine weit geringere Rolle spielt, als damals in der Postpubertät. Ich weiß auch gar nicht, ob ich mich an den Gedanken gewöhnt habe, einmal sterben zu müssen, oder ob ich ihn einfach verdränge, wohl etwas von beiden, aber ich fahre ganz gut damit. ...
Fließende Landschaften mit Schwebstoffen — ein neuer Gedichtband von Jürgen Nendza.
26.05.2012 | Gedichte können durchaus süffig sein, deshalb müßte man das Jahr 2012 mit einem önologischen Vergleich wohl einen „gute Lyrikjahrgang“ nennen. Ohne Anspruch auf Repräsentativität seien an dieser Stelle vollkommen subjektiv Norbert Lange („Das Schiefe, das Harte und das Gemalene“), Marie T. Martin („Wisperzimmer“), Klaus Demus („Kosmos“), Ulrich Koch, Ludwig Steinherr und natürlich Thilo Krause genannt, deren Bände bereits erschienen sind ...
Zustände - Sabine Scho widmet sich in ihrem Gedichtband den "Farben"
25.05.2012 | Anke Bennholdt-Thomsen-Preis
Die in Berlin und São Paulo lebende Dichterin Sabine Scho wird mit dem diesjährigen Anke Bennholdt-Thomsen-Lyrikpreis geehrt. Die mit 10000 Euro dotierte Auszeichnung wird am 23. November in Weimar zum zweiten Mal vergeben, teilte die Deutsche Schillerstiftung mit.
Am Rand der Gesellschaft - Die Wucht des Banalen von Armin Baumgartner
25.05.2012 | Spaziergänge durch sein Leben, festgehalten in teils autobiografischen, teils fiktionalen Kurzprosa-Miniaturen präsentiert Armin Baumgartner in seiner vorliegenden neuesten Buchpublikation, und er erweist sich darin einmal mehr als akribisch genauer Beobachter mit viel Sinn für das Detail, das von den meisten wohl nicht wahrgenommen wird, auch wenn es als 40 Meter langes Graffito an einer Brücke prangt („Ich weiß, die Schuld liegt bei mir“, 79), ...
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