Fadenscheinig
Neu in der Reihe Passagen Literatur im Passagen Verlag: Gertrude Maria Grossegger: zwirnen.
Vom ursprünglichen Wortsinn des Wortes „zwirnen“ (das Zusammendrehen mehrerer Fäden) aus-gehend, werden unterschiedliche Bewusstseinsebenen, fassbare äußere und traumhafte innere Bilder, miteinander verzwirnt. Ein „roter Faden“ ergibt sich aus den Eindrücken der Protagonistin während ihres Unterwegs-Seins, aus Erfahrungen – insbesondere mit Formen von Macht –, aus Reflexionen darüber und aus ihrem Versuch, sich durch Distanz einen Außenblick zu verschaffen, eine Verortung in einer nicht zu fassenden Wirklichkeit, wo Da-Sein nur im Gegen-Satz möglich ist, wo sich ihr In-der-Welt-Sein nicht in feste Form bringen lässt, sich das Verzwirnte als die eine und das Fadenscheinige als die andere Daseinsseite zeigt, wo sich die Sprache – beständig im Unbeständigen am Werken – als einzige Entsprechung ebenso einer stringenten Handlung entzieht.
ich möchte dich kennenlernen sag ich
wir werden noch darauf zurückkommen sagt sie
wir brauchten nichts zu sagen von uns es weise sich von selbst
brauchten nichts zu überstürzen
wir kämen ans licht oder auch nicht das sei nicht so wichtig
das gehen sei wichtig sagt sie das gemeinsame
und dass wir uns nicht aus den augen verlören
wir würden schicht für schicht vorangehen
und manchmal brächen schichten über uns herein
würden sich überwerfen
wir könnten diese nicht mehr auseinanderhalten
nur mehr grob bestimmen
seien ein kleiner drinnenteil von einem ganz großen
und immer wieder kämen wir auf etwas zurück
und wir erführen es so als ob es wäre
alles leben sagt sie, sei immer ein alsob
das alsob sei das eigentliche und mein alsob
sei ein ganz anderes alsob als deines sagt sie zu mir
(…)(S. 12)
*
Birgit Schwaner bespricht das Buch derzeit auf den Seiten des Literaturhauses Wien:
„die Autorin ist eine Meisterin im Zwirnen, im Drehen und Wenden, Wiederholen und Variieren der Begriffe, die sich in ihren Bedeutungen und Mehrdeutigkeiten entfalten. Staunenswert die Fülle an Bildern, Neologismen und Vergleichen, die sie allein mithilfe von Metaphern aus dem Textilbereich herstellt. So macht sie sich zum Beispiel die doppelte Bedeutung des Wortes "Schöpfer" zunutze, um anhand des Stopfens, bei dem man das löchrige Stoffstück über einen umgedrehten Schöpflöffel legt, ihre Protagonistin die Glaubensfrage ansprechen zu lassen. Das Synonym für Gott vexiert da zum Schöpflöffel, der gebraucht werde, um das eigene "löchrige leben" zu stopfen, und die Rede zwirnt sich immer weiter, als verselbständigten sich die Wörter in Rage, bildeten Neologismen wie die "unerschöpfliche lochschöpferin" und absurde, ja paradoxe Bilder wie "ungestopfte löcher fallen aus dem leben" (S. 23).“
Auch bei uns bereits besprochen, siehe nachstehender Link.
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