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»Täuschen, Tarnen und Verpissen« Karl Theodor zu Guttenbergs postmodern-neofeudale Kunst des Zitats und die Krise der akademischen Forschung.
Von Dr. Peter V.
Brinkemper Der Verfall der Zitatenkunst im Medienzeitalter Zitate sind nicht nur Fakten, sie sind Zeichen, Symbole und Texte. Zitate sind auch Schritte eines Dialogs mit sich selbst und anderen, Akte der reflexiven Darstellung, Darlegung, Befragung, Infragestellung und Vergewisserung. Es gibt eine ausgefeilte Kunst des hochartifiziellen, aber auch banalen Benutzens von Zitaten. Der wissenschaftliche Diskurs sollte mit Zitaten in der bekannten, altehrwürdigen Bedachtsamkeit der behutsamen Wahrheitsfindung, Begriffsklärung, Quellendeutung, Hypothesen- und Modellbildung umgehen. Die Mediengesellschaft spielt mit dieser Kunst auf ästhetischem und kommerziellem Niveau. Jeder kann mittlerweile lernen, Aussagen und Behauptungen anderer gegen den Strich zu bürsten und zu den seinen zu machen, oder ehemals eigene Behauptungen als fremde, wie von außen zu betrachten. Das postmoderne Zitatenspiel ist mittlerweile auch außerhalb der hohen Literatur durch internetgestützte Wiedererkennung und Massenselbstbedienung zu einer Hypertextproduktion und nivellierenden Chatunkultur angeschwollen, bei der die Individualität, Kreativität und maßstabssetzende Autorenschaft virtuell schon längst im Katarakt widersprechender und aufgefächerter Aussagelosigkeitssysteme aufgelöst worden sind. Der Autor scheint nur mehr als eine Art exekutiver Protokollant zu sein, der von den Einfällen und Überschneidungslinien der totalen Vorprogrammierung überfahren wird. Schilderungen (imaginärer) äußerer Erlebnisse, im Kontakt mit der Außenwelt, oder der (vorgestellte) innere Monolog einer psychischen Innenwelt sind im Verschwinden begriffen. Im Stellwerk der Netzinformationen springen ihn die Zufallsangebote an und lassen ihn gleichzeitig im Stich. Die uralte Devise »Täuschen, Tarnen und Verpissen« (allerdings, wie man sieht, in etwas anderer Reihenfolge), die in ihrer Biederkeit die noch 15 Monate praktizierenden Wehrdienstpflichtigen in der nun schrumpfenden Bundeswehr prägte, scheint für diese Art von abgenudelter Guerrilla-Stategie immer noch die angemessenste Form der elementaren Beschreibung zu sein.
In Karl-Theodor Freiherr
von und zu Guttenbergs Dissertation »Verfassung und Verfassungsvertrag.
Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU«, erschienen im
Carl-Schmitt-Verlag Duncker & Humblot, Berlin, schien sich zunächst der
unwissenschaftliche Virus des Nichtnachweises einzelner Zitate, teils aus
Netzmedien, teils aus Printmedien, eingeschlichen zu haben. Fachkollegen und
Netzjäger verbündeten sich, mal aus wissenschaftspolitischer Strenge und
Redlichkeit, mal aus parteipolitischen Motiven, gar aus Publicity-zerstörender
Ranküne, um dem Shootingstar der CSU und der vor sich hindümpelten Regierung
Merkel-Westerwelle den ersten Heavy Blow, in eigener Sache, zu versetzen. Mit
Instinkt saugten sie sich an der akademischen Achilles-Ferse des seltsam
forschen Verteidigungsministers und ehemaligen Gebirgsjägers fest. Seine ebenso
entschiedene wie immer wieder schwankende Art der Urteilsbildung bei seinen
mediokratischen Schnellschüssen in Sachen Luftschlag-von-Kunduz und
Gorch-Fock-Affäre (die brachialen Personalentscheidungen und
Unbedenklichkeitserklärungen, nun endlich aus der zivilen Aufbauarbeit heraus zu
rutschen, hinein in den Afghanistan-Krieg als von der deutschen Verfassung nicht
legitimiertem Normalzustand des ständig gegenwärtigen Soldatentodes) werden auch
im Zitaten-Gestus der Doktor-Arbeit nur allzu sehr bestätigt. Der Freiherr ist allerdings kein Freigeist, kein Libertin der Literatur oder der Politik. Als nach Zitaten und Trophäen jagender Zünftler, der sich über die spießbürgerlichen Grenzen geistigem Eigentums hinwegsetzt, hat er sich in der Tat die imaginäre Freiheit des Web 2.0 genommen. Dabei ist er in die Falle zwischen brachialem Konsum und vermeintlichen Open Sources geraten, weil er die universelle Verfügbarkeit von Quellen und Texten mit der totalen Verfügungsmacht des Autors über den Formulierungsbestand von journalistischen und fachwissenschaftlichen Kollegenautoren nach Gutsherrenart verwechselt hat. Zunutze gemacht hat er sich in seinem Totstellreflex zwischen »Ist zwar nicht von mir, aber könnte doch so schön von mir sein« die heutige Unschärfe und Kriterienlosigkeit der stagnierenden Diskussion um die Qualität(sdefizite) von Dissertationen und anderen wissenschaftlichen Arbeiten im Medienzeitalter. Guttenberg ist Täter und Opfer der heute immer autorenfeindlicher werdenden Netzkultur und der entsprechend verflachten akademischen Welt, die sich nur noch mit Wirtschaftsaufträgen, Quizfragen und Bachelor-Modulen verdrossen und lustlos über Wasser hält. Das Ende des klassischen Zitatenbegriffs
In der ersten Phase der
Entdeckung von nicht angezeigten Zitaten in Guttenbergs Werk sah es ganz so
auch, als könnte sich die Beschreibung der Tatbestände völlig mit dem
klassischen Zitatenbegriff erledigen lassen, wonach die korrekte
wissenschaftliche und Arbeitsweise vorschreibt, fremdes Text- und Gedankengut in
wörtlicher oder sinngemäßer Wiedergabe auszuweisen inclusive Anführungszeichen,
Fußnoten
und den Literaturangaben zu Autor, Titel, Seite, Datum, Ort und Art der
Publikation. Schreiend war die Hilflosigkeit, in der die Nachrichten und die
Kommentare der wissenschaftlichen Akteure erst allmählich deutlich machten, dass
Guttenberg, gerade in Passagen, in denen es um eigene Gedankengänge, in
einleitender, kommentierender, durchführender Form oder um Zusammenfassung,
Bewertung und Schlussfolgerung, gehen sollte, ein Patchwork von
zusammengeklitterten und nicht ausgewiesenen Fremd-Zitaten als systematisches
Unterfutter in den Darstellungsbogen seiner angeblich eigenen Ausführungen
eingebaut habe. Aber auch nach der zunehmend von geistigen »Masern«, also hunderten von verdeckten, zusammengeschraubten oder geklebten und nicht angezeigten Fremdzitaten befallenen »Eigenleistung« gibt es einen ungeklärten Rest von Authentizität in Guttenbergs Vertretung seiner nun in Zweifel zu ziehenden akademischen Meriten und rechtlich zu verfolgenden Methoden. So äußert sich selbst »Der Spiegel« immer noch anerkennend in der neusten Ausgabe Nr. 8, 21. 2. 2011, Artikel »Doktor der Reserve«, S. 20-29, hier S. 24: »Dabei ist das Werk im Kern [was für ein Kern?] gar nicht so schlecht. Es ist eine vergleichende Darstellung darüber, wie Amerika eine Nation wurde und wie Europa versucht, eine zu werden. Es ist über weite Strecken eine Sammlung von Fremdtexten, aber es ist auch ein relativ gründliches und sauber gegliedertes Kompendium [!] der Geschichte der US-Verfassung und der EU-Verträge. In deutscher Sprache sucht man so etwas bisher auf dem Sachbuchmarkt vergebens. [!]« (Klammern von Brin.) Paradoxe Totalisierung des Ghostwriter-Modells Es sieht also ganz so aus, als ob Guttenberg seine Autoren-Intentionen in der korrekten Fremdzitation und bescheidenen Eigenausführungen nicht vollends verwirklichen konnte, sondern ihm eines neues, unakademisches, eher politisch übliches Ghosterwriter-Modell vorschwebte. Wichtiger als die Frage, ob Guttenberg oder ein Ghost die Dissertation geschrieben haben, ist der schizophrene Eroberer- und Ghostwriter-Modus des gesamten jetzt inkriminierten Opus. Guttenberg hat, wenn man so will, alle, sich selbst und die anderen, zu Geistern eines fröhlich postakademischen Lustschlosses erklärt, in dem die Textbestandteile ohne Nachweise ihrer echten Abstammung fröhlich Unzucht miteinander treiben. Die Zitate werden durch ihre Herauslösung aus dem nicht angezeigten Original zweckentfremdet und zu eigenen, unsittlichen und anfechtbaren Zwecken verwendet, aber dabei merkwürdigerweise sachlich verstanden und inhaltlich angemessen behandelt. Die durch das Internet gesteigerte Such- und Erschließungsfunktion von Zitaten innerhalb eines Wissensgebietes wird von Guttenberg weitläufig und zugleich nivellierend ausgeschöpft. Merkwürdig bleibt das regressive Rollenverhalten des Autors Guttenberg, seine Zensur gegenüber sich selbst und den anderen: der leere Charakter eines imaginären Abteilungsleiters und Ministers, der den Lerneffekt wachsender Eigenständigkeit und Kompetenz im Verstehen, Respektieren, Formulieren und Nuancieren von Texten und Kontexten nicht abwartet, nicht als Forscher und Autor asketisch reift und frugal erntet, sondern als Ministerialdirigent opulent beschleunigt und in leichten Abwandlungen und Redigierungen die Leistung anderer vertuscht, sie sich selbst zuschreibt und dabei die seriöse Anerkennung seiner eigenen, wie auch immer bescheidenen oder verdienstvollen Tätigkeit vereitelt. Zitation nicht als offener, transparenter Dialog, sondern als autorisierter Diebstahl, Produktion als requiriertes Plagiat, Konzeption als hinterlistige Tarnung. Hier ist jene verzweifelte und verdruckste Ungeduld bei großer Urteilsunsicherheit zu spüren, jene Unfähigkeit, Ideen im Umgang mit Texten anderer offen und im Dialog reifen zu lassen, jener Intuitionsmangel und die abrupte Visionslosigkeit, die auch seinen Politik-, seinen brachialen Inneren-Führungs- und öffentlichen Auftritts-Modus immer wieder durchzieht. Die neofeudale Konfusion zwischen implizit Selbstgedachtem und von anderen fastfood-förmig Angeeignetem, die Dialektik von rascher Fremd- und Selbstversklavung durch inszeniertes Selbstdenken, durch Verschlucken, als Unterdrückung der Stimme des produktiven Anderen stellt die Methodik des arrivierten Karrieristen bloß. Dabei ist der »Summa-Cum-Laude«-Effekt der Arbeit, mangels kritischer Tiefenlektüre, in der Tat mit dem Kontrast ihrer stilistischen Glätte zum sonst üblichen undialogischen Gutachten- und Nominalstil vieler juristischen Arbeiten verbunden. So oder so wird Eigenes und Fremdes kaum deutlich unterschieden oder plausibel aufeinander bezogen: Einerseits sollten Einleitung, Themenstellung, Darstellung, Zusammenfassung, Kommentar, Bewertung, Einschätzung und Begründung selbstverfasst sein, sie sollten andererseits in bestimmtem sachdienlichen Zusammenhang an das Niveau vorhandener Forschung anknüpfen und Zitate, Positionen und Argumente anderer Autoren als ausdrückliche Stimmen berücksichtigen. Zugleich aber sollte die Arbeit insgesamt eine eigenständige Gedankenführung aufweisen, mit eigener Klärungsarbeit und Formulierungsqualität, um die Autonomie der Leistung zweifelsfrei hervorzuheben. Die Spannung zwischen Eigenem und Fremden, zwischen Reproduktion und Kreativität ist die eigentlich dialogische Funktion jedes produktiven Zitierens. Jedes Zitat, jedes Zitieren hat im übergreifenden Sinn ein dialogisches und geschichtliches Potential: den Sinn als Spannung zwischen Ich und Anderem, zwischen Vorgabe und Dissidenz, Gegenwärtigkeit, Entwicklung und Geschichtlichkeit, Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit, Pro und Contra, Identität und Differenz. Erst durch dieses Spiel wird ein Zitat tiefer und in seiner vollen Diskursfähigkeit verstehbar. Man probiert sich und andere aus, auch in den Zitaten, in der Spannbreite von fremdem und eigenem Denken. Man experimentiert mit den Möglichkeiten des öffentlichen, sozialen und geschichtlichen Dialogs. Wer zitiert, beschwört eine öffentliche Stimme, ja die Vielheit der Stimmen der Öffentlichkeit, der Gesellschaft, der Geschichte. Guttenbergs Fall zeigt, wie die nivellierende Verschmelzung von fremden Zitaten zu einem undialogischen Bildungs-Konglomerat verschmilzt, in dem Sachdarstellung in einseitige Selbstinzenierung umschlägt, weil die Gemeinschaft der Forschenden im »Hoppla-jetzt-komm-ich-Modus« gekappt wird. Der Kampf um die reale und die mediale Herrschaft des Verfahrens
Zu dieser Strategie gehört
auch noch der letzte Akt, dass Guttenberg das peinliche, aber dringend
notwendige Verfahren der seriösen Überprüfung seines Falles durch die
Universität Bayreuth mit dem »Ruhenlassen« oder sogar der »Rückgabe des
Doktortitels« einfach abkürzen will. Der Herr des Verfahrens ist aber die
Universität. Einen berechtigten Doktortitel kann man sich noch nicht einmal
abholen, er wird einem zu einem bestimmten Zeitpunkt bei einem Festakt
verliehen. Einerseits. Andererseits gilt: Täuschen, Tarnen und Verpissen. Und
dies auch noch unterstützt durch Dr. Mama Merkel, die ihren Liebling, den
zukünftigen Ministrauß, nicht verlieren will. |
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