Kaum haben wir die Augen aufgeschlagen in dieser Welt, beginnen wir zu übersetzen: benennen Menschen, Tiere, Wasser, Himmel und Erde mit Lauten, dann Worten, Sätzen und taufen so, was wir sehen, hören, empfinden. Aber was immer wir zur Sprache bringen, ist nicht einfach deckungsgleich mit dem Getauften – schließlich ist im Wort Ozean noch niemand ertrunken und im Wort Abgrund noch niemand zu Tode gestürzt, sondern jedes Wort, jede Silbe erweckt in uns Bilder der Erfahrung, den Klang der Wirklichkeit und erinnert uns an das, was war, was ist und sein wird.
Und damit nicht genug: Unsere Worte ziehen Kreis um Kreis wie ein in stilles Wasser geworfener Kiesel. Namensgeber und Täufer anderer Sprachen und Kulturen nehmen sich da und dort unserer Vokabeln und Gedanken an, übertragen sie aber nicht bloß in ihr Idiom, sondern verwandeln sie, bringen an diesem Wort eine Stelle zum Glänzen, bezeichnen an einem anderen einen weißen, vielleicht blinden Fleck oder einen schimmernden Reflex, bevor sie sich zu Übersetzern aufschwingen und Geschichten, Gedichte oder Briefe noch einmal anders und neu zur Sprache bringen.
Im biblischen Babylon erschien die Vielsprachigkeit als Unheil, an dem selbst der höchste Turm der Menschheit zuschanden wurde. Über die stillen Wasser der Übersetzer dagegen ziehen Wellen von Ufer zu Ufer, verbinden und überschneiden sich und bilden da und dort fliehende Muster, aus dem sich der Zauber der Sprache nicht nur über Grenzen, sondern selbst über die Zeit und ihre Jahrhunderte erhebt.
»Verriegelte Orte, luftige Räume. Zur Kunst der Übersetzer«
»Verriegelte Orte, luftige Räume. Zur Kunst der Übersetzer« ist in dem Band »Gerede. Elf Ansprachen« in der Weißen Reihe »Spielformen des Erzählens« erschienen.

Der mächtigste Mann der Welt, Qiánlóng, Kaiser von China, lädt den englischen Automatenbauer und Uhrmacher Alister Cox an seinen Hof. Der Meister aus London soll in der Verbotenen Stadt Uhren bauen, an denen die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Zeiten des Glücks, der Kindheit, der Liebe, auch von Krankheit und Sterben abzulesen sind. Schließlich verlangt Qiánlóng, der gemäß einem seiner zahllosen Titel auch alleiniger Herr über die Zeit ist, eine Uhr zur Messung der Ewigkeit. Cox weiß, dass er diesen ungeheuerlichen Auftrag nicht erfüllen kann, aber verweigert er sich dem Willen des Gottkaisers, droht ihm der Tod. Also macht er sich an die Arbeit.