Die Philosophie des Andy Warhol‹ bietet er eine Reihe von Aphorismen zu diesem flüchtigen Thema: »Ich glaube, ›Aura‹ ist etwas, das nur andere Leute sehen können, und sie sehen nur so viel davon, wie sie wollen. Es liegt komplett im Auge des Betrachters. Man kann nur bei solchen Menschen eine Aura sehen, die man nicht besonders gut oder überhaupt nicht kennt.« Und: »Wenn man jemanden auf der Straße sieht, kann er eine echte Aura haben. Aber wenn er dann den Mund aufmacht, war’s das mit der Aura. ›Aura‹ muss also das sein, was vor dem Mundaufmachen ist.« Es kommt auf den Look an, Lange habe ich mich gefragt, wie man über Charisma schreiben könnte. Andy Warhol hat es Aura genannt, und in ›dieses Ding, das wir Aura oder Charisma nennen, auch wenn es im Grunde nicht beschreibbar ist, wie ein Look funktioniert. Aber vielleicht frage ich mich deshalb, ob das einzige Buch, das Charisma beschreiben kann, ein Buch ist, das im Grunde nur aus Bildern besteht, und somit ein Beispiel von Charisma selbst ist: Kim Kardashians Selfie-Sammlung ›Selfish‹. Die Art und Weise, wie Rizzoli es veröffentlicht hat, soll dem Buch, denke ich, den Eintritt in den Kanon der Kunst ermöglichen, aber eigentlich ist es viel merkwürdiger und viel bewegender als das.
Denn ist nicht gerade das Besondere an KKs Einzigartigkeit: Diese Fähigkeit, reines Bild zu sein, eine Fassade aus Make-up, und trotzdem so etwas wie Wärme auszustrahlen? Dieses Buch dürfte eigentlich nur eine Art Memento mori sein – man sieht zu, wie ihr Gesicht zunehmend hart und angespannt wird, bis schließlich jede ihrer Posen fotogen ist, und wie die um sie herum nach und nach wegfallen, bis im Grunde nur noch KK und ein Spiegel übrigbleiben. Doch stattdessen ist es von einer überraschenden und unverfälschten Intimität geprägt. Es ist gleichzeitig absolut professionell und absolut ehrlich – das Ungewöhnliche daran wird in den Bildunterschriften zusammengefasst, die in KKs Handschrift oder irgendeiner digitalen Schrift verfasst sein können, oder beidem zugleich; und in einer speziellen Bildunterschrift, die KKs nackten Hintern in einem Badezimmerspiegel begleitet, hinter ihr ein zerknülltes Handtuch. »Spiegel-Selfie, das ich für meinen Mann gemacht habe, als Inspiration.« Und doch liegt es hier vor uns, das private Bild, für jeden sichtbar.
Ja, ›Selfish‹ ist sehr traurig und sehr berührend, und auch beängstigend, weil es so absolut künstlich ist. Es lässt sich nur mit solchen widersprüchlichen Sätzen beschreiben – was vermutlich nur eine andere Art ist, um zu sagen, dass es das modernste Buch ist, das ich kenne.
Aus dem Englischen von Tobias Schnettler
© Adam Thirlwell für Tank Magazine, tankmagazine.com

Die coolste, wildeste, eindrucksvollste junge Stimme Großbritanniens
Eine gute Erziehung und ein guter Job. Eine schöne Frau, einen Hund und ein Haus in den Suburbs: unser postmoderner Held besitzt alles. Doch dann steht ihm der Sinn nach Nervenkitzel: Gefühle für eine Frau, die nicht seine ist, eine Orgie und mehrere Schusswechsel. Eine Ereigniskette intolerablen Ausmaßes nimmt ihren Lauf.
Adam Thirlwell lässt diesen schillernden Teufelskerl durch sein ebenso rücksichtsloses wie unschuldiges Leben rasen, das schlagartig aus dem Ruder läuft. Quecksilbrig, melancholisch, angenehm bösartig: ein extravaganter und weltgewandter Großstadtroman.