die spucke auf meinem gesicht war wärmer als vor zwei tagen.
wir finden dich.
wir finden dich.
wir werden dich immer finden.
wir wohnten im zweiten stock. das haus war gelb. im erdgeschoss, nach drei oder vier stufen links, lebte eine ältere frau, an deren tür ein kranz mit einem vogel darauf hing; ich legte fünf löwenzähne in ihren briefkasten, einen tag nachdem ihr mann gestorben war. in die wohnung rechts daneben zog, unter uns, eine familie mit zwei kindern. ihre tochter war siebzehn und rauchte allein auf dem spielplatz. ihr sohn ging in die klasse meines älteren bruders. wenn ihr vater abends nach hause kam, klopfte er so lange mit einem besen gegen die decke, bis wir in socken und auf zehenspitzen gingen. neben uns wohnte ein älteres ehepaar, an dessen namen ich mich nicht erinnere. wir wohnten im zweiten stock, rechts. der flur, in dem ein grünes telefon mit wählscheibe auf der kommode stand, war schmal. links, nach der wohnungstür: das schlafzimmer unserer eltern; rechts gegenüber: das bad; links, am ende des flurs: das zimmer meines älteren bruders; er schlief im bett, ich auf einer matratze. wenn ich nicht schlafen konnte, zählte ich seinen atem. unser jüngerer schlief zwischen unseren eltern. ich war in der ersten klasse. der flur führte ins wohnzimmer, über das wir das esszimmer, links, und, rechts, die küche erreichen konnten. in dieser wohnung gab es zwei türen: im bad und in der küche. vor den anderen zimmern: braune türrahmen, lackiert. ich weiß nicht, ob meine eltern das bild auf der schiebetür zur küche, die von außen mit einem haken und einer verbogenen öse verschlossen werden konnte, selbst gemalt hatten: ein strand (gelb) mit zwei palmen, deren stämme (braun) aussahen, als würden sie aus eckigen blumentöpfen bestehen, die schief übereinandergestapelt worden waren, dahinter: wasser (blau), ein schiff (rot), kein platz für einen himmel. wenn freunde uns besuchten, fragten sie, ob es so – sie zeigten mit dem kopf oder finger darauf – da aussähe, da, wo du herkommst. der ölofen, auf dem ich haare meiner mutter verbrannte, stand an der wand, zwischen flur und küche. wir saßen zu dritt mit den rücken zu ihm vor dem fernseher, in dem ein junge, elliott, nachts, mit einer pizzaschachtel in einer hand und einem baseballhandschuh in der anderen, im garten, von links nach rechts, von der veranda zu einem schuppen lief, der offen stand und in dem e.t. sich versteckte; und es gibt dinge, die wir auch im dunkeln nicht sagen. das weizenfeld im hintergrund war hoch.
wir sehen dich.
augen; 32 zoll. als ich mich das erste mal sah: mein jüngerer bruder sitzt neben mir auf dem hellbraunen teppich, der im wohnzimmer des asylbewerberheims lag, rote hose, blauer pullover über weißem hemd, wir beide: auf unseren knien, und er nimmt den lastwagen, den unsere mutter bei aldi gekauft hatte vom boden, ohne ankündigung; unser vater nahm uns mit einer videokamera auf. ich war drei jahre alt; die weißen streifen über dem bild; das blut auf meiner schläfe. eine stunde in einer hand; diese wärme. unten, rechts, das datum: 27. november 1987. die kamera bewegte sich nicht. ich saß auf dem sofa, vor dem mein jüngerer bruder und ich zuvor gekniet hatten, später, und ich sah mich, weiße hose, grüner pullover, rot aus der rechten schläfe, rot auf meiner rechten hand, das erste mal, auf dem fernseher gegenüber: einen körper ohne haut. einen körper ohne dieses braun, das dunkler an den ellenbogen und heller an der innenseite meiner unterarme ist. einen körper ohne diese farbe, die ich nicht sah und noch nicht verstand und die in der kleinstadt, in der wir lebten, mit erde, schmutz, schokolade und e.t. verglichen wurde.
wir sehen dich.
wir werden dich immer sehen.
er lag in der nähe. von der küche und vom wohnzimmer aus konnten wir den spielplatz, auf dem wir uns nach der schule mit freunden aus der nachbarschaft trafen, sehen, bis ein weiteres mehrfamilienhaus auf dem grundstück davor gebaut wurde und unserer mutter die sicht nahm, wenn sie uns, gebeugt über das fensterbrett, zum abendessen rufen wollte, um neunzehn uhr dreißig, wie immer. an einem sonntag hörten wir ihre schreie, als es noch nicht dort stand und wir auf der holzbrücke saßen und das land vor uns betrachteten, das fallende gelände mit dem sandkasten, den schaukeln und geräten, deren namen wir nicht kannten, und der lava, die näher kam und stieg, bis zu unseren füßen; diese wärme. manchmal konnte es auch eine armee sein, die vom anderen ende des spielplatzes gekommen war. das gras war hell, auf dem soldaten lagen, zwischen grün und gelb, und nach rechts von einem wind geordnet. wir hatten unsere regenjacken an, unsere eltern hatten die gleiche für jeden von uns gekauft, grün, mit einem blauen streifen auf beiden seiten, und wir warteten auf einem balken, mein älterer bruder neben mir, neben unserem jüngeren. es war sonntag. wir drehten uns um. wir wussten nicht, dass ihre mutter gestorben war, aber dass sie einen anruf aus sri lanka, von da, wo wir herkommen, erhalten haben musste, das wussten wir. wir kannten ihre stimme. wir kannten die nachrichten. wir warteten, bis es dunkel geworden war. ich dachte an das einzige bild, das ich von diesem ort damals besaß: ich dachte an einen strand mit zwei palmen, an wasser, ein schiff, an keinen himmel. ich dachte an meine finger in der wählscheibe. mein älterer bruder sagte, amma nach hause telefonieren, bevor er mit seinem rechten zeigefinger auf mich zeigte, und ich zeigte auf ihn, bis unsere fingerspitzen sich berührten.
wir hören dich.
elliott nahm den globus, den sein älterer bruder ihm gab, und stellte ihn auf den schreibtisch, so, dass e.t. ihn sehen konnte. er legte seinen zeigefinger auf nordamerika. wir sind hier. er wiederholte es, mit gedehnten silben langsam: wir – sind – hier. sag uns, woher du bist. gurren. warten. e.t. zeigte mit seinem zeigefinger auf das fenster. die jalousie war bunt: rot, grün, gelb, blau, in verschiedenen abstufungen, von oben nach unten; geschlossen. seine rechte hand sah feucht aus in diesem licht, das durch den abstand zwischen den lamellen fiel, wie nasses leder. ich sah meine hände an, und meine hände waren flüsse.
wir hören dich.
wir hören dich atmen.
meine brüder blieben im wohnzimmer, und ich wusste, sie würden weiter fernsehen, wie fast jeden samstag, wenn wir aufgestanden waren. unsere mutter bereitete in der küche das abendessen vor; die schiebetür war geschlossen; es roch nach kurkuma und basmati-reis. und morgen würde es nicht geben. ich wusste es nur noch nicht. morgen würde ich meine zähne nach dem aufwachen zählen, und ich wusste, ich konnte das licht durch den schmalen spalt am boden erkennen, das auch durch das wohnzimmerfenster fiel und das warm war, ohne farbe, herbst, ein anderer. ich war in der zweiten klasse. ich könnte in der zweiten klasse gewesen sein. ich hatte gelernt, dass körper ein nomen ist und dass nomen gebeugt werden. ich ging in den flur. ich zog meine schuhe an. ich nahm meine regenjacke von der kleiderhackenleiste, die über der kommode hing. ich lief vorbei am zimmer meines älteren bruders, am schlafzimmer unserer eltern, am bad. ich schloss die tür. ich lief vom zweiten stock nach unten, vorbei, an der wohnung des älteren ehepaars, an der familie, rechts, und der wohnung der frau, die leer stand links. ich öffnete die haustür. ich lief zum spielplatz. ich stand auf der brücke. ich konnte sie sehen.
renn.
zwei tage zuvor: 12 uhr 30 endete der unterricht. auf meinem schulranzen saß alf vor einem schreibtisch. in der sprechblase neben ihm: null problemo. ich lief nach hause, eine capri-sonne kirsch in meiner linken hand, und ein junge spuckte mir ins gesicht. an einem fluss in der nähe unserer wohnung kniete ich mich vor das wasser, das braun war. ich sah es mit meinem rechten auge. ich konnte algen und schilf nicht sehen. die spucke war dunkel, zwischen grün und gelb, und heruntergelaufen von meinem linken. ein auto hielt am zebrastreifen. ich konnte es hören. ich spülte meinen mund aus. ich formte noch eine kelle. ich schloss die tür. unsere mutter kam aus der küche in den flur. sie berührte meine stirn und mit der flachen hand die rechte wange, als ich meine jacke aufhängen wollte über dem telefon, grün, blaue streifen auf beiden seiten. sie sah mich an. sie fragte mich, warum mein gesicht so feucht sei, und ich sagte, amma, es ist warm. es war nicht warm. ich hatte gelernt, dass der körper gebeugt wird wie ein nomen und dass er keine antwort gibt. er ist keine antwort. das ist keine antwort. antworte mir. und es gibt dinge, die wir auch im dunkeln nicht sagen.
renn.
renn, nigger.
e.t. war weiß, als elliotts bruder ihn in einem fluss an einer lichtung fand, vor einer brücke, nachdem er in diesem waldstück, mit einem telefon, wie er es nannte, das aus einem regenschirm, einem sägeblatt, drähten, einer gabel, einem kleiderbügel, kindertaschenrechner und schallplattenkoffer bestand, auf den himmel gerichtet nachts, nach hause telefonieren, e.t. nach hause telefonieren wollte; e.t. konnte es sagen. er hatte es gesagt. er hatte es gesagt, während er auf das fenster in elliotts zimmer gezeigt hatte, einige stunden vorher, die jalousie war offen. eliotts bruder rannte über die böschung. e.t. lag am rand, mit dem oberkörper an einer stelle, an der das flussbett trocken war; seine linke hand im wasser zeigte in eine richtung; sein zeigefinger war ausgestreckt. er nahm ihn mit, auf seinem fahrrad, zurück zu ihrem haus, wo männer in weißen anzügen auf ihn warteten. dort fanden sie ihn, auf dem boden vor dem bad. sie kamen durch türen und fenster, langsam. sie waren zu viert. ich konnte sie von der brücke aus sehen. ich kannte sie nicht.
einer von ihnen stellte sich vor mich. er fragte mich, woher ich komme. ich zeigte auf das haus, das gelb war, hinter dem leeren grundstück. er sagte, ich solle ihm meine hände zeigen, und ich zeigte ihm meine hände, die feucht waren. er sah sie an. er sagte, sie würden aussehen wie die von diesem außerirdischen, und ich wusste, was er meinte. meine finger zeigten in keine richtung. er sagte es langsam. weißt du, was wir mit dir machen werden? wir werden dir zeigen, wo du hingehörst. und jetzt renn. renn, nigger. renn, so schnell du kannst. und ich rannte. ich rannte am sandkasten, der schaukel und an den geräten, deren namen ich nicht kannte, vorbei, bis zur hecke, die im vorgarten eines hauses stand, eine straße weiter. einatmen. ausatmen. so weit bin ich gekommen. es war nicht weit. ich versteckte mich. ich kniete mich aufs gras. ich wartete. kein auto fuhr vorbei. sie ließen sich zeit. ich stellte mir vor, wie ich über das grundstück zurück nach hause rennen würde, durch die tür, vorbei an der wohnung der älteren frau links, vorbei an der familie daneben rechts, hoch, in den zweiten stock, vorbei an der wohnung des älteren ehepaars links, in unsere rechts, durch den flur, vorbei am schlafzimmer unserer eltern, links, am bad, rechts, vorbei am zimmer meines älteren bruders ins wohnzimmer, und in der küche, rechts, hinter ihrer schiebetür wäre ich sicher. ich dachte es. ich bewegte mich nicht. ich dachte an die telefonzelle, die am ende der straße stand. ich dachte daran, nach hause zu telefonieren, aber ich bewegte mich nicht, ich konnte mich nicht bewegen. durch den abstand, den die äste und blätter ließen, erkannte ich sie. wir finden dich. ich wartete. ich wusste, dass dieser körper sichtbar ist wie ein morgen, aber morgen wird es nicht geben. ich wusste es. ich wusste es in diesem augenblick, als sie sagten, wir sehen dich. ich legte einen finger auf einen zweig. ich bog ihn nach unten. wir hören dich atmen. ich wartete. ich zählte meinen atem, und ich wartete. die spucke auf meinem gesicht war grün und gelb und wärmer als vor zwei tagen, und ich wusste, dass wir hier sind.

Durch Zufall beginnen Senthil Vasuthevan und Valmira Surroi ein Gespräch auf Facebook. Er lebt als Doktorand der Philosophie in Berlin, sie studiert Kunstgeschichte in Marburg. Sieben Tage lang erzählen sie sich von ihrem Leben, ohne sich zu begegnen. Ihre Nachrichten handeln von ihren Familien und ihrer Flucht aus Bürgerkriegsgebieten, von ihrer Kindheit im Asylbewerberheim und ihrer Schul- und Studienzeit. Hochreflektiert schreibt Senthuran Varatharajah in seinem Debütroman über Herkunft und Ankunft, über Erinnern und Vergessen und über die Brüche in Biographien, die erst nach einiger Zeit sichtbar werden.