Der Jahreswechsel ist geschafft. Prompt kommt die erste schlechte Nachricht, die aus Feier- und Feuerlaune reißt. Die Silvesterknallerei verursachte 4000 Tonnen Feinstaub, so viel wie der alltägliche Straßenverkehr normalerweise in zwei Monaten produziert. Die Nation beginnt zu lärmen. In den Statements spiegelt sich der in die gleichen Richtungen laufende Nachhaltigkeitsdiskurs wider: »So what!« zucken die Hedonisten mit den Schultern; »Verbot!« fordern die Verzichtsprediger und »Innovation!« beruhigen die Technologiegläubigen die Aufgebrachten, schließlich könne man auch zertifiziertes Feuerwerk mit eingebauten Partikelfiltern entwickeln. Herrje, wieder nichts gelernt im alten Jahr.
FUTURZWEI mischt sich nicht in solch aufgeregte Stimmungen ein. FUTURZWEI mag weder Killjoys noch Hedonisten, weder Defätisten noch Sozialromantiker. Mit positiven »Geschichten des Gelingens« zeigt die gemeinnützige Stiftung aus Berlin, dass es ein Leben ohne sinnfreie Verballerung von Rohstoffen geben kann. Ein gutes Leben, das nicht auf Kosten von Natur und Mensch geht und trotzdem ein wahres Feuerwerk an wirklichen, echten Werten entfachen kann. Das macht die Stiftung bereits fünf Jahre lang: seit dem Jahr 2012. »Hipp hipp hurra! Feuerwerk!«, möchte man aus alter Gewohnheit schreien. Doch das gute Leben kann man anders feiern, eben auch an Silvester. Beispielsweise könnte sich eine Gemeinde, ein Dorf oder eine Stadt gemeinschaftlich dazu entschließen, kein Feuerwerk zu veranstalten, sondern nach alter Tradition an langen Tafeln Linsensuppe zu essen, zu singen und zu tanzen. Das an Pyrotechnik gesparte Geld käme örtlichen Sozialeinrichtungen zugute. Das wäre nicht nur eine gute Geschichte, sondern gäbe auch eine klare, smogfreie Sicht auf das, was im neuen Jahr so kommt.
Um aber das Handeln endlich auf das Niveau des vorhandenen Wissens zu bringen, braucht es Vorbilder. Es braucht Konkretes zum Anlass, sich selbst zu verändern, sich zu ermächtigen oder neue Dinge in die Hand zu nehmen. Nur Greifbares ermutigt, eigene Überzeugungen zu entfalten, eine Haltung zu entwickeln und einen Unterschied zu machen. Gesellschaft gestalten, also politisch intervenieren zu wollen, heißt, sich auf die Suche nach einer ökologisch und sozial gerechten Zukunft zu machen. Und zwar dort, wo man ist, aus eigenem Beweggrund. Dann wird Anpassung zu Eigensinn, Egoismus zu Gemeinsinn.
FUTURZWEI erzählt von vielen solcher konkreten Anlässe der ökosozialen Veränderung und politischen Emanzipation in der Buchreihe FUTURZWEI Zukunftsalmanach. Nun, seit dem Jahreswechsel, gibt es den dritten Band für die Jahre 2017/18.
Über 30 Autorinnen und Autoren sammelten mehr als 50 starke Geschichten, die von Mut und Tatkräftigkeit erzählen. Da entsteht in einer Weimarer Baulücke ein Restaurant aus recycelten Baustoffen und jeden Tag wird dort alles aufgegessen (S. 35); da generieren künstlerische Interventionen »Kunststrom« und speisen diesen ins süddeutsche Netz ein (S. 76); da wird der Berliner Stadtraum auf der Suche nach Essbarem durchforstet, um daraus Leckereien zu fertigen (S. 96); da entscheidet sich ein Steinmetz ausschließlich regionale Steine aus Nordrhein-Westfalen zu Grabsteinen zu verarbeiten (S. 100); da kauft die Kieler Bevölkerung lose Lebensmittel ohne Verpackungen in eigenen, mitgebrachten Gefäßen ein (S. 104). Nach fünf Jahren Stiftungsarbeit und nach drei Büchern staunt FUTURZWEI noch immer, was so alles geht und an wie vielen Ecken und Enden schon längst mit der ökosozialen Transformation begonnen worden ist.
Die ersten beiden Bände hatten »Geschichten des Gelingens« aus dem deutschsprachigen Raum in sich, das aktuelle Buch erstmalig nun auch Ideen und Erfahrungen aus der ganzen Welt. Dank des Goethe-Instituts und seines globalen Netzwerks wurde es möglich, Geschichten aus über 34 Ländern zu sammeln. Im gemeinsamen Projekt FUTUREPERFECT vereinen sich u.a. Geschichten aus Ägypten, China, Tunesien oder Chile, also Orte, an denen man auf ganz andere lokale Bedingungen trifft als im mitteleuropäischen Raum; Orte, an denen man weder so reich ist und komfortabel lebt noch so große Handlungsspielräume besitzt, wie wir Menschen in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz. Unter völlig verschiedenen Voraussetzungen – manchmal sogar unter Gewalt, Repression, Belagerung oder Überwachung –, pflegt beispielsweise eine autonome Vereinigung Saatgut in Chile (S. 80), errichtet eine Gruppe aus Designern und Architekten im chinesischen ländlichen Raum kulturelle Begegnungsstätten komplett aus lokalen Materialien (S. 138); lässt das Sozialunternehmen Rooftop Honey Bienen in Melbourne fliegen (S. 126); werden Fischernetze in Los Angeles zu Skateboards recycelt (S. 42); kochen obdachlose Frauen in einer Prager Straßenküche (S. 88) und in Kairo spielt eine junge Frau mit ihren Puppen gegen das politische Geschehen (S. 247).
Für all solche Aktivitäten braucht es eigentlich eine demokratische Ordnung und eine offene Gesellschaft, beides steht aktuell sogar hierzulande unter Druck. Welch wichtige Voraussetzung aber Freiheit für die notwendige gesellschaftliche Modernisierung ist, schärft Harald Welzer in seinem einleitenden Essay des Zukunftsalmanachs (S. 13–29) ein. Vorab stellt er die provokante Frage, ob das freiheitliche System westlichen Typs, nur um den Preis des nichtnachhaltigen Wirtschaftens zu haben ist.
Wie auch schon in den beiden Bänden zuvor, widmet sich der aktuelle Zukunftsalmanach einem Schwerpunktthema. Dieses Mal bat FUTURZWEI die Stadtversteherin Saskia Hebert, einst selbst eine Protagonistin einer »Geschichte des Gelingens« (H. Welzer, D. Giesecke, L. Tremel [Hg.]: FUTURZWEI Zukunftsalmanach 2015/16, Frankfurt am Main 2014, S. 282–286), sich dem komplexen Phänomen Stadt zu widmen. Herausgekommen ist ein wunderbarer Essay, ein »Wimmelbild«, wie die Autorin ihren Text selbst nennt, der das urbane Gebilde aus ganz ungewöhnlichen Perspektiven betrachtet.
Das Thema »Stadt« zu wählen, lag nahe, denn Städte müssen zuerst Hotspot der Transformation werden, wenn es darum geht, die Welt ökologischer und sozialer zu machen. Denn in Städten findet der größte Weltverbrauch statt; mehr als die Hälfte der Menschheit lebt in ihnen. Kein Wunder also, dass der Großteil der Emissionen aus den Städten stammt, dass dort der meiste Müll produziert wird und sich dort die großen Produktions- und Umschlagplätze für Güter und Konsum befinden. Ebenfalls trifft man auf den höchsten Flächenverbrauch: 100 Fußballfelder am Tag, 46 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf. In München nehmen parkende Autos zwölf Prozent der Stadtfläche ein. Deswegen müssen endlich die wesentlichen Fragen auf den Tisch: Wie wird die Stadtgesellschaft reduktiv und widerstandsfähig oder wann beginnt sie aus bereits gemachten Fehlern zu lernen? Wie gestaltet man Städte, in denen man gelebt haben will, lebenswert, kooperativ, kreativ und offen?
In einigen Städten auf dieser Welt herrscht jedoch permanente Krise, politisch oder sozial. Oder beides. So wie in Gaza. Dort werden nun gemeinschaftlich Dachgärten angelegt, die Nahrungsmittel liefern, wenn alle anderen Versorgungswege blockiert sind. Urbanes Gärtnern folgt dann keinen Nachhaltigkeitszielen mehr, ist kein Hobby, kein Hipstergetue oder reine Stadtverschönerung, sondern als städtische Agrarproduktion pure Überlebensstrategie. Denn auf staatliche oder andere fremde, äußere Hilfe braucht man im Dauerkriegszustand nicht zu hoffen.
Der Blick über den eigenen Tellerrand, eine solche globale Perspektive, liefert reichlich Lernstoff für das, was kleine Lösungen für große Probleme sein könnten. »Everything is going to be o.k.« stimmt nämlich einfach nicht; blanke Not wie in Gaza kann auch hierzulande möglich werden.
Und weil sich nicht nur die »Stadt von morgen« aus der »Stadt von heute« entwickelt und sich nicht nur Zukunft permanent in Gegenwart verwandelt, sondern auch in der Vergangenheit viel Zukunft steckt, zeigt der Zukunftsalmanach im zweiten Teil des Stadt-Schwerpunktes anhand alter, literarischer Texte wie das Kommende, das Neue und das Wünschenswerte einst erdacht worden ist.
Das Gemeinsame der »Geschichten des Gelingens« von hier oder anderswo, aus dem Jetzt und dem Damals, ist, dass keine Panik, keine Besorgnis oder Lethargie aufkommt, dass kein »Jetzt-erst-recht« und kein »Weitermachen wie bisher« forciert wird, sondern eine freudig-freundliche Praxis des Dafürseins und des Aktivwerdens für eine wünschenswerte Zukunft ausprobiert wird. Für eine Zukunft, in der jedes weitere neue Jahr freudig begrüßt und damit positiv Geschichte geschrieben werden kann. Wider allen Killjoys.

FUTURZWEI Zukunftsalmanach 2017/18 – Themenschwerpunkt Stadt
Alternativlos? Gibt es nicht. Der dritte FUTURZWEI-Zukunftsalmanach, herausgegeben von Harald Welzer, Dana Giesecke und Saskia Hebert, erzählt in über 50 Geschichten von gelebten Gegenentwürfen zur Leitkultur des Wachstums und der Verschwendung. Erstmals bietet er dabei auch eine internationale Perspektive. Gemeinsam mit dem Goethe-Institut ist FUTUREPERFECT entwickelt worden, das in inzwischen 32 Ländern Geschichten des Gelingens sammelt, von denen die besten hier erzählt werden und die einmal mehr zeigen, was es heißt, seine Handlungsspielräume zu nutzen.
Der Themenschwerpunkt Stadt widmet sich aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen: Jenseits hierarchischer Stadtplanung und gegen Gentrifizierung, Verdrängung und Luxussanierung werden neue, kreative Formen der Urbanität und des Umgangs mit dem Lebensraum Stadt aufgezeigt. Hierbei geht es unter anderem um alternative Wohnprojekte, die gleichberechtigte und nachhaltige Nutzung des öffentlichen Raums und um dezentrale Energieversorgung. Zudem bieten literarische Stadtgeschichten jede Menge Inspiration, um sich selbst das gute Leben nicht mehr aus der Hand nehmen zu lassen.