Wütend, zynisch, blind gegenüber den Lehren der Vergangenheit, haben die Vereinigten Staaten sich für die Angst entschieden.
Wir werden Zeit genug für genauere Analysen haben, für die Beschäftigung mit der Frage, wie das Wettrennen zwischen einer gestandenen, erfahrenen Politikerin und einem verantwortungslosen Marktschreier zugunsten des Marktschreiers ausgehen konnte. Manche werden auf »wirtschaftliche Unsicherheit« verweisen, ein beschwichtigender Ausdruck, der uns weismachen will, die Wahl Trumps ließe sich durch die finanziellen Nöte des Durchschnittsamerikaners erklären und nicht durch unverhohlenen Rassismus und Frauenfeindlichkeit. Dabei übersieht man geflissentlich die Wirrheit von Trumps Wirtschaftspolitik, die eine solche Erklärung kaum zulässt, und ebenso die Tatsache, dass zum erstenmal seit vielen Jahrzehnten der erklärte Liebling sämtlicher ultrarechten Gruppierungen des Landes die Wahl gewonnen hat – all derer, die die Herrschaft des Weißen Mannes predigen.
Was wir aber jetzt schon sagen können: Mit dieser Wahl ist einer der wichtigsten Stützpfeiler der traditionellen (mythologischen) amerikanischen Identität gefallen. Seit Ewigkeiten hat zum sorgsam mit Scheuklappen geschützten Selbstbild der Amerikaner die Vorstellung gehört, dass die größten Sünden des Landes – Sünden des Rassismus und der Gewalt – tot und begraben sind. Diese Überzeugung ist immer dabei, wenn wieder einmal ein amerikanischer Politiker mit unerschütterlicher Gewissheit versichert, dass Gott die Vereinigten Staaten zu Großem ausersehen habe. Es ist ein Selbstbild, das auf der festen Überzeugung beruht, dass dieses Land, so gespalten es auch sein mag, am Ende stets auf der Seite des Guten und gegen das Böse stehen wird.
Und dieses Selbstbild hat Trump mit seiner Wahlkampagne, und zwar in einer Gründlichkeit, die die Vereinigten Staaten für den Rest ihrer Geschichte verfolgen wird, als schönen Traum entlarvt.
In Wirklichkeit hat sich nämlich der Mann, der nun zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, zu diesem Sieg auf einer Welle der Fremdenfeindlichkeit, der weißen Überheblichkeit, der arroganten Dummheit tragen lassen. Er steht einer Partei vor, deren Vertreter sich unverhohlen damit brüsteten, dass sie Schwarzamerikanern in North Carolina die Teilnahme an der Wahl vereitelt hatten. Er errang seinen Sieg mit Wahlparolen, die fast ausschließlich davon tönten, was er den Bösen alles Böses zufügen will – von denen übrigens nur wenige die Hautfarbe, die Religion, das Geschlecht oder die ethnische Herkunft mit ihm teilen.
In den Monaten vor dem Wahlabend prophezeite praktisch jede Umfrage einen überragenden Sieg für Hillary Clinton. Doch als der Tag gekommen war, triumphierte Trump in einem Maße, das so gut wie niemand vorausgesehen hatte. Es ist eine Diskrepanz, aus der wir notgedrungen gewisse Schlüsse ziehen müssen – darunter den, dass vielen Trump-Wählern vollkommen bewusst war, welches Unheil ihr Kandidat anrichten konnte, und sie trotzdem für ihn stimmten. Vielleicht glaubten sie, sie hätten nichts zu verlieren; vielleicht dachten sie, andere würden zu leiden haben, nicht sie. (Aber wenn wir überhaupt etwas aus der Geschichte lernen, ist es dann nicht immer und immer wieder, dass man das Leiden nicht so schön in Schubkästen stecken kann?)
Es hat nicht viel Zweck, wenn man in einem Augenblick wie diesem voraussagen will, was als nächstes geschieht, einem Moment, in dem die ganze Welt innezuhalten scheint und ungläubig das fremde Bild im Spiegel anstarrt. Von ein paar Dingen können wir allerdings ausgehen: Barack Obamas Versuch, den Ärmsten unter den Amerikanern zumindest ein Minimum an Gesundheitsversorgung zu verschaffen, wird wohl vereitelt werden, ein Rückschritt, der viele Menschen das Leben kosten wird. Der Schutz für Bürgerrechte, in Großteilen der Südstaaten ohnehin bedroht, wird weiter abgebaut werden, unter dem Deckmantel größerer Eigenständigkeit der Bundesstaaten. Ein Mann, der verkündet, US-Soldaten sollten die Angehörigen von Terroristen töten und Gefangene etwas unterziehen, das »verdammt viel schlimmer als Wasserfolter ist« – der also zu Kriegsverbrechen aufruft –, ist jetzt Oberkommandierender des schlagkräftigsten Militärs weltweit. Rechtsextreme Parteien überall auf diesem Planeten werden im Präsidenten der Vereinigten Staaten einen gleichgesinnten Verbündeten finden. Der Klimawandel, die größte existentielle Bedrohung der Menschheit, wird von nun an von führenden Kreisen der US-Regierung nicht als wissenschaftliches Faktum, sondern als Mythos angesehen werden.
Und dann ist da noch etwas, etwas, das uns noch viele Jahre lang begleiten wird. Eine ganze Generation zukünftiger Politiker wird Trumps Aufstieg als neues Muster dafür nehmen, wie man an die Macht gelangt. Schon jetzt kommt es einem wie eine Erinnerung aus längst vergangenen Zeiten vor, aber es ist noch gar nicht so lange her, dass die Anführer der amerikanischen Rechten Trump verachteten – nicht weil sie andere politische Ziele gehabt hätten als er oder die innere Leere seiner Persönlichkeit sie gestört hätte, aber weil sie glaubten, mit ihm könnten sie niemals die Wahl gewinnen. Nachdem nun das Gegenteil bewiesen ist, werden die Republikaner, eine Partei, deren überwältigende Mehrheit lieber auf der richtigen Seite der Macht als auf der richtigen Seite der Geschichte steht, diese Erkenntnis beherzigen. Donald Trump wird nicht der letzte Donald Trump sein.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Manfred Allié