München, den 17. vii. 29.
Poschingerstr. 1
Liebe, verehrte gnädige Frau,
was soll ich Ihnen sagen und wie soll ich sagen, wovon uns und besonders mir das Herz voll ist, seit wir glauben lernen mußten, was zu glauben und als Wirklichkeit anzunehmen anfangs unser ganzes Wesen sich sträubte. Wir wissen es erst seit gestern Mittag. Nur die Nachricht von der Tat Ihres armen Sohnes war vorläufig zu uns gedrungen, unser ganzes Mitgefühl war bei Ihnen und dem Freunde; ich war im Begriffe, ihm zu schreiben. Ein Telegramm der Neuen Freien Presse, das auf das Ganze hindeutete, verstand ich nicht, wollte es wohl im Tiefsten nicht verstehen. Noch in Gesprächen mit Leuten, die schon alles wußten, meinten wir immer nur das Eine, und man redete an einander vorbei, bis der Augenblick kam, wo wir begreifen mußten.
Zweiundzwanzig Jahre seit meinem ersten Besuch bei Ihnen in Rodaun. Zweiundzwanzig Jahre einer instinktmäßig immer, durch Briefe und Einander Aufsuchen, unterhaltenen Beziehung, die ich nicht Freundschaft zu nennen wage, die ich aber nun, da sie sich ins Ewige löst, als Brüderlichkeit begreife. Noch einmal, wie weh mir ist, kann ich nicht sagen. Aber ich bin bei Ihnen und Ihrem furchtbaren Weh mit allen meinen Gedanken.
Ich würde kommen zur Bestattung, ohne allen Zweifel. Aber ich kann nicht, man erwartet mich übermorgen in Heidelberg zur Eröffnung eines künstlerischen Festes, auf das nun dieser tiefe, tiefe Schatten fällt. Ich will davon sprechen, wie ich kann. Dort ist ja auch Ihre Tochter. Ob wir sie sehen werden?
Ich schließe, meine liebe gnädige Frau, mit innigen Grüßen dieses Hauses an Sie und Ihren Sohn. Lassen Sie mich bitten: Wir wollen einander treu bleiben in der Liebe zu dem glorreich Verewigten.
Ihr
Thomas Mann.
was soll ich Ihnen sagen Hugo von Hofmannsthal war am 15.7.1929 verstorben. Sein älterer Sohn Franz hatte sich am 13.7. das Leben genommen. Hofmannsthal starb, als er zum Begräbnis des Sohnes aufbrechen wollte (vgl. Wiener Zeitung, 17.7.1929). Thomas Mann verfasst einen Gedenkartikel, der am 21.7. in der Neuen Freien Presse mit dem Untertitel In memoriam in einer Beilage mit dem Sammeltitel Gedenkblatt für Hofmannsthal, zusammen mit Äußerungen von Franz Werfel, Alexander Moissi und Klaus Mann, erschien. In dem Nachruf heißt es: »Ich habe nicht gewußt, wie Hofmannsthals Hingang mich schmerzen werde, noch habe ich ganz verstanden, was uns zusammenführte und durch die Jahrzehnte zusammenhielt. Das Wort ›Freundschaft‹ bedürfte heute seiner Genehmigung. Aber trotz aller Unterschiede der Geburt, der Überlieferung und Lebensstimmung nenne ich, sehend gemacht durch den Tod, die Wahrheit beim Namen, wenn ich von Brüderlichkeit, von Schicksalsverwandtschaft spreche. Wären wir bei weniger ›schwierig‹ gewesen!« Gerty von Hofmannsthal dankte Thomas Mann am 25.8.: »Lieber Herr Mann, Ihr lieber Brief, die schönen Worte des Gedächtnisses – sie rühren mich tief! Ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür. Wie unerreichbar, wie fern und glücklich kommen mir die Tage in München vor, wie lebendig der Nachmittag bei Ihnen, trotzdem mein Mann damals nach seiner Grippe nicht ganz so wohl war wie sonst! Bewahren Sie für mich alle Ihre Erinnerungen an ihn – es ist das Schönste für mich zu denken, dass durch seine Freunde sein Andenken lebendig bleibt.«
Ein Telegramm der Neuen Freien Presse Nicht erhalten.
in Heidelberg Am 20. Juli 1929 eröffnete Thomas Mann mit seiner Rede über das Theater die Heidelberger Festspiele 1929. Er begann seine Rede mit den Worten: »Sie werden es billigen und nicht für Raub achten, wenn ich vor allem des tiefen Schattens erwähne, der im letzten Augenblick auf unser Fest gefallen ist. Wir trauern um Hugo von Hofmannsthal. Wir beklagen einen Verlust, wie er die geistige Welt kaum schwerer hätte treffen können. Viele Federn regen sich jetzt in aller Welt zu Ehren des glorreich Verewigten (…). Die Eröffnung eines deutschen Kulturfestes aber, darin werden Sie mir recht geben, ist heute nicht denkbar ohne ein Wort feierlich-schmerzlichen und liebevollen Gedenkens.«
Ihre Tochter Christiane Zimmer.