Vielen Menschen ist Golo Mann nur noch als Sohn Thomas Manns in Erinnerung. Zu recht?
Das ist ebenso verständlich wie ungerecht. Golo Mann hat selbst sehr früh und sehr genau gewusst, dass man ihn am Vater messen würde. Deshalb wollte er auf keinen Fall Schriftsteller werden, er sah ja bei seinem Bruder Klaus, wie belastend der Vater in dieser Hinsicht war. Golo Mann wurde dann Historiker und Publizist. Wer seine Bücher und Texte liest, seine Wallenstein-Biographie zum Beispiel, der merkt schnell, dass er eben doch ein Schriftsteller war. Wie erfreulich für die Geschichtsschreibung! Viele deutsche Historiker scheinen ja den Ehrgeiz zu haben, dass man den Archivstaub der Akten, die sie studiert haben, beim Lesen schmecken kann. Golo Mann erhielt 1968 sogar den Georg-Büchner-Preis, die renommierteste Literaturauszeichnung im deutschen Sprachraum.
Sie haben eine umfassende Biographie Golo Manns geschrieben. Welches Ereignis in seinem Leben hat Sie besonders beeindruckt?
Golo Mann war nicht besonders mutig, kein Draufgänger, eher ein ängstliches Naturell. Doch Manches in seinem Leben verweist auf das Gegenteil. Zum Beispiel, als er sich schon bald nach 1945 öffentlich dafür einsetzte, dass Deutschland die ehemals deutschen Ostgebiete endgültig aufgeben und sich mit dem Osten aussöhnen müsse, um den Frieden in Europa zu sichern. Das war zu einer Zeit, als diese Haltung noch lange nicht mehrheitsfähig war und auch von der SPD nicht geteilt wurde. Golo Mann bekam viel Ärger, öffentliche Anfeindungen, antisemitische Schmähungen und Morddrohungen. Er ließ sich nicht beirren. Willy Brandt holte ihn in sein Beraterteam. Ich sehe das auch als einen Dank für Golo Manns beharrliche und gefährliche Vorbereitung des Weges zur Neuen Ostpolitik.
Politisch ist Golo Mann schwer zu fassen. Wie würden Sie seine Position beschreiben?
Er war eigenständig, unabhängig, unbequem. Er suchte nicht den Beifall der Mehrheit. Ein Konservativer im Herzen war er immer, auch als junger Sozialist, der sich gegen den aufkommenden Nationalsozialismus unter den Studenten in Heidelberg wehrte. Da suchte er Verbündete im politischen Kampf und fand sie links, spürte aber damals schon, dass er da nicht hingehörte. Doch mit den deutschen Konservativen, die meist national bis nationalistisch dachten, konnte er nichts anfangen. So blieb er politisch heimatlos und ging Bündnisse nur auf Zeit ein. Der SPD von Willy Brandt stand er nahe, wandte sich aber ab, als ihm die Entwicklung zu stark nach links zu tendieren schien. Hans-Jochen Vogel schätzte und unterstützte er aber weiter. Warum er sich dann auf Franz Josef Strauß einließ und ihn gern als Kanzler in Deutschland gesehen hätte? Im »Wallenstein« heißt es: »Ein Nest aus Widersprüchen wird jede lebende Seele, sobald man sie beschreibt.«
Wie frei war Golo Mann im Umgang mit seiner Homosexualität?
Frei war er nicht, eher gehemmt und scheu – ganz anders als sein Bruder Klaus, der seine Homosexualität fröhlich und offen lebte. Das konnte Golo Mann nicht, und im Internat in Salem, wo entdeckt wurde, dass er sich in einen Mitschüler verliebt hatte, tat man alles, um ihm klar zu machen, dass er diese »Perversion« überwinden müsse. Es hat lange gedauert, diese Lektion abzuschütteln. Golo Mann hatte Beziehungen zu Männern, aber er war dabei stets diskret. Offen oder gar öffentlich sprach er davon nicht. Ein Beispiel: 1962 erhielt Golo Mann den Fontane-Preis. Zur Preisverleihung in Berlin nahm er seinen Freund mit, stellte ihn dort aber als seinen Adoptiv-Sohn vor. Beide hatten im Hotel ein eigenes Hotelzimmer, das zweite wurde nicht genutzt, es sollte nur Gerede verhindern. Danach fuhren sie privat nach Hamburg weiter, da war kein Schauspiel mehr nötig, und sie buchten nur ein Hotelzimmer.
Welches Buch Golo Manns würden Sie heutigen Lesern unbedingt ans Herz legen?
Zum Einstieg: »Lavalette«, eine bezaubernde wahre Geschichte aus der napoleonischen Zeit. Dann seine Essays, »Schloss Arenenberg« oder der »Versuch über Tacitus«. Mittlerweile wissen wir, dass Golo Mann auch ein großartiger Briefschreiber war, der Auswahlband seiner Briefe zeigt das. Wer sich vom Umfang her mehr zutraut, sollte Golo Manns literarisch-historisches Hauptwerk lesen: die Wallenstein-Biographie.
Das Gespräch führte Roland Spahr

Golo Mann neu entdecken!
Golo Mann – berühmter Sohn, Emigrant, Gelehrter und scharfsinniger Analytiker im politischen Spannungsfeld zweier Kontinente.
Zu Beginn des krisengeschüttelten 20. Jahrhunderts hineingeboren in eine der prominentesten Familien dieser Zeit, aufgewachsen in der Weimarer Republik, war er ein früher Kritiker des Nationalsozialismus. Die Emigration führte ihn über Frankreich und die Schweiz in die USA. Nach seiner zögerlichen Rückkehr nach Europa folgte mit dem »Wallenstein« und der »Deutschen Geschichte« die späte Anerkennung des Historikers, der sich bis zu seinem Tod 1994 kontrovers und unabhängig in die Geschicke der Bundesrepublik einmischte.