Die deutschsprachige Literatur hat in den letzten zehn Jahren an Stellenwert verloren, wie auch die Literatur aus anderen Sprachgebieten wie Frankreich, Italien oder Spanien.
Das besondere Augenmerk liegt aber bei der deutschsprachigen Literatur, denn noch in den 70er und 80er Jahren hatte sie eine bedeutende Stellung, was natürlich damit zusammenhing, dass Deutsch als erste Fremdsprache noch gleichwertig mit dem Englischen gelehrt und gelernt wurde (Schwedisch lernt man in Finnland in allen Schulen, es ist aber keine Fremdsprache, sondern die zweite offizielle Landessprache).
Heute herrscht in Finnland der Eindruck, dass die deutschsprachige Literatur kompliziert ist und zu viel vom Leser verlangt, also ganz im Gegensatz dazu, was der Leser von heute von einem Buch erwartet, nämlich eine schnelle und leichte Lektüre. Aus diesem Grund geben manche kommerziellen Verlage entweder gar keine oder nur sehr wenige deutsche Titel heraus – diese Bücher verkaufen sich nicht gut und landen nicht auf der Bestsellerliste.
Das Programm meines Verlags, LURRA Editions, hat sich als Ziel gesetzt, universelle, mitteleuropäische Literatur in Finnland herauszugeben, und zu diesem Bestreben gehört auch – an allen kommerziellen Tendenzen und Strömungen vorbei –, die Veröffentlichung von finnischen Übersetzungen deutschsprachiger Literatur.
Welche Literatur wird denn in Finnland besonders gern gelesen?
Die einheimische, also die finnische Literatur dominiert seit etwa fünfzehn Jahren die Literaturszene hier, was natürlich positiv ist. Bei den Übersetzungen beherrscht, wie überall in Europa, die angloamerikanische Literatur den Buchmarkt, aber auch schwedische und finnische Krimis stehen immer ganz oben auf den Bestsellerlisten.
Typisch für Finnland ist die Popularität der Comics. Zur Zeit kommen ja gerade aus Finnland viele neue Vertreter dieses Genres, die auch anderswo beliebt sind und deren Übersetzungen in vielen Ländern Europas gelesen werden.
Du übersetzt ja selbst deutschsprachige Literatur ins Finnische; welche sprachlichen Hürden oder Besonderheiten kann es dabei geben?
Als erstes denke ich an die gegenseitige Ansprache der Figuren: In Finnland, wie überall in Skandinavien, duzen sich alle Leute, unabhängig von Hierarchie oder Bekanntheitsgrad. Das Finnische kennt zwar auch das Siezen, aber es wird kaum verwendet. Beim Übersetzen muss man dann genau abwägen, welchen Weg man jeweils wählt. Einerseits sollen die kulturellen Unterschiede beibehalten werden, und es ist sehr wichtig, dass man beim Lesen immer im Auge behält, dass das jeweilige Buch aus einem anderen kulturellen Raum stammt. Andererseits muss man darauf achten, dass die Sprache nicht steif und unnatürlich wirkt. In Deinem Buch ›Ab jetzt ist Ruhe‹ zum Beispiel habe ich an einigen Stellen, an denen im Original gesiezt wird, die Du-Form gewählt, um den von Dir gewählten Stil besser im Finnischen beibehalten zu können.
Du hast ›Ab jetzt ist Ruhe‹ für Deinen Verlag ins Finnische übersetzt. Glaubst Du, dass diese DDR-Familiengeschichte, also ein sehr deutsches Buch, für finnische Leser interessant sein kann?
Die Art und Weise, wie in dem Buch die Entwicklung der Hauptfigur von einem naiven Mädchen zur reflektierten Frau geschildert wird, hat eine hohe Glaubwürdigkeit, die für jeden Leser nachvollziehbar ist. Darin besteht die hohe Kraft des Buches. Und die direkte, ungekünstelte Sprache des Romans und seine Art, tiefgreifende persönliche Ereignisse mit den bedeutenden gesellschaftlichen Umbrüchen der Zeit in Zusammenhang zu bringen, ist sehr beeindruckend. Der Stil des Buches ist geprägt von einer Art absurden Realismus, der dem Leser einen neuen, anderen Blick auf die Realität der ehemaligen DDR ermöglicht. Und darüber hinaus gibt das Buch dem Leser das tiefe Gefühl, dass die DDR der Autorin / der Protagonistin eine liebe Heimat war, die ihr weggenommen wurde. Das sind wichtige, auch für das finnische Publikum interessante Einblicke.
Wie kam es eigentlich dazu, dass Du dieses Buch übersetzen wolltest?
Das hat mit unserer persönlichen Begegnung im Sommer 2013 im Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf in Brandenburg zu tun. Zwar haben wir nicht viele Gespräche miteinander geführt, aber die kurzen Momente weckten mein Interesse an Deiner Geschichte und damit am Buch ›Ab jetzt ist Ruhe‹. Als ich wieder in Finnland war, fing ich sofort an, das Buch zu lesen. Ich kenne meine eigenen Lesegewohnheiten und weiß, dass ein Buch etwas für unser Verlagsprogramm sein könnte, wenn ich es eilig habe, nach Hause zu kommen, um in einem Buch weiterlesen zu können. Und so ging es mir bei Deinem Buch.
Welches aktuelle finnische Buch würdest Du gerne dem deutschsprachigen Publikum empfehlen?
Aki Ollikainens Roman ›Das Hungerjahr‹, der 2012 erschienen ist. Dieser Debütroman handelt im Finnland der Jahre 1867-68. Im Zentrum steht eine arme Familie, die gezwungen ist, betteln zu gehen, sowie eine zweite Familie aus Helsinki, die zur gesellschaftlichen Elite der Stadt gehört.
Das Buch lässt sich jedoch nicht auf die historische Schilderung der damaligen Zeit reduzieren, sondern es reflektiert Situationen, Lebenseinstellungen und philosophische Begründungen bestimmter gesellschaftlicher Entscheidungen in Finnland, die auch in anderen Zeiten – vielleicht sogar im Jahr 2014 – stattfinden könnten. Es handelt sich um eine mikrokosmische Schilderung, die zugleich auch das heutige Leben in Finnland widerspiegelt.
Als Leser wird man mit der Frage konfrontiert, wie wir mit Armut umgehen können: Sollen wir mit materieller Unterstützung helfen, oder sollte man Möglichkeiten schaffen, durch die sogenannte arme Leute lernen, ihre Situation selbst zu verbessern?
›Das Hungerjahr‹ ist ein sehr intensiver, wenngleich in vielerlei Beziehung auch karger Roman. Ein richtiges und seltenes Kleinod der finnischen Gegenwartsliteratur.

Marion Braschs unwiderstehlicher Roman erzählt die Geschichte ihrer außergewöhnlichen Familie im Spannungsfeld zwischen Ost und West. Der Vater war stellvertretender Kulturminister der DDR, die Brüder, darunter Thomas Brasch, wurden als Schriftsteller, Dramatiker und Schauspieler bekannt.
Mit überraschender Leichtigkeit erzählt die »kleine Schwester« die dramatischen Ereignisse in ihrer Familie – Erfolg, Revolte, Verlust der drei Brüder – und folgt ihrem Weg durch Abenteuer und Wirren in die eigene Freiheit. Selten wurde eine Familiengeschichte so persönlich und bewegend erzählt wie in diesem Roman.