Ich gehe auf der Straße vorbei an Hof und Haus,
mein Herz, ob bang ob heiter, klopft mich zum Dorf hinaus.
Da gittert Zaun den Friedhof, da steinen Mauern Grund,
da wehrt ein Tor den Blicken, da schirmt ein Buchsbaumrund;
da thront der deutsche Michel im Nachthemd auf dem Dach,
halb wandelnd, halb verharrend, halb schlafend und halb wach;
da strotzen Blumen Farben, das Fachwerk strahlt blitzblank,
da glotzen Löwen gipsern vor manchem Hauseingang.
Ich laufe immer weiter, vorbei an Hof und Haus,
mein Herz, ob bang ob heiter, klopft mich zum Dorf hinaus.
Ein Windstoß protzt die Farben von Lützows Freiheitscorps,
dahinter trotzt Fassade, ein Auto parkt davor
mit einer Achtundachtzig auf dem Nummernschild.
Die Katze unterm Auto faucht mich an wie wild,
und ich geh eilig weiter, vorbei an Hof und Haus,
mein Herz, ob bang ob heiter, klopft mich zum Dorf hinaus.
Der Buchenwald prunkt Röschen, auf Stämmen blühen rot
und schwarz die Hakenkreuze, am Weg dampft Hundekot.
Da stratzt ein Tier durchs Zwielicht, verharrt dann lauerstill,
mein Herz rabatzt – ich weiß nicht, was es von mir will;
es gleicht dem Wolf, und trotzdem kann es keiner sein,
denn jeder sagt: Der Wolf ist tot. Bin ich im Wald allein?
KRIEMHILD DER KÄFFER
Da geht sie hin,
die Kriemhild der Käffer.
Sie führt den Kläffer an der Leine,
sie hält ihn sehr kurz.
Sie grüßt ihre Nachbarn mit huldvollem Nicken,
sie sonnt sich in freundlichen Freundesblicken,
ihr Haar hat die Farbe geronnenen Bluts.
Und wenn sie der Rauch der Öfen umweht,
die an den kalten Tagen brennen,
dann wischt sie sich heimlich den Geifer vom Mund,
dann spürt sie, wie stark das Gift in ihr lebt,
die Galle, die sie auf jene versprüht,
die sie als Kriemhild nicht anerkennen.
Ihr Haar hat die Farbe geronnenen Bluts.
Sie kann sich auf viele Schergen verlassen,
die blindlings ihre Füße küssen
und ihre Lügen zum Frühstück fressen
und jenen, die sie als Kriemhild missachten,
nach Lebensfreude und Leumund trachten.
Da geht sie hin,
die Kriemhild der Käffer.
Sie führt den Kläffer an der Leine,
sie hält ihn sehr kurz.
Tugendhaft ist ihr Lebenswandel,
und ihre Hände sind nie besudelt,
ihr Haar hat die Farbe geronnenen Bluts.
DER HASSJÄGER
Wer geifert Missgunst, lodert Neid und Wut?
Wer rumpeldonnerpoltert durch die Gassen?
Das ist der Jäger, und sein Hirn funkt Hassen;
vom spitzen Schädel fliegt der Baseballhut.
Wer sorgt dafür, dass jeder in den Dreck
geredet wird, der weigert, sich zu fügen?
Das ist der Jäger, denn für ihn sind Lügen,
Verleumdung, Hohn und Häme Lebenszweck.
Der Jäger wähnt sich größer, als er ist;
der Jäger fühlt sich immer übergangen;
der Jäger möchte mehr, als er besitzt;
der Jäger will, dass alle vor ihm bangen.
Und wer sich diesem Jäger widersetzt,
wird wortgemeuchelt oder aufgehangen.

Rock Oldekop kehrt nach Glantz im Düster, in seine alte Heimat zurück, um herauszufinden, was sich wirklich zugetragen hat, damals, in der Nacht, als seine Eltern bei einem Brand umkamen. Tiefer und tiefer gerät er in einen wahnwitzigen rasenden Albtraum. Fürchterlich und barbarisch geht es zu in diesem fiktiven Mittelgebirge. Radikal phantastisch, mit einer zärtlichen Absolutheit und virtuosen Wucht erzählt Henning Ahrens von der Suche nach der Herkunft, einer Identität, einer Lebensgeschichte.