Ich erinnere mich noch genau an den Augenblick, als sie in mein Leben trat. Es war am Nachmittag meines vierzehnten Geburtstags, am 20. September 1977. Ich stand in einem Plattenladen namens Freebird im nördlichen Stadtzentrum von Dublin, einem muffigen engen Souterrain, wo es nach Schimmel und Haschisch roch. Eine Tante aus London hatte mir zehn Pfund geschickt, und davon wollte ich mir ›Never Mind the Bollocks‹ von den Sex Pistols kaufen, vielleicht auch das erste Album von The Clash.
Ich stöberte in einem Regal mit gebrauchten Punkplatten, musterte die mit Graffiti verzierten Hüllen mit ihren Schriftzügen wie Erpresserbriefe, und dann hielt ich an einem ungewöhnlichen Cover inne. Es zeigte eine strenge, spindeldürre Frauengestalt. (War das überhaupt eine Frau? Sicher war ich mir nicht.) Es sah aus wie eine Standaufnahme aus einem sehr coolen französischen Film. Die Platte war ›Horses‹ von Patti Smith.
Ich hatte noch nie von dieser Patti Smith gehört. Ich war auch noch nie jemandem begegnet, der so aussah. Hübsch war sie eigentlich nicht, es war etwas viel Beunruhigenderes als das. Yeats sagt von einer unerwiderten Liebe, sie sei schön wie ein gespannter Bogen. Der alte Priester, der uns im Unterricht die englische Literatur nahebringen wollte, hatte vergeblich versucht, uns diesen Vergleich zu erklären. Aber als ich das Foto sah, wusste ich plötzlich, was er meinte. Androgyn, trotzig, unkonventionell und hinreißend, hatte sie die Ausstrahlung eines jugendlichen Keith Richards, unterwegs zu seinen nächtlichen Ausschweifungen, bei denen er unschuldige Debütantinnen verführt. Ihr Selbstvertrauen war faszinierend, ihre verwegene Lässigkeit. Heute klingt das verrückt, aber damals in den siebziger Jahren gab es keine Frauen, die so auftraten.
Damals zierten noch Mädchen in Häkelbikinis die Hüllen der allmonatlichen »Top of the Pops« - Anthologien mit Coverversionen aktueller Hits. Patti sah nicht aus wie ein Bikinimädchen. Sie hatte eine starke sexuelle Ausstrahlung, aber sie würde sich niemals im Tanga sehen lassen. Sie sah eher aus, als würde sie in Doc Martens am Strand entlangstapfen, Kafka lesen, Absinth trinken und den Skinheads, wenn welche vorbeikamen, Sand in die Augen kicken. Camille Paglia schrieb später über das Coverfoto von ›Horses‹ (eine Aufnahme des legendären Robert Mapplethorpe aus der Zeit, bevor er zur Legende wurde): »Es war das elektrisierendste Bild, das ich je von einer Frau meiner Generation gesehen hatte … Ihm gebührt ein Platz unter dem halben Dutzend wirklich bedeutender Porträts von modernen Frauen seit der Französischen Revolution.« Ich gebe zu, der kunsthistorische Aspekt interessierte mich damals weniger, aber es ist nach wie vor das einzige Album, das ich nur seines Covers wegen gekauft habe.
Ich glaube, meine Erwartungen an die Platte selbst waren nicht hoch. »Horses«, dachte ich. »Eine Platte über Ponys.« Aber als ich sie zuhause auf den Plattenteller legte, traute ich meinen Ohren nicht. Was da aus den Lautsprechern kam, war ihre Coverversion, ihre Dekonstruktion, ihre Huldigung und zugleich Vernichtung von »Gloria«, dem Song meines irischen Landsmanns Van Morrison.
Wir alle kennen Augenblicke, die in unserer Erinnerung in einer Art emotionaler Zeitlupe ablaufen. Der erste Kuss, der erste Liebeskummer; die erste Zurückweisung; der erste Augenkontakt auf einer lärmenden Party. Das erste Mal, dass ich Patti Smiths Version von »Gloria« hörte, ist für mich ein solcher Augenblick. Ich werde ihn niemals vergessen. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der die Musik allgegenwärtig war, aber etwas Derartiges hatte ich noch nie gehört. So ursprünglich, so unverfälscht; so schön und doch so brutal. Es war, als lausche man jemandem, der sein Herz mit Händen greift.
Die Band war grandios. Sie spielten mit einer unbändigen Leidenschaft. Sie steigerten das Tempo zum punkigen Trash und nahmen es anschließend zu einem schweren, trägen Blues zurück, wie »Crawling King Snake« von John Lee Hooker. Vor diesem starken Hintergrund klang Pattis Stimme wie ein Peitschenhieb. Sie gab den Worten von Morrisons Song etwas Gefährliches, machte aus dem Sprecher ein bösartiges, verschlagenes Raubtier. Wenn sie von der angebeteten Gloria »I’m gonna make her mine« sang, wusste man, dass sie das mit jeder Faser ihres Körpers meinte.
In der Mitte der siebziger Jahre sangen Frauen nicht so. Es war die Zeit von Karen Carpenter, von Agnetha und Anni-Frid, von Mädchen in wallenden Baumwollgewändern und bunter Batik. Hin und wieder schaffte es eine richtige Rockerin wie Suzi Quatro in die Hitparaden, oder eine paillettenschillernde Disco-Queen. Aber die Mehrzahl der Sängerinnen war sanft und süß. Das konnte Patti genauso, aber sie hatte ihre harte, düstere Seite. Heutzutage singt jemand wie Britney Spears »hit me baby one more time« (schlag mich, Baby, schlag doch zu). Wenn das jemand mit Patti probiert hätte, hätte sie ihm den Arm abgebissen und ihn damit zu Tode geprügelt.
Die Stimme erinnerte mich an Janis Joplin, an Howling Wolf oder Screaming Jay Hawkins. Aber sie weckte auch Erinnerungen an den traditionellen Sean-Nos-Gesang, den ich bei den Reisen mit meinem Vater ins ländliche Connemara im Westen von Irland kennengelernt hatte. Norman Mailer schreibt über den großen Schwergewichtsboxer George Foreman, er sei nicht nur schwarz, er sei der Inbegriff des Schwarzen. Diese Stimme war nicht nur authentisch und urwüchsig, sie war der Inbegriff der Urwüchsigkeit.
Sie steigerte sich in einer einzigen Phrase vom Knurren zum schrillen Schrei. Sie hauchte und brüllte, sie säuselte und bellte. Sie jaulte wie ein Saxophon und brummelte wie ein altes Cello; man bekam eine Gänsehaut, wenn man die Lautstärke aufdrehte, so laut, dass es in den Zähnen weh tat. Sie hatte die kehlige Heiserkeit eines Bob Dylan und den beißenden Spott eines Johnny Rotten. Sie fauchte, zischte und kreischte den Text, aber an anderen Stellen sang sie mit einer herzerweichenden Zärtlichkeit in der Stimme. Zwischendurch murmelte sie Beschwörungsformeln, die mehr wie irrsinnige Gebete klangen, nicht wie die Texte von Rocksongs.
Wenn man ihr zuhörte, war es wie ein Schnellkurs in populärer Kultur. Man bekam einen Einblick in die Welt von Rimbaud, Bessie Smith, Chuck Berry und The Who, von Lou Reed und Allen Ginsberg – sie alle kamen darin vor. Unerträglich, wunderschön, theatralisch, verwegen: So jemanden wie sie hatte es noch nie gegeben, und es wird nie wieder so jemanden geben. Ohne sie wären weder Blondie noch U2 möglich gewesen, ebenso wenig Polly J. Harvey, Nick Cave oder die White Stripes. Wie Dylan einmal über Johnny Cash sagte: Manche Leute sind Lokomotivführer, aber die Schienen haben andere verlegt. Drum erzählt mir nichts von Christina Aguilera, von Pink oder Courtney Love. Ob sie es wissen oder nicht, sie sind allesamt Patti Light. Lange vor ihnen stand Patti da draußen, verlegte die Schienen und sang ihr Lied. Gloria in excelsis.
Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié

Robbie und Fran kennen sich seit der Schule. Sie hängen rum, machen Musik und gründen eine Band, The Ships. Als sie von einer wenig glamourösen Tour durch die Collegebühnen der USA zurückkehren, verändert eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter alles. Auf den kometenhaften Aufstieg folgt ein bitterer Fall, der die Band auseinanderreißt und den Gitarristen Robbie zu Boden ringt. Jahre später berühren sich die Lebengeschichten der vier Bandmitglieder zu einem finalen Comeback.