Ich weiß, dass dieser Preis streng genommen den Akt des Schreibens würdigt, aber zugleich zeichnet er den Akt des Lesens aus. Hier wird eine Gemeinschaft von Menschen gefeiert, die sich nicht kennen, jedoch beschlossen haben, den gleichen hellsichtigen Traum zu teilen. Eine Ehrung, die gerade in unserer Zeit bedeutsam ist, in der wir so viel Angst vor ihrem Verstreichen verspüren, dass wir schließlich den Lärm als Betäubung akzeptiert haben. Wer auf das Lesen setzt, der setzt auf das Schweigen, das inzwischen zu einem der seltensten Güter geworden ist.
Das Schweigen des Lesers ist kein passives Schweigen, es ist ein gärendes Schweigen. Mehr als einem bloßen Verzicht, einer Abwesenheit von Klang, gleicht es dem, was mir das deutsche Wort »innehalten« eingibt: innerlich einhalten. Wir halten inne, um zu lernen, das zu hören, was wir schon so oft gehört haben, dass wir nicht mehr darauf achten.
Ein Leser ist beunruhigend, denn er befindet sich scheinbar im Schwebezustand. Man könnte meinen, er hätte alle Klassifizierungen, die ihn zu einer festen Größe machen, außerhalb des Buches gelassen: Alter, Geschlecht, Beschäftigung, Krankheiten, Ängste. Obwohl er tatsächlich auf seine eigene Erfahrung zurückgreift und damit jedes Buch verändert, das er sich vornimmt, wirkt jeder Leser von außen wie ein Wesen im Larvenstadium, das wer weiß was ausbrütet, sich in wer weiß was für ein Ungeziefer zu verwandeln droht. Er ist die Ziffer Null, die alle Möglichkeiten birgt.
Dies ist eine Fähigkeit, die auch wir Schreibenden gern hätten. In sich selbst innehalten, um eine Wahrheit zu erschaffen, die nicht im Katalog des Existierenden zu finden ist. Nicht das, was gemeinhin als Stein angesehen wird; nicht das, was man uns als Stein bezeichnet; noch das, was andere für einen Stein halten, sondern die vielfältigen Wege, ein und denselben Stein zu erfahren.
Immer wieder wurde gesagt, die Literatur habe von dem Verborgenen zu sprechen; ich dagegen glaube, am besten spricht sie über das, was immer schon da war, vor aller Augen, für uns jedoch zu einem bloßen Detail der Landschaft geworden ist. Die Details sind unser Stoff. Jedes Detail, das wir hervorheben wollen, bildet die Grundlage des Stils, der kein Ornament ist, sondern die Substanz der Geschichte; eben darin liegt die Art von Widerspenstigkeit, die der Kunst eigen ist.
Ich stelle mir ein Streichinstrument vor, das beim Berühren einer Saite ein Wort hervorbringt. Eine Saite spricht, sagen wir, mal ein Wort meines Vaters aus, mal das eines Jugendfreundes, den ich nie wieder gesehen habe, mal das eines Freundes, der in der eigenen Küche umgebracht wurde. Wenn man das Instrument geschickt spielt, hört man sie alle in einem Gespräch, das sie nie geführt haben, jedoch ohne weiteres hätten führen können. Dieses unmögliche Gespräch ist die Wahrheit, die den Lesern geboten wird: man entwirft ein Leben, das sich von dem angeblich statischen unterscheidet.
Die Literatur entspringt der Welt, entwirft jedoch keine Doktrin, wie die Welt auszusehen hat. Wir schreiben nicht, um jemanden zu befriedigen, unsere Arbeit besteht darin, die Erwartungen dessen nicht zu erfüllen, der glaubt, alles schon verstanden zu haben. Die Literatur erklärt nichts, segnet nichts ab, bietet keine einfachen Antworten, im Gegenteil, sie will den Zweifel schüren, ausgehend von einem ästhetischen Ereignis.
Dafür erschaffen wir manchmal eigene Werkzeuge, benutzen aber vor allem uralte Gegenstände, die man uns einmal in die Hand gedrückt hat, und führen sie einem neuen Nutzen zu: Worte, die einst Menschen und Völker erfanden, die es nicht mehr gibt, die jedoch etwas von ihnen mit ins Leben bringen, das wir heute benennen.
Unglaublich, die Wörter.
Man stelle sich etwa vor, dass Miguel Hernández sagt: »Hört dieser Blitz nicht auf, der da mein Herz bevölkert mit rabiaten wilden Tieren«, und dass ich zu denselben Worten greifen kann, mit denen er seine Unendlichkeit benannte, um zu veranschaulichen, was ich Ihnen habe sagen wollen: dass eine ethische und ästhetische Verantwortung in jedem Satz liegt, den wir aussprechen, so flüchtig er auch erscheinen mag, und dass ein Annehmen dieser Verantwortung bedeutet, das Vorrecht des Schweigens zu akzeptieren. Denn eben die Blitze, die es bevölkern, erlauben uns, gegen den erbärmlichen Zustand der Welt anzugehen, der genau mit unserer Jugend zusammenfiel.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange

»Ein Meisterwerk … Unter den Schriftstellern meiner Generation ist Herrera der, den ich am meisten bewundere.« Daniel Alarcón, Autor von ›Lost City Radio‹
›Der König, die Sonne, der Tod‹ versammelt drei Romane des Mexikaners Yuri Herrera, die ihn zu einem der eigenwilligsten lateinamerikanischen Erzähler der letzten Jahre machen. Die mexikanische Wirklichkeit, die wir aus den Nachrichten kennen – die Welt der Drogenkartelle, der sinnlosen Gewalt, der illegalen Einwanderer in den USA –, ist der Bodensatz, auf dem Herrera seine Geschichten ansiedelt. Auf berückende Weise gelingt es ihm, von Figuren zu erzählen, die sich in dieser Wirklichkeit bewegen und zugleich über ihr zu schweben scheinen – wie El Lobo, der die Tochter des Drogenbosses liebt; wie Makina, die auszieht, die Grenze zu queren; wie Alfaki, der nicht anders kann, als den Dreck wegzumachen. Es sind Erzählungen aus dem Inneren eines Landes, die sich weiten zur großen Erzählung über das Innerste unserer Welt.