Nach der Landung kaufte ich mir ein Monatsticket. Ich hatte eine merkwürdige Angst davor, zu sprechen, u. verspürte den Drang nicht aufzufallen. Im J-Train nach Manhattan waren wenige Leute. Die Infrastruktur wirkte unzuverlässig, aber loyal. Nachdem ich meine Sachen in der Wohnung abgestellt hatte, kaufte ich mir ein neues Brett u. Pommes, bevor ich anschließend zu LES Coleman ging. Vor Ort musste ich dann an Heinz denken, für den ich intensive Gefühle habe. Die Bordsteinkanten waren überall mit Metall überzogen, doch traute ich mich nicht, sie anzuspringen, weil ich fürchtete, dass bei einem Sturz plötzlich ein Schulbus neben mir halten, dutzende Teenager aussteigen u. mich auslachen u. bespucken würden.
Um sieben musste ich auf der Arbeit sein, um etwa vier verließ ich sie wieder.
Jeden Morgen stiegen aus der Linie 6 an der Haltestelle Canal St ca. 7 bis 10 Männer aus. Sie trugen verbeulte Helme u. waren voller Ruß, da sie nachts in den unterirdischen Minen arbeiteten. Ein Mitarbeiter der Firma, die von der Stadt mit der Wartung der Kanalisation beauftragt war, erzählte mir später, niemand wisse, was sie abbauen würden. »Unsere Leute dürfen nicht mit ihnen sprechen.« Er schnalzte dabei die ganze Zeit mit der Zunge. Außerdem verriet er mir, dass der Dampf der Kanaldeckel künstlich hergestellt werde, um von den eigentlichen Dingen abzulenken. »Und weit außerhalb der Stadt fahren leere Züge voller angekleideter Strohpuppen durch die Landschaft, damit alle glauben, alles sei normal, alles gehe weiter seinen Gang.« Sein Name war Lyod.

Ich verlor schnell das Gefühl für Zeit u. bekam erste Zweifel, ob ich dazu kommen würde, viel am Manuskript zu arbeiten u. die ganze Scheiße für die Uni fertigzukriegen. Erschwert wurde alles dadurch, dass mein Mitbewohner Jay jeden Abend an meine Tür klopfte u. fragte, ob ich mit ihm abhängen will. Jay kam aus Chicago, war Informatiker und sprach fließend Deutsch. An 6 von 7 Tagen kaufte er sich bei Joey Pepperoni um die Ecke zwei Pizzastücke u. ein Sodagetränk für $2.75. Wir sprachen u.a. über Vonnegut, Karjakin sowie die Cubs. Außerdem besaßen wir identische Brillen. Man hielt uns für Brüder. Die Wohnung, in der wir lebten, gehörte einer alten Frau, die zwei Katzen hatte, von denen eine 23 Jahre alt war u. überall hinkotzte. Wir vermieden das Wohnzimmer.
Nach ZAF u. BDI kündigte nun auch GMB das Verlassen des ICC an. Nicht viel später würde RUS folgen.
In der U-Bahn schüttete eine als Wonderwoman verkleidete Mutter ihrem als Ninja Turtle verkleideten Sohn die letzten Kugeln Puffreis in den Mund. Eine Prinzessin erklärte, dass alle ihre Freunde Tiere quälen. Sie fragte mich, wann diesen Kinder endlich das Handwerk gelegt wird? Wenige Stationen darauf stieg Poopfart222 ein. Um mich möglichst von Jakobs Tagebuch zu distanzieren, nahm ich mir vor, mich bewusst von der großen Halloween Parade fernzuhalten. Stattdessen beschloss ich meinen Fokus auf Weihnachten, erhöhte Lebensmittelpreise u. multilaterale Verhandlungen zu legen.
Die Wochenenden waren gut. Ich verbrachte die Vormittage i.d.R. am Tribeca-Skatepark.

Meine Frau fehlte mir zusehends. Zum Trost kaufte ich mir einen Pullover.
Als ich eines Morgens auf die Arbeit kam, sah ich, dass sich ein junger Mann im Büroturm gegenüber erhängt hatte. Ich hatte große Angst u. wollte 911 wählen, aber da kamen gerade zwei seiner Kollegen herein u. ihre Gesichter verzogen sich schlimm u. ich wusste, sie würden Hilfe holen u. alles würde in Ordnung werden. Ich ließ die Rollläden runter, erzählte niemanden davon u. ging zu einer Resolutionsbesprechung bei der britischen Vertretung.

Nach der Arbeit ging ich meistens unter dem FDR Drive zw. Manhattan u. Brooklyn Bridge rollen, seltener in die Stadtbibliothek, die nach nassen Socken roch. Eine alte asiatische Frau lief neben dem Fahrradweg auf u. ab; wir freundeten uns an. Im Wasser trieb die Polizei. Ich stellte mir vor, wie die Polizisten auf dem Weg nach Hause deprimiert im Straßenverkehr festsaßen. Zwei Typen zogen einen Felsenbarsch aus dem Fluss, umarmten sich vor Freude u. erschlugen den Fisch mit einem Knüppel. Touristen fotografierten Personen, die einfach nur auf Bänken saßen. Ich verlor die Lust an Erkundungen. Auf dem Weg nach Hause sah ich einen Mann auf einem kleinen Lastwagen zu einer Gruppe Kinder singen.
»Say I love god.«
»…«
»Say Jesus loves me.«
Jay u. ich suchten vergeblich eine Bar, die das Spiel der Black Hawks übertrug. Ernüchtert liefen wir zurück in die Lispenard St . Aus einem der Nachbarhäuser kam ein Portier u. begrüßte uns herzlich. Er u. Jay kannten sich. Sein Name war Terrence u. eigentlich war er Rapper. Terrence erzählte uns, dass ihm Ja Rule sein Feuerzeug nicht wiederzurückgegeben habe. Wir sprachen noch eine Weile über Fitness u. Parkour, ehe wir uns verabschiedeten u. eine Suppe in China Town aßen. Dort gestand Jay mir, immer ein Raumspray mit dem Geruch Wald bei sich im Rucksack zu führen, um die Leute in seinem Umfeld daran erinnern zu können, dass wir alle sterben werden. Ich fragte ihn:
»Weißt du, was es mit den Minen unter der Erde auf sich hat?«
»Nein. Aber ich habe gehört, wenn man bei der 6 Richtung Brooklyn Bridge bei der letzten Station nicht aussteigt, sondern sitzen bleibt u. sich versteckt, dann bringt der Zug einen dort hin.«
»Glaubst du, Ja Rule hat ihm das Feuerzeug geklaut oder hat er nur vergessen, es ihm wiederzugeben?«
Im Bett las ich einige Artikel von Steve Eisman sowie John Dos Passos. Beim Schreiben empfand ich ein Gefühl der Verzweiflung u. Nutzlosigkeit. Außerdem hatte ich starke Kopfschmerzen. Nachts dröhnte durchgehend die Belüftungsanlage im Zimmer, da die Fenster mit Schrauben verschlossen waren. Es war mittlerweile so kalt, dass ich mit Jacke u. Schuhen schlief u. ferner damit begonnen hatte, Cornflakes-Packungen als Dämmmaterial vor das Fenster zu stellen.

Der Sicherheitsrat blockierte sich indes zu SYR. Solange es o.k. sei, Mossul zu bombardieren, müsse es o.k. sein, Aleppo abzufackeln, meinte u.a. RUS. Im Aufzug unterhielt ich mich mit einem thailändischen Diplomaten über lange Zugfahrten. Die Ausarbeitung der AFG-Resolution erinnerte mich an ein merkwürdiges Lektorat, mit vielen Leuten, keiner Lyrik und widersprüchlichen nationalen Interessen.
In der Bahn zählte ein Mann mit offenen Wunden an den Händen neben mir Scheine. Er hatte eine Stofftüte, in der ein Geschenk lag. Vielleicht hatte er Kinder, die ihn liebten. Er trug eine ausgewaschene Militärhose u. roch genau wie das Bruschetta, das ich mir vor kurzem gekauft hatte. Ein übermüdeter Minenarbeiter schlief mit seinem Cappuccino im Arm ein, wodurch der Becher auf den Boden fiel.

Die Berliner Philharmoniker spielten bei uns im Haus. Ich hatte zuvor überlegt, mir Tickets zu kaufen, u. freute mich deshalb über das gesparte Geld. Bald schon würde ich reich sein. Abends spielten Jay u. ich Brettspiele. Am liebsten spielten wir bei Dunkin‘ Donuts, wegen der Öffnungszeiten.
Den Wahlabend verbrachten wir in einer Kneipe, die ein Shuffleboard hatte. Auf den drei HD-Bildschirmen lief WWE, UFC u. die Verleihung des Goldenen Handschuhs. Lediglich auf dem Röhrenbildschirm über der Tür konnte man auf CNN verfolgen, wie Tila Tequilas Traum in Erfüllung ging. Im Hintergrund lief Pandora Radio. Jay erzählte mir, wie er Rihanna getroffen hatte. Später gingen wir zu einem Ultimate Frisbee Turnier.
Vor Joey Pepperoni's Pizza wurden wir von einer jungen Frau angesprochen, die ein Sommerkleid u. eine Motorradjacke trug. Sie fragte uns, ob die Pizza lecker sei. Bedauerlicherweise verwickelte sie uns kurz darauf in ein Gespräch, in dem sie anfing, davon zu erzählen, dass sie den ganzen Tag vor Gericht verbracht u. all ihre Termine verpasst habe. Eigentlich lebte sie in Minneapolis. Sie begann mit Jay zu flirten u. bot ihm eine Massage an. Als sie ihren Müll wegwarf, nutzten wir die Chance u. rannten davon.
Als ich den dt. Botschafter zu einer Veranstaltung bei der Deutschen Bank begleitete, lernte ich Brian, Mike u. Miguel kennen, die dort für den Sound zuständig waren. Aus dem 47. Stock beobachteten wir gemeinsam, wie ein Adler Jagd auf Tauben machte.

Philip kam zu Besuch u. wir zeigten ihm Joey Pepperoni's Pizza. Während wir uns unterhielten, konnte ich nicht aufhören, an Tila Tequila zu denken. »There are only two things in this world, for which I would gladly sacrifice my own life; the destruction of all Jews and preservation of the white race.« Später schrieb mir R. eine Nachricht aus Mali, wo er im Rahmen von MINUSMA stationiert war. Ich lud ihn ein, Silvester mit uns in Hannover zu verbringen.
Nachts weckte mich Jay aus meinem Schlaf u. sagte, er habe einen Eingang in der Wand gefunden. Er habe die ganze Zeit merkwürdige Geräusche gehört u. dachte erst,

»Dahinter ist ein Raum, mit einem abnehmbaren Gitter als Boden. Man kann Stimmen hören. U. es gibt eine Leiter. Sie führt zu den Gleisen.«

Gated Communitys, Prepper und freikirchliche Prediger. Ein schwindelerregender Roman über die Zukunft, in der wir längst leben.
Die Sicherheitsvorkehrungen in Nordelta wurden erhöht. Reiterstaffeln patrouillieren durch die Straßen, die Wachmänner tragen letale Waffen. Seit zehn Jahren wohnt Pelusa mit ihrer Familie in der Gated Community nördlich von Buenos Aires. Nach ihrer Zeit in den Anden genießt sie das sichere Zusammenleben mit den freundlichen Nachbarn. Doch als gewaltsame Unruhen Nordelta zu erreichen drohen, entwickelt sich unter den Bewohnern ein Klima der Angst. Während Pelusas Mann Hector vom Bau unterirdischer Bunker träumt, hat ihr Sohn Henny längst Pläne für eine Mondbasis zur Rettung der Menschheit entworfen. In seinem Debütroman beschreibt Juan S. Guse eine Gesellschaft in Alarmbereitschaft und erzählt von Orten der Leere und Hysterie, in denen die Lebensentwürfe seiner Figuren zu scheitern drohen.