
In der Eisenhalle warten bunt gemischte Sofas, Sessel und sogar Betten auf dich.
Drei Tage später fühlt es sich fast so an, nie da gewesen zu sein, so völlig unscheinbar, unsichtbar erschien das PROSANOVA 17 in dieser Welt. Zuallererst las ich von Hildesheim in einer Fußnote eines Aufsatzes über die Hyperfiktionalität »junger Literatur« in dem Almanach der Existenz in der Schwebe (Band III). In meinen Forschungen traf ich auf immer weitere Indizien, Artikel, Tweets und Berichte über »die Blase« Hildesheim, einem super-selbstreferentiellen Trabanten im Orbit der Literatur, erfunden von einer geheimen idealistischen Elite post-utopischer Superästheten (I.E.P.U.S.), die an einer sprachlichen Auflösung der Realität arbeiten – das PN soll nun das Mittel der räumlichen Intervention sein, durch Performances, Leseinseln auf den Weiten eines Aldi-Parkplatzes, als literarisches Taxi oder spazierend durch die Nordstadt von Hildesheim.
Um die Fiktionalität des diesjährigen PN zu verstehen, muss man sich seinen Ort ansehen: Ein verlassenes Industriegelände, die erodierten Überreste eines Arbeitsraumes, nebenan ein leerstehender Aldi, der nachts zur Partyfläche wird. Ein Supermarkt bei Nacht ist der perfekte Ort zum Dissoziieren und das PN zeigt, es ist auch der perfekte Ort zum Feiern (ich möchte ab jetzt nur noch in einem Aldi feiern). Diese geisterhafte Ästhetik des liminal space, der leeren Konsumarchitektur, den Spuren vergangenem Konsums, eines Nicht-Orts. Als Deko finden sich durchscheinende Netze, Zimmerpalmen, Neonröhren und Haufen aus Einkaufswagen, in denen leuchtende Kanister fixiert sind. Das alles wirkt im Nebel der Nebelmaschinen geradezu subaquatisch.
Der durchästhetisierte Aldi, rosa Barbereich.
Eine alte Industriehalle für Eisen- und Stahlverarbeitung samt Schuppen und Kegelbahn: Dort finden sich die Prosanovist*innen ein, gleich dem post-pragmatischen Dolphin Kollektiv aus Leif Randts Planet Magnon (PM) in einem prä-pragmatischen Ort der Arbeit am metallenen Material, um hier an ihrem Textmaterial zu arbeiten. Direkt hinter dem Aldi wartet eine Strandbar mit frischgekochtem Erbsenbrei, Olivensuppe und Rhabarbersaft. Es gibt kein Plastikgeschirr, die Teller musst du nach dem Essen abwaschen. Es schwirrt kein Plastikmüll im Orbit des PN.
Hier wird das Geschirr abgewaschen. Hinterm Aldi sieht es geisterhaft aus.
Vor dem Aldi aber auch.
Um zur Dieselhalle zu gelangen (neben der Eisenhalle das größte Festivalgebäude), muss man an einem Lidl, einem TEDI (Ramschladen mit Bär-Maskottchen) und einem Restpostenladen (namens »Jawohl«) vorbeilaufen. Dieser Weg alleine lässt die Übergänge von Festivalfiktion und Realität verwischen. Den meisten Kontakt mit der hiesigen Bevölkerung haben die Festivalbesucher*innen hier am Lidl. Auf dem Lidl-Parkplatz begegne ich auch einem Mann mit einer gebrochenen Hand, vollgepackt mit jeder Menge Spirituosen versucht er, mir die Ironie seiner Geschichte zu erklären. Das Traurige: Er vergisst die eigentliche Geschichte zu erzählen, deren Ironie er mir zu erklären versucht. Dann fängt er an, eine Familie am anderen Ende des Parkplatzes zu beschimpfen.
Der Programmrahmen des PN 17 bietet Raum für schimmernde Utopien, wie in Futur Drei (Tim Holland, Anne Munka), in der Grenzen von Geschlechtlichkeit und Körpern aufgelöst und Analgänge von Pflanzen durchwachsen werden; an anderer Stelle gibt es Diskussionen zu Sprache und Machtverhältnissen; dem Driften der Sprache können wir in einer Video-Performance von Maren Kames zu sehen, ein langsamer Sprachwandel einer »entrückten, aber formschönen« (PM) neuen Welt von pinkem Neon-Nebel, dem Traum neuer, ebener Machtverhältnisse. Es gibt aber auch Textadventures und szenische Installationen mit Hüpfburg und riesigem aufblasbaren Flamingo und entfaltbaren Text in Form von Origami-Kranichen und Lecture-Performances und überhaupt gibt es eine Menge Zeug.
Die liminale Ästhetik findet sich im Programm wieder: Keine fertige »große, laute, wütende, böse Literatur« wird präsentiert, wie es Sascha Ehlert in der WELT fordert, sondern eine Literatur, die sich im Prozess versteht und mit ihrem Prozesshaften arbeitet – still –, und dafür benötigt es einen affirmativen Raum, um einen respektvollen Zugang zueinander zu finden, eine Art »erhabenen Besänftigung« (PM), keine giftigen Schlagabtäusche und Konfrontationen.
Das PN und die I.E.P.U.S. bleiben vielleicht dadurch gefangen in ihrem Magnonrausch (in einer »sphärischen Versachlichung« (PM)). Aber als Abbild junger Literatur hat es allemal an verschiedensten Stellen gegen die männlichen, konservativen Kollektive der Literaturlandschaft ein Zeichen gesetzt.
Diese Liminalität des Ortes, der so versteckt in dem so versteckten Hildesheim liegt, bewirkt, dass ich mir sogar jetzt nicht mehr sicher bin, ob ich wirklich da war oder ob es je ein PN gab.
Während der vier Tage wird auch Die Maschine vorgestellt, ein Programm, das Texte verschluckt und aus ihnen neue Texte schreibt, kalkuliert aus der Wahrscheinlichkeit bestimmter Wortkombinationen. Was wohl passiert, wenn man all den Text des Festivals als Hypotext in sie einspeist? Vielleicht würde sich das Festival dann in unendlicher Abfolge in aller Einsamkeit weiterschreiben, in abertausenden Variationen: genderfluide Planeten treffen auf künstlich erschaffene Wellen, driftende Bergmassive und holographische Octopi der Tiefsee.