Jarett, wenn dein Roman ein Song wäre, welcher wäre es?
»Hell is Round the Corner« von Tricky.
Wie ist deine Beziehung zum Internet?
Neulich hat mich jemand gefragt, was ich beruflich mache. Ich sagte, ich bin Schriftsteller, aber dann wurde mir bewusst, dass das so nicht stimmt. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt, indem ich E-Mails schreibe. Ich schicke Mails raus, und Verträge und Geld kommen rein. Das Schreiben ist nur ein Vorwand für die Mails.
Nutzt du Social Media?
Ich meide es wie die Pest.
Dein Lieblings-Emoji ?
Der lachende Smiley mit Tränen in den Augen.
Welches Emoji muss erst noch erfunden werden?
Ich fände es schön, wenn es ein Emoji gäbe, das die Gefühle von Irritation und milder Wut darstellt, die einen überkommen, wenn man herausfindet, dass jemand dich in seiner Doktorarbeit zitiert, aber dein Buch gar nicht gelesen hat – und alles vollkommen verdreht wiedergibt.
Was ist das Beste, dass das Internet je hervorgebracht hat?
Vielleicht eBay.
Und das schlechteste?
Ein intellektueller Diskurs, der oberflächlich den Stand der Dinge in Frage stellt, aber letztlich nur politische Systeme und Behauptungen verstärkt. Nichts ist so radikal wie die kaum verdeckte Konsumkultur.
Dein Lieblingssatz in ›Ich hasse dieses Internet‹?
»Ich finde, die Beschäftigung mit ihrem Werk befreit das vitale Zentrum.«
Wie steht es um das Verhältnis von Lachen und Verzweifeln in deinem Buch?
Es gab ein Leseexemplar der amerikanischen Ausgabe, da steht das drauf. Ich würde sagen, das Verhältnis ist 70 zu 30. 70% Lachen. Und 30% Verzweifeln.
Inwiefern ist San Francisco das perfekte Setting für deinen Roman?
›Ich hasse dieses Internet.‹ musste sich um San Francisco drehen, weil das Buch das Resultat eines breakdown ist – verursacht durch San Francisco. Das Buch ist das Resultat meines verrückten Glücks, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Es fühlt sich seltsam an, dass die Öffentlichkeit so stark auf etwas reagiert, was im Wesentlichen das Resultat eines Zustands ist, wie ich auf diese Stadt reagiert habe.
Der Untertitel lautet ›Ein nützlicher Roman‹. Inwiefern ist dein Buch nützlich?
Viktorianische Romane aus dem 19. Jahrhundert haben mich immer schon fasziniert. Und den Glauben, den die Leute damals in Romane setzten. Das ist etwas aus der Mode gekommen, so grob zu der Zeit, als James Joyce seine sehr interessanten Liebesbriefe an Nora Barnacle schrieb. Aber die Idee, die dahintersteckt, interessiert mich. Auch wenn ich kaum glaube, dass ich mit meinem Roman irgendwem moralische Ratschläge geben kann, finde ich die Idee toll, dass der Roman zu etwas nützlich sein kann, dass er über psychologische Erkenntnisse und narrative Strategien Informationen transportieren kann, die weit über das Fortschreiben der Vorurteile und Vermutungen der herrschenden Klasse hinausreichen.
Zum Beispiel?
Denk zum Beispiel an Elizabeth Gaskells Roman ›North and South‹. Etwas Ähnliches versuche ich in ›Ich hasse dieses Internet.‹. Ich versuche Informationen, oder einen bestimmten Standpunkt, der anders ist, zu einem Thema darzustellen, über das wir glauben, bestens informiert zu sein.
Sind die beiden Figuren Adeline und Ellen aus deinem Roman typische Internet-Opfer?
Adeline ist ein komplett untypisches Opfer. Sie ist reich, hat ein gewisses Maß an Berühmtheit erreicht und möchte etwas im Netz verkaufen. Ellen ist genau das Gegenteil: Sie ist eine ohnmächtige Person, die durch das Verhalten ihres Exfreunds ins Netz gesogen wird, und plötzlich auf Seiten auftaucht, die aufgesetzt wurden, um auf Kosten anderer Geld zu verdienen.
Warum hast Du das Buch fast durchgehend in der Vergangenheitsform geschrieben?
Jedes Buch, in dem es um neue Technologien geht, altert in dem Moment, in dem es veröffentlicht wird. Vielleicht sogar schon vorher. Deswegen nutze ich narrrative Strategien in meinem Roman. Zum Beispiel das Definieren von allem, inklusive der Dinge, von denen wir glauben, dass sie nicht definiert werden müssen, um dem Buch eine Lebensdauer zu bescheren, die vielleicht doch etwas länger sein kann als die einer Fliege. Das Buch in der Vergangenheitsform zu schreiben war eine davon. Es erlaubt mir, auf unsere Gegenwart zurückzublicken.
In deinem Roman geht es auch um Celebrities, Rassismus, Gentrifizierung, Konsumverhalten, patriarchale Strukturen, Mark Zuckerberg, Hipster, Twitter, Beyoncé, Apple, Buzzfeed, Walt Disney und Kim Kardashian. Es fühlt sich sehr zeitgeisty an. Gibt es Themen oder Figuren, die Du gern noch hinzugenommen hättest, seit du den Roman fertig geschrieben hast?
Ich hätte vielleicht noch gern etwas mehr Straßengewalt dargestellt. Das ist etwas, dass in San Francisco immer mehr zunimmt und deutlich spürbar ist. Ich war vor kurzem dort, und alle Polizeistationen waren verbarrikadiert und bewacht, weil man Straßenproteste fürchtet. Und eine andere Sache, von der ich gern gehabt hätte, dass sie im Buch mehr thematisiert wird – aber das Buch spielt im Jahr 2013, und damals war es noch nicht so präsent – ist der Aufstieg des IS, seine Enthauptungs-Videos und seine besondere Beziehung zu Twitter. Zwei Gruppierungen, getrieben von dem geradezu messianischen Glauben, die Welt zu fluten mit ihrer je eigenen Bilderwelt.
Was die Sprache und den Stil deines Romans angeht: Wolltest du, dass sich manche Passagen lesen wie Texte aus dem Internet?
Als ich anfing zu schreiben, hatte ich jedes Vermögen, literarisch zu arbeiten, verloren. Ich habe mich ganz auf meinen Instinkt verlassen. Als ich dann etwa ein Drittel geschrieben hatte, wurde mir klar, dass der Stil – voller Abschweifungen und leicht vulgär – die Art, wie ich von einem Thema zum nächsten sprang, so eine Art Internet-Platzhalter war. Und dass es gut funktionierte, um das Internet mit seinen eigenen Mitteln zu kritisieren. Also habe ich mich immer weiter darauf eingelassen und so weitergemacht.
Was könnten BuchhändlerInnen, LeserInnen über dein Buch erzählen?
Als ich das Buch schrieb, wusste ich, dass Leute das Internet hassen, aber ich wusste nicht, wie verwundet sie sich davon fühlen. Ich weiß nicht, ob das auch auf Deutschland zutrifft, aber in den USA funktioniert das Buch als eine Art Balsam. Alle wissen, dass das Internet ihr Leben durcheinanderbringt, aber es gibt keinen sozial akzeptierten Ort, sich davon abzuwenden oder zu widersprechen. Das ist ein sehr grundsätzliches Gefühl, das uns alle angeht. Und außerdem, es ist ein recht witziges Buch, und das hilft ja manchmal auch.
Interview: Friederike Schilbach

Zeitgeist ist sein zweiter Name: Mit rasender Energie erzählt Jarett Kobek in seinem Roman, was das Internet mit uns macht. San Francisco: Eine Gruppe von Freunden kollidiert hart mit der digitalen Gegenwart. Adeline hat nach einer unbedachten Äußerung zu Beyoncé und Rihanna einen Shitstorm am Hals, und Ellen findet sich nackt im Netz. Die Kampfzone hat sich verschoben, und wir selbst haben die Munition geliefert: Warum geben wir unsere Daten her? Machen Apple und Google zu den mächtigsten Playern der Welt? Hier ist sie endlich: Eine »raue Tirade zu Politik und Kultur, ein Aufschrei zu Macht und Gewalt in unserer globalisierten Welt« (New York Times). Für alle, die Dave Eggers ›Circle‹ und Michel Houellebecqs ›Unterwerfung‹ geliebt haben – plus eine Prise Wahnsinn obendrauf.