Das Werk Stefan Zweigs liegt in zahlreichen Ausgaben gedruckt vor. Was kann eine Online-Seite darüber hinaus anbieten?
Beispielsweise einen wesentlichen Einblick in die Entstehungsgeschichte der Bücher, in die oft zahlreichen Textvarianten und in die Arbeit des Autors, die sich an vielen Stellen sehr eindrucksvoll nachvollziehen lässt. Stefan Zweig ließ kaum einen Text in der ersten Fassung gelten und sah sogar die letzten Korrekturfahnen kurz vor dem Druck noch als Einladung zu großzügigen Änderungen an, wenn es ihm notwendig erschien. Wie er dabei vorging, wie sich ein Text veränderte und wie zahlreiche der bekannten Werke vor dem Druck in der Handschrift aussahen, das ist auf STEFAN ZWEIG DIGITAL zu betrachten. Und zum ersten Mal sind hier auch die Bücher verzeichnet, die aus Zweigs Bibliothek noch erhalten geblieben sind. Man kann nun also auch Quellen und Anregungen, die Zweig für seine Werke nutzte, besser nachvollziehen und die Lektüre seiner Texte ganz erheblich um spannende Hintergründe erweitern.
Hinzu kommen Vorteile, die mit gedruckten Nachschlagewerken so nie zu erreichen wären: alle Daten sind vielfach miteinander verknüpft. Und dank einer Reihe von Suchmöglichkeiten, Registern und einer biographischen Tafel, kann der Einstieg in das Material beispielsweise auch über Namenssuchen oder Tagesdaten erfolgen. Dass dies so umfangreich möglich ist, geht vor allem auf ein Team von Zweig-begeisterten Leserinnen und Lesern zurück, das seit langem, zum Teil seit Jahrzehnten, Material gesammelt und geordnet und nun für das Projekt zur Verfügung gestellt hat.
Blick auf die Website. Quelle: www.stefanzweig.digital
Aus welchen Quellen stammt die Fülle des Materials, das Sie in dem Portal dokumentieren und darstellen?
Zunächst einmal aus dem Literaturarchiv Salzburg selbst, das die Initiative STEFAN ZWEIG DIGITAL ins Leben gerufen hat. Es gab dort von Beginn an einen Sammelschwerpunkt zu Stefan Zweig, der 2014 durch einen Ankauf bei Christie’s in London erheblich ausgebaut werden konnte. Zusammen mit der Sammlung der Reed Library in Fredonia in den USA bildet dieses Material den eigentlichen schriftlichen Nachlass Stefan Zweigs, also all jene Dokumente, die bis zu seinem Tod in seinem Besitz waren. Beinahe 300 Manuskripte, Typoskripte und Korrekturfahnen konnten wir verzeichnen. Dazu kommen noch Materialien wie Tagebücher, Verlagsverträge und sogar Lesezeichen mit Lektürenotizen Zweigs.
Nach welchen Gesichtspunkten habe Sie die Internetseite konzipiert?
Zweigs Nachlass, der durch komplizierte Umstände physisch getrennt worden ist, steht ganz eindeutig im Mittelpunkt des Projekts. Die Seite wurde gewissermaßen um die Idee herum entworfen, diese Materialien zumindest virtuell wieder als einen geschlossenen Bestand präsentieren zu können. Das wird besonders deutlich, wenn man sich einzelne Titel herausgreift: Das Manuskript von Zweigs Grabrede für Sigmund Freud beispielsweise ist seinerzeit versehentlich aufgeteilt worden, so dass sich die erste Seite heute in Fredonia befindet und die übrigen fünf Blätter in Salzburg liegen. Bei STEFAN ZWEIG DIGITAL sind nun beide Fragmente verzeichnet und können in digitalen Faksimiles wieder als ein Manuskript durchgesehen werden, so wie Stefan Zweig es hinterlassen hat.
Blick auf die Website. Quelle: www.stefanzweig.digital
Adressiert sich »Stefan Zweig digital» in erster Linie an akademisches Publikum?
Stefan Zweigs Lesepublikum ist noch immer sehr groß und gerade in den letzten Jahren gibt es auch eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten über ihn und sein Werk. Das Interesse ist also sehr vielfältig und wir hoffen, dass wir mit STEFAN ZWEIG DIGITAL ein möglichst breites und weitreichendes Angebot bieten, in dem alle Interessierten die gesuchten Informationen finden, aber auch ihre eigenen Entdeckungen machen zu können.
Sie habe eine Zweig-Biographie verfasst sowie Werke und Briefe des Autors ediert. Konnten Sie für das Online-Portal auf diese Arbeiten zurückgreifen?
Die langjährige Beschäftigung mit Zweigs Biographie und seinen Werken war selbstverständlich eine gute Grundlage für die Arbeit an diesem Projekt. Vor allem beim Entwurf der Plattform war es sehr hilfreich, Personen und Verbindungen schon einigermaßen zu kennen. Mit vielen der verzeichneten Dokumente habe ich schon für die Biographie Zweigs gearbeitet und kenne sie entsprechend gut, so dass viele Fragen dazu relativ schnell beantwortet werden konnten und meine Kollegin Lina Maria Zangerl und ich uns mit dem Projektteam auf die »Architektur» hinter der Präsentation konzentrieren konnten.
Blick auf die Website. Quelle: www.stefanzweig.digital
Auf der Seite findet man einen »Themen»-Bereich, der »Marie Antoinette» ins Zentrum stellt. Was gibt es hier zu entdecken?
Zweigs Biographie Marie Antoinette – Bildnis eines mittleren Charakters ist ja bis heute eines seiner bekanntesten und beliebtesten Werke. Für die erste Themenseite, die Objekte aus dem gesamten Material zu einem bestimmten Bereich zusammenfasst, haben wir dieses Buch ausgewählt, weil die erhaltenen Manuskripte und Korrekturfassungen besonders gut zeigen, wie Zweig an einem Buch arbeitete. Die einzelnen Objekte sind zusätzlich zu den Katalogdaten mit Beschreibungen versehen und können auch Seite für Seite durchgeblättert werden. Neben den zu erwartenden Dingen gibt es auch noch die schon erwähnten Lesezeichen Zweigs zu sehen und man erfährt, dass ein Korrekturbogen mit zahlreichen handschriftlichen Anmerkungen Zweigs wohl nur durch Zufall erhalten geblieben ist, weil er als Einwickelpapier benutzt und erst viel später wiederentdeckt wurde.
Wie wird sich »Stefan Zweig digital» in Zukunft weiterentwickeln?
Wer sich einmal etwas eingehender mit Stefan Zweigs Werk beschäftigt hat, weiß, dass die Materialfülle geradezu unendlich erscheint. Die Website ist so angelegt, dass im Prinzip all diese Dokumente aufgenommen und mit den schon vorhandenen Daten verknüpft werden können, so dass der verzeichnete Bestand durch jede Anreicherung immer aussagekräftiger und damit wertvoller wird. Außerdem könnten auch durchsuchbare Texte eingefügt oder Editionen der Handschriften verwirklicht werden. Die Werkmanuskripte Zweigs aus zahlreichen anderen Sammlungen sind bislang noch nicht berücksichtigt und von den geschätzten 30.000 Briefen, die er geschrieben haben soll, ist noch kein einziger verzeichnet. Es sind also noch zahlreiche Möglichkeiten gegeben, das Projekt ausbauen zu können, denn eigentlich ist bisher erst die Grundlage geschaffen worden, auf der der viel größere weltweite Bestand katalogisiert und erschlossen werden kann. Und so sehr das Projekt STEFAN ZWEIG DIGITAL die Lektüre von Büchern nicht ersetzen soll und will, so sehr darf es auch nicht wie ein solches betrachtet werden. Es ist eben kein starrer Text, der nach dem Druck nicht mehr zu verändern ist. Hier können jederzeit Ergänzungen und – glücklicherweise – auch Korrekturen angebracht werden, was zu einer unglaublichen Dynamik und großen Vorteilen führt.
Besonders wichtig ist aber, dass das Projekt so angelegt ist, dass sich jede Institution und selbstverständlich auch Privatsammlung daran beteiligen kann. Wer also seine Bestände oder sein Wissen virtuell mit in STEFAN ZWEIG DIGITAL einbringen möchte, ist herzlich eingeladen, das Netzwerk zu erweitern.
Link zur Seite: http://www.stefanzweig.digital/

Stefan Zweigs »Erinnerungen eines Europäers« bieten ein lebendiges Panorama des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Dieses autobiographische Zeitgemälde erscheint nun in einer kommentierten Ausgabe. Zum ersten Mal wird der Text auf der Grundlage von umfangreichem, teilweise bisher nicht ausgewertetem Quellenmaterial mit einem breiten kulturwissenschaftlichen Ansatz erschlossen. Durch die Auswertung von Notizen, Kalendern und anderen persönlichen Dokumenten lässt sich Zweigs Umgang mit den eigenen Erinnerungen – bewusste Auslassungen, Betonungen oder Verschleierungen – erstmals im Detail nachvollziehen. Bezüge zur Biographie und zum Werk werden ebenso offengelegt wie die Verbindungen zu Zeitgenossen und politischen Ereignissen. Als Textgrundlage dient die Fassung des Erstdrucks (Bermann-Fischer, Stockholm 1942).
Die vielseitige Edition von Oliver Matuschek bietet den idealen Zugang zu Stefan Zweigs im Exil entstandenen Erinnerungsbuch.