Als ökonomische oder militärische Verlierer nach zwei Weltkriegen von den Schlachtfeldern gejagt, marschierten die europäischen Nationen schließlich im Gleichschritt mit amerikanischen oder russischen Weltherrschaftsstrategen in eine Zukunft, in der sich die ehemaligen Feinde unter dem Namen einer angeblich friedlichen Europäischen Union zusammenschließen sollten.

Was für eine Schande, dass die glaubwürdigsten Europäer nun nicht die sogenannten Volksvertreter, sondern jene Menschen sind, die sich auf Bahnhöfen und entlang der Straßen und vor Flüchtlingslagern und anderen Stationen des Elends versammeln, um den Verzweifelten mit Nahrung, Wasser, Kleidung wenigenstens über den Tag hinwegzuhelfen. Jeder Schritt, jeder Handgriff, den ein einziger dieser wahrhaft freien Bürger aus Mitgefühl tut, trägt mehr zu Rettung der europäischen Menschlichkeit bei als das leere Gerede von Programmeuropäern in den nationalen, von Geschäftsinteressen und primitivstem Heimatgeschwafel beherrschten Parlamenten. Heimat ist immer nur ein schmaler Landstrich, der durch die Kindheit und durch die Herzen führt. Jenseits davon ist jeder fremd, ist jeder Ausländer oder Flüchtling und auf Hilfe und Beistand von Eingeborenen angewiesen.
Die in Österreich lebenden und arbeitenden Künstler werden mit ihrer Leuchtschrift niemandem vorschreiben, wie und wo ein Mensch einem anderen zu helfen hat, sie wollen sich aber den beherzten Helfern im öffentlichen Raum anschließen, damit es wenigstens entlang von Fluchtwegen, anders als in verfinsterten Parlamenten, wieder heller wird.
Für den ›Atlas eines ängstlichen Mannes‹ wurde Christoph Ransmayr mit dem Prix du Meilleur livre étranger und dem Prix Jean Monnet de Littérature Européenne ausgezeichnet. Seine Rede zur Verleihung des Prix du Meilleur livre étranger finden Sie hier

»Die Verwandlung von etwas in Worte gehört zu den vielfältigsten und ungeheuerlichsten Verwandlungen, die in unserer Welt möglich sind.« Davon spricht Christoph Ransmayr in seinen Reden und erinnert uns, dass es oftmals gerade das Kindhafte, Gefährdete, Archaische oder traumatisch Verletzte an der Poesie ist, das Unbändige, Wahnsinnige an Prosa und Drama, das uns bewegt, fesselt oder überwältigt. Zu den vornehmsten Möglichkeiten der Literatur zählt Ransmayr dabei die Förderung der Vorstellungskraft durch das Erzählen vom tatsächlichen Leben des Einzelnen, um so gegen Dogma und Klischee, die Voraussetzungen aller Barbarei, zu immunisieren und darin vielleicht sogar eine Ahnung von Glück zu finden.