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Mörder Ratzeks große Liebe stillte Hunger unterm kalten Mond. Ziege Emma, Schwesterherz, wollte auch zuviel. Feine Welt, in der die Ziegen sterben wie die Fliegen. Haben doch nur Futterneid. – Wie der Rhythmus uns verführt. Tischlein deck dich, sagt die Wolf. Auch das hat damit zu tun.
Wenn alle beteiligten Personen in ihrem leerlaufenden Leben nichts anderes tun, als sich unablässig gegenseitig zum Essen einzuladen, um die Kaviasorte des einen gegenüber der des anderen zu loben, dann sieht man dem "diskreten Charme der Bourgeoisie" ins Gesicht. Wie gewitzt, diese Ritualisierung des Lebens durch die Esseneinladung und zudem die sublimierte "Wollust am Essen" in das große Fressen der Ziege zu übersetzen. Auch mit der unersättlichen "Emma" holt das Gedicht französische Kultur an die Elbe. Wenn diese luxurierende Emma mal keine Nachfolgerin von Flauberts "Madame Bovary" ist. Wenn schon Dorfalltag, dann wenigstens nach dem Prinzip "immer mehr". Schön auch, dass der auf die schräge Bahn geratenen, fressgeflashten Ziege zugleich ihr Gegenteil eingeschrieben ist: Das Gedicht ist ein - hoffentlich nicht zu ernst gemeintes und zum Glück nicht moralinsaures - Loblied auf den GEIZE.
Gestört ist diese Idylle auch formal, durch den Einbruch der Elbbilder, die unvermittelt eingeblendet werden: Das unablässige Fressen, das zum Tode führt, gerät so in einen Dialog mit dem endlosen Strom des Wassers. Oder begründet sich der Fressstrom etwa vom Anblick des Flusses. Immerhin sind es die irren Blicke, die das Gras fressen. In diesem Capriccio ist die Capra (Ziege) auf erschreckende Weise außer Rand und Band geraten.
Die Buñuel-Anspielung im Titel verheißt nichts Heiteres. Und in der Tat: die "graziösen Herdendamen" mit dem "gelben, irren Ziegenblick" haben es in sich. Fraßen einen ganzen Wiesenhang mitsamt der Aussicht, jetzt sind die "Myriaden Halme" des offenen Futterhäuschens dran. Besonders wild treibt es über Nacht die Ziege Emma. Am anderen Morgen liegt sie mit aufgeblähtem Bauch im Gras, "totgefressen". Das Drama spielt sich in einer idyllisch anmutendem Landschaft ab: "Unten floss die Elbe", "Auf dem Wasser trieben Kähne", "schaumig schaukelten die Zweige". Wobei in dieser Schlusszeile das Unglück enthalten ist: "schaumig" steht für Emmas Fressgier und Todeskampf. - Konzis die Wortwahl, das Setting, der Rhythmus, die Kontraststruktur. Die Wirkung des Gedichts: erschütternd.