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Die Ausgelassenheit dieses Gedichts nahm mich beim Lesen sofort ein. Geht mitten hinein, von der ersten Zeile an. Und gleich um alles - Pudding und Tyrannen. Munteres Spiel der Umlaute. Stürzt thematisch um Längen unter dem Bierernst hindurch. Dabei ist es doch auch ernst. Aber da ist eben nichts gehemmt, flussendlich -
Stürzen und Stützen, die dieses Gedicht stützen und stürzen, sind eng miteinander verwandt. Grimms Wörterbuch behauptet sogar, dass sie mitunter als Synonyme gebraucht werden. Stützen kommt eigentlich aus der Sprache der Seefahrt. Es bedeutet, die Bewegung die ein Boot genommen hat, mit Hilfe eines Ruderschlags unterbrechen. Den Kurs halten, die Drehbewegung zum Stillstand bringen. Wenn man Stürze stützt, dann bringt man den Fall zum Stillstand. Der musizierende Mensch, der mit der Musik und der Muse identifiziert ist, scheint mir in einen solchen unmöglichen Raum zu sprechen, in ihn zu singen - immerhin handelt es sich um ein Lied, das sich jederzeit in ein Leid verkehren könnte.
Das erste der vier Quartette entwirft vier Sturzmöglichkeiten. Die ersten beiden wägen die Möglichkeiten ab, Bild der Waage ist der Gedankenstrich, links und rechts von ihm wie Waagschalen die beiden Optionen angehängt. Die beiden anderen Verse setzen hingegen auf die Lücke, in die man hineinstürzt oder in die man das "Wort" stürzen einsetzt, um sich vor dem Sturz in den Textabgrund zu schützen - den Sturz zu stützen.
Im zweiten Quartett wird stürzen mit stützen und würzen kurzgeschlossen: als ginge es tatsächlich darum, qua Wortverwandtschaft die Begriffsarbeit - so der vierte im Bunde - abzukürzen. Aus dem Quartett schillert der Vers: "aus Fenstern das beste Glas heraus kitzeln" hervor: Ein merkwürdiges Denkmuster, das Fenster wird vermenschlicht, da es jetzt kitzlich ist. Und das Kitzeln - offenbar handelt es sich um ein Lachkitzeln - führt dazu, dass aus dem Fenster nicht nur das Lachen herausplatzt, sondern sich auch noch "das beste Glas" herauskitzeln lässt. Kitzelfolter am Fensterglas? Oder ein Versatzstück der Sportlerrhetorik, weil dort immer wieder davon die Rede ist, die beste Leistung aus Spielern und Spielerinnen herauszukitzeln? Wahrscheinlich die zweite Variante, weil ja wie beim Sport, das Beste herausgekitzelt wird. Was aber hat Kitzeln mit Stürzen und Stützen zu tun? Ist es das Bild eines Sturzes aus dem Durchschaubaren (Fenster) in das Undurchschaubare?
Über diesen Vers wüsste ich gerne mehr (zumal im Gedicht Meer, das auf dieses Gedicht folgt, auch der Meeresriese kitzlig ist).
Das dritte und vierte Quartett entwerfen eine Typologie von Sturzsuchern und Sturzabonnenten. Wer dauerhaft nach Abstürzen sucht, wird zum Stammgast in Spelunken, um dort dem Gott des Verhinkens (Dionysos hinkt) zuzusprechen. Der Sturz in die Schuldenfalle liegt da nahe. Die befürchtete Sturzpest lese ich als die Angst vor der Absturz- und Trinklust. Der musizierende Mensch ist ein dionysisches Wesen, jederzeit absturzbereit. Der abschließende Vers, vielleicht kann mir da jemand helfen, lautet bei mir noch anders als hier - also: kein Kommentar. Weiß da jemand was?
Das Gedicht ist überarbeitet worden und die alte Variante des Schlusses (ganz anders!) können wir hier wohl nicht mehr berücksichtigen. Zum überstürzten Denken in actu des Gedichts paßt jedenfalls, daß auch das Ende seinerseits - gestürzt wurde. Das Fenster-Bild ist wirklich kaum in eine Vorstellung zu übersetzen und kleidet sich doch in das Gewand einer alltäglichen Verrichtung. Das beste Glas herauskitzeln, um klarer zu sehen? Oder es gerade wegkitzeln, sodaß es birst? Oder im Fenster das "Fernste" sehen und also in die Weite spähen?
Sträuben würde ich mich nur ein wenig dagegen, das Fallen an sich zu verklären. Nicht jeder steht danach auch wieder auf. Fallsucht im Volksmund: Epilepsie. Als „heilige Krankheit“ vielleicht auch mit dem „Gott des Verhinkens“ im Bund? Schön ist so ein Fall, also Anfall, aber nicht anzusehen. Was uns nicht umwirft, macht uns eben manchmal stärker, aber was uns umwirft, fällt doch bleibender ins Gewicht. Da hat es der musizierende Mensch leichter, wenn er freiwillig in das stürzt, was ihn auch weiterhin trägt. Wie die Tänzerin, die sich auf ihren Partner verläßt. Und weist nicht jede Hingabe eine gewisse Nähe oder Bereitschaft zum Sturz auf? (Halb zog es ihn...)