
Kommentare
Ein wunderbar eseliges Liebesgedicht, Liebe zum Leben, Lebendigen? Der Leser darf sich in den Rhytmus schmiegen, sich rütteln lassen zwischen Hiesigkeit und Jenseits. Wobei, rein sprachlich, die Esel doch sehr diesseitig sind. "lebe" (sagt das Gedicht). Eine Anmerkung: die zweite Nennung des (wunderbaren!) "Kabelschamanen" schwächt die Wirkung? Vielleicht besser dann "Muss kommen" ein zweites Mal...
Ja nun, ich habe das zu spät gesehen - dass es da mitunter zwei Gedichte, resp. zwei Zahlen hinter den Namen der Autoren gibt. Hatte nur der Reihe nach durchgescrollt und da fehlen ja - scheinbar - dann die Angaben. Aber jetzt bin - ich Esel! - dahintergekommen...
Bei dieser Eselei - und das geht sicher nicht nur mir so - denke ich an eine Kleist-Preis-Verleihung und an einen Brief von Heinrich von Kleist an Wilhelmine von Zenge:
"… an ein Eselsgeschrei hing ein Menschenleben
Paris, den 21. Juli 1801
… Jetzt muß ich Dir doch auch etwas von meiner Reise schreiben. - Weißt Du wohl, daß Dein Freund einmal dem Tode recht nahe war? Erschrick nicht, bloß nahe, und noch steht er mit allen seinen Füßen im Leben. Am folgenden Tage, nachdem ich meinen Brief an Dich in Göttingen auf die Post gegeben hatte, reiseten wir von dieser Stadt ab nach Frankfurt am Main. Fünf Meilen vor diesem Orte, in Butzbach, einem kleinen Städtchen, hielten wir an einem Morgen vor einem Wirtshause an, den Pferden Heu vorzulegen, wobei Johann ihnen die Zügel abnahm und wir beide sorglos sitzen blieben. Während Johann in dem Hause war, kommt ein Zug von Steineseln hinter uns her, und einer von ihnen erhebt ein so gräßliches Geschrei, daß wir selbst, wenn wir nicht so vernünftig wären, scheu geworden wären. Unsere Pferde aber, die das Unglück haben, keine Vernunft zu besitzen, hoben sich kerzengrade in die Höhe, und gingen dann spornstreichs mit uns über dem Steinpflaster durch. Ich griff nach der Leine - aber die Zügel lagen den Pferden, aufgelöset, über der Brust, und ehe wir Zeit hatten, an die Größe der Gefahr zu denken, schlug unser leichter Wagen schon um, und wir stürzten - Also an ein Eselsgeschrei hing ein Menschenleben? Und wenn es geschlossen gewesen wäre, darum hätte ich gelebt? Das wäre die Absicht des Schöpfers gewesen bei diesem dunkeln, rätselhaften irdischen Leben? Das hätte ich darin lernen und tun sollen, und weiter nichts -? Doch, noch war es nicht geschlossen. Wozu der Himmel es mir gefristet hat, wer kann es wissen? - Kurz, wir standen beide, frisch und gesund von dem Steinpflaster auf, und umarmten uns. Der Wagen lag ganz umgestürzt, die Räder zu oberst, ein Rad war ganz zertrümmert, die Deichsel zerbrochen, die Geschirre zerrissen. Das kostete uns 3 Louisdor und 24 Stunden; dann ging es weiter - wohin? Gott weiß es."
Von Kleist aus gelesen, quasi von hinten, rückwärts gelesen, indem man den Esel zum Lese wendet, wird deutlich, warum ausgerechnet die Esel die Hiesigkeit mit der Ewigkeit verbinden und warum ihr IaIa Auslöser des Todesschreckens einerseits, lebensbejahendes Jaja zugleich ist. Zugleich soll die Anekdote von den Eseln, die Erzählung vom Randes des Lebens zum Tode, die Kabelverwirrung zwischen Wilhelmine von Zenge und Kleist lösen. Ebenso wie die Verbindung zwischen einer Anekdote um 1800 und diesem wunderbaren Gedicht. Brief und Gedicht agieren gleichermaßen als Kabelschamanen, als verwirrende Entwirrer.
Ein schönes Gedicht, wahrlich, denn es fördert Lebendigkeit zu Tage – die in mir selbst so angelegt ist, wie sie aufgespeichert ist in einem 216 Jahre alten Brief Kleists. Der Brief – nicht der an Wilhelmine von Zenge, der (in Teilen) nur eine Abschrift ist, sondern Kleists vorheriger, an Karoline von Schlieben – spielt hier (vielleicht) den glühenden Kometenkörper (kommt alle 216 Jahre wieder). Wenn dem so ist, sollte man auch beachten, dass DIE Esel nicht DER Esel sind. Kleist schreibt gleichfalls von Eseln, einer Eselgruppe, aus der aber nur einer sich schreiend, brüllend hervortut und, iaaaaahhh, die Welt verändert. Der Kabelschamane? Der Eselschamane? Wer nahm die Scham an, äh, die der Liebe? Ist da eine? Um das herauszufinden, leb, verkabelt, unverkabelt, abgenabelt.