
Kommentare
Ein bitteres Gedicht. Vor allem, wenn man weiß, dass sich sein Autor vielleicht tatsächlich schon von der Welt verabschiedet hatte, als er es schrieb. Dabei sind Lungenfische ja eigentlich besonders fähig, in zwei Welten zu leben. Dieser hier aber hat sich abgewendet, zurückgezogen. "Zuwendung und Anregung bilden das Leben". Eigentlich ein Fremdkörper in diesem Gedicht. So geordnet durch die Substantive, das klingt gestelzt wie eine fremde, zitierte Definition. Damit hat der Lungenfisch schon nichts mehr zu tun, daran glaubt er nicht mehr. Der Satz stimmt auch nicht mehr für die Welt, von der er sich abgewendet hat. Die vielen Es in diesem Vers und die Os in den letzten drei Versen, die auffallen, weil es ansonsten nicht besonders viele Os in diesem Gedicht gibt. Die Es haben etwas Bürokratisches, die Os etwas Existentielles, wie das Ausstoßen des letzten Atems. Zugleich blitzt da auch Lebenswillen auf, der der Zustandsbeschreibung des Gedichts wiederspricht: Es steckt doch ein Lebensfunken im Humor, den man der gehäuften Os und dem Lungenfisch, der aus der Tiefe spricht, auch ablesen kann. Was ich mich frage: was sind sternförmige Kreise? Kreise, die eigentlich zackig sind? Wird da das Runde seiner Härte überführt?
Vom Titel bis zum getrennt gesetzten – wie in Quarantäne aufbewahrten – letzten Wort, alles ironisch, hämisch, böse. Eine wüste Stimme, die sich die Themen wahllos aufgreift (groß, klein, Märchen, vom lieben Gott), aber immer in die gleiche Kerbe haut. Nichts wird aufgeführt, was nicht lächerlich, peinlich, nichtig wäre. So gefährlich ätzend, dass man dem Leser den Griff zu Schutzvisier und Panzerhandschuhen empfehlen möchte. Grandios!
die welt ist eh hart und schmutzig. aber sprachlich passiert hier nicht besonders viel.
„Sprachlich passiert hier nicht besonders viel“ greift eindeutig zu kurz. Einen Satz von Raoul Schrott fand ich immer gut: „Man muß erst zum Leben aufstehen, um sich zum Schreiben hinzusetzen“. Sicher kann man auch im Gehen schreiben und im Sitzen versacken, es soll auch nicht das letzte Wort darüber gesprochen werden, wie herausragend dieses Gedicht ist, aber es schöpft aus dem Vollen eines Lebens und das merkt man und das bewegt.
Ich meine: das sind dann die Texte, von denen man sagt: ein Testament wider Willen. Und nicht zu unrecht, denn so ist es ja auch und es ist kaum möglich, davon unberührt zu bleiben. Dieses Gedicht evoziert seinen Autor auf gespenstische Weise, vertritt ihn geradezu. Daher sollte sein Name ruhig auch genannt werden.
Wir hatten Zieger vor ein paar Jahren nach Lana eingeladen, wo er eine tolle Lesung gemacht hat, wobei man von Lesung vielleicht nur bedingt sprechen kann, denn Zieger erzählte auf dem Podium hauptsächlich Witze. Jederzeit konnte er von einem Gedicht in einen Witz übergehen oder eine personifizierte Witzrede in das darauffolgende Gedicht überführen. Er brachte zum Lachen und gab dabei Einblick in seine Abgründe. Auch als Zuhörer und Tischgenosse war er kaum zu überbieten. Er hatte eine innere und äußere Unruhe, aus der die Intelligenz leibhaftiger flackerte als aus jeder Nobelpreisrede. Was nach der Lesung auf den Tisch kam, war ihm egal, Hauptsache konvivial, Hauptsache, die Gespräche waren gut, Hauptsache nicht unbeteiligt, nicht rhetorisch, nicht institutionell. Auf die Gefahr hin, mich hier unbeliebt zu machen: die Leute von dieser Sorte lassen sich heute wahrscheinlich an den Fingern einer Hand abzählen. Er war betriebsresistent und smalltalkunwillig durch und durch, mit einer betörenden Gabe, die Umstehenden zu unterhalten, jeden persönlich anzusprechen. Er war einer, dem es um „die Sache“ ging. Die Sache, das waren aber auch die Menschen. Das alte Leben in der DDR, der Mauerfall, die Arbeit mit Wim Wenders, das Theater, das neue Leben in Montpellier. Das Schicksal, wenn man so will. Je länger der Abend wurde, desto präsenter wurde er, und was für eine Präsenz! Er konnte Ernst Moser und Theo Lingen parodieren, exorbitant exuberant, er konnte auch schon einmal vom Stuhl aufspringen, um die Persönlichkeit besser rüberzubringen. Er konnte nicht stillsitzen. Er wollte nicht stillsitzen.
Am Ende eines langen Abends saßen Christine Vescoli und ich schon im Auto, hatten uns längst verabschiedet, aber der Autor hockte immer noch neben der geöffneten Autotür und philosophierte und sprühte über vor Gemüt. Wir haben uns für unsere Müdigkeit geschämt. Überhaupt hatte er im Laufe des Abends alle von sich überzeugt, auch die, die anfänglich nicht von ihm eingenommen waren und vor allem: ohne sie überzeugen zu wollen.
Auf dem Lana Festival mit Ulrich Zieger wurde auch ein Interviewfilm mit Peter Handke gezeigt. Zieger, der beileibe nicht als Handke-Schüler bekannt ist, äußerte dazu im Gespräch den Satz „So redet ein Schriftsteller“. Er nannte dann auch Beispiele für das Gegenteil: So redet kein Schriftsteller. Diese Beispiele waren alle außerordentlich einleuchtend. Dennoch wurde niemand denunziert. Er meinte damit, vermute ich, ein geschäftstüchtiges Welterklären in einer wendigen und gewandten Sprache, die aber immer nur einen Anlass und keinen Grund kennt. Was Zieger auf Handke gemünzt hatte, galt auch für ihn: so redet ein Schriftsteller. Und es gilt, fast jenseits der sogenannten "Qualitätsmerkmale", auch für dieses Gedicht.
Freilich ist „Gesöff“ mehr Ausschüttung denn gedrechselte Rede. Es will auch nicht verschlüsselt kommunizieren, was es aber sicher nicht geheimnisloser als andere Gedichte macht. Kaum angefangen, ufert es auch schon aus. Kommt daher wie eine Bilanz und dreht ab in die Anklage, deliriert zitierend vor sich hin. Hat etwas bauchrednerisch Verwaschenes und zugleich krakeelend Wahrsagerisches, wirkt danach fast wieder wie ausgekotzt, setzt auf den sechsten Sinn, der manchmal eben konkreter ist als der erste und naheliegende. Für mich ist es eine Art Beleg dessen, was ein fühlender und denkender Mensch aus sich hervorholen kann, wenn er sich ein Herz fasst. Er zahlt dafür natürlich auch einen Preis; der Preis ist dieses Schlottern. Dass es als Schlusswort auch noch vom Übrigen abgesetzt wird, macht es noch beklemmender und verstärkt nur die Gewissheit: Das hier ist ein Galgenlied!
Der Titel ist zweideutig, spielt auf das Saufen an ebenso wie das Ersäufen oder Ertrinken. Ein Trinkender, der ertrinkt. Ein glossolalisches Versiegen und Versickern und Versanden, in dem kein „Wenn-Dann“ mehr aufgehen kann, weil das Ich die zum Knäuel geballte Vergangenheit von sich schleudert und sich aus der Zukunft bereits ausgenommen hat.
„So geht die Welt in sternförmigen Kreisen“. Ich habe auch versucht, mir einen sternförmigen Kreis vorzustellen, aber mir gelingen nur Kreise mit Fransen oder Sterne, die Kreise enthalten. Der Kreisstern, hat er mit dem Sternkreiszeichen zu tun? Oder vollzieht sich das Kreisen so schnell, dass es eigentlich ein Kreiseln ist? Dann freilich wird aus dem Stern leicht ein Kreis, aber nur, solange er in Bewegung ist. Unsere Kondition, vermutlich.
Ulrich Zieger hat uns sehr beeindruckt. Ich habe dann versucht, ihn nach Berlin einzuladen, für eine Lesung aus seinen Gedichten oder aus dem gerade erschienenen Roman, aber er hat mir nie geantwortet. Es war ihm wahrscheinlich zu blöd.
A propos Galgenlied:
Ach, Brüder, lasst uns hier am Strick nur schweben
Wir haben von diesem Hundeleben
den Hals bis oben längst schon voll gehabt.
Wir haben nie, wie ihr, im weißen Bett gelegen,
wir lagen Nacht für Nacht im schwarzen Regen,
vom Wind zerfressen und vom Wurm zerschabt.
Refrain:
Wenn erst im Wald die Eule dreimal schreit,
ist auch der Teufel nicht mehr weit.
Da strecken wir so durstig schon die großen Zungen
und von dem milden Mondlicht eingesungen
schwimmt eine weiße Wolke um den Wald.
So viele Sommerjahre haben wir den Magen
mit Erde nur und Laub uns vollgeschlagen,
da wurde auch die Liebe kalt und alt.
Aus unseren abgewürgten Hälsen manchmal pfeifen
die bösen Träume noch und wollen nicht begreifen,
dass auch die runde Welt ein Ende hat.
Es grünen Disteln schon uns in den Eingeweiden,
die mögen wohl den Wurm gut leiden,
weil er so weiß ist und so glatt.
Weshalb soll uns am Ende gar der Teufel holen?
Wir haben keinem Armen Geld gestohlen,
und selbst dem König macht es keinen Spaß,
der bleibt viel lieber bei den Schnäpsen und Lampreten,
lässt in den Kirchen für sein Wohlergehen beten
und legt sich zu dem weißen Reh ins Abendgras.
Nun wir mit unserm Fett schon in der Sonne braten,
ihr Brüder, denkt an eure eignen Missetaten,
die wird man nicht so schnell mit Bibelsprüchen los.
Es fällt sehr bald ein Schnee auf eure Haare,
dann liegt auch ihr auf einer schwarzen Bahre
so klein und hässlich wie im Mutterschoß.
(Notwendige Nachschrift:)
Und als um die Mitternacht der schwarze Teufel
kam angeritten aus dem Höllenreich,
da hat man grad die Schelme abgeschnitten
und warf sie schnell den Fischen hin im Teich.
(Villon, dt. von Paul Zech)
Mir gefällt die Besprechung dieses Gedichtes nicht. Das fängt mit Insa Wilke an, die da schon etwas weiß, was sie dem anonymisierten Gedicht nicht entnommen haben kann: Der Autor hatte sich vielleicht schon von der Welt verabschiedet, als er dieses Gedicht schrieb. Damit ist ein Grundton angeschlagen, der vor das Gedicht gerät. Rick Reuther äußert sich dennoch unbefangen, nun legt Theresia Prammer nach und maßregelt ihn. Um dem Autorität zu verleihen, deckt sie den Namen des Autors: Ulrich Zieger, der unlängst starb. Was soll jetzt noch einer sagen? Warum sind denn die Gedichte anonymisiert worden? Ich finde, es sollte um einen Text gehen und nicht um seinen Autor und schon gar nicht um den viel zu frühen Tod des Verfassers oder wie er gelebt hat. Nebenbei: Ich schätze Gedichte von Ulrich Zieger sehr, vor allem seinen ersten Band, aber mit diesem Gedicht werde ich nicht warm. Die vielen Abstrakta tun dem Gedicht nicht gut, sie bleiben für mich ohne Strahlkraft, es sind tote Teile.
jemand hat mal von dada gesagt: die literarischen dokumente sind nur splitter und reste einer explosion. so erscheint mir das hier auch, zumindest nach diesem ausholenden nachruf. den satz von raoul schrott zweifle ich inzwischen an. obwohl es meist wahr ist, dass man sich für eins entscheiden muss, ein großes werk, ein großes leben, will man nicht im hybrid verweilen. aber jede entscheidung hat ihre eigenen nachteile, die gefangenschaft im werk, in der attitüde, in der rolle, was auch immer. natürlich gibt es einige, ganz wenige ausnahmen (was dann genie genannt wird). das meiste mittelmaß lebt im hybrid, das macht die bewunderung für ein werk oder einen lebensmensch dann auch so natürlich. aber im grunde gelten da diesselben distinktionen. und am ende ist mir ein ehrlicher hybrid, der die werke sein lässt und nur vier fünf bücher verfasst, aber dann gute, lieber und sogar näher, als diejenigen, die sich durch monomanie, werke oder tapfer durchgehaltene posen ein fundament schaffen, auf dem sie als sie eben existieren können. aber das ist phasenbedingt. ich möchte nicht handke gegen gombrowicz gegen bruno schulz gegen ernst meister gegen zieger gegen wen auch immer aufrechnen. was bleibt, entscheidet die neigung und die substanz – und dafür reicht zuweilen sogar: ein gedicht.
raushauen was geht, ohne Rücksicht auf Verluste. wer weiß schon, wann es ans Sterben geht. großes Leben, großer Text, wer weiß schon, was das ist. wir wissen nur: Zeit ist Frist. und auch der, der dieses Gedicht schrieb, wußte es anscheinend.
das sagt noch nichts über die Qualität des Textes aus.
lieber dieter m gräf, genau so eine diskussion ist doch sehr spannend, einmal lektüre ohne namen und leben, ein anderes mal mit. il n'ya pas de siège pur. obwohl ich, siehe obiger eintrag, deine einwände teils-teile
Ja, aber es gibt Millionen Orte für die Lektüre mit Namen und vielleicht nicht viel mehr als diesen für das Lesen ohne ... Dem man kaum eine Chance gibt, denn er wird immer mal wieder aufgehoben, nicht nur an dieser Stelle. Das ist vielleicht die bemerkenswerteste Erkenntnis aus diesem Projekt: Wie stark das Bedürfnis ist, dem bloßen Text zu entkommen.
Wenn man das Gehen der Welt in sternförmigen Kreisen nicht in die Geometrie, sondern in die Astronomie überträgt, muss man nicht länger nach Zacken suchen. Die Beobachtung der Sterne zeigt ja, dass sich Welt durch das planetarische Kreisen um Sterne formiert. (Welt, nicht der konkrete Planet "Erde"). Der Weltenlauf vollzieht sich dann in sternenförmigen Kreisen. Und so geht die Welt - round and round. Wie ist das bei Lennon? "I'm just sitting here watching the wheels go round and round,
I really love to watch them roll". Die Stimmung gegenüber dem Leerlauf ist in diesem Gedicht in das Lennon-Gegenteil gekippt. Aber das Ich ist nicht unbedingt verzweifelt, nur weil es an die - wie schön altmodisch und passend zur planetarischen Treue - "holde", ihm gewogene Zweiflerin wendet.
Wie treffend Rick Reuthers Kommentar "sprachlich passiert hier nicht besonders viel" dann doch ist, wenn das Stottern hier nicht mehr nur als Sprachstörung verhandelt wird. Sondern durch das "im Grunde" eine ontologische Tiefe bekommt. Mit dem Sprachfluss gerät hier auch der Lebensfluss ins Stocken. Während zugleich jedoch die optische Wahrnehmung weiter funktioniert. Für den Stotterer bedeutet das, motorisch nicht aussprechen zu können, was er eigentlich sagen will. „Viel ist vom Stottern als Fehler die Rede“, hat Einar Schleef einmal in sein Tagebuch notiert, „kaum aber vom Geschenk des Stotterns, von der veränderten Wahrnehmung, von der instruktiven Stärke der Beobachtung“, die aus dem Stocken der Sprache erwachsen. Handelt es sich nicht - auch weil die akustische Ebene der Sprache mit dem Reim von stottern und schlottern alles andere als ins Stocken gerät - vielleicht um einen starken Moment der Beobachtung, der aus dem Stottern entsteht.
Ich meine eigentlich nicht, Rick Reuther „gemaßregelt“ zu haben. Es ging mir schlicht darum, ein formales Verständnis von Experiment zu hintertreiben, wo man es vielleicht nicht ohne Verluste anwenden kann. Um da keine falschen Maßstäbe anzulegen, ist das Kenntlichmachen des Namens manchmal vielleicht der bessere Weg. Und wer hier wirklich niemals nach den Namen schaut, ehe er zum Kommentar schreitet (sofern die Handschrift nicht ohnehin für sich spricht), der werfe den ersten Stein. Außerdem finde ich tatsächlich, daß Tote Namen haben sollten.
Was die Erfahrung mit anonymen Gedichten angeht, so ist es eine, die ich nicht missen möchte; es gibt sie auch in anderen Zusammenhängen, in Jurys beispielsweise. Aber auch da demaskiert sie nicht notwendigerweise die Betrieblichkeit, die kurzschließenden Urteile usw. Gerade zu einer Zeit, wo vielfach in Zyklen und Projekten gedacht und gedichtet wird, ist es außerdem oft widersinnig, die Geschichte einer Autorin oder eines Autors zugunsten des „bloßen Textes“ auszublenden. Ein generelles Verdikt gegen die Nennung der Namen fände ich daher eine unnötige Verrenkung. Es ergibt sich eben aus dem jeweiligen Text und dem individuellen Zugang, ob close reading oder Bezugnahme auf andere Gedichte der bessere Weg sind.
Es ist aber, Frau Prammer, die Spielregel, auf die man sich hier einläßt. Es anders zu halten, ist eine Art Spielverderberei - und zwar unabhängig davon, ob es für das Verständnis eines Gedichtes oder Romanes oder einer Erzählung in der Tat wichtig sein kann, Lebensumstände zu wissen. Andererseits führt ihre Kenntnis oft aber zu Vorurteilen, ob nun positiven oder negativen. Man muß ja auch nicht immer, schon gar nicht in solchen Threads, endgültige Wahrheiten sagen, man kann auch mal tasten, probieren, sich irren. Für diesen Aspekt hilft Anonymität der Urheber:innen sehr.
Jedenfalls ich gucke n i c h t nach - und ärgerte mich heute morgen zweidreimal, weil Verfassernamen preisgegeben wurden. Ich konnte auch jedesmal in den Folgekommentaren lesen, wie diese Preisgabe die Stimmungen und "Urteile" veränderte.
Als "Notbremse" hingegen würde ich es durchaus zu schätzen wissen. Wenn Theresia Prammer der Meinung wäre, dass dieses Gedicht heikel ausgewählt worden ist (sein Verfasser konnte es ja nun einmal leider nicht selbst benennen) und es seinem Ansehen schaden könnte, fände ich es sogar sehr beherzt, die Spielregel, die ansonsten eh subtil hintergangen wird, offen zu verletzen um sich vor den Autor zu stellen.
nun ja, bemerkenswerteste erkenntnis ... jeder arbeitet sich eben an seinen spezifischen problemen ab. für mich ist anonym oder nicht zum beispiel völlig irrelevant, da ich namen für schall und rauch halte. interessant ist die diskussion, wo eben einganzes leben (wo der name nur der hinweis ist) ins spiel kommt: wie klaffen erfahrung und wort und wie wiederum erfahrung und dichtung auseinander? deshalb der sehr hilfreiche hinweis aufs stottern: die sprache stockt, das wort lässt eine lücke. allerdings ist dies eben kein gedicht, das stottert, sondern übers stottern spricht. insofern sehe ich (und auch aus anderen gründen) die lebenswucht hier im gedicht nicht ganz eingeholt.
"Transit" hielt ich nur einmal in Händen; als ich mit Renate von Mangoldt arbeitete, brachte sie ein Belegexemplar ihres Mannes mit und ich war sofort begeistert von dieser Kühnheit: Da errichten sich Autoren der 50er Jahre mit Stolz ihre Namen, über Jahre und Jahrzehnte, und Höllerer nimmt die einfach nach hinten zum Kleingedruckten. Das hat mich begeistert! Respekt vor Walter Höllerer, dass er sich das getraut hat. Meine Begeisterung hierfür hat keinen doppelten Boden. Da ich just dies liebe am Projekt, interessierte ich mich keine Sekunde lang für die Autorenliste. Es ging also ganz einfach.
Wie Hendrik Jackson meine ich auch von mir selber, dass Namen für mich nicht viel bedeuten, wenn es um die Einschätzung eines Textes geht. Dennoch macht es m. E. einen erheblichen (subtilen) Unterschied, ob sie vorangestellt sind und den Text kennzeichnen oder nicht. Selbst wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass das ein Text von X ist, bleibt immer noch eine deutliche Lücke. Das mehrt meine Freiheit, unabhängig von Sympathie, Positionierung, Statuseinstufung mich zum Text zu verhalten, hinzu kommt die Erfahrung, dass dann auch der Drang schwächer werden kann, zuordnen, etikettieren zu wollen. Dabei spüre ich über das Verhalten anderer, hier wie auf Facebook, wie stark das Bedürfnis ist, diese Lücken nicht aufkommen zu lassen.
Natürlich ist mir bewusst, dass Namen, auch wenn sie weder genannt noch angedeutet werden, hier insgeheim weiter präsent sind, das wahrzunehmen in seinen Schattierungen ist mir Subprogramm oder vielleicht mehr als das.
Mich interessieren die Namen auch nicht, besonders nicht, ob jemand kürzlich gestorben sei, geschweige denn wie. Bekanntlich werden besonders Künstlerselbstmorde ziemlich schnell in einen Mehrwert verwandelt, von dem der Urheber dann nichts mehr hat, allenfalls haben's seine Erben. - Jacksons Argument, es handele sich nicht um ein Gedicht, das (metaphorisch, Hendrik, gell?)stottre, sondern eines übers Stottern, scheint mir richtig zu sein.
Mich nerven binsige "Weisheit"en, "Weisheit"sstanzen wie "Zuwendung und Anregung bilden das Leben", au weia.
Bei "Anstatt einander zuzuwenden": Wer ist da gemeint? Bleibt völlig unklar. Und echt? es seien die "Abteilungsleiter", die Goethe und Nietzsche zumal "v e r m u t e n"? "Ich vermute Goethe" - was ist das für ein Satz? Und wieso ausgerechnet d i e s e beiden, weshalb nicht zB Rückert? Das ist für mich poetisch überhaupt nicht geerdet, nur quasiabfällig behauptet. (Goethe: "Wer heilet die Schmerzen des, dem Basam zu Gift ward?") Es gibt dafür überhaupt keinen poetischen Boden in diesem Gedicht. Überhaupt!: "Abteilungsleiter"!!, was ja k l e i n e Angestellte sind, allerunterste Führungsebene, zumal, wenn nicht gesagt wird, von was. Penny oder Siemens? Und daß auch d i e Angst haben könnten, wird nicht einmal im weiteren Horizont einbezogen.
Spannend für mich sind dagegen Sätze (aber sind es wirklich schon Verse?) wie "Und die Frau die den Mann begriff wurde gesteinigt". Da bleibe ich in der Tat hängen und will nach- und vorspüren.
Was aber sind "sternförmige" <i>Kreise</i> über eine gewisse Bild-Redundanz hinaus? Zumal Sterne im allgemeinen Sprachgebrach, welches das Sehen meint, eher Punkte sind. Fürchterlich ungenau. Wiederum ist "einer Gesinnung der nichts Substanzielles er!!!wächst" Abstraktionskitsch. Man vergleiche dagegen den von Prammer zitierten Zech/Villon! Bei ihm werden Behauptungen zum lebenden Bild, hier bleibt eine sehr allgemeine, außerdem wohlfeile Klage, die nur in den Anrufungen ("Gott helfe ihnen balde sonst drohet uns die Halde") kräftig wird und da bezeichnenderweise auch durchgeformt ist, in diesem Fall ein wenig artmannsch.
Der für mich beste Vers: "Da legten wir aber längst auf an den Muscheln". Der sitzt.
Ich wäre mir nicht so sicher, ob dieses Gedicht nicht doch ins Stottern kommt. Deleuze macht in "Kritik und Klinik" unter anderem bei Kafka und Kleist ein sprachliche Praxis aus, bei der nicht die konkrete Aussage (parole), sondern das sprachliche System (langue) ins Stottern gerät: "Es ist nicht mehr die Person, deren Rede stottert, vielmehr wird der Schriftsteller zu einem Stotterer der Sprache; er lässt die Sprache als solche ins Stottern geraten. Eine affektive, intensive Sprache, und nicht länger eine Affektation dessen, der spricht."
Das Gerüst der Sprache gerät - als wäre es das Knochengerüst - ins Schlottern und ins Stottern. Was "völlig unklar" bleibt, "nervig wirkt" ist die Umsetzung dieses "Stotterns der Sprache". Für dieses Stottern muss das Gedicht keine einzelnen Silben wiederholen und gerät doch selbst ins Stottern, ohne nur über das Stottern zu sprechen.
Es lebe der Lungenfisch! In den ersten zwei Zeilen steckt schon das Programm des Gedichts. Das ich in seiner Sprache absolut klar finde. Kein Experte muss man sein, um sofort zu begreifen. Ein starkes Gedicht im Fahrwasser, oder besser, in der Fahrspur von "Fahrenheit 451". Und vieles andere mehr. Keine Lust auf literaturtheoretische Zerpflückung, sondern einfach nur: Chapeau!
Oh, drei Tage nicht vor Ort gewesen, schon ist die Löwengrube komplett.
Wo ich vor ein paar Tagen angeblich noch die Maßregelnde war, bin ich nun die Gemaßregelte, und was daran besonders auffällt, ist die Tatsache, daß sich hier nur männliche Schriftsteller zu Wort melden, die, im Gegensatz zu mir, alle einen Namen haben und diesen Namen, wenn es darum geht, sich hier als Regelhüter aufzuspielen, sehr wohl als verstärkende Maßnahme einsetzen. Das geht für mich nun aber alles nicht mehr zusammen, also einerseits zu behaupten, die Berufung auf den Namen habe der Wahrnehmung des Gedichts geschadet, andererseits selbst die beiden Aspekte heillos zu vermischen. Es geht hier auch nicht um das Verwandeln eines Künstlerselbstmordes (?) in einen Mehrwert, ja überhaupt nicht um Spekulationen dieser Art; es geht oder ging mir lediglich darum, einen Menschen in der Erinnerung erscheinen zu lassen, zumal einen, der im Betrieb überhaupt keine Rolle gespielt hat und auch keine Rolle spielen wollte, der um seinen Namen, der selbstredend nur Schall und Rauch war, keinerlei Trara gemacht hat und der nun wahrscheinlich recht schnell in Vergessenheit geraten wird. Vielleicht irre ich mich auch, das würde nichts ändern, kein Kanon soll korrigiert, kein Denkmal errichtet werden. Was aber nicht geht, ist, hier eine angebliche Freiheit des Umgangs mit Texten zu propagieren und das über abstrafende, um nicht zu sagen zensurierende Maßnahmen durchboxen zu wollen. Das enttäuscht mich auch, denn ich hatte es mir hier anders vorgestellt, nämlich als einen Schauplatz, wo ein Konsens darüber besteht, an Gedichte mal so mal herantreten zu dürfen, und sie auch einmal in einen persönlichen Kontext einzuschreiben oder im Licht anderer Gedichte zu betrachten. Als könnte sich ein starkes Gedicht nicht gegen den Namen seines Autors behaupten, das wäre ja nun wirklich ein Armutszeugnis. Das ändert freilich nichts daran, daß es in anderen Fällen schön und fruchtbar sein kann, ein Gedicht auch einfach nur zu bestaunen, mit Fragezeichen zu versehen oder sogar ratlos davorzustehen. Oder es nicht zu kommentieren, was dann auch nicht unbedingt bedeuten muß, daß einen nichts daran anspricht oder anspringt, sondern auch heißen kann, daß man andere für berufener hält. Abgesehen davon ist es hier in der Tat nicht selten, daß der Name gleichsam als ein Insgeheimes und Unausgesprochenes dennoch seine Blüten treibt und die Diskussion als Katalysator belebt. Anonymität als Option also, und nicht als Kondition sine qua non. Und wenn wir es doch so auslegen wollen, bitte ich um einen Verweis der Redaktion, der mir lieber wäre als dieses Angerempeltwerden.
Warum aber überhaupt so eine Grundsatzfrage daraus machen? Wenn die erste Assoziation zum Gedicht einer Autorin z.b. gerade ein Gedicht derselben Autorin ist, auf das es vermutlich rekurriert, sehe ich keinen Mehrwert darin, diese Assoziation zugunsten des „reinen Textes“ (diese Kategorie ist mir sehr suspekt) zu verschweigen, und dies dann als Apotheose des vorurteilsfreien Sicheinlassens zu preisen. Sich Scheuklappen anzulegen und das Gedächtnis der Leserin auszuschalten, kann auch nicht Sinn der Übung sein. An diesem Punkt schlägt zudem die angeblich so unbefangene Lesart leicht in den antiphilologischen Affekt um, mit dem beileibe niemandem gedient ist, nicht dem Leser, nicht dem Text und nicht dem Autor. Ein Spiel mit solchen Spielregeln wäre überhaupt kein Spiel, sondern eine sehr dogmatische Angelegenheit, gegen die ich mich gerade im Namen einer differenzierten Textbetrachtung verwehre. Außerdem ist es doch sicher nicht verboten, auch die Auftragslage hier kritisch zu reflektieren.
Nun aber zum wichtigsten Punkt, und auch dem sensibelsten, nämlich der meiner Ansicht in dieser Diskussion zutagetretenden Doppelmoral, hinter der ich, aber vielleicht ist es auch nur mein persönlicher Eindruck, auch chauvinistische Facetten vermute.
Wer hier nämlich, päpstlicher als der Papst, die Tugend der genauen Textbetrachtung ohne Namens-Explikation (oder Implikation?) feiert und verficht (was habt ihr eigentlich bisher getan? nur die Bücher der Spiegel-Bestsellerlisten gelesen? als wären wir nicht tagtäglich Texten auf der Spur, die aus verborgenen Ecken kommen und sich aufgrund relevanterer Eigenschaften als des Namens auf dem Titel behaupten), sollte doch auch sehen, daß es unzählige Schauplätze im Betrieb gibt, wo die Namenlosigkeit eine andere Anonymität verbürgt, eine, die mehr Kondition als Option ist, einer davon ist zum Beispiel die literarische Übersetzung, und das haben viele von uns nun lange genug praktiziert, um zu wissen, was es bedeutet, ohne die Möglichkeit der Akkumulation von symbolischem Potential im Eigennamen eine genaue Aufmerksamkeit für Texte zu entwickeln, die bedingten Reflexen vorgelagert ist, und auch oft ohne daß sich irgendjemand im Land der Zielsprache für diesen Autorin, diese Autorin grundsätzlich interessiert hätte. Dieser Raum muß vielmehr erst geschaffen werden. Daran ist per se freilich nichts heroisch, aber es schärft die Sensibilität und natürlich auch die Empfindlichkeit für Ambivalenzen dieser Art. Oder, etwas provokanter: Ich kenne kaum Autoren, die nicht, ehe sie überhaupt auf eigenen Beinen stehen konnten, bereits ihren ausführlichen, alle Etappen des Schaffens und Wirkens berücksichtigenden Wikipedia Artikel verfaßt hätten, um nur ja nicht unterzugehen in den Wirren und Weihen des Betriebs, dafür aber einige, die, zu Ruhm und Ansehen gelangt, zu den Namen ihrer Übersetzerinnen in andere Sprachen befragt nur betreten schweigen und auf irgendein Kleingedrucktes verweisen. Hat das etwa nichts mit Namen zu tun? So sind Namen eben doch nicht nur Schall und Rauch, sondern auch eine Währung, eine stark schwankende noch dazu, und ein Autor wie der oben genannte hat das in seinem französischen Exil sicher mehr als einmal zu spüren bekommen.
Abgesehen von alldem würde ich mir aber eine Form der Debatte wünschen, in der es möglich ist, dem Gefühl des Einzelnen Vertrauen zu schenken, bzw. dieses Gefühl des Einzelnen zu respektieren, wann es Sinn hat, die anonyme (oder anonym bleibende, das ist auch noch einmal ein Unterschied) oder die vom Einzelgedicht auf das Werk projizierende Lesart zu praktizieren. (Als gäbe es nur die beiden.)
Warum es schließlich von Anfang an falsch gewesen sein soll, den Text als Abschiedsgedicht zu benennen, leuchtet mir auch nicht ein. Wenn es doch so klar zutage liegt, und zwar nicht aufgrund der Biographie des Autors oder fragwürdigen Etikettierungen, sondern festzumachen am Text selbst, vom Inhalt bis hin zum polternden, wegwerfenden, selbstzerstörerischen Gestus. Keine dieser Informationen musste von außen herangetragen werden, weil nichts an dem Text mehr ins Auge springt als dieser Furor des Durchstreichens. So ist es für mich auch nicht so sehr ein Gedicht, in dem die Sprache ins Stottern kommt (das ist dann eher wirklich Ghérasim Luca, über den Deleuze in dem Aufsatz ja geschrieben hat), sondern eines, das sich gehen läßt, auch formal, und dieses Gehenlassen entspricht vielleicht just dem Gehenwollen oder Abschiednehmen dessen, der es geschrieben hat. Das nicht zu sehen, käme mir nicht vor wie eine Flucht vor dem Text, sondern eher wie eine Flucht vor der Evidenz des Textes. Ob dieses Gedicht dann ästhetisch für sich einzuvernehmen vermag, ist eine andere Frage, mich kann es, unter dem schon genannten Aspekt des auch formal liederlichen Galgenlieds, zwar nicht überzeugen, aber doch erreichen und vielleicht sogar berühren.
Vieles jedenfalls läßt sich, Gutes und Schlechtes, mit oder ohne Namen, über dieses Gedicht sagen. Und vieles ist, finde ich, auch ans Licht gebracht worden durch diese Diskussion, die uns - hoffentlich - weiter und nicht bloß gegeneinander aufbringt.
Und so sehr ich sozusagen eine versöhnliche Wendung begrüße und wünsche, so sehr stoße ich mich daran, wie Sie, Herr Herbst, hier mancherorts dekretieren, welche Verse „sitzen" und welche auf dem schnellsten Weg in den Müll zu verfrachten wären. Das empfinde ich als wesentlich autoritärer als die vereinzelte Nennung eines Namens (oder Vornamens: denn was tut man, bitte, wenn ein Autor sich zurückmeldet und einen persönlich anspricht? Sagt man dann: treten Sie mir nicht zu nahe, ich kenne Sie nicht?) und ich wünsche Ihnen nicht, daß mit Ihren Texten ebenso verfahren wird. Auch diese Haltung fällt nur bedingt unter „Kommentieren und Erweitern“ - unsere Aufgabe hier, laut Einladung -, es ist auch nicht mehr Polemik oder Ironie und spielt eine andere Macht aus als jene des sich mitteilenden, abwägenden Lesens, die nun gerade keine Macht, sondern vielmehr eine Kraft ist. Wenn wir also schon von Spielregeln reden, dann bitte auch in Hinblick auf das Wie der Wortnahme und nicht nur in Bezug auf die methodischen Prämissen, zu denen sich ja gerne auch die Initiatoren des Projekts äußern können.
Bitte jetzt da capo und das Gedicht vor dem Hintergrund dieser Kommentare noch einmal lesen.
ich würde die zwei mäkler an dieser stelle nicht zu ernst nehmen, der eine bekämpft meiner ansicht nach seine eigenen dämonen der namens- und kanonabhängigkeit, der andere will den krug fest auf den tisch stemmen und das geht besser, wenn man furchtlos dreinschaut und auf rang und namen spuckt. aber diese diskussion erübrigt sich an dieser stelle, weil man zu den gedichten 1- cir 40 sowieso nur einigermaßen bequem und schnell über den anhang mit den namen kommt. und irgendwie sollten das ja auch diskussionen sein, also muss man ja hin und wieder dort schauen.
Und Jackson als Weltenrichter, der als Zugabe erklärt, dass man an die anonymisierten Gedichte nur "bequem" gelangen könne just über die Namensliste. Genau das passiert, wenn man die Anonymisierung unterläuft, was ja eh an allen möglichen Stellen geschehen ist: Die Texte verschwimmen, das Gekeife setzt ein. Schade. Aber es war den Versuch wert.
tja, gekeife fällt wohl auf sie zurück, ich sehe hier niemanden, der das tut. und sie sind auch nicht die welt, auch wenn ihnen das so scheinen mag. ich unterlaufe auch keine anonymisierung (siehe auch anmerkung der herausgeber), sie interessiert mich schlicht nicht. ich habe sie als jemanden kennen gelernt, der sehr viel von preisen und namen spricht. deshalb meine vermutung. nicht mehr und nicht weniger. ich lasse mich gern vom gegenteil überzeugen oder lasse ihnen diese vrliebe auch gerne, aber ich kann das ja anders handhaben. ich bitte doch darum, sachlich zu bleiben oder zumindest nicht niveaulos zu werden, danke.
Und schon sind wir beim Abgesang... Dabei gibt es noch so viele Gedichte, zu denen etwas anzumerken wäre. Lassen wir es doch jetzt gut sein. Es wird auch langsam langweilig, die Kommentare zu kommentieren, auf Kosten der Texte. Wie man es dreht und wendet, es wird doch kein Diskurs daraus, nur ein Hinundherschieben unzureichender Gründe. Dazu anzumerken wäre vielleicht noch, daß wir, die Erstleserinnen, die Texte bereits gekennzeichnet bekommen haben, es war also überhaupt keine Herangehensweise möglich, die den Autor von Anfang an ausblendet. Eher eine solche, die ihn einfach vergißt, was manchmal auch psychohygienisch von Vorteil ist. Und Höllerer, er hat doch wohl nichts anderes gemacht, als von den Namen, die er wußte, zu abstrahieren, wozu ein guter Leser sowieso in der Lage sein muß. Daher wäre es unter Umständen sinnvoll gewesen, die Ebenen der Interpretation (oder nenne man es wie man will) und jene des offenen Gesprächs voneinander zu trennen. Vielleicht können wir uns jetzt aber auch wieder wichtigeren Dingen zuwenden. Und Dir, Dieter, steht es doch frei, Dein nächstes Buch unter einem anderen Namen oder anonym zu publizieren; ganz neue Dimensionen werden sich erschließen.
Dass die Kommentatoren die Texte bereits mit Namenszusatz erhielten, stellte ich mir nicht vor, das macht mir allerdings verständlich, dass es ein naheliegenderer Schritt ist als ich annahm, sie auch zu nennen: Wenn sie eh schon auf dem Blatt aufgetragen sind, ist es ja irgendwie verdruckst, so zu machen, als hätte man sie nicht vor der Nase. Ich bitte um Nachsicht, dass ich, der sie nicht vor der Nase hat, das aus einer anderen Warte sah.
Liebe Frau Prammer,
daß die Erstleser:innen die Gedichte mit den Namen der Autor:inn:en bekommen, wußte ich nicht. Insofern nehme ich meine Kritik, wenn es denn eine war, zurück und entschuldige mich.
ANH
@Hendrik Jackson: Wären meine Dämonen die meinen allein, wären sie der Erwähnung kaum wert; leider sind sie traditionsreich und fahren stets aufs neue in die Schweine Lukas', die daraufhin - ersaufen. Doch die Dämonen ficht das nicht an.
Da es hier und immer wieder um "Spielregeln" geht, fühle ich mich als Teil des Gastgeber-Kollektivs verpflichtet, klärend einzugreifend: Wir haben die Gedichte nicht anonym auf die Seite gestellt, sondern nur auf die Nennung der Autorennamen beim Gedicht verzichtet. Alle, die wissen möchten, von wem die Gedichte sind, können und dürfen das nachschauen. Das war auch bei Walter Höllerer so. Dass der Name des Autors oder der Autorin das Gedicht verändert, liegt auf der Hand. Er setzt eine Differenz. Aber diese Differenz zu verschweigen, indem die Namen grundsätzlich ungenannt bleiben, erschien und erscheint uns unredlich.
Es ist also durchaus Zugelassen und sogar im Sinne der Spielregeln, wenn Namen genannt werden. Die Kommentare stehen unter den Gedichten. Wer oben beginnt zu lesen, was diese Form anbietet, wird den ersten namenlosen Eindruck nutzen können – und, wer weiß, vielleicht überrascht werden. In der Diskussion über das Gedicht muss alles möglich sein, was zum Verständnis des Gedichts beiträgt, auch der Name des Autors oder der Autorin, wenn er zu etwas führt.
Und schließlich: Dringend schließen wollten wir offene Türen für Ratefüchse. Die Diskussion darüber, vom wem das Gedicht sein könnte, ist unfruchtbar und lasch. Das galt es unbedingt zu verhindern.
Lieber Oliver Vogel, da ist so eine schöne Eselei, nun wollt ich nachschaun, wer die Mutter / der Vater derselben ist (Nr. 85), ist ausgerechnet dort eine Lücke im Verzeichnis. So wird das Eselgedicht für mich zum Ratefuchs, dabei wäre ich gern durch diese offne Tür gegangen. Schöne Grüße, Volker Sielaff

