
Kommentare
Dieses Gedicht wirkt wie das Gegenstück zu "Gesöff". Behauptet wird die Apokalypse und das Fremdwerden der Welt. Die Form sagt aber das Gegenteil: Metrum, Reim, Kadenzen - alles fein geordnet. Von Verstörung, Fremde, Katastrophe überträgt sich nichts, nur eine Art Bequemlichkeit. Die Ordnung ist nicht aus den Fugen, alles ist wie es schon immer war. Darum schaut man dann genauer hin und stellt fest, dass gerade durch die Benennung ("Hektik ohne Halt" usw) der Verdacht aufkommt, dass hier nicht besonders genau geschaut, sondern nur einem allgemeinen Lebensgefühl Ausdruck verschafft wurde.
Seit jeher hatte ich eine persönliche Vorliebe für, wie auch eine persönliche Faszination mit »old man poems«, wie sie bei mir hießen. Diese radikale Vereinfachung. Dieses auf einen Punkt bringen. Dieses ganz und gar nicht mehr herumschweifen. Wenn man 80 vollmachen muss, um hier das sehr schöne »ziemlich« zu setzen, so hat es sich gelohnt. Mein Beifall und Neid. Aus jeder Zeit.
Schließe mich eher Insa an. Altersgedichte sind etwas sehr Schönes und überhaupt gibt es keine Gedichte, die man nicht mehr schreiben dürfte (Hetzschriften und Herrscherlob ausgenommen), es gibt aber Gedichte, die ich nicht mehr lesen will und dieses hier gehört dazu. „Wie ist die Welt so fremd geworden: / verlorener Planet“ usw.– Bei allem Respekt vor dem Autor: Er ist es doch, der hier auf einem anderen Stern lebt! Formulierungen wie „leere Lust“ müßten da schon subjektiver gekennzeichnet sein, es sind doch Unterstellungen, trotz allem. Überhaupt mißfällt dieses Aufeinandertreffen von Kunsthandwerk und ausgestelltem Leid. Angesichts der Weltlage wäre vielleicht schon eine andere Reaktion als die seufzende Abwendung angebracht, ja mehr noch: es kommt mir geradezu so vor, als wäre die Apokalypse selbst nur die Kulisse für den, der sich da zurücklehnt. Sollen die Lemminge doch in den Untergang rennen, es läuft ja eh auf dasselbe hinaus! Wiederholung des Immergleichen! Was aber, ohne moralisch werden zu wollen, doch eine Beleidigung ist für alle, die gerne einmal unbelehrbar lustig sein möchten oder gar für ein besseres Leben kämpfen. Diese Haltung, nicht die Wortwahl, nicht der hausbackene Charakter dieser Flaschenpost ist der Affront. Dieses Gedicht kommt mir vor wie vom Fernsehsessel aus geschrieben, oder wie aus der Loge des Wahlabonnementen, der seinen Platz nie mehr verlassen wird. Oder war er vielleicht immer schon im falschen Stück?
"Kunsthandwerk" trifft's, is' aber nich' mal "gutes". Früher riß man sowas als Kalenderblättchen ab, allenfalls. Von selber Scheinnaivetät: "voll leerer Lust und Lust am Massenmoden"; bewußt nicht nachgedacht (mal die Protokolle von Sartre/Russells Vietnam-Tribunal lesen, kriegt man noch, rotes Rowohlt).
Ich bin ein Freund von Reimen, ja, aber das hier... sorry, geht nicht. Auch das hiervor beglückwünschte "ziemlich" ist ziemlich ziemlich daneben: Angesichts der "Weltlage" ist der Text sogar <i>unziemlich</i>, moralisch gesprochen.
ich finde die kommentare hier nicht so hilfreich. erst einmal sollte man doch das gedicht aufmerksam lesen. es ist ein "ziemlich" klassisches Vanitas-Gedicht
Die Herrlikeit der Erden
Mus rauch aschen werden/
Kein fels/ kein ärtz kan stehn.
Dis was vns kan ergetzen/
Was wir für ewig schätzen/
Wirdt als ein leichter traum vergehn.
aber hier kann man auch die Unterschiede bemerken. dem Verfasser der Mitteilung ist die Erde eben schon lange keine Herrlichkeit mehr. der Klage über die Vergänglichkeit des Irdischen fügt sich noch die Klage über die Lausigkeit der Welt hinzu. sie ist ihm "fremd" geworden. d.h. jene zutrauliche Weise vielleicht der kindheit ist ihm abhanden gekommen. der Beleg scheint dann tatsächlich aus einer "Fernsehsessel"postion zu kommen (Morden etc) – aber woher auch sonst. kaum jemand aus der westlichen Hemisphäre kennt Morden aus seinem nahen Umfeld. Wissen ist heutzutage fast immer medial vermittelt. die Leserinnen stoßen sich vielleicht daran, dass es so allgemein gehalten wird und in diesem geordneten, reimseligen Schema daherkommt. aber daran drückt sich ja gerade die Klage über das Verlorene aus. im Reim zumindest nistet die Sehnsucht nach der verlorenen Geborgenenheit.
die Sätze bleiben etwas allgemein, das stimmt, und "Lust am Massenmorden" ist kein besonders starkes Bild. aber dieser Vanitasklage ist eben die Reignation schon eingeschrieben in die Zeilen. er mag sich zu mehr als einem Stoßseufzer nicht mehr aufraffen. deswegen ist es auch nur eine "Mitteilung". deshalb geht ihm die Stärke manches Barockgedichtes ab, das noch von der Herrlichkeit der Erde spricht aber die wurden meist auch nur 30 Jahre alt, wenn überhaupt. im Grunde sagt das Gedicht fein, dass es sich selbst der lähmenden Gewöhnung an das Elend nicht entraffen kann, weil das Leben ein Trauerspiel sei. eine wohl gereimte Mitteilung aber war ihm das doch noch wert. so wird es wenigstens eine kleine Trostpille. und die schluck ich. auch wenn jegliche Folgen Placeboeffekte sein sollten und Nebenwirkungen nicht zu erwarten sind.
Sachlich der Titel, kontrolliert der jambische Rhythmus, die Aussage ernüchternd: unsere liebe Erde ist ein von Massenmorden gebeutelter verlorener Planet, auf dem sich die Menschen mit Hektik und Lärm betäuben, um das Wissen vom Ende auf Distanz zu halten. Doch gibt es kein Entrinnen, alle sind "Statisten in dem immergleichen Stück". Und hinter den tristen Weltkulissen scheint kein tröstendes Jenseits auf. Der Autor verweigert jede transzendente Perspektive. Seine "Mitteilung" konstatiert ohne Pathos, was ist: Fremdheit und Ausweglosigkeit. Nicht jeder mag dieser Tatsache so offen ins Auge sehen.

