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Um zwei unterschiedliche Länder geht es in diesem collagierten Gedicht, doch beide taugen nicht zur Heimat. Zwischen ihnen verläuft eine Grenze aus gewebtem Draht. Bedeutet das großen oder nur mittelgroßen Schrecken? Schlimmer ist, dass "das Schicksal nach altem Pelz" riecht und "nach kaltem Zufall" schmeckt. Wir hätten doch so gern, dass unser Leben Frische ausstrahlt und nicht als Produkt von Zufällen erscheint. Der "kalte Zufall" klingt besonders bedrohlich, wie das scharfe Messer einer höheren, undurchschaubaren Macht. Welchen Totalitarismus vertritt sie? Oder handelt es sich - wie beim aktuellen Flüchtlingsdrama - um die blamable Räson von Abwehr und Abschottung?
Mit der unmittelbaren Nachbarschaft von Grenzgitter und Spitzenborte ist jenseits der Worte bereits sehr viel gesagt. Erst im Laufe des Gedichts werden die beiden Elemente zusammengeführt: „die Grenze ist ein gewebter Stoff / aus Draht“. Das ist sehr eindrücklich, auch weil die Fügung aus einer durchgehenden Kette surrealer (oder sogar surreal negierter) Aussagen als die einzig und augenfällig „haltbare“ herausragt. "Heimat", "Schicksal", "Land", "Grenze", "Zufall“: Ausgeschnitten sind diese Wörter, die kaum jemand unbefangen gebrauchen könnte, Material; die Barriere zwischen Gefühl und Gedicht evident. „Was liegt, das pickt“, also schafft Bedeutung, die aber eine eigenartige Form von Erfindung ist und dadurch zur erneuerten Bedeutung wird. Ein Wort "gibt" hier nicht einfach das andere. Sie stehen nebeneinander wie Bild neben Bild. Gibt es so etwas wie ein syntaktisches Sehen? Auch der Punkt wäre zudem bereits Grenze. Ein Kästchen am Ende bleibt leer.
"So wilde Freiheit war noch nie / in einer finstern Andanchtsenge" - Mir scheinen diese Verse aus "Ich ordne die Verlassenschaft" wie eine spiegelverkehrte Korrespondenz zu dieser Collage. Die Enge, die dort die wilde Freiheit (deren Gefühl, Ausdruck und Wirkung auf Andere ja durchaus zweispältig sind) hervorbringt, erinnert mich an den Wahnsinn, der in diesen Versen und Buchstabenbildern steckt. Auch von diesem Gedicht, dieser Collage geht ein Zwang aus. Ihm geht die Erfahrung von Brutalität voraus, von Zwangsenge. Es ist nicht der freie Wahnsinn des Surrealismus, sondern der der Einzelhaft und Todesangst, vielleicht sogar Einzelhaft im eigenen Kopf, in den Fremde eingedrungen sind, um die Macht einzunehmen.
Zugleich ist dieses Gedicht, diese Collage ein Befreiungsschlag. Harmlose Wörter und Buchstaben werden entlarvt, wie das IM, das unheimlich wird, so isoliert und zugleich in einen neuen Zusammenhang gesetzt. Es wird entmachtet und entlarvt. Auch dieses Gedicht also eine Ermächtigung, das unheimliche Lachen als Waffe, die absurde Sicht und das Zusammenschneiden von Bildern und Worten, die nicht zusammenzupassen scheinen, aber auch als Folge einer Zurichtung.
Faszinierend ist bei diesen Buchstabenbildern die Körperlichkeit der Zeichen. Die Wirkung der Farben und Formen, der Schriftart und Schnittränder. Es ist ein bisschen so, als würden die Buchstaben anfangen zu tanzen, sobald wir ihnen den Rücken kehren und als habe hier jemand diesen Tanz erkannt.