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Keine Ahnung, ob das hier hingehört; aber um mal anzufangen. Der Link führt zu folgendem Artikel:
Jailed Kurdish Leader Ocalan Says Armed Struggle With Turkey 'Unsustainable' (21-05-15)
By Daren Butler
DIYARBAKIR, Turkey, March 21 (Reuters) - Jailed Kurdish rebel leader Abdullah Ocalan said on Saturday his militant group's three-decade insurgency against the Turkish state had become "unsustainable" but stopped short of declaring an immediate end to its armed struggle.
In a message relayed by Kurdish politicians to tens of thousands gathered in the southeastern city of Diyarbakir, the leader of the Kurdistan Workers Party (PKK) urged his militant group to hold a congress on laying down its weapons.
"This struggle of our 40-year-old movement, which has been filled with pain, has not gone to waste but at the same time has become unsustainable," Ocalan said in the message, read out at a rally to mark the Kurdish "Newroz" New Year celebrations.
President Tayyip Erdogan, then prime minister, launched talks with Ocalan in late 2012 to end an insurgency that has killed 40,000 people, ravaged the region's economy and tarnished Turkey's image abroad. Progress has been faltering since then, but Kurdish faith in Ocalan remains undiminished.
"History and our people are demanding from us a democratic solution and peace in line with the spirit of the age," he said, calling for the congress to determine the PKK's "political and social strategy in harmony with the spirit of the new period."
Young men in green guerrilla outfits and women in brightly colored dresses danced as patriotic Kurdish songs played over a sound system. Organizers claimed a million people attended, but there were no official figures from local authorities.
Large screens each side of a stage showed Ocalan's face while many waved the flags of his militant group, deemed a terrorist organization by Ankara, the United States and the European Union.
The mere display of Kurdish insignia, let alone an image of Ocalan, could have brought arrest and imprisonment less than a decade ago. It still enrages many nationalists.
"Kurds are using this day, Newroz, as an occasion to challenge the state," Devlet Bahceli, leader of the nationalist MHP opposition, told a party congress, accusing the AKP and the PKK of "digging a pit for Turkey."
"Those traitors who are throwing Turkey's future to the fire will be burned in that fire ... Don't test our patience and our love of this nation."
The peace efforts have also revealed tensions between Erdogan, who seeks executive powers as president but does not constitutionally have them, and the government.
In unusually direct criticism, Deputy Prime Minister Bulent Arinc accused Erdogan of being "emotional" and of meddling in government business after he said he did not agree with the establishment of a committee to monitor the peace process, a step agreed with Kurdish politicians.
"It is the government which is running the country," he told reporters. "The president speaking like this, to the point of criticizing our government, may wear out the government."
ELECTIONS
At a "Newroz" event two years ago, Ocalan, jailed since 1999 on an island near Istanbul, declared a ceasefire and said it was "time for guns to fall silent."
His fighters began withdrawing to Iraq two months later under a deal envisaging increased rights for Kurds, who make up around 20 percent of Turkey's 78 million population.
The PKK halted withdrawal in September 2013, blaming government footdragging. The ceasefire has largely held but distrust runs deep, exacerbated by the perception among Kurds in Turkey that Ankara has done too little to support their brethren fighting against Islamic State militants in neighboring Syria.
Tensions are also running high ahead of a June parliamentary election.
The PKK took up arms to carve out an independent Kurdish homeland in the southeast in 1984. Their now scaled-back demands include autonomy for local governments, Kurdish-language education and the overhaul of security-related laws. (Additional reporting by Gulsen Solaker in Ankara; Editing by Nick Tattersall and Ralph Boulton)
Eines der Gedichte, die mich im ersten Durchlauf aufrichtig interessieren, so staune ich über die voran- und nachgestellten Sätze, die Wagnisse, Poetisches und eher Unpoetisches aneinander zu binden und bin froh, dass hier Welt verhandelt wird, dass das ein zeitgenössisches und kein anachronistisches Gedicht ist ...
Die Begründung ist mir unklar. Was ist den Un- und Poetisches, aneinander gebunden? Es ist doch schon, wenn überhaupt im Gedicht und damit bestenfalls poetisch, unabhängig davon, wie sehr "Un" es einmal war? Eine meiner Lieblingszeilen von Kling: "Dr. Benn, könn’n ’se mal kurz?!" – Und die Frohheit darüber, dass es sich um ein "zeitgenössisches" Gedicht handelt: das ist doch selbst schon Folklore, der Ruf ums Zeitgenössische! Gegenwart, ja – hinab steigen; bis die Stufen einem wegschwimmen; was kommt danach? Hinterm Zeitgenössischen (Genossen der Zeit!) und durch dieses erst erfasst? Die Gegenüberstellung von "anachronistisch" und "zeitgenössisch" will mir schließlich auch nicht einleuchten …
Zum Gedicht kann ich noch nicht viel sagen, ich bin langsam. Ich knabbere an der Konsequenz der Form. Weshalb die senkrechten Striche, die bestimmt einen Namen haben? Wieso die Voran- und Hinterherstellung von Zeilen? Die ich jeweils für sich durchaus sehr mag und aber mich frage, ob die Form als gesamtes irgendeiner Konsequenz folgt? Würde mir genügen, die Zeilen stünden dort einfach; ebenso in der Mitte, der Block? Mein Lesetempo verändert sich durch die Form, in der Mitte. Ich lese schneller. Ist das wichtig?
"im häkeln von willkür und leid", oder "mit einer strickrasche aus raum und fälliger zeit", das sind doch eigentlich ultrapoetische Formulierungen, die naiv wirken könnten, wären sie nicht in einem gegenläufigen Kontext: das gefällt mir, dieses Spannungsverhältnis. Ich finde schon, und meine, dass man das in diesem Projekt besonders deutlich sehen kann, dass es Gedichte gibt, deren Struktur, deren Sound gut mit dem einhergeht, was um uns geschieht, und dass es solche gibt, die das nicht tun, es m. E. gar nicht versuchen. Sie entsprechen dann vielleicht einer Vorstellung, was einen Dichter ausmachen könnte, sind aber aus der Vergangenheit und deren Schulbüchern gespeist und nicht offen für das um uns herum. Es hat eher mit Strukturen zu tun als mit Sujets. Die Fragen ans Gedicht sind übrigens auch meine; sie ziehen mich an, gerade weil ich (noch) keine Antworten habe, ich mag solche aufkommenden Fragen, hinter denen ja Zutrauen steht, ein JA ...
Thomas Brasch: „Gegenwart, wann war das“? Wir wissen doch überhaupt nicht, was zeitgenössisch bedeuten könnte, bestenfalls, wie viel Uhr es ist. Da hat es vielleicht Sinn, zwischen Aktualität und Zeitgenossenschaft zu unterscheiden. Sprache ist eben kein Glasfaserkabel für aktuelle Themen, sonst deckt es sich mit Mode. Gedichte so unter Zeitdruck zu stellen, führt am Ende nur dazu, sich gerade nicht mit dem auseinanderzusetzen, was an den Zeiten dürftig ist. Da gab es diese Rezension in Bezug auf Daniel Falb: „Novalis war gestern.“ Nona. Aber hätte sich Falb an Novalis abgearbeitet, wäre ein weniger aufregendes Buch herausgekommen. Interessante Gedichte spielen doch meistens in mehreren Zeiten zugleich, oder durchdringen ihre Zeit auf eine Weise, die auf schmerzliche Weise vernetzend ist, nicht bloß assoziativ oder kumulativ. Dazu muß man ja nicht gleich Handkes „Ahnung“ beschwören. Zwetajewa sagt irgendwo, man müsse die eigene Zeit reflektieren, wie mit einem Schild. Also vielleicht: ihr etwas entgegensetzen und sie doch widerspiegeln, aus seiner Zeit herausschreiben und sich zugleich aus ihr herausschreiben. Den Ball auffangen und wieder weiterspielen. Noch einmal Thomas Brasch: „Habt ihr’s immer noch nicht begriffen? Das Alte geht nicht und das Neue auch nicht. Und jetzt sitzt ihr da!“ Nur das Gute geht immer. Aber das ist nun auch eine etwas billige Pointe.
Und was die Schulbücher als Feindbilder angeht: das stimmt so nicht mehr, hat schon für meine Generation nicht gestimmt. Hätten manche in ihrer Kindheit mehr darin gelesen, würden sie heute wahrscheinlich bessere Gedichte schreiben. Hingegen west um uns herum so viel Schwachsinn, daß vor allem gute Filter gefragt sind. Oder dieser trennscharfe, situationistische Instinkt für Klischees, zu Konzepten mutiert, wie man ihn bei Schlingensief fand, aber auch bei Ann Cotten, Volker Braun u.a. findet, es ist also nicht generationengebunden. Das ist aber selten. Oft ist es nicht viel mehr als ein Gefuchtel mit einem konnotierten Lexikon, das den Bezug extern sucht, also Sound bleibt und nicht Haltung wird. (Oder meinetwegen Struktur.) Daher ist es ein Trugschluß, das Epigonale immer dort zu verorten, wo man kein Lebensgefühl wieder erkennt.
Außerdem gilt: je älter manche Dichter werden, desto "zeitgenössischer" werden ihre Gedichte. Was sehr schade ist, denn es wäre immens spannend, einmal aufrichtige „Altersgedichte“ von Männern zu lesen (also auch „Gedichte über das Altern), wie man sie zb. von Elke Erb kennt oder auch, andere Generation, von Ulrike Draesner auf diesen Seiten. Im Gegenteil, oft gehen sie dem Thema geradezu aus dem Weg und die Flucht rächt sich durch Peinlichkeit oder Tabuisierung, die dann doch auf Umwegen wieder Text wird. Damit ist freilich noch nicht viel über das Gedicht oben gesagt, was mir leidtut.
Das Gedicht oben (mahne ich mich grad selber) ist Auslöser der Gedanken über Zeitgenossenschaft und Gegenwärtigkeit – nicht Gegenstand. Dem Gedicht gerecht zu werden, müsste es um anderes gehen, was im einzelnen anzusehen ist. Dennoch erlaube ich mir den Schlenker grad, übers Allgemeine.
Ein schönes Brasch-Zitat, liebe Theresia Prammer – "Gegenwart, wann war das?". In der Umkehrung: "Zeitlose Gedichte gibt es nicht", schreibt Celan verzeihbar pathetisch "wohl aber einen, in seiner ganzen Fragwürdigkeit empfunden Unendlichkeitsanspruch des Gedichts, ein Durch-die-Zeit-hindurch-greifen-wollen : Besetzbarkeit." Das Wortmaterial des obigen Gedichts beinhaltet zuweilen alles andere als zeitgenössische Begriffe. "Tigris" (sind wir nicht alle ein wenig Babylonier?), "Basalt", "Marmor", "kasteienden", "häkeln" … insgesamt weist das erstmal überhaupt nicht auf so etwas wie – was immer das sein soll – "Zeitgenössisches" hin. Für mich gibt es keine Gedichte zudem, die NICHT zeitgenössisch sind – sie sind ja da! Jetzt grade! Sie können vielleicht ein wenig verstaubt sein oder altbacken oder nicht den Vorstellungen derjenigen entsprechen, die das Wissen um den Puls der Zeit gepachtet haben; aber "zeitgenössisch"? Bin auch nicht sicher, ob, wie Dieter M. Graef schrieb, es Gedichte geben sollte "deren Struktur, deren Sound gut mit dem einhergeht, was um uns geschieht" … grade deshalb können sie auch wundervoll sein, weil sie sich diesen Strukturen und Sounds verweigern. Und mich einfach umarmen. Von Vorstellungen auszugehen, was einen Dichter (nicht das Gedicht, wohlbemerkt!) ausmacht, ist doch sowieso Quatsch – mag sein, dass es sowas gibt. Bestenfalls geht man doch dichtend davon aus, dass einem der Boden entzogen ist, nein?
Der Titel "regionale konflikte (17)" weist darauf hin, dass es sich um einen Auszug aus einem Zyklus handeln könnte. Das Gedicht ist also ein Brandherd, zwischen anderen. Verortet wird dieser in Diyarbakir, einer osttürkischen Stadt, in der vorwiegend Kurden leben. Und weiter will ich mich vor versammelter Mann- und Frauschaft nicht blamieren. Dass ich munter googeln musste, ist mir dann klar geworden – wohl weiß man manches, wenn man regelmäßig Nachrichten schaut? Anderes eignet zu Fettnäpfchen? Wieder anderes findet selbst das Netz nicht? Zu benennen wäre hier: Was ist "Zindana Amede"? Was "abla, kek" und "newroz", usw. … Das Gedicht verlangt Kennerschaft, scheint mir, ich darf es zwar auch so lesen, aber bin ich über den Link und über Diyarbakir informiert, so sagt mir das Gedicht: "Guten Abend, Robert, ich habe mich auseinandergesetzt, nun sieh zu, dass Du nach kommst." Eine Geste, die mich zunächst erstmal verschließt vor der Neugier auf das Geheimnis, das – im Celanschen Sinne – womöglich hinter dem zeitgenössischen Konflikt durch die Zeit hindurch griff und mir die Bilder offenbart, die dort liegen. Die dann nicht ausschließlich Fernsehbilder sind, sondern wo? "wie dorfschützer sitzen kinder in wassermelonen" – ein Bild, das ich mag z.B. (wie einige andere Zeilen auch!); doch weshalb erklärt mir der nächste Satz sofort die Völker "amed" und "meder"? Von denen ich nichts weiß, tut mir leid, und es mag an meiner Dummheit liegen? Und somit erklärt mir der Satz dann doch nichts? Weshalb mir wohl insgesamt da etwas im Gedicht als zu didaktisch erscheint? Statt leben gelassen; durch die Re-cherche hindurch gegriffen, auf den Zauber dahinter zu?
Nun, ich kenne mich dort auch nicht aus, aber so rätselhaft ist dieses Gedicht doch auch nicht, da ist das kurdische Fest, es geht um Gefangene, um Folter?, das jedenfalls grundiert den Text, oder?:
"Schulbücher", "anachronistisch": Im Hintergrund hatte ich ein anderes Gedicht des Projektes, das mich ärgerte, allerdings war mir nicht klar, dass es hier auch "Geister" gibt, so hielt ich es für ein Gegenwartsgedicht, das um die 60, 70 Jahre ignoriert. Für mich waren Schulbücher übrigens sehr wichtig, ich konnte mich früh am Kanonvorschlag abarbeiten, Teile annehmen wie ablehnen und bin seither ein Freund des Kanondiskurses. Mit Zeitgenossenschaft meine ich eine Durchlässigkeit für all das, was um uns geschieht, eine Wachheit, und auch ein Reflektieren, ob eigene Gedichte damit korrespondieren. Wie diese Korrespondenz oder Übertragung aussehen kann, zeigt sich immer wieder neu. Ich meine, dass es sich noch stärker in der Struktur eines Textes zeigen könnte als im Vokabular oder in den "Themen". Die verbinde ich eher mit der Vorstellung von "Aktualität", die ich dem Gedicht nicht gerne allzu sehr zumuten möchte, man hätte ja jeder Tagesnachricht hinterher zu hecheln. "Zeitgenossenschaft" ist für mich viel allgemeiner: Da wird ein Gedicht vorgetragen, aber man kann ja auch mal aus dem Fenster schauen, auf den Verkehr, die Leuchtreklamen, so ging es mir jedenfalls vor vielen Jahren bei einer Werkstattlesung, und wenn das Gedicht schon in dieser Umgebung einfältig wirkt, helfen ihm auch aufgeladene Wörter nicht, dann kann man sein "Atomkraftwerk" auch durch "Gänseblümchen" ersetzen. Mir geht es um die Bereitschaft, zu reflektieren. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass weiter Gedichte geschrieben werden. Taugt das Medium denn noch? Da finde ich Blicke zu anderen Künsten und der Nicht-Kunst hilfreich. Und beim obigen Gedicht habe ich, auch wenn wir noch nicht recht ran kamen, den Eindruck, dass es das zu leisten versucht und auch leistet, was nun vielleicht zu Beschwerlichkeiten für uns beiträgt. Wir können nicht so glänzen wie es den Verfassern der "Frankfurter Anthologie" gelegentlich gelingt. Vielleicht zeigt das eine Qualität des Textes? Manche Gedichte, die dann gut verkostet werden können, stehen quasi gerahmt vor uns. Dieses hier ist abgeschlossen-unabgeschlossen. Es scheint Teil eines größeren Ganzen zu sein, behauptet das aber vielleicht auch nur. Wir können nicht recht darauf schauen, wie man auf ein Gemälde schaut. Wir müssen andere Arbeitsschritte erwägen, ein Herumirren oder Draußenstehen oder was auch immer zulassen. Es lässt sich nicht konsumieren, es passt nicht in die gute Stube über die Couch, es bleibt vielleicht immer ein Fremdkörper, es ist womöglich ein Expeditionsangebot.
(Es hat eine andere Form von Rahmung, Einfassung; es ist eher mit Clips aufgehängt)
Dass die Themen, die der Text anreißt oder aufreißt, der Auseinandersetzung lohnen, ziehe ich nicht in Zweifel. Aber erscheinen sie darin auch oder werden sie nur aufgerufen? Das wäre doch die Frage. Es wird bald gereimt, bald eklektisch zitiert, dann kommt wieder ein Ton hinein, der sich auch im letzten oder vorletzten Jahrhundert gut bewährt hätte, auch in der Metaphorik des Häkelns usw. Es sind geopoetische Ansätze, poetische Landvermessungen zu erkennen, die sich ja oft in langen zyklischen Bewegungen artikulieren. (Z.B. bei Marcel Beyer.) Das obige Fragment reicht also womöglich nicht, um sich ein Bild des Ganzen zu machen.
Dagegen enthält es nicht wenige Indizien und topologische Hinweise, die ihrerseits weit und weiter führen. Dennoch werde ich ein wenig missmutig, wenn Texte einen a priori dazu zwingen, googlend und oder überhaupt recherchierend tätig zu werden, also keine andere Lesart als die thematisch-erschießende zulassen. Das erzeugt Hürden, die vielleicht nicht sein müßten und schließlich geht es ja nicht um eine Reportage. Diese Reaktionen auf Rezeptionsseite sind aber, wie an den bereits geposteten Kommentaren ersichtlich, sehr unterschiedlich. An den „fehlenden“ Informationen möchte ich es nicht festmachen, es geht mir eher um ein Konzept von Lesbarkeit an sich, und dieses freilich nicht verstanden als Massentauglichkeit oder eingängige Schlichtheit, schon gar nicht als Beherrschung, Dominanz des Materials usw., sondern vielmehr als eine Art Übersetzung einer vorgefundenen Komplexität in eine andere. Man kann vielleicht auch „Correspondance“ oder „objektives Korrelat“ o. a. dazu sagen, das ändert nicht viel. Inger Christensen spricht irgendwo von Lesbarkeit und das überzeugt mich: Das Gedicht als ein gedachtes Netz, mit dem der Anteil des Lesbaren auf der Welt vergrößert werden kann. Dazu bedarf es aber eines Begriffs von Form, der gerade nicht wie ein Schleppnetz vorgeht und die Ordnung an die Verlinkung delegiert. Sicher, und sicher zurecht, ist gerade diese pluriperspektivische Form, die äußere Beschreibungen mit fast schmerzhaften Zooms auf einzelne Szenen verquickt, für die meisten hier eine Qualität, und vielleicht ist sie mit dem Wort „Medusieren“ vom Autor selbst sehr gut beschrieben - wenn man das als einen methodischen Hinweis lesen will. Dennoch denke ich, dass die Vielfalt der Register hier nicht nur Reichtum erzeugt oder eben nur punktuell. Oder anders: Es macht einen Unterschied, ob die Welt sozusagen ausufernd zitiert wird (wofür es auch überzeugende Beispiele gibt, die dann aber zum Teil auch die Kohärenz haben, sich NUR an Zitate zu halten), oder der Dichtung zugetraut wird, mit eigenen, am spezifischen Gegenstand geschärften Mitteln Welt zu erzeugen. Dieses Zutrauen wäre dann die Arbeit an der Lesbarkeit, die wohl auch eine Art Notwehr ist. Ja mehr noch: Ich vermute, dass die „Verteidigungen der Poesie“ immer schon nicht nur auf ihre sogenannte Freiheit, sondern auch auf die Verteidigung einer solchen Lesbarkeit hinausliefen. Ihre Akzeptanz als Erkenntnisinstrument schließt sich daran an. Aber hier kommt tatsächlich sehr vieles zusammen. Zu Celans „durch-die-Zeit-Hindurch-Greifen-Wollen“ zum Beispiel fiele einem auch sein Übersetzen ein, das für Fragen der Zeitgenossenschaft bzw. Konzentration chronologischer Zeitläufe im Gedicht außerordentlich sensibel war, was dann Peter Szondi als „Poetry of Constancy" beschrieben hat. Überhaupt sind es doch vor allem die ÜbersetzerInnen, die das Geheimnis der Zeit im Gedicht hüten, nur machen sie am wenigsten Aufhebens davon.
Nun, da wir keinen Bildungskonsens mehr haben, hat jeder seine Lücken, manche müssen bei der griechischen Mythologie sofort googeln, andere bei Comicfiguren, Filmanspielungen, Klassikerzitaten; wir bewegen uns in dem Gedicht in der Fremde, auf PKK-Terrain, manche wissen von ihrem Neujahrsfest, andere wissen anderes, es fallen fremde Wörter, das nehme ich gerne hin, in der Fremde, das ist so kalkuliert und ein Stilmittel, um anzuzeigen, wo wir sind. Ich muss nicht alles verstehen, und das, was ich zu recherchieren hätte, nehme ich auf meine Kappe: Dass ich z. B. mit einer türkischen Gefangeneninsel nicht hinlänglich vertraut bin.
Gelingt es der Dichtung hier, Welt zu erzeugen? Dieser hohe Anspruch greift an, aber zeichnet vielleicht schon dadurch aus, dass er angelegt wird? Ich bin eigentlich dankbar, dass es dieses Gedicht in der Form gibt, was es bietet, ist so wenig nicht.