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Dreißig zu Strophen gegliederte elegische Verse über das Älterwerden, die "fehlende Biographie", über Todesgedanken, die Sinnfrage, das Schreiben und eine inkohärente Welt. Was bedeutet es, dass man mal von Blumen und Blüten geträumt hat und jetzt "von gerinnender Milch und der sterbenden Hoffnung des Honigs" spricht? Traurig, das Ganze. "Es tut weh." Auch weil zwischen Erinnerung und vager Zukunft ein prekäres Jetzt herrscht. Winzige Luken ins Helle öffnet manchmal die Dichtung, mag sie auch "Schwachsinn" sein. Der Autor macht es vor, wie Zeilen über sich hinauswachsen. Besonders schön am Schluss des Gedichts: "Mir scheint mit der Welt stimmt etwas nicht / Wirklich. Schlimm? Ich bitte Sie mit mir zu zittern". Wir tun es schon.
Das dachte ich auch gleich: der Aufforderung hätte es gar nicht bedurft! Nur wußte ich bei diesem Lebensabschnittsbericht von Anfang an nicht so recht, warum er eigentlich ein Gedicht ist. Das alles ist traurig, ja, aber es ist auch unfreiwillig komisch, dabei nicht ironisch gemeint, die Widrigkeiten des Daseins sprechen für sich und werden nacheinander beim Namen genannt: Verheißung war gestern, heute sperren sich die Worte gegen den uneigentlichen Gebrauch; die Dinge zeigen ihr „wahres Gesicht“, das nicht immer das schönste ist. Dazu kommt der Hohn der bloß angekündigten Rebellion, die plötzlich auf den groß Sprechenden zurückfällt. Was also tun, um die Wünsche zu verteidigen gegen das Abstumpfen, das nicht akzeptiert werden kann als Bilanz, mit der eine Jugend ausklingt? Anlernen gegen das Nichtkönnen oder es annehmen lernen? Der Überraschungslosigkeit durch Vergessen entgegenwirken? Wim Wenders über „Fahrenheit 451": ich beneide jeden, der diesen Film noch nicht gesehen hat...
Vermutlich hätte man diese Schwundstufen der Ernüchterung auch in einen Brief an einen guten Freund packen können, der gerade etwas Vergleichbares durchmacht. Aber in einem Brief wäre es wahrscheinlich nicht möglich gewesen, die Klage an die Selbstdemontage als Dichter zu koppeln, um die eigene Schöpfung dann doch wieder, mit lakonischem Pathos, aus dem Rucksack der existentiellen Irritationen zu retten... Die Rolle eines solchen Brieffreundes übernimmt hier außerdem gerade das lyrische Ich, das nicht gut auf die Welt zu sprechen ist, aber auch keinen Trost sucht und schon gar keinen Rat. Es quält sich mit der Sinnfrage, an die sich notwendig die Frage anschließt, wie dieser fehlende Sinn in eine Form zu bringen wäre, die nicht provisorisch ist. Das ist sie aber eben doch, was auch besser ist als die Kompensation durch ein Mehr an Rhetorik und hohe Vorbilder, was der sympathisch „unreifen“ Haltung dieses ersten Altersgedichts widerspricht. Lieber mag ich die Stellen, wo die Klage schutzlos wird, die Form sich der Klage ausliefert wie am Ende, wo Sinn und Schwachsinn nahtlos ineinander übergehen und die zitternde Zeile (Hölderlin, Zanzotto) beschworen wird, Ansteckung in der Heilung, und Heilung in der Ansteckung suchend...

