„Das ist Rauchen!“Zweite Kolumne, die eine Reise durch die Heterotopien Amerikas unternimmt und illustriert, wie und wo man sich auch dort noch in mäßigen Grenzen zugrunde richten kann Endlich sind wir in Las Vegas, der Enklave des Indoor-Rauchens und Outdoor-Trinkens, die Reisebegleiter II eine „mikrokosmische Reinstitutionalisierung der Bier-Kippen-Symbiose wider den Common Sense der heutigen USA“ nennt. Reisebegleiter I hebt bereits nur noch mit glasigem Blick seine Bierdose in den nachtschwarzen Himmel, trinkt „auf Simone de Bovary odersoähnlich!“ und widmet der Geehrten ein ums andere Mal ein schmetterndes „Gaudeamus Igitur“. Ich stelle mir derweil jene Sitzung vor, in der die Stadtoberen von Las Vegas die US-Konstanten von „Clean Indoor Act“ (verbietet das Rauchen in Gebäuden) und „Open Container Law“ (verbietet das Trinken auf der Straße) außer Kraft setzten: „Man kann ja nun wirklich nicht behaupten, dass eine so eiskalte Institution wie ein Casino wirklich ein Innenraum ist“, mag der City Major begonnen haben, „und unsere Bürgersteige sind viel zu warm, um draußen zu sein“, mag die Ratsversammlung geantwortet haben. Ein walisischer Pokerspieler hätte den Beatles-Klassiker „Everybody’s got something to hide except for me and my monkey“ angestimmt und alle hätten mitgesungen: „When your outside is in, and your inside is out, when you’re inside is out, and your outside is in...“ „Take it eaaasyyy“, gellt der Refrain, und erst jetzt merke ich, dass ich den Wachtraum laut mitsinge. Man blickt mich vorwurfsvoll an. Reisebegleiter I, eben selbst noch singend, hat plötzlich Tränen in den Augen. „Was hatter denn?“ wende ich mich an Begleiter II. „Er ist grad nen bisschen down“, erläutert dieser: „Er fragt sich zum ersten Mal in seinem Leben, was unsere Existenz im Einzelnen bedeutet. Und dass du da ganz laut ‚Take it easy’ singst, das finde ich nicht ganz pass...“ Ungerecht sind sie, denke ich, und ich denke auch daran, wie noch am Vortag Reisebegleiter I, elitär-konservativer, aber immerhin rauchender Mitexilant, bestens gelaunt die Hintertreppe zu meinem St. Louisaner Apartment hinaufgestürmt war. Wild hatte er mit Simone de Beauvoirs 1947er-Reisetagebuch Amerika Tag und Nacht gewedelt, einer Leihgabe meinerseits zur Resozialisierung des u.a. Verbindungsstudenten. Offensichtlich hatte die Maßnahme angeschlagen, denn „Da!“ hatte er begeistert geschrieen und das Las Vegas-Kapitel aufgeschlagen. Ein Satz war unterstrichen: „Auch wir richten uns in mäßigen Grenzen zugrunde.“ Während ich noch von durchzechten und durchrauchten Nächten im „Hotel zur letzten Grenze“ las, brabbelte neben mir der Frischerleuchtete: „In mäßigen Grenzen! Nicht zu viel, nicht zu wenig! Nicht so Drogen und so nen Schweinkram! Aber Tabak und Alkohol! Mäßiges Zugrunderichten! Das ist unser Modus! Das ist die Bürgergesellschaft! Das ist Rauchen! Wir fliegen nach Vegas! Sofort!“ Copyright © Johannes Schneider – May 15, 2008 |
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