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Teil 2 : Wilde Frauen - Lebe deinen Traum


Tanja Askani

Viertel nach zwölf beginnt dann der zweite Teil des Seminars. Tanja Askani öffnet uns die Tür in ihr Leben mit handaufgezogenen Gehegewölfen.
Der Vortrag startet mit ein paar statistischen Daten. Seit 1996 gibt es wieder Wölfe in Deutschland in der freien Wildbahn. Die ersten Welpen wurden in Freiheit im Jahr 2000 geboren.

Mehr trockene Zahlen will sie uns nicht zumuten. Stattdessen stimmt sie uns für die nächsten 3-4 Stunden ein. Was wäre da passender als Wolfsgeheul. Man bekommt eine Gänsehaut, fühlt sich aus dem Seminarraum heraus in eine andere Welt versetzt. Wildnis, Dämmerung, Stille – unterbrochen nur von langgezogenen Klagelauten, mit denen das Rudel untereinander spricht.

Warum die Handaufzucht bei den Gehegewölfen? Tanja Askani nimmt diese Mühe nicht ohne Grund auf sich. Zum einen elimiert sie damit die natürliche Fluchtdistanz der Tiere zu Menschen, macht sie händelbarer und kann so einen niedrigen Stressfaktor (z.B. bei nötigen Versorgungen durch den Tierarzt) gewährleisten. Dennoch: handzahm heißt hier keinesfalls abgerichtet. Man kann einen Wolf von seinem Wesen her niemals so trainieren wie einen Hund. Eine Tatsache, die man auch im Hinblick auf die inzwischen leider so beliebten Wolfshybriden bedenken sollte.
Auf dieses Thema ist Tanja Askani ohnehin nicht gut zu sprechen, gefährdet das Verhalten der speziell aus Wölfen und (zumeist) Schäferhunden oder nordischen Rassen gezüchteten Wolfshybriden ihre Arbeit und macht ihre Bemühungen, den Menschen das wahre Wesen der Wölfe zu vermitteln und Ängste abzubauen, häufig zunichte. Denn Wolfshybriden vereinen viele Eigenschaften beider Arten miteinander, nur leider in einer Kombination, die sie unberechenbar und – wie Tanja sagt – zu tickenden Zeitbomben macht, weil sie weder wolfstypisch noch hundetypisch reagieren.

Aber zurück zu den erfreulichen Erlebnissen mit Tanjas Wölfen: Flocke ist ihr erster Wolfswelpe.
Als eine 15jährige Wölfin unverhofft noch einmal Babys bekommt, sterben innerhalb weniger Tage alle Neugeborenen. Wie sich herausstellt, ist ein Welpe in der Gebärmutter verblieben und hat sowohl das Muttertier, als auch die Nachzucht vergiftet. Beim Entsorgen der Leichen stellt man dann fest, dass eine der Hündinnen noch schwach atmet. Eine Rettungsaktion beginnt.

Flockes Glück und Lebensrettung wird Tanjas Jagdhündin, die gerade scheinträchtig ist und Milch produziert. Sie zieht das Wolfskind, das leider keine Babymilch verträgt, groß. Doch dieser Umstand verursacht unvorhergesehene Probleme, denn nun ist nicht Tanja die Ersatzmama, sondern ihre Hündin, was Tanja in den Augen von Flocke zur Wolfsschwester macht. Entsprechend fängt der heranwachsende Jungwolf an, mit Tanja zu raufen. Ein übliches und arttypisches Verhalten unter Wurfgeschwistern. Für einen Menschen allerdings nicht ungefährlich.

Flocke kann natürlich nicht ewig bei Tanja Askani in Haus und Garten wohnen. Darum zieht sie mit etwa einem halben Jahr in ein Gehege, in dem bereits Prinz auf sie wartet. Die beiden vertragen sich gut, doch das Glück ist nicht von langer Dauer. Als sich Prinz schwer an der Pfote verletzt, muss er eingeschläfert werden. Es tritt die Situation ein, die Tanja um jeden Preis verhindern wollte: Flocke ist allein.

Ein neuer Gefährte muss her und findet sich in Cheenock. Dessen bisherige Gefährtin wurde von der Polizei erschossen, nachdem sie beim Graben ihrer Höhle den Zaun unterwandert hatte und sich – so die Darstellung – befreit hatte.

Cheenook magert aus Einsamkeit völlig ab und soll eingeschläfert werden. Tanja Askani ist die Rettung für den siebenjährigen Rüden. Als sie ihn holt, ist sein Fell stumpf, er hat kahle Stellen, ist bis auf die Knochen abgemagert und leidet unter einer Augenentzündung. Kaum ein Jahr später erkennt man ihn nicht wieder. Er ist vollständig genesen und ein eindrucksvoller Vertreter seiner Art.

Mit Shadow und Daylight ziehen die ersten Grauwölfe aus Bayern in die Lüneburger Heide. Doch kurz bevor die beiden in ihre neue Heimat kommen, wird bei Tanja ein Rehkitz abgegeben. Linda! Da der Einzug der Wölfe nicht mehr gestoppt werden kann, muss sie sich auf das Wagnis einlassen, wie lange es wohl dauert, bis zwei Wolfswelpen ein Rehkitz als Beute betrachten. Doch sie wird überrascht – die drei ungleichen „Geschwister“ verstehen sich prächtig.
Interessanterweise schauen sie sich sogar atypisches Verhalten beieinander ab. Egal ob gras- und tannenfressende Wölfe oder ein nach Mäusen grabendes Rehkitz. Gemeinsame Spaziergänge werden zu unvergesslichen Erlebnissen.

Tanja Askani mit Shadow und Daylight<br>
Tanja Askani mit Shadow und Daylight

© fishing4
Immer wieder versichert Tanja bei Bildern auf denen Shadow und Daylight sich Fleischbrocken schmecken lassen, dass es sich dabei nicht um Linda handelt. Seine Freunde frisst man eben nicht, auch wenn sie aus der Art geschlagen sind.

Als die Wölfe heranwachsen und zu Flocke und Cheenock ins Gehege umziehen müssen, ist Linda tagelang sogar todtraurig und sucht den Garten nach den beiden ab. Bei ihrer Umsiedelung zu anderen Rehen braucht es einige Tage, bis sie versteht, dass sie definitiv kein Wolf ist.
Doch die Umsiedlung ist nötig, denn die zweiten Ziehkinder – Rico, Lobo und Filou – sind nicht so sanft zu Rehen wie ihre beiden Vorgänger.

Shadow und Daylight werden von Flocke und Cheenook liebevoll angenommen. Der Umgang mit den Jungwölfen scheint den beiden erwachsenen Tieren angeboren.

Tanja Askani achtet bis heute darauf, ihre Rudel so zusammenzustellen, dass die Tiere nicht in Konkurrenz untereinander stehen. Dies nennt sie als häufigstes Problem bei Wölfen in Gefangenschaft, was zu heftigen Kämpfen und schweren Verletzungen führt.

Bilder von Wölfen, die an den Flanken und dem Rücken blutig gebissen sind, großflächige, verschorfte Wunden aufweisen, die bei jeder Bewegung aufreißen und die mit Schmerzmitteln so ruhig gestellt werden, dass sie nicht einmal merken, wie Elstern und Raben an den Wunden picken und sie praktisch bei lebendigem Leib auffressen, schocken uns alle.

Diese Aggressionen untereinander haben nichts mit der Gehegegröße zu tun und werden auch nicht über die Hormone gesteuert. Sie beruhen vielmehr darauf, dass die Jungwölfen spätestens ab einem Alter von drei – dreieinhalb Jahren eigene Wege gehen und abwandern, um neue Reviere und einen Partner oder eine Partnerin zu finden, damit sie so ihre Art erhalten und Inzucht vorbeugen. Dies ist in einem noch so großen Gehege jedoch nicht möglich, da dieses natürliche „Abwandern“ viele tausend Kilometer umfassen kann.
Im dritten Teil des Seminars von Elli Radinger dürfen wir jedoch miterleben, dass dies bei freilebenden Wölfen nicht zwingend der Fall ist, sondern dort die Familien mit mehreren Generationen als großer Familienverband intakt zusammenleben.

2006 zieht Noran in den Wildpark ein. Da er den Wurf von Tanja Deutsch Drahthaar-Hündin miterlebt, sieht er deren 11 Welpen praktisch als Geschwister an. Besonders stark wird seine Bindung zu Attila, der als einziger Welpe des Wurfes bei Tanja bleibt, nachdem sein künftiger Besitzer leider kurz vor dem Abholtermin verstirbt.

Noran ist ein Ausnahmewolf, der sich seine Sanftmut auch über das Alter von 3 Jahren hinaus bewahrt. Bei den Führungen in der Lüneburger Heide wird er am häufigsten eingesetzt. Hier können die Besucher den Wolf hautnah erleben. Tanja sieht ihre Wölfe als Botschafter ihrer wilden Verwandten. Sie möchte aufklären, Ängste abbauen, Vorurteile entkräften und mit Unwahrheiten aufräumen. Damit man Wölfe so sieht, wie sie wirklich sind und nicht als das böse Monster, das Aberglaube und Volksmund aus ihm gemacht haben. Damit der Wolf wieder eine Chance hat, in Deutschland Fuß zu fassen. Wieder Teil eines funktionierenden – sich erholenden – Ökosystems zu werden, dass der Mensch in seiner blinden Furcht und Gier fast gänzlich zerstört hat.

Der neueste Zugang unter Tanjas Wölfen ist Naaja. Sie kommt aus Kanada und ihre Einreise nach Deutschland ist mit vielen Schwierigkeiten belegt.
Die Entscheidung, eine kanadische Wölfin zu holen, basiert darauf, dass fast alle in Deutschland lebenden Gehegewölfe miteinander verwandt sind und die Inzucht zum Problem bei der Fortpflanzung und dem Überleben der Welpen wird. In freier Natur sorgt der Instinkt der Wölfe dafür, dass Inzucht vermieden wird. Dies dient der Arterhaltung.

Es dauert eine Weile, bis eine tragende Wölfin in Kanada gefunden ist, aus deren Wurf ein Welpe abgegeben werden kann. Der Behördenmarathon beginnt, um alle Papiere und die Einfuhrgenehmigung zu erhalten. Doch kurz nachdem alle nötigen Unterlagen vorliegen, kommt die Nachricht aus Kanada, dass mehrere Welpen nach der Geburt verstorben sind und man eine Krankheit befürchtet, weswegen keine Jungtiere abgegeben werden. Es wird ein Wurf für das nächste Jahr in Aussicht gestellt, der dann jedoch ebenfalls abgesagt wird, da die räumlichen Möglichkeiten des Wolfsgeheges in Kanada begrenzt sind. Tanja entschließt sich zu dem Angebot, alle Welpen zu nehmen, die bei einer Verpaarung geboren werden. Zu ihrer Freude und Erleichterung, stimmt der kanadische Tierpark zu.

Der zweite Behördenmarathon beginnt – mit offener Welpenzahl. Ob es an dieser Unbekannten liegt oder an Behördenwillkür: Alle Bewilligungen werden erteilt, außer der Landeerlaubnis. Naaja muss 2010 einen Umweg über Österreich machen, um nach Deutschland einzureisen. Dabei werden ihre beiden Wurfgeschwister auch gleich in einen Tierpark nach Wien gegeben.

Allerdings ist Naaja nicht das einzige Ziehkind zu dieser Zeit. Emmi, ein Mufflon-Lamm teilt sich den heimischen Garten mit der Jungwölfin. Ähnlich wie bei Shadow, Daylight und Linda entwickelt sich auch hier wieder eine ungleiche, aber nicht weniger innige Freundschaft, in die auch Tanjas Dackel Amsel eingeschlossen wird. Attila übernimmt wie selbstverständlich die Rolle des Ziehvaters – vor allem für Emmi. Bei Streitigkeiten unter den ungleichen Geschwistern gewinnt erstaunlicherweise stets das Mufflon.

Bei der Eingliederung ins Wolfsgehege kommt es zu Schwierigkeiten. Naaja verhält sich ungewohnt aggressiv, ganz egal, was auch immer Noran und Nanuk tun. Gerade der sanfte Noran hat sehr unter ihrer Kratzbürstigkeit zu leiden. Ein Plan muss her, also beschließt Tanja Askani, es mit Teambuilding zu beschließen. In dem Falle: Schwimmen im See. Der Versuch glückt. Keine zwei Stunden nach Beginn der Schwimmstunde nähern sich Naaja und Noran einander an und das geknüpfte Band hält.

Tanja Askani mit Nanuk, Naaja und Noran<br>
Tanja Askani mit Nanuk, Naaja und Noran

© fishing4
Tanja unterhält uns noch eine Weile mit Geschichten über polnische Arbeiter auf Tannenbäumen, die sich vor dem bösen weißen Wolf fürchten, über Aufnahmen von sommerlichen Schwimmausflügen mit den Wölfen, die aus diversen Gründen im Herbst bei eisigen Wassertemperaturen stattfinden mussten und auch über die Schattenseiten ihres Wolfslebens, wenn es zu Differenzen zwischen den Tieren kommt. Wenn unbedachte Parkbesucher Knallfrösche ins Gehege werfen. Oder wenn für eines ihrer Kinder der Tag gekommen ist, über die Regenbogenbrücke gehen zu müssen.
Daylight stirbt mit nur 4 Jahren in ihren Armen. Viel zu früh. Über Flocke schreibt sie auf ihrer Homepage, dass sie ihre beste Lehrerin war und zitiert aus einer Mail:

Es gibt bei den Pfadfindern ein Waldläuferzeichen, einen Kreis mit einem Punkt in der Mitte. Es bedeutet: Ich habe meine Aufgabe erfüllt und bin nach Hause gegangen.
Ich denke, Flocke kann dieses Zeichen auch machen. All das, was du über den Wolf gelernt hast, hat sie dir beigebracht. So wird sie immer bei dir sein. Wohl kaum ein anderes Tier könnte so etwas von sich behaupten, oder? Jetzt wird sie mit den anderen Weggefährten irgendwo da oben sitzen, und passt auf, dass dir nichts passiert und du das Gelernte weiterhin für andere Wölfe einsetzt.


Vier Fragen an Tanja Askani

TC: Was brachte Sie dazu, mit Wölfen zu arbeiten?
TA: Die Faszination. Wie ein Wolf handeln zu wollen. Mit klaren Gedanken und entsprechender Schlagfertigkeit.

TC: Welche Kernessenz hat es für Sie, diesen Traum zu leben?
TA: Man muss verrückt sein und es mit vollem Herzen tun. Es macht mich glücklich und ich sehe meine Arbeit und meine Gehegewölfe als Botschafter für die freien Wölfe.

TC: Wölfe bedeuten für Sie …
TA: ALLES! Sie sind mein Lebensinhalt, meine Partner, meine Kinder, meine Freunde.

TC: Ich bin eine Wilde Frau, weil …
TA: … ich denke wie ein Wolf.
Die drei wilden Frauen
Die drei wilden Frauen
© Foto: Tanya Carpenter

WOLFSPUREN
Beitrag Teil 2 : Wilde Frauen - Lebe deinen Traum von Tanya Carpenter
vom 02. Okt. 2012


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