Neuronales-Marketing

Themenspecial

Neuronales-Marketing

Die Suchwortstatistiken von Google sowie die stetig wachsenden Etats großer Unternehmen für Neuromarketing spiegeln das rasant zunehmende Interesse an diesem Thema wider. Doch was steckt hinter diesem Begriff? Ist neuronales Marketing nur ein gerade schickes Modewort oder eine Chance, ausgetretene Werbepfade zu verlassen und sich auf dem Weg in das Hirn und in den Einkaufskorb des Konsumenten einen gehörigen Vorsprung zu verschaffen?

Wissenschaftliche Untersuchungen belegen unser Kaufverhalten

W&V Shop Redaktion:

"Werbung beginnt im Kopf"

Neuromarketing vereint Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie. Dass sich Unterwäsche besser verkauft, wenn sie von ansehnlichen Models präsentiert wird, war schon lange klar. Aber warum? Und wieso ist der Geschmack anscheinend zweitrangig, wenn es um die Wahl der koffeinhaltigen Erfrischungsbrause geht?

Die Lösung auf diese Frage hat man im Nucleus Accumbens, dem Belohnungszentrum, gefunden und den findet man wiederum im menschlichen Vorderhirn. Wird diese Region stimuliert, löst dies ein Gefühl des Haben-Wollens aus, bei dessen Erfüllung zur Belohnung ein Glücksgefühl in Aussicht steht.

So stellt sich nun also die Frage, wie man als Werber, diese Region im Gehirn des gewünschten Kunden angeregt bekommt. Mag das bei den Models und der Unterwäsche auf den ersten Blick noch ziemlich simpel erscheinen, wird es im Fall der Cola-Brause schon komplizierter. Schenkte man den Probanden da beim Test nämlich die Getränke ohne Wissen um die Marke ein, zogen die den Sprudel aus dem Hause Pepsi vor. Sobald man ihnen allerdings auch die Marke nannte, war prompt Coca-Cola beliebter.

Das Interessante dabei war: Messungen der Gehirnströme bei dem Test zeigten, dass beim ersten Durchgang tatsächlich das Pepsi-Cola den Nucleus Accumbens mehr ansprach. Sobald die Marke allerdings bekannt war, schlug das Belohnungszentrum bei Coca Cola stärker an. Die Probanden haben also nicht gelogen oder bewusst ihre Meinung geändert, sondern von ihrem Hirn unterschiedliche Informationen zum gleichen Produkt bekommen.

Die Aufgabe der Werbung ist es also inzwischen wohl weniger geworden, das eigene Produkt möglichst spektakulär in Szene zu setzen, denn da nehmen sich die großen Anbieter kaum mehr was. Viel wichtiger ist es, das Produkt und die Marke dahinter mit Emotionen und Reizen auszustatten, die beim Konsumenten das Haben-Wollen und Glücksgefühle auslösen. Die Herausforderung lautet: Wie mache ich aus einem Produkt im Dschungel des Marktes und einer Marke unter vielen eine „Lovemark“?

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Florian Becker Prof. Dr. Florian Becker Weiterlesen

Wirtschaftspsychologische Gesellschaft München

Bei aller Euphorie - ein paar Gedanken für die Praxis

In der Psychologie sind die Beobachtungsverfahren neben der Befragung die zweite wesentliche Gruppe an Erhebungsverfahren. Zu den Beobachtungsverfahren gehören auch die physiologischen Messverfahren. Eher unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit werden hier seit langem Verfahren angewandt wie etwa die Pupillometrie, die an der Veränderung des Pupillendurchmessers ansetzt, die elektrodermale Messung, die am Hautleitwiederstand ansetzt, Pulsraten, Atmung, Reaktionszeiten und so weiter. Diese Verfahren wurden und werden auch in der Werbepsychologie sehr erfolgreich eingesetzt und können wertvolle Hinweise auf Aktivierung und Gefallen von Produkten oder Kommunikationsmaßnahmen geben. Mit dem technischen Fortschritt wurden immer neue Verfahren in die angewandte Psychologie integriert, sei es in der Werbepsychologie oder auch in anderen Anwendungsfeldern wie der Nachrichtendienstpsychologie. Zu den neueren Verfahren gehören etwa das EEG oder die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), die häufig im Kontext des Neuro-Marketing erwähnt werden.

Aus wissenschaftlicher Sicht sind diese Verfahren ohne Zweifel eine Bereicherung, denn man kann damit sehr gut Theorien überprüfen. So lässt sich etwa direkt beobachten, ob die theoretische Annahme auch durch die Hirnaktivität gedeckt wird, dass Marken wie Menschen als Person wahrgenommen werden. So weit so gut. Für die Praxis gilt aus meiner Sicht aber etwas ganz anderes. Ein Verfahren muss sich in der Praxis daran messen lassen ob es erstens kostengünstiger, zweitens schneller und drittens zuverlässiger (Reliabilität und Validität) Ergebnisse liefert als andere vorhandene alternative Verfahren. Bei den ersten beiden Punkten ziehen derzeit die Neuro-Verfahren den Kürzeren. Verfahren wie die fMRT sind extrem Ressourcen- und Zeitaufwändig. Die teuren Maschinen werden nie ausgeschaltet und verlangen hochqualifizierte Spezialisten, welche die Unmengen an Daten aufwändig aufbereiten und analysieren. Auch beim Punkt der Zuverlässigkeit muss ich erhebliche Einwände für die Praxis benennen. So ist es wegen des hohen Zeit- und Kostenaufwandes ökonomisch nicht möglich größere Repräsentative Stichproben zu untersuchen. Auch ist die Situation in der Magnetröhre extrem künstlich. Jeder, der alleine einmal die Lärmentwicklung vernommen hat, weiß wovon hier die Rede ist. Das bedeutet zusammengefasst, dass die Ergebnisse schlechterdings oftmals nicht auf reale Situationen und tatsächliche Zielgruppen übertragen werden können. Man bezeichnet das in der Wissenschaft als geringe externe Validität, gerade auf diese kommt es aber an in der Praxis.

Auch den oft gehörten Einwand, mit den Neuro-Verfahren ließen sich praktisch relevante Merkmale messen, die anders nicht zugänglich seien, kann ich so nicht stehen lassen. Er beruht meist auf einem Mangel an Information der Auftraggeber und mitunter auch Dienstleistern die von diesem Informationsmangel leben. So gibt es mittlerweile ausgezeichnete Verfahren, die Emotionen schnell und kostengünstig über Befragungsmethoden wie dem Affective Reaction Profile (ARP) mit Reaktionszeiten erheben - und das wesentlich differenzierter als mit Neuro-Methoden aktuell möglich ist.

Meine persönliche Einschätzung ist daher zu Verfahren wie dem fMRT im Marketing: Ein Segen für die Wissenschaft aber Hände weg in der Praxis! Mit anderen Verfahren bekommen Sie Ergebnisse schneller, kostengünstiger und zuverlässiger. Sicher wird sich das in ferner Zukunft einmal ändern aber bisher habe ich nur Fälle gesehen, die diese Aussage bekräftigen und warte noch auf das Gegenbeispiel.

Besonders anschaulich war mir persönlich eine Untersuchung bei der mit immensem Kostenaufwand verschiedene Designs von Autos mit fMRT untersucht wurden. Gleichzeitig wurden die Probanden klassisch befragt, wie gut ihnen die gezeigten Autos gefallen. In der Tat zeigte sich bei den verschiedenen Designs ein unterschiedlicher Sauerstoffverbrauch in Gehirnregionen, die mit Belohnung in Zusammenhang gebracht werden. Allerdings entsprach die Stärke der Aktivierung nahezu vollkommen den Ergebnissen durch die direkte Befragung. Dies ist für mich ein Paradebeispiel für obige Erfahrung. In der Praxis können derzeit andere Verfahren für einen verschwindenden Bruchteil der Kosten und wesentlich schneller ebenso brauchbare oder überlegene Ergebnisse liefern. Was die Zukunft bringt, wird sich zeigen.