Hugo Ramnek: Die Schneekugel.
Ein Roman in Erzählungen.
Klagenfurt/Celovec: Wieser Verlag, 2020.
Gebunden; 127 Seiten; 21 Euro.
ISBN 978-3-99029-379-9.
Autor
Leseprobe
Ein Ort an der Grenze, zwei Sprachen und eine Familie
Zu Beginn jedes neuen Kapitels heißt es auf einer ungeraden Seite immer: "Er schüttelt die Schneekugel." Jedes Schütteln ergibt eine neue Erzählung und alle zusammen eine einzige, eine über das grenznahe Heimatstädtchen des Autors, Bleiburg/Pliberk, seine Familie und das zweisprachige, deutsch-slowenische Umland. Auch so kann man Kärnten/Koroška erzählen.
Der sechzigjährige Autor und der Rezensent, hier sei die Anmerkung erlaubt, sind zur selben Zeit im zweisprachigen Kärntner Jauntal/Podjuna aufgewachsen, der erste eher ein-, der zweite bewusst zweisprachig. Der Inhalt lässt sich so lesen, als ob der Rezensent das ganze Buch miterlebt oder mitgelebt hätte. Die Déjà -vus reichen bis zu einer Mördersuche zu Beginn der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, die Ramnek beschreibt. Die Kärntner Tageszeitungen waren damals voll mit Sensationsberichten und Schwarz-weiß-Fotos. "Draußen keine Haus- oder Straßenlichter, nur dunkler Wald. In diesem hatte sich einmal ein Mörder wochenlang versteckt gehalten, ein Hiesiger, zurückgeflüchtet aus der Hauptstadt. Dort hatte er eine alte Frau umgebracht. Die Schwammerlbrocker … trauten sich nicht mehr in den Wald, … die Zeitungen berichteten jeden Tag." (S. 102.) Damals wurden die Mörder in den Zeitungen noch beim Namen genannt. (Ich habe ihn heute noch im Kopf.)
Apropos Hauptstadt. Ramnek gebraucht im Buch keine tatsächlichen Flur- oder Ortsnamen, alles wird umschrieben, Bleiburg/Pliberk ist das Städtchen, und es gibt den Slowenenhügel, die Erzstadt und so weiter. Der Geburtsort des Vaters ist die Büchsenmacherstadt und jeder Kärntner weiß, dass es um Ferlach/Borovlje geht. Dennoch könnte diese Geschichte nirgendwo anders spielen als in Unterkärnten. Das Erzählte würde weder in die Obersteiermark noch nach Vorarlberg passen, weil es das Sprachen- und Ortstafelproblem nur auf diesem Territorium gegeben hat. Hugo Ramnek beschreibt mit großer Kenntnis und mit Fingerspitzengefühl, vielleicht auch mit etwas Sentimentalität. Greifbar wird der Ortstafelsturm im Jahr 1972, als manipulierte Horden die wenigen zweisprachigen topographischen Aufschriften ausgerissen haben und Kärnten fast vierzig Jahre warten musste, bis einige wieder aufgestellt wurden.
Der Autor schreibt über den Zwist zu den Gottesdienstsprachen. Den einen waren die Messen zu slowenisch, den anderen viel zu deutsch. Den Ortspfarrer, eigentlich müsste man sagen den Stadtpfarrer, den Ramnek darstellt, hat man "unterlandauf und -ab" gekannt. Es war ein heiligmäßiger Mann, der niemandem schaden und das Erbe des Landes (be)wahren wollte. Er war – bei Gott – nicht der einzige, der wegen seiner Gerechtigkeitsbemühungen auch angegriffen wurde.
Es gelingt Ramnek mit seiner Sprachkompetenz und reduzierten Erzählweise, die Seele Unterkärntens so zu erfassen, dass auch ein Nichtkärntner Leser spüren wird, wie dieses Land geatmet und getickt hat. Der Bogen reicht auf der einen Seite weit zurück und auf der anderen bis in die Gegenwart. Der Kontext des Zweiten Weltkriegs, der Benachteiligung der Kärntner Slowenen, der angedeuteten Geschichten, der verwehten Spuren und der verborgenen Erlebnisse lässt ein Land erahnen, das doch mitten in Europa liegt und sich einer zweisprachigen Gerechtigkeit immer mehr annähert.
Der Verlag hätte das Cover gerade dieses Buchs nicht besser gestalten können. Ein schwarz-weißer Holzschnitt Werner Bergs (1904 – 1981) mit dem Titel "Baumbruch" dominiert. Hugo Ramnek hat die Brüche im Unterland parallel verschoben zu den markanten Werken des Malers abgebildet, wobei man wissen muss, dass Meister Berg als "der" Chronist und Dokumentarist des zweisprachigen Kärnten gilt, obwohl er erst im Jahr 1931 als Wuppertaler mit seiner Wiener Ehefrau nach Kärnten gezogen ist.
Hugo Ramnek ist, obwohl er schon seit vielen Jahren in der Schweiz lebt und arbeitet, ein interessanter Berichterstatter und wissender Zeitzeuge seiner Urheimat geblieben. Gerade auch mit der "Schneekugel", die als Rahmen der Erzählungen ein Geistesblitz ist.
Janko Ferk
6. Juni 2020
Originalbeitrag.
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