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Christina Maria Landerl: Alles von mir.

Roman.
Salzburg: Müry Salzmann Verlag, 2020.
128 S.; geb.; 19 Euro.
ISBN 978-3-99014-206-6.

Autorin

Leseprobe

Ist das nun alles erfunden? Oder nicht? Und die nächste Frage lautet: Liest man hier keinen Roman, sondern einen fiktiven Film?
Denn das erste, was man in dem schmalen Prosaband Christina Maria Landerls liest, ist ein Zitat aus Peter Handkes "Der kurze Brief zum langen Abschied", in dem fragend nachgehakt wird, ob denn auch alles wahr sei: "'Ja', sagte Judith, 'das ist alles passiert.'" Passiert in einem Roman wohlgemerkt. Und als zweites, wie ein Motto kursiv vorangesetzt, sind zwei Zeilen aus einem Lied der Bluessängerin Ida Cox angeführt: "Wild women don't worry / Wild women don't have no blues". Wilde Frauen machen sich keine Gedanken, wilde Frauen haben den Blues, will heißen: Sie kennen keine niederziehende Melancholie.
Was dann kommt bei Landerl, ist weder das eine noch das andere. Sondern alles von mir beziehungsweise einiges von ihr, der Protagonistin, die abwechselnd aus der Ich-Perspektive erzählt und dann wiederum ganz von außen, in der dritten Person Singular durch den trip dirigiert wird.
Denn ein trip, eine Reise, ist dieses Buch auch, ein roadmovie. Es beginnt in Memphis, Tennessee. Geht via Highway 61 weiter nach Mississippi, erst nach Tunisia, dann nach Jackson, nach Natchez, weiter ins nördliche Louisiana, via Baton Rouge nach New Orleans. Von dort nach Westen, in den Bundesstaat Mississippi zurück, Biloxi, Pascagoula, bis nach Mobile, Alabama. Dann nach Norden, Monroeville, westlich nach Selma, nördlich nach Birmingham, kurz durch Georgia bis nach Chattanooga in Tennessee, und nach Nashville. Das Buch endet 56 Meilen nach Memphis auf der Interstate 40. "Das Auto fährt weiter. Die Musik wird lauter." Abblende.

Immer wieder setzen die kurzen Textabschnitte ein wie ein Drehbuch, mit Aufblenden, Licht und Kamera-Einstellungen. Die Frau ist unterwegs, die Fahrt entspringt keinem rechten Plan. Zufällig fällt ihr gleich zu Anfang in einer Bar die Autobiografie der Jazz-Sängerin Billie Holiday in die Hände, sie fängt an zu lesen, ab dann ist Musik – der Jazz, der Blues, von Holiday und Bessie Smith, dann auch die Lieder Patsy Clines – eine Art Palimpsest, eine eingezogene tiefere Schicht der Reise. Zufällig gabelt sie eine junge Schwedin mit Gitarrenkoffer auf, die nach Nashville, Tennessee, will, um dort als Country-Sängerin zu reüssieren. Gemeinsam gondeln sie in ihrem kleinen grauen Mietwagen über Interstates, machen Halt in sich erstaunlich ähnelnden billigen Hotels und Motels, besuchen einige Musik-Gedenkstätten, sehen die Landschaft, mal trostlos, mal grün, mal ausgedörrt, mal blühend, nehmen Rassismus wahr, den historischen der 30er, 40er, 50er, 60er, den noch immer gegenwärtigen. Immer wieder gleiten die Gedanken der in Berlin lebenden, aus Österreich stammenden Frau an Hand von Songzeilen und Leseimpressionen zurück in die eigene Gefühlsvergangenheit, zu früheren Beziehungen, alten Gefühlen, emotionaler Einsamkeit, Abbrüchen und Herzzugsmanövern.
Mit leichter Hand und ebenso leicht austarierter Sprache erzählt Landerl diese Tour, an deren Ende keine existenzielle Basis-Erkenntnis, nichts Umwälzendes steht. Die Zeit ist einfach so vergangen, die Gespräche mit Karin, der Schwedin, waren und blieben oberflächlich, kein lebensumstürzender Entschluss steht am Ende. The music goes on. "Das Auto fährt weiter. Die Musik wird lauter."
Man kann an einer Stelle einsteigen, an anderer Stelle aussteigen aus dieser schlackenlosen Prosa. Diesen Song anspielen, dann einen anderen, auf Spotify findet sich die Playlist. Die Stimmung bleibt die gleiche: eine von ganz durchschnittlicher Normalität, kein Exzess, kein Überschwang, alles eher Mittelklasse.

Vor zwei Jahren schrieb die Deutsche Felicitas Hoppe mit "Prawda" Ähnliches, das gleichzeitig ganz anders war. Sie nahm die Reportageserie der anno 1935 die USA bereisenden sowjetrussischen Satiriker Ilja Ilf und Jewgeni Petrow als Trampolin, 2013 auf Deutsch als "Das eingeschossige Amerika" erschienen. Dieses Vorlagenbuch nutzte sie zu Aus- und Hochflügen der Phantasie, zu einem serpentinenartigen Spiel mit Illusion und Wirklichkeit. Hoppes "Prawda" ist ein Buch jenseits aller Genres, das ins Herz der Literatur führt, zur Frage nach Abbildbarkeit, Lüge, Erfindung und Wahrheit, nach Traum und Fantasie.
Und da wäre man dann genau bei der raffinierten, schlicht daherkommenden und gar nicht unkomplizierten Artistik von Landerls "Roman", der ebenso wenig Roman ist wie Film oder Reisebericht. Und beim wortwörtlich ausgesuchten Leitmotto aus Handkes Amerikafahrt-Buch, das genau so viel und genau so wenig Selbstreflexion war wie eine Suche nach dem mythischen Westen eines John Ford, den er zwar am Ende persönlich traf, der aber legendär wortkarg war und blieb; so wie Hoppe mehr als 40 Jahre später den Filmregisseur Quentin Tarantino traf, um mit ihm über vieles zu reden, nur über eines nicht – über Filme.

Typografisch wurde seitens des Verlags feinadäquat mitgedacht, indem man schlüssige Gestaltungselemente einführte, etwa die originell gedrehten Orts- und Lokalangaben und farblich schattierte Fußnoten mit Verweisen auf unterschiedliche Songs. Nur den guten alten Einzug, die Einrückung eines jeden neuen Absatzes um eine Leerstelle, hätte man nicht entfallen lassen sollen. Das sieht in jedem Buch auf nachlässige Weise vorläufig aus. Und nachlässig ist in diesem auf den zweiten, auf den dritten Blick immer kunstvoller komponierten Band nichts, weder die Reise- noch die Schreibbewegung, erst recht nicht die Musik, höchstens der graue Lack des Autos. Aber das Auto fährt ja weiter. Und die Musik wird lauter.

Alexander Kluy
19.08.2020

Originalbeitrag
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

 

 

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