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Leseprobe 2
Elias arbeitete bereits seit einiger Zeit in der Forschungsstation, die man nach der Hochebene benannt hatte. Die Forscher, Wissenschaftler und Professoren, für deren Gesundheit er verantwortlich war, schienen Einzelgänger zu sein wie er. Kontakte zu knüpfen gestaltete sich schwierig, bis auf einige Ausnahmen.
Gelangweilt blickte er sich in dem Raum um, der wie eine normale Arztpraxis eingerichtet war. Elias ließ nie viel Persönliches in solche Räumlichkeiten mit einfließen. Nur ein von ihm fotografiertes Naturbild Schwedens hing an der Wand, ein Foto seines verstorbenen Hundes stand auf dem Schreibtisch. Medizinische Fachbücher reihten sich in einem Regal aneinander. Seine Arztutensilien hatte er in Schränken aus hellem Holz verstaut, die eine Wand säumten. Der sterile OP-Raum war verschlossen. Nur die Badezimmertür der Praxis stand offen und gab einen Blick auf kalkweiße Fliesen frei.
Elias trommelte mit den Fingern auf seinem Schreibtisch. Niemand in der kleinen Forschungsstation war erkrankt, nicht einmal die kleinste Verletzung hatte sich jemand zugezogen. Nicht, dass er das jemandem wünschen würde, doch er hasste es, untätig zu sein. Seufzend fuhr er sich durch das wellige Haar und raffte sich auf, um eine Tasse Kaffee zu holen.
Das Neonlicht über ihm flackerte leicht. Elias blickte auf. Die Lichtröhren surrten noch einmal und erloschen.
Genervt stöhnte Elias auf und fragte sich, was Fredrik und Dr. Andersson in ihrem Labor veranstalteten, dass sie ständig den Strom kappten.
Ich sollte Kerzen aufstellen, grummelte er leise.
Draußen vor der Praxis konnte er Stimmen vernehmen, jemand lachte, anschließend schaltete sich das Licht wieder an.
Gedankenverloren rieb sich Elias über das Gesicht, als Geräusche vom Außengelände seine Aufmerksamkeit erregten. Er wandte sich verwundert um. Die Kaffeetasse noch in der Hand, ging er zum Fenster. Menschen strömten aus dem Gebäude. Elias erkannte von seiner Position aus nicht viel, beobachtete trotzdem eine Weile das Treiben auf dem Vorhof. Er lehnte am Fensterbrett und hielt das warme Gefäß in seinen Händen fest umschlossen, als würde die Wärme der Tasse auch sein Inneres berühren können. Die Strahlen der Morgensonne tauchten die mit spätem Frost überzogene Ebene in warmes Licht und das Bergplateau erschien wie ein flammendes Inferno. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Dies war ein besonderer Anblick, der das Gefühl purer Hoffnung in sich trug.
Als Elias nach einer halben Stunde immer noch wie vergessen in seiner Praxis saß, kramte er sein iPhone aus der Tasche, loggte sich in das Internet ein und surfte eine Weile. Er hatte Inga, die neben anderem auch Administrator des Computernetzes war, mit Pralinen bestochen, um an das Passwort zu kommen, denn es war eigentlich nicht erlaubt, sich während der Arbeitszeit privat in das Firmennetz einzuloggen.
Schritte näherten sich und Elias schreckte auf. Er ließ das iPhone rasch in die Tasche zurückgleiten, holte eine Akte aus der Schublade und tat so, als wäre er mit Wichtigem beschäftigt.
Ein älterer Mann trat ohne anzuklopfen ein. Elias sah auf. Obwohl ihm fast alle Mitarbeiter aus der kleinen Station inzwischen geläufig waren, kannte er ihn nicht.
Dr. Nilsson? Wir haben einen Notfall! Der Mann wirkte aufgewühlt und hektisch.
Elias sprang auf, nahm rasch seine Notfalltasche an sich und folgte dem Mann, der ihn eilig durch mehrere Sicherheitstüren in einen ihm fremden Bereich führte. Überall hörte er verstohlenes Gemurmel.
Sie blieben vor einer verglasten Doppeltür stehen und der Mann reichte Elias an einen Trupp, von denen einige, ähnlich wie er, in Kittel gekleidet waren, wie sie die Physiker und Chemiker der Station in ihren Laboren trugen. Die anderen schienen vom Sicherheitsdienst zu sein.
Einer der Wissenschaftler wandte sich an Elias und winkte ihn zu sich. Es war Professor Grant. Gut, dass Sie da sind, Dr. Nilsson. Wir fanden jemanden draußen auf der Hochebene.
Elias zog eine Augenbraue hoch. Und wo ist er?
Dr. Grant zog ihn am Arm näher zu sich heran. Ich muss Ihnen sagen, dass der verletzte Mann anders ist. Ich hoffe, Sie wissen, dass Sie hier zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet sind?
Elias befreite sich aus dem groben Griff. Ich versichere Ihnen, dass ich mir dessen durchaus bewusst bin!
Der Professor warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Dann kommen Sie, sonst verblutet er uns.
Rasch folgte Elias ihm durch einen Flur. Der Wissenschaftler öffnete eine Sicherheitstür und wies auf eine Krankentrage.
Elias betrachtete verblüfft den regungslosen Fremden, der darauf lag.
Er war mit einem leichten Laken zugedeckt. Sein Haar reichte von der Liege bis zum Boden, wo sich die Spitzen der hellen Strähnen mit seinem Blut tränkten, das sich am Boden in Pfützen sammelte. Das silberweiße Haar schimmerte bläulich in dem Neonlicht und seine Haut sah aus, als hätte sie die Sonne nie gesehen. Elias registrierte, dass seine Ohrmuschel anders geformt war als bei einem normalen Menschen sie lief oben wesentlich spitzer zu. Blut drang durch die dünne Decke und der Verletzte bewegte sich nicht.
Zu viel Blut!, schoss es ihm durch den Kopf.
Treten Sie zurück! So kann ich nicht arbeiten, sie stehen mir im Weg!, herrschte er die Wissenschaftler an, während er seine Notfalltasche aufriss und Handschuhe überstreifte.
Die Männer traten widerwillig einen Schritt zurück.
Elias sog zischend den Atem ein, als er die große Wunde an der Brust und die offene Fraktur am Bein freilegte. Scheiße, wie ist denn das passiert?, murmelte er.
Niemand antwortete, es herrschte bedrücktes Schweigen.
Sofort griff Elias nach einer Gefäßklemme und setzte sie zielgenau auf die gerissene Ader. Eilig legte er das Stethoskop um und horchte ihn auf Lungenschäden ab. Die Brustkorbverletzung würde er nicht hier behandeln können, aber wenigstens schien sich keine Rippe in die Lunge gebohrt zu haben.
Elias wandte sich dem gebrochenen Bein zu. Der Schienbeinknochen war durch die Haut getreten.
Hochkonzentriert und sicher arbeitete Elias, als er die Fraktur mit einer Notfallschiene stabilisierte. Dann stand er auf und machte Anstalten, die Krankentrage fortzuschieben.
Dr. Grant hielt ihn auf. Er geht nirgendwohin! Behandeln Sie ihn hier.
Elias wurde ungehalten. Ich muss das operieren! Wo soll ich denn mit dem Knochen hin? Ihn mal eben wie im Film wieder ins Bein stecken?! Lassen Sie mich vorbei!
Empört schob er den Professor mit der fahrbaren Trage einfach beiseite.
Eilig hastete er mit dem Verwundeten durch die kahlen Flure, in denen sich nicht einmal Fenster befanden. Elias hatte sich den Weg zurück zu seiner Praxis gut eingeprägt. Er war heilfroh, dass der Verletzte bewusstlos war und von dem Transport nichts mitbekam.
Als er mit der Trage die Tür zu seinem Praxisraum aufstieß, schaltete sich erneut das Licht aus und Elias stand im Dunkeln.
Doch nicht jetzt! Verdammt, Fredrik!, rief er in eines der Labore.
Hinter ihm wurden Schritte laut und Grant, der ihm gefolgt war, stolperte gegen ihn.
Wieso ist das Licht aus?, grollte Grant.
Das fragen Sie mich?!, antwortete Elias barsch, während er den OP-Raum aufschloss und den verletzten Fremden mit der Trage hineinschob.
Fredrik!, schrie er noch einmal.
Das Licht ging flackernd an und Fredrik Ingarsen kam in Eliasʼ Praxis. War nur die Sicherung. Kein Grund so zu schrei
Fredrik verstummte, als er das Blut sah. Er drängte den Professor zur Seite und folgte Elias wortlos in den OP-Raum.
Eilig schaltete Elias das tragbare Röntgengerät ein. Der geheimnisvolle Fremde stöhnte leise auf, als sein Bein berührt wurde.
Elias hielt inne. Er konnte unmöglich riskieren, dass der Silberhaarige aufwachte, während er ihn behandelte. Aber vertrug dieses Wesen Betäubungsmittel? Kurz rang er mit sich, dann entschied er sich für ein gut verträgliches Inhalationsnarkotikum.

Später stand Elias nachdenklich bei seinem frisch operierten Patienten. Wenigstens hatte er die Narkose und die Not-OP überlebt, jetzt schien er zu schlafen, aber er konnte genauso gut bewusstlos sein, Elias war sich einfach nicht sicher.
Was ist er?, fragte er leise Dr. Grant, der neben ihm stand. Ist
ist er ein Außerirdischer, oder so?
Wir wissen es nicht. Er lag auf der Ebene, als wäre er von etwas heruntergestürzt. Aber da war nichts. Auch keine Blutspur, von der man annehmen könnte, man hätte ihn dorthin geschleift.
Er ist aus dem Himmel gefallen?
So sieht es zumindest aus.
Ähm
kein Raumschiff? Elias liebte Science-Fiction-Filme. War er mitten in einem solchen gelandet?
Unwirsch schob Dr. Grant seine Brille nach oben. Jetzt werden Sie nicht albern!
Elias überging sein unfreundliches Verhalten. Hatte er nichts an, als Sie ihn gefunden haben?
Nein, hatte er nicht.
Haben Sie schon eine Theorie, was er sein könnte? Ich meine, er sieht sehr menschenähnlich aus, erinnert mich aber eher an eine Sagengestalt.
Sie lesen zu viele Schundromane, Dr. Nilsson.
Elias lachte leise. Ja, vielleicht. Also keine Theorie?
Der Professor starrte ihn gereizt an. Bisher keine, nein. Schnallen Sie ihn fest und beobachten Sie ihn.
Festschnallen?!
Wollen Sie riskieren, dass er uns angreift, wenn er aufwacht?
In dem Zustand? Elias hob die Augenbrauen.
Kennen Sie sich mit derartigen Wesen aus?, erwiderte Grant mit stechendem Blick.
Elias schnaubte mürrisch. Nein, eher nicht.
Schnallen Sie ihn fest, beharrte der Professor und fuhr sich durch das ergraute kurze Haar.
An dem Bett befinden sich keine Riemen. Wir sind hier nicht in der Psychiatrie, wo man die Patienten ruhigstellt.
Dann lassen Sie sich etwas einfallen, befahl Grant schroff.
Elias betrachtete den Verwundeten. Er bekam nur vage mit, wie der Professor den Raum verließ.
Als ob du in dem Zustand irgendjemandem etwas antun könntest, sagte Elias leise.
Er sträubte sich dagegen, das Wesen zu fesseln. Außerdem besaß er keine Riemen oder etwas Ähnliches, also überging er Dr. Grants Befehl. Er schaltete die Beleuchtung der Neonröhren aus und begnügte sich mit dem trüben Tageslicht, das durch die Fenster fiel. In dem dämmrigen Zimmer konnte er nun sehen, dass Haare und Haut des Fremden sanft leuchteten. Verwundert nahm er eine der langen Haarsträhnen, ließ sie durch seine Finger gleiten. Sie fühlten sich an wie Seide.
Elias setzte sich neben seinen seltsamen Patienten und wachte über ihn.
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