Thomas Bernhard: Holzfällen. Eine Erregung (Roman) |
Thomas Bernhard: Holzfällen. Eine Erregung |
Inhaltsangabe: Einen Fogosch um dreiviertelein Uhr nachts wegen eines Burgschauspielers, in dessen Barthaaren sich jetzt, da er seine Kartoffelsuppe mit der größten Geschwindigkeit, also wie ausgehungert, halb ausgelöffelt hatte, diese Kartoffelsuppe verfangen hatte. Der Ekdal, sagte er und löffelte die Suppe, der Ekdal ist schon jahrzehntelang meine Wunschrolle gewesen, und er sagte, wieder Suppe löffelnd, und zwar alle zwei Wörter einen Löffel Suppe nehmend, also er sagte der Ekdal und löffelte Suppe und sagte war schon und löffelte Suppe und immer meine und löffelte Suppe und sagte Lieblingsrolle gewesen und löffelte Suppe und er hatte auch noch zwischen zwei Suppenlöffeln seit Jahr- und dann wieder nach zwei Suppenlöffeln zehnten gesagt und das Wort Wunschrolle genauso, als redete er von einer Mehlspeise, denke ich. Mehrere Male sagte er der Ekdal ist meine Lieblingsrolle, und ich fragte mich sofort, ob er auch dann immer wieder von dem Ekdal als seiner Lieblingsrolle gesprochen hätte, wenn er keinerlei Erfolg mit seinem Ekdal gehabt hätte. Hat ein Schauspieler in einer Rolle Erfolg, sagt er, es sei seine Lieblingsrolle, hat er mit seiner Rolle keinen Erfolg, sagt er nicht, dass es seine Lieblingsrolle ist, dachte ich. Immer wieder löffelte der Burgschauspieler die Kartoffelsuppe und sagte, der Ekdal sei seine Lieblingsrolle.
Nur die Schriftstellerin Jeannie Billroth versucht den Burgschauspieler anzugreifen. Der reagiert mit den Worten: "Sie gehören zu diesen Leuten, die nichts wissen und die nichts wert sind und deshalb alles andere hassen, so einfach ist das, Sie hassen alles, weil Sie sich selbst hassen in Ihrer Erbärmlichkeit."
... aber ich hielt mir doch jetzt vor, der Auersberger einen Kuss auf die Stirn gegeben zu haben, nach zwanzig Jahren, vielleicht sogar nach zwei- oder dreiundzwanzig Jahren, in welchen ich sie nichts weniger als gehasst habe, mit dem gleichen Hass, mit dem ich in diesen Jahren auch ihren Mann gehasst habe und dass ich ihr auch noch vorgelogen habe, ihr sogenanntes künstlerisches Abendessen sei mir ein Vergnügen gewesen, wo es mir doch nichts weniger als abstoßend gewesen war. Um uns aus einer Notsituation zu erretten, denke ich, sind wir selbst genauso verlogen wie die, denen wir diese Verlogenheit andauernd vorwerfen und derentwegen wir alle diese Leute fortwährend in den Schmutz ziehen und verachten, das ist die Wahrheit; wir sind überhaupt um nichts besser, als diese Leute, die wir andauernd nur als unerträgliche und widerliche Leute empfinden, als abstoßende Menschen, mit welchen wir möglichst wenig zu tun haben wollen, während wir doch, wenn wir ehrlich sind, andauernd mit ihnen zu tun haben und genauso sind wie sie. Wir werfen allen diesen Leuten alles mögliche Unerträgliche und Widerwärtige vor und sind selbst um nichts weniger unerträglich und widerwärtig und sind vielleicht noch viel unerträglicher und widerwärtiger als sie, denke ich. Ich habe zur Auersberger gesagt, dass ich froh bin darüber, die Verbindung zu ihnen, den Eheleuten Auersberger, wieder aufgenommen zu haben, nach zwanzig Jahren wieder bei ihnen in der Gentzgasse gewesen zu sein und ich hatte, während ich das zu ihr gesagt habe, gedacht, was für ein gemeiner, verlogener Mensch ich bin, der tatsächlich vor nichts, aber auch schon vor gar nichts, nicht vor der gemeinsten Lüge, zurückschreckt. Dass mir der Burgschauspieler gefallen habe, dass mir die Anna Schreker gefallen habe, selbst dass mir die beiden jungen Schriftsteller und die zwei Ingenieursanwärter gefallen hätten, sagte ich zur Auersberger im Vorhaus oben stehend, während die anderen Gäste die Treppe hinunter gingen, ich sie also als abstoßend empfunden habe, während sie die Treppe hinunter gingen, während ich gleichzeitig zur Auersberger gesagt habe, sie hätten mir alle sehr gut gefallen. Dass ich zu einer solchen ganz gemeinen Verlogenheit fähig bin, dachte ich, während ich noch mit der Auersberger gesprochen habe, dazu fähig bin, ihr ganz offen ins Gesicht zu lügen, dass ich imstande bin, ihr genau das Gegenteil von dem, das ich gerade empfand, nur weil es mir den Augenblick erträglicher machte, ins Gesicht zu sagen und ich hatte ihr auch noch ins Gesicht gesagt, dass es mir Leid täte, dass ich an diesem Abend ihre Stimme nicht gehört habe, keine ihrer immer so schön, ja so vorzüglich, ja so einzigartig gesungenen Purcellarien und dass es mir überhaupt alles in allem Leid täte, dass ich zwanzig Jahre lang den Kontakt zu ihr und zu ihrem Mann, dem Auersberger, unterbrochen habe, was wieder nichts als nur gelogen und tatsächlich eine meiner gemeinsten und niederträchtigsten Lügen gewesen war. Dass ich es als besonders bedauerlich empfände, dass die Joana an diesem Abend nicht anwesend sein konnte, hatte ich auch noch gesagt und dass es wahrscheinlich ganz im Sinne der Joana sei, dass wir, also ich und die Auersberger, jetzt, da ich aus London mehr oder weniger, auf lange, wenn nicht endgültig zurück sei, wieder Kontakt haben und in Zukunft wahrscheinlich wieder einen solchen Kontakt pflegen werden, log ich der Auersberger direkt ins Gesicht, während die anderen gerade das Haus verließen, wie ich von oben, mit der Auersberger im Vorhaus stehend, hören konnte. |
Buchbesprechung: |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002 Textauszüge: © Suhrkamp Verlag Seitenanfang |
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