Friedrich Dürrenmatt: Grieche sucht Griechin. Eine Prosakomödie |
Friedrich Dürrenmatt: Grieche sucht Griechin |
Inhaltsangabe:Es regnete stundenlang, nächtelang, tagelang, wochenlang. Die Straßen, die Avenuen, die Boulevards glänzten vor Nässe, den Gehsteigen entlang flossen Rinnsale, Bäche, kleinere Flüsse, die Automobile schwammen herum, die Menschen gingen unter Schirmen, waren in Mäntel gehüllt, liefen mit nassen Schuhen und immer feuchten Strümpfen, die Riesen, Putten und Aphroditen, die teils die Balkone der Palais und Hotels trugen, teils sonst an den Fassaden klebten, troffen, tropften, waren übergossen von Wasserfäden, von Vogelmist, der sich auflöste, und unter dem griechischen Giebel des Parlaments suchten zwischen den Beinen und Brüsten der patriotischen Reliefs die Tauben Schutz. Es war ein peinlicher Januar. Dann kam der Nebel, auch er tagelang, wochenlang, eine Grippeepidemie, nicht gerade gefährlich für anständige, sozial gesicherte Leute, zwar einige alte Erbonkel und Erbtanten dahinraffend, einige ehrwürdige Staatsmänner, doch sonst nur massenhaft die Vagabunden unter den Brücken am Strom. Dazwischen wieder Regen. Immer wieder. (Seite 5)
So beginnt die Prosakomödie "Grieche sucht Griechin" von Friedrich Dürrenmatt. Bibi kam mit Weib, zwei Mätressen und den sieben Kinderchen, von denen die ältesten, Theophil und Gottlieb, beinahe erwachsen waren. Magda-Maria, dreizehn Jahre, brachte einen Verehrer mit. Bibi erwies sich als ein gottvergessener Säufer, die Frau war vom "Onkel" begleitet, wie man ihn nannte, einem ausgedienten Kapitän, und nicht umzubringen. Es war ein Mordsspektakel, der selbst den Radsportfreunden zu viel wurde. Theophil prahlte von seinem Zuchthausaufenthalt, Gottlieb von einem Bankeinbruch, Matthäus und Sebastian, zwölf und neun Jahre, stachen mit Messern, und die beiden Jüngsten, Zwillinge, sechsjährig, Jean-Christoph und Jean-Daniel, rauften sich um eine Absinthflasche. (Seite 14) Georgette ist entrüstet, dass Arnolph Archilochos sich so ausnützen lässt und meint, er müsse endlich eine Frau haben. Kurzerhand überredet sie ihn zu einer Heiratsanzeige im "Le Soir". "Grieche sucht Griechin!", heißt es da. Tatsächlich meldet sich eine Dame, mit der Arnolph Archilochos sich für den nächsten Sonntag in einem Stammlokal verabredet. Sie heißt Chloé Saloniki, ist knapp über dreißig und märchenhaft schön. Arnolph Archilochos weiß vor Verlegenheit und aus Mangel an Erfahrung überhaupt nicht, wie er sich ihr gegenüber benehmen soll, aber sie überspielt seine Unsicherheit und setzt sich unaufgefordert zu ihm an den Tisch. Nachdem er sich einigermaßen gefasst hat, geht er mit ihr in das alkoholfreie Restaurant gegenüber dem Weltgesundheitsamt. Unterwegs wundert er sich, weil ihn plötzlich alle grüßen, die ihnen begegenen, und zwar nicht nur gewöhnliche Herren, sondern auch der Staatspräsident, Bischof Moser, der Industrielle Petit-Paysan, Botschafter Bob Forster-Monroe, Rechtsanwalt Maître Dutour und Rektor Hercule Wagner. Verwirrt setzt er sich mit seiner hübschen Begleiterin unter das vermoderte Standbild von Daphnis und Chloé im Stadtpark. Es ist Liebe auf den ersten Blick; sie beschließen zu heiraten und die Flitterwochen in Griechenland zu verbringen: Grieche und Griechin. Chloé erzählt ihm, ihre Eltern seien aus Kreta eingewandert und in einem bitterkalten Winter erfroren. Das Archäologen-Ehepaar Gilbert und Elizabeth Weeman habe sie aus dem Elendsviertel geholt, bei sich aufgenommen und in die Schule geschickt. Inzwischen mache sie sich als Dienstmädchen für ihre Wohltäter nützlich. Als Arnolph Archilochos sie nach Hause bringt, küsst sie ihn zum Abschied vor dem Gartentor des Rokokoschlösschens, in dem sie wohnt. Beglückt geht Arnolph Archilochos zurück in seine Mansarde. An Schlaf war nicht zu denken. Er war glücklich ins Bett gestiegen, nun kamen die Sorgen. Es war ihm unmöglich, mit Chloé in dieser Mansarde zu hausen, einen Haushalt zu gründen, die drei oder vier Kinderchen unterzubringen, die er auf dem Heimweg geplant hatte. Er musste eine neue Wohnung finden. Dazu besaß er kein Geld, kein Vermögen. Er hatte alles an Bruder Bibi verschenkt. (Seite 35)
Am nächsten Morgen wird UB122GZ31 – so heißt Arnolph Archilochos in der Petit-Paysan Maschinenfabrik AG – per Lautsprecher zu Buchhalter B121GZ gerufen. Er befürchtet seine Entlassung, aber B121GZ empfängt ihn überaus freundlich, behauptet, ihn kürzlich für den Posten eines Vizebuchhalters vorgeschlagen zu haben und beteuert, das habe nichts damit zu tun, dass Oberbuchhalter OB9GZ Arnolph Archilochos sprechen wolle. OB9GZ schwärmt von der Arbeit des Unterbuchhalters, hat jedoch offensichtlich keine Ahnung, womit dieser beschäftigt ist. Er verrät Arnolph Archilochos, dass er ihn gerade als Vizedirektor vorgeschlagen habe, just in dem Augenblick, als Monsieur Petit-Paysan persönlich nach Arnolph Archilochos fragte. OB9GZ begleitet den Unterbuchhalter ins obere Stockwerk des Verwaltungsgebäudes und zieht sich dann respektvoll zurück. Mit einer Dünndruckausgabe der Gedichte Hölderlins in der linken Hand und dem Zeigefinger der rechten zwischen den Seiten taucht Petit-Paysan auf. Eigentlich hatte er vor, Arnolph Archilochos zum Direktor des Bereichs Atomkanonen zu ernennen, denn er hält ihn für einen Mitarbeiter dieses Geschäftszweiges, aber als er von seinem Untergebenen erstmals erfährt, dass in seinem Betrieb auch Geburtszangen hergestellt werden, macht Petit-Paysan den erstaunten Unterbuchhalter kurzerhand zum Generaldirektor für die Atomkanonen- und Geburtszangen-Produktion. Petit-Paysan glaubt, das passe gut zusammen, denn mit den einen Geräten werden die Menschen aus der Welt geschafft und mit den anderen hineingebracht. Die außergewöhnliche Beförderung des Unterbuchhalters, erklärt Petit-Paysan, sei eine "Tat des schöpferischen Sozialismus". Die beiden bisherigen Direktoren Zeus und Jehudi braucht Petit-Paysan gar nicht erst zu entlassen, denn auf die Neuigkeit hin erleiden sie beide einen Nervenzusammenbruch und werden ins Krankenhaus eingeliefert. Die Haustür war offen. Zigarren- und Pfeifenrauch qualmte in dicken gelben Schwaden, Bruder Bibi mit seinen Kinderchen hatte nun vom ganzen Haus Besitz ergriffen. Überall saßen und lagen Mitglieder der Bande betrunken und lallend herum, auf den Sofas, unter den Tischen, eingewickelt in die heruntergerissenen Vorhänge, die Vaganten, Zuhälter und Strichjungen der Stadt schienen versammelt, in den Betten kreischten Weiber, entblößte Busen schimmerten, Galgenvögel saßen in der Küche und fraßen, schmatzten, soffen die Vorratskammern und den Keller leer, Matthäus und Sebastian spielten mit zwei Holzbeinen im Esszimmer Hockey, im Korridor übte der Onkel Kapitän Messerwerfen mit der lieben Mama, während Jean-Christoph und Jean-Daniel mit seinem Glasauge Murmeln spielten und Theophil und Gottlieb, Dirnen auf dem Schoß, die Treppengeländer hinunter rutschten; Arnolph rannte, von böser Ahnung gepeinigt, ins obere Stockwerk, am Galeriebesitzer Nadelör vorbei, der immer noch fiebernd in seinem Bett lag, durch das Boudoir, wo aus dem Badezimmer Männergesang und Wasserplantschen zu vernehmen war und die schrille Stimme Magda-Marias, und als er ins Schlafzimmer stürzte, lag im Bett Bruder Bibi mit einer Mätresse (unbekleidet); Chloé war nirgends, wo er auch gesucht, geforscht, gestöbert hatte. (Seite 139f)
Während Arnolph Archilochos seinem Bruder das letzte Geld gab, als er selbst kaum etwas besaß, wird er jetzt zorning und wirft das Gesindel hinaus. Es folgt das Ende für Leihbibliotheken. (Seite 142)
Nachdem er in der Stadt überall vergeblich nach Chloé gesucht hat, reist Arnolph Archilochos auf der "Julia" nach Griechenland und gräbt auf dem Peloponnes nach Altertümern. Dabei stößt er auf etwas, was er zunächst für eine Statue der Liebesgöttin hält. Aber es ist Chloé, die ihm nachgereist war und sich im lockeren Sand eingrub. |
Buchbesprechung:
Mit "Grieche sucht Griechin" beweist Friedrich Dürrenmatt, dass er auch unernst schreiben kann. Sein Sarkasmus ist zwar auch hier zu spüren, aber die "Prosakomödie" – so der Untertitel – ist vor allem vergnüglich, nicht nur aufgrund der märchenhaften und zugleich satirischen Handlung, sondern auch, weil Friedrich Dürrenmatt dafür eine ganz besondere pseudonaive Sprache gefunden hat (vergleiche die Textbeispiele). Originaltitel: Grieche sucht Griechin – Regie: Rolf Thiele – Drehbuch: Rolf Olsen, Franz Seitz alias Georg Laforet, nach der Prosakomödie "Grieche sucht Griechin" von Friedrich Dürrenmatt – Kamera: Wolf Wirth – Schnitt: Inge Taschner – Musik: Rolf Wilhelm – Darsteller: Heinz Rühmann, Irina Demick, Charles Régnier, Hannes Messemer, Hanne Wieder, Walter Rilla, Franz Kutschera, Rudolf Rhomberg u.a. – 1966; 90 Minuten |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Friedrich Dürrenmatt (Kurzbiografie) |