Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker (Roman) |
Kritik: Mit kurzen, sachlich-trockenen Sätzen und lapidaren Dialogen führt Friedrich Dürrenmatt seine Leser mehrmals in die Irre und erzählt eine originelle, raffinierte und spannende Kriminalgeschichte ohne simple Schwarz-Weiß-Muster, in der er bewusst gegen die Regeln des Genres verstößt. ![]() |
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Friedrich Dürrenmatt: |
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Inhalt: Da auf der ersten Seite ein Mordopfer entdeckt wird, glaubt der Leser, dass es in "Der Richter und sein Henker" um die Aufklärung der Tat und die Überführung des Verbrechers geht. Aber Kriminalkommissar Bärlach, der die Ermittlungen leitet, weiß von Anfang an, wer der Mörder ist und verfolgt ein ganz anderes Ziel ... ![]() |
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Inhaltsangabe:
Dem Schweizer Dorfpolizist Alphons Clenin fällt am 3. November 1948 außerhalb von Twann ein am Straßenrand stehender blauer Mercedes auf, dessen Fahrer über dem Lenkrad eingeschlafen zu sein scheint. Als Clenin den Mann aufwecken will, stellt er fest, dass er erschossen wurde. Es handelt sich um Ulrich Schmied, einen Polizeileutnant der Stadt Bern; das geht aus den Ausweispapieren in seiner Brieftasche hervor. "Man erschießt nun einmal keinen Hund, wenn Bach gespielt wird." (Seite 53)
Am nächsten Morgen sucht er seinen Parteifreund Dr. Lutz auf und beschwert sich darüber, dass man Ulrich Schmied auf seinen Mandanten Gastmann angesetzt habe. Davon weiß der Untersuchungsrichter gar nichts.
"Deine These war, dass die menschliche Unvollkommenheit, die Tatsache, dass wir die Handlungsweise anderer nie mit Sicherheit vorauszusagen, und dass wir ferner den Zufall, der in alles hineinspielt, nicht in unsere Überlegung einzubauen vermögen, der Grund sei, der die meisten Verbrechen zwangsläufig zutage fördern müsse. Ein Verbrechen zu begehen nanntest du eine Dummheit, weil es unmöglich sei, mit Menschen wie mit Schachfiguren zu operieren. Ich dagegen stellte die These auf, mehr um zu widersprechen als überzeugt, dass gerade die Verworrenheit der menschlichen Beziehungen es möglich mache, Verbrechen zu begehen, die nicht erkannt werden könnten [...]" (Seite 61) Drei Tage später stieß Gastmann einen deutschen Kaufmann von der Mahmud-Brücke. Bärlach sprang zwar hinterher, konnte aber den Ertrinkenden nicht retten und geriet stattdessen selbst in Not. Er ließ Gastmann festnehmen und verhören, aber der hatte sich sein Opfer sorgfältig ausgesucht: Es handelte sich um einen Unternehmer, der den finanziellen Ruin durch einen Betrug verhindern wollte und nun doch vor dem Konkurs stand. Also deutete alles auf einen Selbstmord hin, und Gastmann kam frei. "Ich wurde ein immer besserer Verbrecher und du ein immer besserer Kriminalist: Den Schritt jedoch, den ich dir voraus hatte, konntest du nie einholen." (Seite 63)
Gastmann nimmt die Mappe an sich, in der Polizeileutnant Schmied aufgrung eines vertraulichen Auftrags seines Vorgesetzten Beweise gegen den Geschäftsmann gesammelt hatte und verlässt Bärlach, der keine Kopien davon besitzt. "Vielleicht hat Gastmann mehr Gutes getan, als wir drei zusammen, die wir hier in diesem schiefen Zimmer sitzen. Wenn ich ihn schlecht nenne, so darum, weil er das Gute ebenso aus einer Laune, aus einem Einfall tut wie das Schlechte, welches ich ihm zutraue. Er wird nie das Böse tun, um etwas zu erreichen, wie andere ihre Verbrechen begehen, um Geld zu besitzen, eine Frau zu erobern oder Macht zu gewinnen, er wird es tun, weil es sinnlos ist, vielleicht, denn bei ihm sind immer zwei Dinge möglich, das Schlechte und das Gute, und der Zufall entscheidet." (Seite 74)
Nachts um 2 Uhr wacht Bärlach auf und hört Geräusche. Jemand schleicht in seiner Wohnung herum. Er greift nach seinem Revolver und steht auf, aber der Einbrecher wirft im Dunkeln ein Messer nach ihm und entkommt.
"Es ist mir nicht gelungen, dich der Verbrechen zu überführen, die du begangen hast, nun werde ich dich eben dessen überführen, das du nicht begangen hast." (Seite 89)
Während Bärlach sich in Grindelwald nach Tschanz umhört, nähert dieer sich der Villa Gastmanns. Die Tür steht offen. Er geht hinein – und steht plötzlich vor dem Hausherrn, zwei Dienern und einem Stapel gepackter Koffer. Die drei Männer sind reisefertig. "Sie sind es also", sagt Gastmann etwas verwundert. (Seite 93) Ein Diener zieht einen Revolver heraus und feuert auf den Eindringling. Der Polizeibeamte schießt zurück und tötet Gastmann und die beiden Diener. Er selbst wurde nur leicht am Arm verletzt.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht, Angeblich um den Erfolg zu feiern, lädt Bärlach seinen jungen Mitarbeiter Tschanz zum Essen ein. Während er selbst isst und trinkt, als sei er gar nicht magenkrank, bringt Tschanz kaum einen Bissen hinunter. Er begreift, dass der erfahrene Kommissar ihn längst durchschaut hat. Tschanz stand immer im Schatten anderer und wurde bei Beförderungen übergangen. Als er auf Schmieds Schreibtisch die Mappe mit dem Belastungsmaterial gegen Gastmann entdeckte, beschloss er, seinen Kollegen zu töten, um endlich selbst einen großen Ermittlungserfolg vorweisen zu können. Zaghaft weist Tschanz seinen Gastgeber darauf hin, dass Schmied mit der Waffe eines der beiden Diener erschossen wurde. Das ergaben die polizeilichen Untersuchungen. Bärlach entgegnet verächtlich, natürlich habe Tschanz nach dem Schusswechsel in Gastmanns Villa seinen Revolver mit dem des Dieners vertauscht. Bärlach verrät seinem Besucher, er habe bei dem Angriff von Gastmanns Hund einen Armschutz wie ein Hundetrainer getragen und den Vorfall absichtlich herbeigeführt, um an ein Projektil aus der Waffe des Untergebenen heranzukommen, das er mit dem am Tatort gefundenen vergleichen konnte. Bärlach weiß auch, dass Tschanz der nächtliche Einbrecher in seiner Wohnung war. Dem wird bewusst, dass der Kommissar mit ihm gespielt hat.
"Ich habe mit dir gespielt", antwortete Bärlach mit furchtbarem Ernst. "Ich konnte nicht anders. Du hast mir Schmied getötet, und nun musste ich dich nehmen."
Bärlach hat nicht vor, Tschanz festzunehmen oder zu verraten. Er will ihn nur nicht mehr sehen und schickt ihn fort. |
Buchbesprechung:
In "Der Richter und sein Henker", seinem ersten Kriminalroman, verstößt Friedrich Dürrenmatt bewusst gegen die in dem Genre geltenden Regeln: Normalerweise funktionieren Kriminalromane, weil das menschliche Handeln berechenbar ist, aber Friedrich Dürrenmatts Kommissar Hans Bärlach will seit vierzig Jahren beweisen, dass unkalkulierbare Zufälle das perfekte Verbrechen unmöglich machen und zur Überführung der Täter beitragen. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
Maximilian Schell: Der Richter und sein Henker |