Josef Haslinger: Opernball (Roman) |
Kritik: "Opernball" ist ein komplexer, vielschichtiger Politthriller von Josef Haslinger, der trotz oder gerade wegen der pseudo-dokumentarischen Form packend und spannend, aber auch brutal und zynisch ist. Bewundernswert ist die Prägnanz der Szenen und die Treffsicherheit der Formulierungen. ![]() |
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Josef Haslinger: |
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Inhalt: Eine rechtsradikale Terrororganisation tötet Tausende von Gästen des Wiener Opernballs mit Giftgas. Das Fernsehen, das eigentlich nur prächtige Abendkleider und schwungvolle Walzertänze zeigen wollte, überträgt Szenen des grauenhaften Anschlags. Der Koordinator der Fernsehsendung, der im Aufnahmewagen sitzt, weiß, dass sein Sohn unter den toten Kameraleuten ist. Später versucht er, die Hintergründe des Verbrechens aufzuklären ... ![]() |
Opernball |
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Josef Haslinger: Opernball |
Inhaltsangabe:
Kurt Feuerbach senior stammt aus Wien. Wegen seiner jüdischen Herkunft und kommunistischen Überzeugung hatte er vor dem "Anschluss" im Frühjahr 1938 vor den Nationalsozialisten fliehen müssen. In London lernte er die tschechische Emigrantin Blanka kennen, die an einer Grundschule Englisch unterrichtete und ihm sein Germanistikstudium finanzierte, bis er bei Kriegsbeginn auf der Isle of Man interniert wurde. Um nicht nach Kanada abgeschoben zu werden, meldete er sich zur Royal Army und nahm den Namen Kirk Fraser an. 1946 kehrte er nach London zurück, heiratete Blanka und wurde College-Professor für Germanistik. Kirks Eltern hatten den Krieg nicht überlebt: Sie waren in Auschwitz ermordet worden. Auf einem von vier Fotos, die er von der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen mitgebracht hatte, war er in britischer Uniform zu sehen. Seinen Sohn Kurt, der die Bilder immer wieder heimlich anschaute, faszinierten zuerst die Leichenberge, bis er sich in der Pubertät mehr für die Nacktheit der Toten interessierte. Es waren die ersten nackten Frauen, die er sah. Als Kind hatte er [Fred] Heather und mich oft streiten gehört. Es ging vor allem um ihn. Fred war kein Wunschkind. Heather hatte sich geweigert, abzutreiben. Als das Kind da war, kamen wir mit ihm nicht zu Rande. (Seite 12)
Weil Kurt und Heather glaubten, die fortwährenden Streitigkeiten seien nicht zuletzt Folgen einer zu kleinen Wohnung, zogen sie um. Aber es half nichts, im Gegenteil: Um die höhere Miete bezahlen zu können, mussten sie sich noch mehr auf ihre Karrieren konzentrieren. Darüber venachlässigten sie Fred. [...] spannend, grausam, herzzerreißend und gleichzeitig mit einem nüchternen Kommentar, der keinen Zweifel daran ließ, dass hier nichts als die Wahrheit dargestellt werde [...] (Seite 355)
Während andere Korrespondenten mit kugelsicheren Westen auf Hotelterrassen vor der Kamera standen und hinter ihnen in der Ferne Rauchfähnlein zu sehen waren, wagte Kurt sich an die Front. Unmittelbar nach dem Golfkrieg drang er auf eigenes Risiko in die irakische Wüste vor und spürte einen riesigen Bunker auf, dessen Ausgang die Amerikaner mit gepanzerten Großbulldozern fünf Meter hoch mit Sand zugeschüttet hatten, ohne der irakischen Militäreinheit eine Chance zum Verlassen des Bunkers zu geben. Damit widerlegte Kurt die Legende vom "sauberen" Präzisionskrieg der Amerikaner. Ich hatte das Rennen gewonnen. Als die anderen Kamerateams eintrafen, gab es nur noch Blutflecken und verzweifelte Gesichter zu sehen. (Seite 138) Unglücklicherweise sitzt Kurt in Belgrad fest und hat keine Möglichkeit, die Aufnahmen nach Paris zu überspielen. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Reporter, als gutes Filmmaterial zu haben, es aber nicht überspielen zu können. Die anderen würden aus der Marktplatzgranate mit schlechten Bildern eine große Stroy machen. Ich hatte die wirkliche Geschichte im Kasten und wurde sie nicht los. (Seite 139)
Schließlich gelingt ihm ein Deal mit dem CNN-Büro in Belgrad. CNN überspielt den Film an ETV und darf ihn als Gegenleistung ebenfalls senden. Plötzlich ging ein merkwürdiges Zittern und Rütteln durch die Reihen der Tanzenden [...] Ich [...] überflog die Monitore. Die Bilder glichen einander. Menschen schwanken, stolpern, taumeln, erbrechen. Reißen sich noch einmal hoch, können das Gleichgewicht nicht halten [...] Sie sehen, sie spüren, dass sie ermordet werden. Sie wissen nicht, von wem, sie wissen nicht, warum. Sie können nicht entkommen. (Seite 9)
Vergeblich versucht Kurt herauszufinden, wo sein Sohn ist, der zu einem der Kamerateams gehört.
Die Frau lag auf dem Steinboden und rührte sich nicht. Der eine bearbeitete ihren mit Blut und Dreck verschmierten Arsch, der andere wichste seinen verschissenen Schwanz [...] Die Polizisten wunderten sich über die zahlreichen Hustensaftfläschchen, die sie bei den Festgenommenen fanden, obwohl diese gar nicht erkältet waren, bis sie herausfanden, dass der Hustensaft das Schlafmittel Perdomal enthielt. Einer von ihnen drohte der Frau, ihr "nacheinander alle deine Hustensaftflascherl in den Arsch [zu schieben], bis dir die Nase tropft" (Seite 120). Jetzt schauen Sie nicht so geschreckt! Wir hatten damals diese Ausdrucksweise drauf. Das war ganz normal. Halt ein etwas freierer Umgangston. Heute ginge das nicht mehr. Da würden sich sofort die Kolleginnen aufregen [...] Aber damals waren wir noch unter uns. (Seite 120)
Vor dem Opernball im vergangenen Jahr habe es eine Warnung vor einem geplanten Terroranschlag gegeben, behauptet Amon. Daraufhin war das Opernhaus nach Sprengkörpern durchsucht worden, aber man hatte nichts gefunden und es war dann auch nichts passiert. Unmittelbar vor dem letzten Opernball gab es eine Alarmfahndung nach Mitgliedern einer "Bewegung der Entschlossenen". Ein paar Demonstranten wurden verletzt, aber einer von ihnen starb. Das kann schon einmal passieren. Er war unglücklich an der Halsschlagader getroffen worden. (Seite 117) Bei dem Toten handelte es sich ausgerechnet um Abdul Haman, den "Obermufti" der Islamisten. "Die sollen ihren Krieg daheim führen", meint Fritz Amon (Seite 118). Besonders unangenehm findet er es, wenn Fernsehkameras bei einer Kundgebung dabei sind. Wenn du dich bei jedem Schlag vergewissern musst, ob du den Richtigen triffst und auch nicht auf die Halsschlagader, kannst du den Knüppel gleich einstecken. (Seite 165)
Drei Terroristen waren tot neben dem Ansaugschacht für die Belüftung der Oper im Burggarten gefunden worden, und die Zeitungen veröffentlichten Fotos des Studenten Karl Feilböck und des "Ingenieurs", zwei weiteren Mitgliedern der "Bewegung der Entschlossenen". Die Eltern des Ingenieurs lehnten jedes Gespräch mit Kurt Fraser ab, aber Karl Feilböcks Eltern erhofften sich, dass er etwas über den Verbleib ihres Sohnes herausfand. In einem Jackett hatten sie einen Zettel mit einer Adresse entdeckt, aber die angegebenen Orte Santany und Felanitx nicht im Atlas finden können. Was unser Ziel war? Heute würde ich sagen, in erster Linie waren wir selbst es, der Bestand und Zusammenhalt unserer Gruppe. Der Aufbau unserer Wehrbereitschaft. Unserer Unbesiegbarkeit [...] Wir wollten in die Geschichte eingreifen [...] Wir wollten uns wehren. Denn eine Erfahrung war uns allen gemeinsam: Wenn wir nichts tun und nur auf bessere Zeiten hoffen, wird alles noch schlimmer. Sollten wir warten, bis wir alle arbeitslos waren? Sollte ich warten, bis auch die ersten bautechnischen Zeichner aus dem Osten, oder gar aus Afrika sich bei uns zum Hungerlohn anbieten? (Seite 106f)
Als Bewährungsprobe musste der Ingenieur wie jedes andere Mitglied der Bewegung auf der Straße einen Ausländer zusammenschlagen. "Gürtelputzen" oder "Türkenklatschen" hieß das. In der Früh war die Neumeier Annerl immer verkatert. Sie wollte kein Frühstück, sie wollte nur nach Hause gebracht werden. (Seite 74)
Bald sorgte Joe dafür, dass es ernster wurde. Bei einem der Treffen holte er eine Nadel und ein Fläschen mit polynesischer Tataufarbe heraus und ließ sich von seinen acht Kameraden reihum je ein Loch am kleinen Finger der rechten Hand stechen, bis zwei Achten zu sehen waren, die für den achten Buchstaben des Alphabets und die Initialen des Hitlergrußes standen. Danach musste sich auch jeder der anderen Kameraden dieses Zeichen tätowieren lassen. "Wer die Idee des Pazifismus durchsetzen will, muss letztlich Atombomben werfen." (Seite 25)
Mit der Bewegung, der er den neuen Namen "Die Entschlossenen" gab, wollte er eine Art Harmagedon herbeiführen. Angeblich wusste Franz Leitner, ein österreichischer Zielfahnder, der Joe in Florida aufgespürt hatte, darüber Bescheid und stand ebenso wie einige einflussreiche Kontaktpersonen in der Polizeiführung hinter dem geplanten Anschlag, mit dem eine entschlossen gegen Ausländer vorgehende Regierung an die Macht gebracht werden sollte. Wir stürzten uns auf Feilböck. Er schlug nach Leibeskräften um sich. Die Kameraden rissen ihn nieder. Der Geringste gab mir [Ingenieur] das Beil. Es war den anderen nicht möglich, Feilböcks Hand ruhig auf einen Baumstock zu halten [...] Ein paarmal wollte ich zuhacken, aber die Hand lag nicht ruhig genug. Ich hätte auch andere Hände erwischen können. Daher warf ich das Beil weg, nahm Feilböcks Finger fest in die Faust und drehte ihn schnell nach außen. Es gab einen [...] Knacks, und der Finger war lose. Feilböck stieß einen entsetzlichen Schrei aus. Ich riss am Finger. Haut und Sehnen gaben nicht nach, sosehr ich mich auch bemühte. Da nahm ich mein Springmesser aus der Tasche und schnitt die Sehnen durch. Ich dachte, das wäre ein Schnitt, aber so leicht war das nicht. Feilböck brüllte in kurzen, lauten Stößen. Er zuckte mit der Hand hin und her. Ich setzte einmal da das Messer an, dann dort, riss am Finger. Es war schon alles voll Blut, bis ich endlich durch die Sehnen war. (Seite 274)
Bald darauf erfuhr der Geringste von seinen Verbindungsleuten, dass Feilböck bei der Polizei gewesen war und vor dem geplanten Anschlag auf den Opernball gewarnt hatte. Daraufhin beauftragte er den Ingenieur, auf dem Bauernhof in Rappottenstein eine große Sonnwendfeier zu veranstalten. Als der Ingenieur hinkam, traf er im Schießkeller auf Feilböcks nackte und entmannte Leiche. Daneben kauerte der Geringste, der seit drei Tagen Totenwache gehalten hatte. Die nach und nach eintreffenden "Entschlossenen" suchten Äxte und Fleischermesser zusammen und zerstückelten den Toten in kleine Teile, die sie in Obststeigen sammelten und mit Reisig und Stroh abdeckten. Daraus schichteten sie einen zwei Meter hohen Scheiterhaufen auf, den sie anzündeten, als die Dunkelheit anbrach und die Dorfbewohner zum Feiern kamen. Ich weiß nicht, wie ich mir das vorgesellt habe. Ich habe es mir überhaupt nicht vorgestellt. Ich war überzeugt, der Geringste kennt den Weg. Vielleicht hat auch er ihn nicht gewusst. Wollte ihn erst herausfinden. jedenfalls hat es so ausgesehen, als wüsste er, wie es weitergeht. Er ist gescheitert. (Seite 342) In der Nacht wird Kurt Fraser durch einen Schuss aufgeschreckt: Der Ingenieur hat sich das Leben genommen. |
Buchbesprechung:"Opernball" ist ein brutaler Roman. In dem sechs Jahre vor dem Terroranschlag vom 11. September 2001 veröffentlichten Buch schildert Josef Haslinger einen Giftgasanschlag auf den Wiener Opernball, dem Tausende zum Opfer fallen. Bei den Verbrechern handelt es sich allerdings nicht um Islamisten, sondern um Rechtsradikale. Josef Haslinger thematisiert die von Neonazis ausgehende Gefahr und das Erstarken der von Jörg Haider geführten FPÖ. Zugleich vermittelt er ein kritisches Bild sensationslüsterner privater Fernsehsender. Kurz angerissen werden außerdem das amerikanische Vorgehen im Golfkrieg 1990/91 und die Brutalität des Bürgerkriegs in Bosnien-Herzegowina in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre. Die politischen und gesellschaftskritischen Bezüge ergänzt der Autor durch persönliche Tragödien wie die Beziehung des Protagonisten Kurt Fraser zu seinem Sohn. "Opernball" ist also ein komplexer, vielschichtiger Politthriller. Es ist das Sittenbild einer morbiden Gesellschaft, der mit ihren Werten auch die Orientierung abhanden gekommen ist und deren latenten Rechtsradikalismus Haslinger in eine nachgerade historische Dimension zu betten versteht: angefangen von den Aufnahmen der Leichenberge in Bergen-Belsen, die Kurt Frasers Vater [...] bei der Befreiung des KZs einst machte, über die nationalsozialistisch-spiritualistisch verbrämte Ideologie der "Entschlossenen" bis hin zum zugespitzen Bild von der Oper als Gaskammer, dem medial ausgeschlachteten "Harmagedon" der Terroristen. (Christine Dössel, "Süddeutsche Zeitung", 25. Februar 2006)
Josef Haslinger hat dem Roman "Opernball" eine pseudo-dokumentarische Form gegeben, indem er den Protagonisten in der Ich-Form berichten lässt und diese Darstellung durch angebliche Tonbandprotokolle anderer Zeugen vervollständigt. Das wirkt authentisch. Trotz dieses sachlich-nüchternen Stils ist es Josef Haslinger gelungen, zynische Passagen vor allem in der Aussage des Revierinspektors Fritz Amon unterzubringen und einen packenden Roman zu schreiben. Bewundernswert ist auch die Prägnanz der Szenen und die Treffsicherheit der Formulierungen.
Originaltitel: Opernball - Regie: Urs Egger - Drehbuch: Gundula Leni Ohngemach, nach dem Roman "Opernball" von Josef Haslinger - Kamera: Lukas Strebel - Schnitt: Hans Funck - Musik: Dominic Roth - Darsteller: Heiner Lauterbach, Franka Potente, Frank Giering, Caroline Goodall, Gudrun Landgrebe, Richard Bohringer, Wolfgang Böck, Andreas Lust, Walter Schmidinger, Désirée Nosbusch, Dieter Moor, Olivia Silhavy, Ben Waters, Rudolf Melichar, Rudolf Wessely, Claus Peymann, Josef Bilous, Tonio Arango, Hans-Michael Rehberg, Georg Prokop, Klaus Händl, Gerhard Liebmann, Georg Friedrich, Roland Stemmer, Martin Brambach, Werner Wultsch, Lukas Miko, Branko Samarovski, Johanna Tomek u.a. - 1998; 180 Minuten Josef Haslinger wurde am 5. Juli 1955 in Zwettl, einem Ort im niederösterreichischen Waldviertel geboren. Sein 1973 in Wien begonnenes Studium der Philosophie, Theaterwissenschaften und Germanistik schloss er 1980 mit der Promotion ab. Seine Dissertation trug den Titel "Die Ästhetik des Novalis". Danach arbeitete er als Literaturwissenschaftler in Deutschland, Österreich und in den USA. Bekannt wurde er durch seinen Politthriller "Opernball". Josef Haslinger: Bibliografie (Auswahl):
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006 |