Donna Tartt: Der kleine Freund (Roman) |
Donna Tartt: Der kleine Freund |
Inhaltsangabe:
Harriet Cleve Dufresnes wächst in Alexandria auf, einer Kleinstadt im Süden der USA. Ihr Vater Dixon ("Dix") Dufresnes ist selten zu Hause: Wenn er nicht in der Bank arbeitet, in der er angestellt ist, geht er auf die Jagd. Um seine beiden Töchter Allison und Harriet kümmert er sich wenig. Dix stammt aus einer Familie von Emporkömmlingen – sein Vater besaß ein Geschäft für Installationsbedarf – und ergriff die Gelegenheit, in die angesehene Familie des Richters Cleve einzuheiraten, aber seine Ehe mit Charlotte Cleve war von Anfang an unglücklich, und als sein Schwiegervater starb, stellte sich heraus, dass er durch den Börsenkrach im Jahr 1929 sein Vermögen verloren hatte. Um die geerbten Schulden bezahlen zu können, mussten Cleves vier Töchter Libby, Edith ("Edie"), Theodora ("Tat") und Adelaide das 1809 errichtete Elternhaus verkaufen und umziehen. Ihre Mutter war bei Adelaides Geburt gestorben. Harriet, die sechs Wochen vor dem Tod ihres Großvaters geboren wurde, lebt zusammen mit ihrer vier Jahre älteren Schwester Allison bei ihrer Mutter Charlotte, ihrer Großmutter Edie, den unverheirateten, verwitweten bzw. geschiedenenen Großtanten Libby, Tat und Adelaide, die von den schwarzen Hausmädchen Ida und Odean bedient werden. Zwölf Jahre nach Robin Cleves Tod wusste man darüber, wie es gekommen war, dass er in seinem eigenen Garten an einem Baum erhängt gestorben war, noch genauso wenig wie an dem Tag, als es passiert war. (Seite 31)
Im Alter von zwölf Jahren beginnt Harriet, sich nach dem Tod ihres Bruders zu erkundigen, aber niemand beantwortet ihre Fragen, denn über das traumatische Ereignis wird in der Familie geschwiegen. In der öffentlichen Bibliothek blättert Harriet in den zwölf Jahre alten Ausgaben der Lokalzeitung und liest, was damals über Robins Tod geschrieben wurde.
Es gab viele Mädchen in der Schule, die hübscher waren als Harriet und vor allem netter. Aber keine war so gescheit oder so tapfer. (Seite 164) Einmal überredet Harriet ihren Schulfreund Hely, mit ihr in Oak Lawn Estates Schlangen zu jagen. In der erst vor sieben Jahren angelegten Siedlung leben Aufsteiger. Zwar wurden die Bäume gefällt und alles gepflastert, aber in Oak Lawn Estates sirrt es von Moskitos und es wimmelt von Schlangen. Während in der George Street – wo Harriet wohnt – Nachbarinnen und Haushälterinnen aus den Häusern stürzen, wenn ein Kind schreit, wirken die Neubauten in Oak Lawn Estates wie versiegelt. Die Leute kannten einander nicht. Hier draußen konnte man sich die Lunge aus dem Leib schreien, irgendein Sträfling konnte einen mit einem Stück Stacheldraht erwürgen, und niemand würde herauskommen, um nachzusehen, was los war. (Seite 217) Einige Mietshäuser in Alexandria gehören Roy Dial, einem Immobilienhai, der sich an gebrechliche ältere Damen heranzumachen pflegt und ihnen seine Dienste als Vermögensverwalter anbietet. Weil Mr Dial seine Gewinne pflichtschuldig auf die überquellenden Konten der Ersten Baptistenkirche überwies, sah er seine Methoden als gerechtfertigt an. (Seite 233) In einem seiner Apartments wohnt Eugene, der zweitälteste der Ratliff-Brüder. Für erbärmliches weißes Volk wie die Ratliffs gab es außer den Negern niemanden, auf den sie herabblicken konnten. Sie ertrugen den Gedanken nicht, dass die Neger jetzt genauso gut waren wie sie – und in vielen Fällen sehr viel wohlhabender und angesehener. (Seite 187)
Eugenes älterer Bruder Farish galt bis vor einigen Jahren als berüchtigster Gangster von Alexandria und Kopf der Ratliff-Familienbande. Aber dann stahl er eines Tages einen Bulldozer, walzte damit einen Stacheldrahtzaun nieder, rumpelte über eine Kuhweide und schoss sich dann mit einer Pistole in den Kopf. Die Ärzte gaben ihn bereits auf, aber Farish erwachte aus dem Koma und erholte sich in der staatlichen Irrenanstalt in Whitfield. Auf einem Auge ist er seither blind. In einem Schuppen hinter dem Wohnwagen seiner Großmutter Gum hat er inzwischen ein Methamphetaminlabor eingerichtet. Er lebt von seiner Behindertenrente und dem Drogenhandel. Eugenes jüngerer Bruder Danny ist einundzwanzig – genauso alt wie Robin jetzt wäre. Solange die Brüder Mike und Ricky Lee im Gefängnis sind, haust er allein in einem alten Wohnwagen. Der jüngste Bruder, Curtis Ratliff, bei dessen Geburt die alkoholabhängige Mutter bereits sechsundvierzig Jahre alt war, ist gutmütig, aber schwachsinnig.
Danny rieb sich das Kinn und sah sich gehetzt um. Was immer ihn geritten hatte abzudrücken, war verflogen, aber seine Probleme hatten sich vervielfacht und verfinsterten die Sonne. Warum um alles in der Welt hatte er Farish im Wagen erschossen? (Seite 677)
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Nachdem Danny auch die beiden Hunde seines Bruders erschossen hat, wirft er die Pistole fort, denn er hat keine Patronen mehr. Er klettert am Wasserturm hoch, um sich das Methamphetamin zu holen – und trifft dort auf Harriet. Er stößt das Mädchen ins Innere und taucht es unter Wasser, während er sich an der Leiter festhält, denn er kann nicht schwimmen. Er ahnt nicht, dass Harriet – angeregt durch die Selbstbefreiungskunststücke Houdinis – seit einiger Zeit geübt hat, unter Wasser immer länger die Luft anzuhalten. Als er sie loslässt, lebt sie noch. Auf dem Dach des Wasserturms bricht Danny durch ein morsches Brett und stürzt selbst in das Wasser, während Harriet flieht. |
Buchbesprechung:
Zehn Jahre nach ihrem sensationellen Romandebüt "The Secret History" (1992; deutsch: "Die geheime Geschichte") veröffentlichte Donna Tartt ihren zweiten Roman: "The Little Friend" (2002; deutsch: "Der kleine Freund"). Es ist eine episch breite Mischung aus Thriller und Familienroman. Die extrem langsam entwickelte Handlung spielt während der Siebzigerjahre in der auf Rassen- und Klassenschranken achtenden Gesellschaft einer Kleinstadt im Süden der USA.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Donna Tartt: Der Distelfink |