Püppchen im Wald - Bronia Wajs-Papusza ist Zigeunerin und spricht ihre Lieder
Sie ist unterwegs geboren. Im Wald. Und sie flüchtete mit ihrem Clan vor den Nationalsozialisten, Wagen und Pferde zurücklassend – nicht aber ihre Harfen, die sie sich auf den Rücken schnallten – in den Wald. Wo sie der Sage nach die Harfen als Waffe gegen die Deutschen richteten, worauf diese die Flucht ergriffen haben sollen. Die mit dem Wald verwandtschaftlich Verbundene ist Papusza. (Sprich: Papuscha) Die Zigeunerin schreibt: „Wald, mein Vater, mein schwarzer Vater, Du hast mich erzogen“ Kein Trinker und Kartenspieler, wie es ...
Einst mühsam waren Kuhmilch und Schrift - 100 Errungenschaften, die das Menschsein bestimm(t)en
Die spanischen Acht-Reales-Münzen waren das erste echte Weltgeld. Sie wurden nach 1570 in Potosí in Bolivien geprägt, wo die Spanier in den 1540er Jahren eine Silbermine entdeckt hatten. Die Münzen wurden auf Lamas verladen und über die Anden nach Lima und an die Pazifikküste gebracht, von dort nach Panama verschifft, über den Isthmus getragen und in Schiffsverbänden über den Atlantik transportiert; so finanzierten die Spanier ihre politische und wirtschaftliche Macht. In der ganzen Welt konnte man ...
November-Nonnen-Nostalgie statt Phrasendrescherei - Gerhard Rühm über Schweden, Orthopäden oder den Oktober
Rühmet Rühm. Die Freunde sprachlicher Erneuerungen wissen hinlänglich Bescheid über den – Mitte der 1950-er Jahre – Mitgründer die „Wiener Gruppe“. Gerhard Rühm, der Lyrik und Prosaisches in Grenzbereichen weiterentwickelt – zur bildenden Kunst hin etwa (visuelle Poesie, konzeptionelle Zeichnungen, Fotomontagen usf.) wie zur Musik (auditive Poesie als Sprechtexte, Chansons, Text-Ton-Transformationen, konzeptionelle Klavierstücke etc.). Höchst geschätzt folglich der umfassende bisherige Wirkungsbereich des inzwischen 81-jährigen ...
EXKLUSIV auf FIXPOETRY: Lyrik - jede Woche Kritik: Zum Innehalten und Staunen locken diese Gedichte, Undine Materni gräbt in "Gräber und drüber" von Andreas Reimann.
Als ich diesen sorgsam und schlicht gestalteten Band in der Hand hielt – man beachte die ungewöhnliche typografische Gestaltung der Seitenangaben! – wirbelten plötzlich viele Gedankenbruchstücke durch meinen Kopf. Sie haben wohl vor allem mit der Bemerkung Karl Corinos zu tun, der zu Reimanns Liebesgedichten trefflich bemerkte, diese stammen aus der Feder „des bedeutendsten aber unbekanntesten Dichters der Sächsischen Dichterschule“. Als 1999 ein Band Reimanns ...
EXKLUSIV AUF FIXPOETRY - jede Woche Kritik: Engagement! Gedichte, die in ihrer Direktheit den Leser anspringen. Tom Bresemanns Berliner Fenster.
Sicher gibt es Kollegen, die sich von einem Gedichtband wie diesem abwenden, die ihn, wenn sie ihn anfassen, dann nur mit spitzen Fingern anfassen. Nicht weil sie angesichts eines Fäkalausdrucks zu erröten gewohnt sind, nein, das regt sie eher an, sondern weil sie mit engagierter Kunst so gar nichts anzufangen wissen. Kollegen, die mit Adorno wedeln oder seinen konservativen Gegnern, und die seinen Aufsatz über oder besser gegen politisches Engagement ...
Der Musik näher und dem Lied - Spanische Lyrik der Gegenwart
Zwei emeritierte Hispanisten haben diese Anthologie spanischer Gegenwartslyrik für deutsche Leser zusammengestellt: der Madrilene Juan Cano Ballesta vom Commonwealth-Lehrstuhl an der University of Virginia und Manfred Tietz von der Ruhr-Universität Bochum. Maßgebliche Impulse zur Auswahl sind dem galicischen Dichter Ramiro Fonte zu verdanken, der 2008 gestorben ist. Tietze hat beim selben Verlag schon zwei Vorgängerbände zur spanischen Lyrik in Einzelinterpretationen herausgebracht, 1990 erschien die ...
Die Architektur des Dialektgedichts und überhaupt - Friedrich Achleitner ist konkret
Zu den großen Verdiensten von Friedrich Achleitner zählt auch die gemeinsam mit H.C. Artmann und Gerhard Rühm zur Wiener-Gruppe-Zeit geleistete Erschließung des Dialekts als Ausdrucksmittel für innovative literarische Formen, seine Befreiung vom festgeschnürten Strophenkorsett der verklärenden Heimatidylle, was gerade in der Nachkriegszeit von eminenter Bedeutung war, die Entdeckung seines enormen Klangreservoirs und des kritischen Potenzials, das nicht zuletzt in den spannungsvollen zusätzlichen Mehrdeutigkeiten steckt ...
EXKLUSIV auf FIXPOETRY - jede Woche Kritik: Bei Sonnenuntergang über die Allgemeinplätze - die aktuelle Ausgabe Nr. 11 der Belletristik, Zeitschrift für Literatur und Kunst.
"13 Autoren und Autorinnen der Berliner Lyrikgruppe G13, die sich daran macht, die neue deutschsprachige Gegenwartslyrik mit einer Feuer-Infusion zu entfachen..." So klang es im September etwas pompös-pyromantisch im Ankündigungstext des Berliner Verlagshauses J. Frank zur elften Ausgabe der Belletristik (Zeitschrift für Literatur und Illustration), so als ob die deutschsprachige Gegenwartslyrik, die nicht zuletzt im Verlagshaus J. Frank mit großem Idealismus und vielen sich etablierenden jungen Lyrikern verlegt wird ...
EXKLUSIV AUF FIXPOETRY - jede Woche Kritik: Eine Hohelied der Autonomie des Individuums - singt auch das Lied Bedrohung. Eine Auswahl lyrischer Texte von Kurt Drawert.
Was der C.H. Beck Verlag da gemacht hat, ist äußerst verdienstvoll. Nach dem Roman „Ich hielt meinen Schatten für einen Andern und grüßte“, legte er 2011 den Gedichtband „Idylle, rückwärts“ auf. Der Band enthält eine starke Auswahl von Drawerts lyrischen Texten aus den letzten drei Jahrzehnten, und der Verlag hat dieser Auswahl genügend Raum geschenkt. Sie erstreckt sich über ca. 270 Seiten und ist mehr als nur ein Einblick in die verschiedenen Schaffensphasen. Ziemlich genau in der Mitte findet sich unter dem Titel: „Die Lust ...
Rettung aus der grausamen Welt - Josef Winkler und die Realität
Was Sie schon immer über Josef Winkler gewusst haben und einmal zusammengefasst und komprimiert lesen wollten, das finden Sie in diesem Buch, das sich wie eine „Einführung“ in Leben und Werk des 1953 geborenen, 2008 mit dem Büchner-Preis ausgezeichneten Kärntner Autors liest. Winkler zeichnet darin die Anfänge seines Schreibens, seine Motivationen und Intentionen, aber auch seine Konflikte und Stillstände nach. 1953 in dem Kärntner Dorf Kamering geboren, in einer Bauernfamilie, in der Arbeit und das Schweigen dominieren, durchläuft ...
Stile und Standpunkte - Lyrik und Lyrikrezeption in "Gegenstrophe"
Der Gedichtalmanach „Gegenstrophe. Blätter zur Lyrik“ ist 2011 im dritten Jahr erschienen, ein solides Kompendium lyrischer Leseproben, dessen aufwändige Aufmachung – gut im Papier, gediegene Grafik, feste Buchdeckel – dem Unterstatement im Titel widerspricht. Wie schon in den Vorgängerbänden gliedert sich die Auswahl zeitgenössischer deutscher Lyrik, die zum Hannoveraner Lyrikfest erscheint, in die Abschnitte PREMIERE, PORTRÄT, ESSAY, DOSSIER und RECHERCHE. Im ersten Teil werden Szene-Neulinge vorgestellt, diesmal ...
Die Angst und der Entwurf - Paul Virilio im Gespräch mit Bertrand Richard
Paul Virilios Befunde gehören seit vielen Jahren zu den erhellendsten, weshalb jeder seiner Texte aufs Neue sehr zu begrüßen ist – auch der aktuelle, ein Gespräch, das zwar manchmal den roten Faden vermissen lässt, doch dann noch immer kluge Assoziationen bietet. Ausgangspunkt ist jedenfalls ein hysterisierter Globus, wie man es mit Michel nennen könnte, eine „Verwaltung der Angst“, mit der Herrschaft gestützt wird, während die Ge- und Befangenen systematisch verdummen sollen. Die Grunderfahrung ist dabei Paranoia: nicht zu wissen, was ...
Gedichte der inneren Revolution - "Mir war nicht kalt" von Pegah Ahmadi
Im September 2009 kam die iranische Dichterin Pegah Ahmadi nach Deutschland. Das Projekt Städte der Zuflucht gewährte ihr ein zweijähriges Asyl in Frankfurt, wo sie „ohne Angst leben und arbeiten“ konnte. Eben das war in ihrer Heimatstadt Teheran nicht mehr möglich, seit das Regime im Zuge der Wahlfälschungen und dem Aufbegehren der Grünen Bewegung gnadenlos Jagd auf Oppositionelle macht – darunter viele Künstler, Journalisten, Intellektuelle. Unter dem Eindruck des Sommers 2009 entstand ihr Gedichtband „Mir war nicht kalt ...
EXKLUSIV auf FIXPOETRY: Lyrik - jede Woche Kritik. Geprägte Verse als Fünfheber, schräg gerammt in Parlandopassagen. Pans Stunde, Gedichte von Norbert Hummelt
Ein neu erworbenes Buch sendet bereits Signale aus, bevor man es aufschlägt. Die vierte Luchterhand-Ausgabe von Norbert Hummelt ist diesmal ein Hardcover-Band mit Umschlag. Im Vergleich mit den beiden ersten Sammlungen („Zeichen im Schnee“ 2001 und „Stille Quellen“ 2004), deren Äußeres mit dem umlaufenden Textzeilen-Band betont nüchtern wirkte, hat er eine fast erlesene Aura: der grau schattierte Titel auf zartfarbigem Schilfblätter-Hintergrund scheint auf einer Wasserfläche leicht zu schwanken, ebenso das Zitat auf ...
Existenzielle Kleinigkeiten und ein bewusstes Enden im offenen Nichts - Tobias Herolds „Ausfahrt“
Der zweite Gedichtband des 1983 geborenen Berliner Lyrikers Tobias Herold kommt äußerlich in ansprechender Form daher: Leicht in der Hand liegend und wunderbar gestaltet, macht bereits die Covergrafik ein Prinzip der Texte sichtbar: Die vertikalen Farbabstraktionen zwischen Hellblau und Erdbraun entpuppen sich beim genaueren Hinsehen als Landschaftsfoto eines menschenleeren Ackers: Grundstrukturen von Wirklichkeit, durch eine freundliche Betrachtungsweise zum Leuchten gebracht. Auch die Gedichte kommen gut strukturiert daher...
Kickboxen mit Lu – Roman Marchels Versuchsanordnung zeigt Kämpfe um die Sehnsucht im Leben
Im Romandebüt des 1974 in Graz geborenen Roman Marchel trifft die Gemütslage einer munteren sechzehnjährigen Schülerin auf eine lebenserfahrene und -müde 72-Jährige. Die alkoholkranke Schriftstellerin erhält in ihren letzten Tagen die Bestätigung, dass das Leben sich allein für sein Gelebtwerden und die hinterher erfolgte Auseinandersetzung mit dem Geschehenen gelohnt hat. Der Beitrag der Jungen, Lu, die am Anfang ihrer Zukunft steht, besteht darin, dass sie für Tulpe Valentin, die Ältere, freimütig und witzig drauflos plaudert. Die Mitschnitte...
Landungen im „Zimtgeäst“ der Sprache - Annette Hagemanns risikoreichen Gedichte
Jeder kennt Zimt: Duftend, feinfarbig, leicht rau, sinnlich. So kommen die Texte der Annette Hagemann auf Buchstabenbeinen angezeichnet. Zudem überraschend und oft „raschelgrün“. Schon der erste Text, die erste Verswort Überschrift, „türkiserteich“ (glänzend!) lässt frohlocken und gibt den Kurs vor: vergnügliches Lesen, Reisen durch wohlriechende schimmernde Textlandschaften, bei denen man gern an den von Hagemann bereitgestellten, leicht zu erreichenden Aussichtspunkten anhält. Denn wer geht nicht gern auf Treppen aus...
Die Zwillingin und andere Geschichten - Texte des zweiten Literaturpreises des „Duftenden Doppelpunktes“
Der Literaturblog „Duftender Doppelpunkt“ bearbeitet ein breites Feld zwischen Literatur und Wissenschaft, organisiert Gedenkveranstaltungen, bietet im Literatursalon und in der Literaturwerkstatt Schreibanleitungen für junge AutorInnen, verweist auf Verlage und Rezensionen und vieles mehr. Zum zweiten Mal veranstaltete der Blog aber auch einen Literaturwettbewerb und wieder stand die Arbeitswelt im Mittelpunkt; in der ersten Phase des Bewerbs beteiligten sich 212 AutorInnen mit 334 Texten. Unter dem Titel...
EXKLUSIV auf FIXPOETRY: Lyrik - jede Woche Kritik. Protestpoesie von Chirikure Chirikure
Lyrik muss nicht immer unzugänglich sein. Nicht nur die starke Semantisierung innerhalb der deutschsprachigen Gegenwartslyrik der vergangenen Jahre spricht dafür, sondern gerade und immer wieder das, was uns an poetischen Höhepunkten von anderen Kontinenten erreicht. Einen Dichter, dem hierzulande bislang zu wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde, präsentiert der für seine Ausgrabungen abseits des Mainstreams mittlerweile berüchtigte Wunderhorn Verlag aus Heidelberg. Chirikure Chirikure heißt der Mensch, der in Afrika dafür berühmt wurde...
EXKLUSIV AUF FIXPOETRY: Lyrik - jede Woche Kritik. Trockene Ernsthaftigkeit und bizarrer Witz fordern den Leser heraus - Gedichte von Ben Lerner, übersetzt von Steffen Popp.
Je näher man hinschaut, je mehr man darüber nachdenkt; die ominösen bläulichen Verästelungen, die das gute untere Drittel des Buchcovers überziehen, verweisen nicht eindeutig auf etwas, bleiben rätselhaft. Die Aufnahme eines Blitzes? Von unten nach oben verlaufend – das ist wenig wahrscheinlich. Die Negativfotografie einer Baumkrone? Dafür sind die Linien zu filigran, zu unregelmäßig in ihrem Verlauf. Was noch an Möglichkeiten übrig bleibt wäre vielleicht etwas wie ein EKG, oder ein EEG – die digitalisierte Aufnahme von elektrischen Impulsen...
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