Röntgenrealismus und prismatisches Spiel - Erzählungen von A.J. Weigoni
In keiner der sozialen, kulturellen, beruflichen und ökonomischen Parallelwelten dieser »Zombies«, die A.J. Weigoni röntgenrealistisch abbildet, will man leben. Dieser Schriftsteller blickt mit einen naturwissenschaftlichen, medizinischen und kriminalistischen Blick, sozusagen „bis auf den Teufel hinunter“ (Lichtenberg). Mit der Traute, die Leser auch einmal zu überfordern, geht ein Angebot verschiedener Lesarten einher. Vieles schildert Weigoni als Farce und Persiflage, wobei er in seinen Erzählungen ganz nebenbei auch...
Zwischen Fiktion und Wirklichkeit - Kathrin Röggla ist dem Phänomen des Katastrophischen auf der Spur
Kathrin Röggla, Literatin aus Salzburg, laut Selbstauskunft "fasziniert" von Katastrophen, "aus sehnsucht nach einer kathartischen erfahrung", nimmt in "disaster awareness fair" mit zwei Essays zum "katastrophischen in stadt, land und film" eine Reflexion der Katastrophe aus unterschiedlichen Blickwinkeln vor. Geht es im ersten Aufsatz ("geisterstädte geisterfilme") um eine Betrachtung des urbanen Raums aus der Perspektive seines immanent Katastrophischen, so folgt im zweiten Aufsatz ("die rückkehr der körperfresser") eine Analyse...
Zwischen Paris und New York - Der Lebensrückblick des amerikanischen Linksintellektuellenverlegers André Schiffrin
Es ist einer der ersten frühsommerlichen Abende in diesem Jahr, als der Lektor, Verleger und Autor André Schiffrin in Berlin im kleinen Kreis über seinen mit Literatur gepflasterten Lebensweg und die Zukunft des Verlagswesens spricht. Anlass ist die Vorstellung seiner Autobiografie „Paris, New York und zurück. Politische Lehrjahre eines Verlegers“. Mit dem Verlegen von Büchern kennt sich Schiffrin wahrlich aus. Bei Pantheon tritt er in die zunächst übergroßen Fußstapfen seines Vaters, bevor er selbst ein Großer unter den Verlegern wird und...
Selbst erlebte Abgründe und der Wahn der Welt - Dieter Schlesaks Roman Tanssylwahnien
Donnerstag, 17. September 2009, 16:28:32 – ein Datum, das per Mausklick die Eigenschaften der Datei preisgeben und das Gefühl von Scham. Dieter Schlesak hatte eine Presseaussendung zu seinem neuen Buch geschickt, welches gerade als e-book erschienen war. Ich habe es bis heute nicht geschafft, das Buch zu lesen. Aber vergessen habe ich es auch nicht. Hier ist der (nicht mein) Wortlaut mit den wichtigsten Informationen zum Buch:
„Seit rund zwei Jahren hört man immer mehr von der Ablösung der...
Letter für Letter, Wort für Wort. Zwiebelfische – Jimmy Ernst, Glückstadt – New York. Eine Reise ins offene Meer.
Zwiebelfische ist ein Film über Jimmy Ernst, ein Film über die Buchdruckkunst und ein Film über die Druckerei Augustin. Zwiebelfische ist kein Film über Jimmy Ernst, kein Film über die Buchdruckkunst und kein Film über die Druckerei Augustin. Zwiebelfische sind einzelne Bleilettern, die nach Schriftcharakter und Zuordnung in ein falsches Fach eines Setzkastens abgelegt wurden, die unter tausenden von Lettern nicht wiederzufinden sind. Der Film erzählt die Geschichte des jungen Jimmy Ernst, Sohn von Max Ernst und Louise Straus...
Sich vom Schrecklichen nicht bezwingen lassen - "Kleine Schritte" von Walter Müller
Salzburg im Spätherbst 1940. Der Krieg ist eine ernste Sache, der Grete Schöner nicht daran hindert, vor dem Juxstandesamt am Kapitelplatz drei Ehen zu schließen. Ferner hat sie auf dem Liebespostamt am Alten Markt gar elf Briefe bekommen und ebenso viele aufgegeben. Doch es gibt auch schlechte Nachrichten. Onkel Ludwig, ein entfernter Verwandter, ist als Erster der Familie "irgendwo in England" gefallen. Den Krieg gibt es also wirklich, selbst wenn er irreal fern erscheint. Gretes Bruder Werner übt derweil in der Waschküche...
Wie man ein ganzes Jahrhundert gegenwärtig und einen fast hundertjährigen Helden glaubhaft macht – der neue Roman von Hans Joachim Schädlich
„Was Hans Joachim Schädlich in seinem neuen Roman an geschichtlichem Material, an Zeitläuften zusammenfügt und organisiert, würde anderen Schriftstellern gleich für mehrere dickleibige Bücher ausreichen. Von Historikern ganz zu Schweigen. Einem Schädlich dagegen, einem Sprachbeherrscher von naturwissenschaftlicher Exaktheit, einem Verknapper, Lakoniker, Stoiker, genügen dafür knapp 200 Seiten.“ konstatierte Christoph Schröder in der taz. Und die ZEIT befand: „Für ihn gibt es keine Grenze...
Heimkehr zur Unzeit - Christoph Ransmayr bringt die Heimkehr des Odysseus auf die Bühne
Schon in der antiken Vorlage des Mythos verläuft die Heimkehr des Odysseus nicht ganz so triumphal, wie man es bei einem gefeierten Kriegshelden erwarten würde: Nach zwanzig Jahren des Krieges und der Irrfahrten an seinen Hof zurückkehrend, findet er seine Gattin von Freiern umstellt, die sie sich mit aller Mühe vom Hals halten muss. Als Bettler verkleidet weiß sich der Listenreiche jedoch zu helfen und entledigt sich aller Nebenbuhler, ehe er sich wieder mit seiner Penelope vereinen darf. Schon bei Homer also ist Odysseus’ Heimkehr...
"Die Wahrheit soll ein Abgrund sein" - Unbeabsichtigte Gedichte von Georg Kreisler
"Zufällig" so gute Gedichte schreiben, kann nur einer wie er. Einer, der schon lange Dichter war, bevor es bemerkt wurde. Georg Kreisler ist eher als Chansonnier oder Kabarettist bekannt denn als Schriftsteller. Welches Kaliber er hat, zeigt sein jüngstes Buch, ein Lyrikband, der auch drei Essays umfasst. Der Hölderlin-Preis der Stadt Homburg, den er am 6. Juni 2010 – kurz vor seinem achtundachtzigsten Geburtstag – verliehen bekam, gebührt ihm allemal. "Ich weiß nicht, was mich bewog, Gedichte zu schreiben, vielleicht das Wetter.", lautet...
Der Sinn des Lebens ist eine Teetasse - eine Philowitzie
Wie anregend und erhellend die Tatsache ist, dass Philosophie und Humor in einer intensiven Beziehung zueinander stehen können, zeigen die Harvard-Absolventen Thomas Cathcart und Daniel Klein in ihrem Buch Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar... Philosophie verstehen durch Witze. Sie stellen die großen Fragen der Menschheit anhand von Witzen dar und besorgen damit einen humorvollen Durchgang durch die Welt des Denkens. Das Unternehmen nennen sie „Philowitzie“. Die Autoren liefern dabei keine platten Gags...
...dass der Mensch ein Organ besitzt, das ihm hilft, jede Situation zu überwinden - Die Tagebücher der Etty Hillesum
Mit vielen Einzelschicksalen jüdischer Menschen ist die Öffentlichkeit durch Bücher und Filme in den vergangenen Jahrzehnten bekannt gemacht worden. Dem Ende im Gas, das dem jüdischen Volk von seinen Mördern bestimmt war, um es noch im Tode gleichzumachen und seine individuellen Spuren zu verwischen, trotzen all jene persönlichen Aufzeichnungen, die auf unwahrscheinlichen Wegen gerettet wurden. Es sind diese Einzelschicksale, unverwechselbare Lebenslinien, winzige Details, denen unmittelbar gelingt, was Gedenkstätten oft vergeblich...
Kriegerisches Klima - die Überschwemmung der Welt durch den Menschen
Überschwemmungen und Dürreperioden, Hungerkatastrophen und Epidemien sind die Folgen des Klimawandels. Sie lassen die Lebensräume für eine stetig wachsende Weltbevölkerung schwinden. Die Konkurrenz um die lebensnotwendigen Ressourcen wächst. Das Zeitalter der »Klimakriege« hat bereits begonnen. Staaten wie auch Individuen werden stets bemüht sein, den Eigennutz ihres Handelns stetig zu maximieren. So oder ähnlich könnte man das wirtschaftsphilosophische Credo umschreiben, welches Adam Smith in seinem...
Das Rettungslicht der Pazifikküste - Über Erich Wolfgang Skwaras neuen Essayband
Das Buch hätte auch Seismographisches heißen können, nach der letzten der vierzehn Betrachtungen, die Erich Wolfgang Skwara seit den siebziger Jahren geschrieben hat und die nun gesammelt in dem Band Eine Wirklichkeit des Sirenengesangs erschienen sind. Es handelt sich um eine vom Autor getroffene Auswahl, die den Begriff der Betrachtung nicht nur als Mittel versteht, etwas zu betrachten, sondern den Fluß des Beobachtens, Betrachtens, Verweilens selbst mit zur Sprache bringt. Deshalb sind hier poetische Erzählung...
Das Blut liegt auf der Straße - Reflexion zur Neuübersetzung von Dostojewskis Klassiker Schuld und Sühne
Natürlich gibt es Treppenstufen, es wird sie noch sehr lange geben, sie werden unter dem Ballast der Füße knirschen, knattern, sie werden knurren, aber was sie nie schaffen werden, sie werden niemals jenen Treppenstufen ähneln können die uns Dostojewski. mit dem armen Studenten Rodion Romanowitsch Raskolnikow. (bitte, ich hab mir den Namen nicht gemerkt, ich habe ihn kopiert und eingefügt, so wie man es heute macht) hochsteigen lässt. Der Herr Student hat einen Plan, er will die alte...
Ein weitläufiges Filmgelände - Aufzeichnungen zu den neuen Gedichten von Michael Arenz
Natürlich wollte ich mich zu angemessener Zeit bedanken; aber einen kurzen Zwischenbescheid habe ich mit Absicht vermieden, weil ich weiß, daß ich dann zu einem längeren, oder sagen wir ausführlicheren Ding nicht mehr gekommen wäre; man hat so seine (reichen) Selbsterfahrungen. Wieviel ich jetzt zustande bringe, wird sich noch zeigen... Also, lieber Michael Arenz, es hatte auch mit der Sache selbst zu tun: zunächst habe ich in den Poemen ein bißchen herumgekramt, dabei stieß ich auf allerlei, das auf Anhieb nicht unbedingt...
Philosophische Herausforderungen für die Neurowissenschaften - Christine Zunke zeigt die Grenzen der neurophysiologischen Forschung
Das Thema ist nicht neu und Christine Zunke ist nicht die erste Philosophin, die sich kritisch mit den Ergebnissen und Folgerungen neurophysiologischer Untersuchungen auseinandersetzt. Und dennoch hat sie eine lesenswerte philosophische Dissertation verfasst, in der es ihr gelingt, klassische Theoreme der Willensfreiheit und des Selbstbewusstseins nicht nur gegen neue naturkausale Erklärungsmuster zu verteidigen, sondern diesen neuen Wissenschaften ihre Erkenntnisgrenzen und Erkenntnisvoraussetzungen aufzuzeigen...
Die Liebe in den Zeiten der modernen Astrophysik - Zu Ulrike Draesners Roman „Vorliebe“
Es könnte eine Geschichte sein wie tausend andere: Eine nicht mehr ganz junge, von beruflichem Ehrgeiz angetriebene Frau, die sich längst in der mittelmäßigen Beziehung zu ihrem Lebenspartner eingerichtet hat, trifft – wie der Zufall es will – auf ihre unerfüllte Jugendliebe, und das Gefüge ihres bisherigen Lebens gerät ins Wanken.
Dass ein auf den ersten Blick so konventioneller Stoff unter der Feder einer klugen Autorin wie Ulrike Draesner kaum zum Kitsch verkommen kann, dürfen wir getrost voraussetzen. Gleichwohl...
"Schatz, ich gehe nur kurz Zigaretten holen" – Diskont-Detektiv Marek Miert und sein neuester Fall
Für einen Privat-Detektiv gibt es verschiedene Möglichkeiten, an neue Klienten zu kommen, beispielsweise das Aufgeben einer Anzeige. Wem das zu spießig erscheint, der könnte auch den Polizeifunk abhören und Einbruchsopfern seine Dienste offerieren. Auch Marek Miert, seines Zeichens Harlands erster und bislang einziger Diskont-Detektiv mit Hang zu Mozartkugeln und erlesenem Rotwein, stünden diese Wege offen. In seinem neusten Fall, erneut vom in St. Pölten lebenden Manfred Wieninger zu Protokoll genommen und durch den Haymon Verlag...
Depression, die Quote und das Kartenspiel – Major Schäfers neuester Fall
Der Beruf des Polizisten darf, bei neutraler Betrachtung, zu den härteren Berufen gezählt werden – arbeiten ist immer dann, wenn andere feiern, dazu mittelmäßige Bezahlung und der Umgang mit Mitbürgern, die im günstigsten Fall komatös, im schlechteren Fall gewaltbereit daherkommen. Schwerwiegender als glatte Beindurchschüsse und abgeschrappte Handrücken vom rettenden Hechtsprung in den Straßengraben sind jedoch die seelischen Wunden, die mancher Einsatz zu hinterlassen geeignet ist...
Von zarter und genauer Skepsis – Volker Demuths neuer Band Lapidarium
„Seine Essays haben Volker Demuth den Ruf eines so scharfsinnigen wie sprachmächtigen Zeitdiagnostikers eingetragen.“ befindet der Klappentext und weiter ist zu erfahren: Harald Hartung schrieb dereinst über Demuths ersten Gedichtband in der FAZ, er sei „ein Poet von zarter und genauer Skepsis. Er sieht mit eigenen Augen und findet eigene Metaphern. Er hat die Gabe des ersten Blicks. Vielleicht auch deshalb, weil er weiß, was alles schon gesehen wurde." - Diagnostik und Blick fallen hier zusammen. Die Anschauung löst Echos aus, Worte...
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