Vom Kriminalroman zum konspirativen Eiertanz – Heinrich Steinfest komponiert mit Skurrilem das Chaos des Irrsinns des Alltags
"Unordnung ist bloß ein Eindruck derer, welche eine Komposition nicht verstanden haben", lässt Heinrich Steinfest seinen Protagonisten Lorenz Mohn am Ende des Romans sagen und mancher Leser mag sich darüber so seine Gedanken machen, auch wenn eigentlich mit dem Abschlussgemälde, der "Komposition", das Attentat auf Claire Montbard gemeint ist, die im Showdown durch eine Luftlinie mit ihrem Killer, Schulter an Schulter, verbunden wird. Die Komposition des Romans jedenfalls zielt auf dieses Schlussmoment hin...
Beissend gewürzte Kürze - Laghukatha - das junge Genre der Hindi-Kürzestgeschichte
Stellen Sie sich vor, Sie schlagen ein Witzebuch Ihrer Wahl auf. Sie finden dort viele kurze Texte, in denen eine Handlung bis zur Pointe vorangetrieben wird. Sie lachen oder schmunzeln zumindest. Warum lachen Sie? Weil am Ende des Textes etwas Unerwartetes beschrieben oder gesagt wird: Eine gewisse Überraschung ist also der Grund für das Amüsiertsein. – Eine durchschnittliche indische Kürzestgeschichte, eine Laghukatha (laghu: kurz, klein; katha: Geschichte, Erzählung), funktioniert im Prinzip ganz ähnlich, will jedoch nicht...
Die Bars von Atlantis - Durs Grünbein und der feine Nachgeschmack der Verse
Die formelhafte Frage, was uns der Dichter damit sagen wolle, erwartet meist eine Antwort, die kürzer ist als der Gegenstand der Interpretation, eine bündige, griffige Antwort. Jeder Leser hat wohl schon die seltsame Formel schräg beäugt und sich über solche Forderung gewundert. Dass die Deutung kürzer ausfällt als der interpretierte Text, ist ein Ding der Unmöglichkeit: ist doch gerade die lyrische Aussage auf Kürze berechnet, die lyrische ist die knappe Ökonomie. Aber gerade der lyrische Text ist es, der das Verlangen nach...
Spaziergang durch die Märchen der Einsamkeit - Christoph Meckels Traumruinen
In sieben Erzählungen und einem Epilog, zum Teil bereits einzeln veröffentlicht, nun aber gebündelt wie ein kaleidoskopischer Episodenroman, führen Meckels namenlose Helden in eine Welt der Zerstörung und Einsamkeit. Egal ob als Hausmeister verlassener Kasernen, Architekt vor gebrandschatzten Regierungsgebäuden, paramilitärischer Entsorger von scharfen Bomben und Blindgängern, sterbender Beobachter einer endzeitlichen Szene – der Erzähler ist der zum Menschen gewordene versehrte Engel...
Unter Verlust weitergelebt - Peter Wawerzineks Freundschaft zum Hallenser Dichter Matthias Baader Holst
Er war auf der Suche nach einem „Dichter mit Mumm“, nach einem Freund, der „bereit war, alles zu geben und neben sich den anderen Dichter zu erdulden.“Peter Wawerzinek, an dem sich der Literaturbetrieb regelmäßig die Zunge zerbricht (dabei ist es ganz einfach, er spricht sich, wie er sich schreibt: Wa-wer-zi-nek), findet BAADER, dem der gleiche Literaturbetrieb DAS DESINTERESSE entgegenbrachte, das der Autor zum Titel seines Buches machte. Das Desinteresse währt über den Tod des Freundes hinaus, denn „Matthias“ BAADER Holst...
der verwunderte mauerzeitungsleser erspürt sich die stadt - ein grundlagentext zur „poetik des raumes“
giwi margwelaschwili, 1927 als sohn georgischer emigranten in berlin geboren, hat einen hochintellektuellen und zugleich äußerst amüsant zu lesenden essay über mauertexte, aufschriften auf mauern im heutigen berlin geschrieben – und er begibt sich so auf seinen tatsächlichen und geistigen wanderungen durch berlin auf einen abenteuerlichen weg der erkundung, des entdeckens einer stadt mit ab- und tiefgründen, mit einsichten, die sich dem oberflächlichen flaneur kaum erschließen. margwelaschwili schafft so eine spezifische poetik der stadt...
Chansons über Fürze und Tauben vergiften - Georg Kreislers Leben
Georg Kreisler gehört zweifellos zum einem der begnadetsten Chansoniers und Kabarettisten deutscher Zunge. Das weiß nur kaum jemand. Sein schwarzer Humor und manchmal jüdisch-wienerischer Charme sind nicht jedermann's Sache und seine Sache ist manchem durchaus unbequem. Kreisler mußte Hunger leiden nicht nur in den Jahren des Krieges und so richtig Erfolg mit seiner Musik hatte er erst in höherem Alter. Heute ist Georg Kreisler schon 88 Jahre und man wünscht ihm noch ein langes und gesundes Leben...
Poetische Kunst der Erinnerung - Christoph Meckels Prosa über Marie Luise Kaschnitz und Peter Huchel
Es gibt in der Gegenwart nur wenige künstlerische Lebenswerke, die durch die Jahrzehnte hindurch so eindringlich vor Augen führen, dass Erinnerung die Mutter der Musen ist, wie das bildnerische und das dichterische Werk Christoph Meckels. Dabei geben die Lebensdaten des 1935 in Freiburg im Breisgau geborenen, heute wieder in dieser Stadt lebenden Meckel nur den äußeren Rahmen ab für seine graphische und seine poetische Kunst, die auf höchst eindrucksvolle Weise, eingedenk der selbst erfahrenen...
Die Fatalität der Liebe – im Roman von Alan Pauls
Unausweichlich sind die wenigsten Dinge, die Liebe aber gehört ganz gewiss dazu. Die Liebe ertrage und glaube, hoffe und dulde alles, komme was da wolle. Ungefähr so beschrieb der Apostel Paulus das höchste der Gefühle den Korinthern. Was aber muss das für eine Liebe sein?
In seinem ergreifenden Roman "Die Vergangenheit" geht der Argentinier Alan Pauls dieser Frage nach. Darin zeichnet er die Geschichte des Übersetzers Rímini nach, der sich nach zwölf Jahren Ehe von seiner Frau Sofía trennt und einen...
Nach der Apokalypse – Erzählungen von Christoph Meckel
In seinem Buch «Nachtsaison» schreibt sich der Berliner Lyriker und Grafiker Christoph Merkel durch eine dunkle Welt ins Licht der losgelösten Metaphern. Und findet die zwei wichtigsten Worte des Beginns allen Schreibens: Es ist. - Am Anfang steht immer die Frage nach der Ordnung und Anordnung von Linien und Zeichen, von Buchstaben und Zeilen auf dem weissen Papier. Das verbindet die Grafik und die Lyrik, jene beiden hauptsächlichen Äusserungsformen des 1935 in Berlin geborenen Christoph Meckel. Seltener schreibt Meckel Prosa...
Unterm Dach wohnt das Angekommene – Fotos & Gedichte aus einem bayrischen Dorf
Der Dichter Harald Grill lebt in einem bayrischen Dorf, kennt daher diese Welt aus eigener Erfahrung. Als ihm der Fotograf Stefan Winkelhöfer, der in einer Nachbargemeinde lebt, einige Fotos aus dem Zyklus „Gesichter eines Dorfes“ zeigte, geschah etwas, das den Autor verblüffte: „Er ließ mir die Bilder zwei Wochen da und in kurzer Zeit entstanden Gedichtentwürfe. Ich bin kein Schnellschreiber, für meinen letzten Gedichtband auf freier strecke (erschienen 2008 im Verlag Sankt Michaelsbund) benötigte ich zwölf Jahre.“...
Poesie des Lebendigen – Neo Rauchs Bilder sind mehr als Begleiter
Eigentlich ist alles faktisch. Wir befinden uns nachweislich, um wikipedia zu zitieren, und schon der Gedanke sich nicht zu befinden, ist faktischer Teil einer Gebärde, die getan wird, eine Tatsache also. Sofern man Gedanken als reale Geschehen ansieht und ihre Inhalte als nicht beliebig, sondern als gültige Reflexionen wie von Fischschuppen. Was in uns herumschwimmt ist weder beliebig noch irreal. Es ist da und macht in uns etwas und mit uns etwas. So läßt sich das Innere kaum anders nachweisen als durch seine direkten...
Die Generation der Verbrannten spricht alles an - Sanaz Zaresani ignoriert die Begrenzungen
Sanaz Zaresani, 1980 im iranischen Sarab geboren, verließ ihr Heimatland 2008, aufgrund der andauernden Repressionen gegen Intellektuelle und Künstler, gen Istanbul. Seit 2009 lebt sie in Deutschland. Im Sujet Verlag ist nun ihr erster Lyrikband auf Deutsch erschienen. In „Die Geschicklichkeit begrenzter Buchstaben“ zeigt sich nicht nur die oppositionelle Iranerin, sondern auch eine vielschichtige Stimme, die die internationale Lyrik bereichert. Sanaz Zaresani dichtet in der Tradition von Forough Farrochsad...
„Kein happy end“ - Ulrich Raulff schrieb eine posthume Biografie von Stefan George
Mit seinem Buch „Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben“ ist dem Direktor des Literaturarchivs Marbach, Ulrich Raulff, zweifellos ein großer Wurf gelungen. Als Leser weiß man nicht, was man mehr bewundern soll, die Belesenheit des Autors, die es ihm erlaubt, in die feinsten Verästelungen des Beziehungsgeflechts der George-Jünger hineinzuleuchten, oder die geschliffene Sprache, durch die die Lektüre zu einem genussvollen Vergnügen wird, das man bei anderen Büchern heutzutage oft schmerzlich vermisst...
Collagierte körperliche und geistige Befunde – Wahrheit und Narrheit vermischen sich bei huelsTrunk & brandStifter
Wer bretonsche Surrealismen, schwittersche Merziaden und dadaistische Skurrilitäten mag und auch nicht vor einer Sprache samt Bildmaterial zurückschreckt, die sich nicht vollständig erschließen und die, je nach Tagesform, frische Interpretationen hervorrufen, der ist bei antikörper/antibodies bestens aufgehoben.
„Sprache der Welt, Sprache unter der Sprache, Sprache, die in die lebendigen Gewebe, in die Tiere und Pflanzen eindringt“ (Jean-Michel Goutier). Das finden wir in dem Band antikörper/antibodies...
Dichtung vom Leben und Dichtung im Leben - Rodica Draghincescu befragt Literaten zum besonderen Status des „Schreiben leben“
Interviews mit Künstlern, in denen jene Selbstauskünfte zu ästhetischen, moralischen oder gesellschaftspolitischen Positionen erteilen, finden sich allenthalben. Interessant am vorliegenden Buch ist die Zusammenstellung von eigens für diesen Band mit Personen unterschiedlichen Alters und Herkunft geführten Gesprächen zum Thema Literatur. In ihrem Nebeneinander fordern diese Dialoge zum Vergleich der Anschauungen und Ansichten auf, befördern damit eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Gesagten und bieten vor allem...
Kafkas Leben bestand aus Warten – in Berlin und anderswo
"Wenn es möglich wäre, nach Berlin zu gehen, selbständig zu werden, von Tag zu Tag zu leben, auch zu hungern, aber seine ganze Kraft ausströmen zu lassen statt hier zu sparen oder besser sich abzuwenden in das Nichts! Wenn Felice es wollte, mir beistehn würde!" Mit diesen wenigen Zeilen aus einem Brief Kafkas aus dem Jahre 1914 in das ganze Dilemma seiner letzten Lebensjahre umrissen. Ohne die Unterstützung seiner Geliebten Felice Bauer wagt er es nicht, sich von seiner Familie zu lösen, obwohl er es noch so sehr wünscht, er bedarf der Hilfe...
Postapokalyptisch, postutopisch und postpathetisch – neue Gedichte von Jean Krier
Wer frische Luft atmen will, braucht Jean Krier neues Buch Herzens Lust Spiele. So etwas hat man hierzulande noch nicht gelesen. Besser gesagt: so etwas liest man hierzulande nicht. Kein Wunder – der deutschsprachige Dichter lebt in Luxemburg. Dabei sind seine Texte gar nicht so froh und sorglos und dennoch strahlen sie bei aller Ernsthaftigkeit rundweg eine unbeschwerte, lebensbejahende Fröhlichkeit aus. Diese Fröhlichkeit ist fragil und aus vielen authentisch anmutenden Krisen gewachsen...
Gegangene Wege von Jandl weg auf Jandl zu – eine perlende Anthologie
Anlässlich der fünften Verleihung des seit 2001 biennal vergebenen und im steirischen Neuberg an der Mürz überreichten Ernst Jandl-Preises lud der unter anderem als Arthur Schnitzler-Herausgeber bekannte Dramaturg, Literatur- und Theaterwissenschaftler Reinhard Urbach alle bisherigen Autorinnen und Autoren sowie Jurorinnen und Juroren der Neuberger Lyriktage dazu ein, einem Gedicht von Ernst Jandl einen eigenen Beitrag gegenüberzustellen, der laut Rückseitentext des Bandes...
Heitere Himmel, schweigende Steine – Paul Celan in der Bretagne
Trébabu – ein Name, den man auf den meisten Landkarten von Frankreich vergeblich sucht. Klingt nach einem geheimnisvollen Ort, den man mit Märchengestalten wie dem Zauberer Merlin oder der guten Fee Melusine verbindet. Aber der Ort ist eher mit einer sehr realen Gestalt verbunden: dem Dichter Paul Celan, der als der bekannteste jüdische Nachkriegsdichter deutscher Sprache gilt. Er übersetzte das Grauen der Konzentrationslager in rätselhafte Poesie, die bei seinen Zeitgenossen nicht immer auf Verständnis stieß...
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