publizierte Zitate ab Jan. 2004
|
ein stern tat sich mir schenken |
Kleine Meditation über das Mobile Das Mobile dreht sich, |
Heute treffen sich die Sterne zu einem Tète-à-Tète. Tanabata! Das Fest der Liebe, der Himmelsprinzen. Oriheme und Hikoboshi dürfen sich in die Arme nehmen, heute dürfen sie sich küssen. Hat jeder einen Wunsch frei heute, schreibt man auf kleine Zettelchen und hängt diesen auf einen Zweig. Es ist ein rituelles Leben, das man führt in diesem Land. […] |
„Er kann sein Lächeln anknipsen, wenn ihn etwas überrascht. Spontane Freude zum Beispiel. Dann wieder knipst er es plötzlich und unerwartet aus. Die Welt hat keinen Anfang. Die Leute keine Ahnung. Da wird es dunkel und er selbst ist nicht mehr da. Nur wenn er lächelt, ist er da. Flüchtiger Moment des Glücks ohne fremde Zutaten.“ |
Goldfish hob den kopf und sah Was soll ich, sagte goldfish, da Da nieselts, regnets, gieszts in stroemen da bleib ich lieber untertaucht. und wart |
19. Juli, Montag Die Hauptpost befindet sich in der General-Gurka-Straße. Ein Angestellter und ein Kunde weisen mir auf Deutsch den Weg zum Schalter für Poste Restante. Die Beamtin ist freundlich. Sie fragt mich, nachdem das Geschäftliche der Sprache wegen etwas mühsam erledigt ist, nach meinem Vornamen. Sie heißt Gloria. Die Fassade der Alexander-Nevski-Kathedrale, die auf einem Hügel steht, überrascht mich am meisten von der Südseite. Vor dem Portal an der Westseite sind alte Frauen den ganzen Tag bemüht, winzige Blumensträußchen zu verkaufen. Der in den Himmelsrichtungen zugängliche Platz rund um die Kirche ist gepflastert und frei von Fahrzeugen, ein Ort zum Verweilen, Atmen. Die Straße, die zum Haupteingang führt, sackt, von dort aus gesehen nach einer Geraden ab, auf der Händler Antiquitäten verkaufen. Ein silbernes Armband mit grünen Steinen hat’s mir angetan, vor Verkaufsschluss am Abend bin ich wieder hier. In der Kirche zünden die Leute Kerzen an, schlagen griechische Kreuze. Die Haltung der in die Andacht Vertieften hat etwas Leichtes, Ungezwungenes und doch Bestimmtes. Sie beten vor den brennenden Kerzen, gehen mit brennender Kerze zu Heiligenbildern, verbeugen sich, küssen die Heiligenbilder. Der Kustos löscht die heruntergebrannten Kerzen, räumt sie ab. Ich sitze im Seitenschiff längs der Mauer auf einer Bank, auf der heute Morgen eine Frauengestalt saß. Unbeweglich las sie in einem Buch. Ihr breiter Schal, der vom Scheitel über die Schultern fiel, verdeckte das Gesicht. Das blaue Tuch hat Piero della Francesca der Madonna von Senigallia umgelegt, das Blau der römischen Kaiserinnen. Wir sind eine Stunde vor. Alexander Nevski läutet den Tag aus. Lautes Gebimmel in rascher Folge, dann das Dröhnen einer größeren Glocke, das Ganze aufgeregt gesteigert bis zum unerbittlichen Ausklang mit Stundenschlag. Machen die Glocken sehen? Wie der Abendwind frech in die Haare und Röcke der nach Hause eilenden Mädchen und Frauen fährt. Rhythmus der Schritte im freien Rhythmus des Windes, Schauspiel, Magie, zugespitzte Gegenwart. Mir gelingen noch zwei Anrufe in der Moskovskastraße kurz vor dem sechsten Schlag. Morgen will ich mit der Eisenbahn ein Stück zurückfahren, um einen Berg zu besteigen, der mich auf dem Weg nach Sofia verrückt gemacht hat. |
Wieviel Geschichte |
Die Bäume ringsum blühen, die Blumen auf den Gräbern blühen auch. Es ist schön hier und warm. Wenn es immer so sein würde, möchte man sogar hier bleiben. Die Steinreihen stehen an den Kopfenden der Grasbetten, der letzten Gärten auf Erden, mit Gedichten darauf und weinenden kleinen Engeln. |
ein fenster blüht im schneefall |
|
|
|
|
|
||
Die Frauen- und ein paar brummende Männerstimmen psalmodierten "JetztundinderStundeunseres ...", aber der Vater fiel ihnen schon mit dem nächsten GegrüßetseistduMaria ins Wort, schnitt ihnen das AbsterbensAmen ab. "Das macht er immer, der Vater, der lässt uns nie ausreden", dachte Moidi. Aber der Schwienbacher war eine Maschine, die schneidet und drischt, und der Führer hatte sie allesamt verraten, Teufel noch einmal. "Verkauft an die Walschen. Nicht einmal die Vorhänge hatte der Schuft aufgezogen, als er im Zug durchs Land gefahren war. Wollte seine Visage nicht herzeigen. Die Spruchbänder auf den Bahnhöfen nicht sehen. Der feige Hund! Jetzt sollte unsereiner frisch alles liegen und stehen lassen und nach Galizien auswandern!", so kam der Vater nicht umhin zu denken. Ja, mit dem Beten hatte es heute nicht das Richtige auf sich. |
Am Morgen um sieben ist die Hitze schon da. Sie fließt vor dem Flughafengebäude über den gestampften Lehmboden, wo sich die Taxifahrer um die wenigen Kunden streiten. Der Weg zu Fuß über den kleinen Flughafen. Zuerst rechts und links Steppe, dann ein paar Flecken englischer Rasen. |
|
Die Museumstraße entlang und immer tiefer hinein in die Geschichte einer Familie, von der ich zunächst nichts anderes wusste als das Datum der Ermordung Richard Graubarts. In den vergangenen drei Jahren war diese Straße breiter geworden, geweitet von Material, von Erzählungen und persönlichen Gesprächen, von jeder Menge Andeutungen auch. Freilich, ich bemerkte recht bald, ich bewegte mich im Kreis, gelangte zurück an den Anfang und fand mich wieder vor dem Geschäft, das Simon Graubart im Jahr 1888 gegründet hatte. In guten Momenten glaubte ich darin etwas Symbolisches zu erkennen und einen Ring zu sehen, der sich um die Stadt legte, um sie an ihre Vergangenheit zu gemahnen. Allmählich jedoch wurde mir klar, dass ich es mir zu einfach machte, indem ich die Geschichte der Familie auf ein Ereignis reduzierte und auf die Frage nach dem Mörder von Richard Graubart. |
David blickte in den Hof hinunter. |
|
|
MUND, der Gedichte philosophiert, |
An einem Sonntag betrachteten wir gemeinsam die spitzen, hohen Berge, die sich vor uns erhoben, und ich fragte den Vater, ob er mit mir auf so einen Berg steigen würde. |
Wenn die erde hinter den bergen doch rund sei, vielleicht, wie seine großmutter, so erinnere er sich, immer gesagt habe morgen für morgen, wenn sie, nachdem sie (das lange dünne, wunderbar weiße haar noch offen) aus dem bett gestiegen sei, das fenster geöffnet habe zum tauern hinauf, so müsse das tal doch, habe er immer gedacht, ein vollkommen anderes sein; vollkommen anders als die welt rundum, die von gott, dem schöpfer, so vollkommen erschaffene. Und alles vollkommene, habe er nun gedacht, müsse folglich gottgewollt immer das teil und sein gegenteil sein und also etwa stier und kuh oder mutter (hutmutter, nutmutter, kronenmutter) und schraubenbolzen, geiß und geißbock. |
"Sie sucht in ihrem Handwerk Zuflucht. Hinter ihrem Webstuhl. Der einzige sichere Ort für eine, die Zuflucht nötig hat. Das Sausen der Spindel. Das Auf und Ab der Schäfte. Das Anschlagen des Weberkammes. Vertraute Geräusche. |
|
Nichts schob sich zwischen den Himmel und das abgeschabte Skelett, nur ein paar ausgetrocknete Büsche am Horizont. Der Wind wehte und trieb die feinen Staubpartikel über den Körper. Trockenheit modellierte Bruchlinien, Abschuppungen und Spalten in den Boden. Der aufgewirbelte Sand sammelte sich, ließ Dünen entstehen, wachsen und wandern, bis sich die Wellen und Flächen wieder im Sturm verloren. Die Sandkörner drangen wie Nadelstiche in die Haut. Irma kratzte sich, wälzte sich, rollte über Schotterfelder ohne Schattenschutz. Da waren nur welke Sträucher, einzelne Halme in Mulden, wie Kanülen in den Beugen stehengelassen. Die Luft vibrierte, keine Wolken. Irma tastete über die Kratzspuren, die Verkrustungen und Faltungen – ein Klingeln. Sie setzte sich auf, schüttelte sich, fiel zurück ins Bett und griff nach dem Schalter. |
|
Aus: Maria Koch und Annemarie Regensburger. Tiroler Adventkalenderbuch.
|
Reitet man von der Hafenbucht herauf, die prächtige Abtei Xeropotamo vorüber, durch romantisches Waldgeschlinge zum Höhenkamm, trifft man mitten im Dunkelschatten des Laubwaldes, rechts am Pfade, eine grüne Alpenwiese mit Zaunwerk künstlich eingefriedigt, Sennhütte und Hürde neben Brünnlein und Bächen; es ist Mittagsgluth, die schweigenden Lüfte, das Bienengesumme, der Wanderer sitzt am Born, Kastanienlaub und Alpenflor schwanken im Wasserspiegel,
Quae simul aspexit liquefacta rursus in unda, "wie der Morgenthau in der Sonne, so schmilzt ihm die Seele in der Brust." Wie jener Emir in Alhambra können wir Alle, selbst der Größte und Glücklichste, die Tage wahrer Seligkeit und innigen Entzückens aus unserem Leben ohne Mühe zusammenzählen. Ich werde einen Septemberabend in den Engthälern des kolchischen Amarantengebirges und die Mittagsrast am Wiesenplan oder Xeropotamo nie vergessen. Wie unbegreiflich, wie preislos und verächtlich doch in solchen Momenten all unser Mühen und Streben erscheint! Der Mensch ist aber nicht zu stillem Genuß, er ist zum Kampf geboren; schweigend eilt er am offenen Thor der Seligkeit vorüber und sucht sich neuen Gram." |
„Haben nicht jene, deren Weg immer wieder auf steinerne Hindernisse trifft, schneller und nachhaltiger lernen müssen, über die eigene Nasenspitze hinauszuschauen? Nach vorn, und dann, wenn sie an Grenzen stoßen, dem Gestein entlang nach oben, wo’s nur mehr Blau wird. Und vielleicht ist gerade dort der Horizont weiter als anderswo.“ |
Aus: Josef Pedarnig, Flusslandschaft. "Ist aber der Himmel wolkenbedeckt, dann ist die Dunkelheit über dem Wasser vollkommen, jeder Schritt ein Wagnis in meiner sonst so bekannten Welt. Das Wasser scheint eher in die Tiefe des Flußbettes zu stürzen als flußabwärts zu rinnen. Ich flüchte zu meinem halb im Sande vergrabenen Baumstamm, den ich umklammern, an dessen Holz ich meine Wangen drücken kann, in dessen tiefen Klüften ich noch einen Schimmer des vergangenen Tages zu finden hoffe. Auf ihm sitzend verliere ich die Angst, der Boden könnte mich verschlingen. Von ihm aus wird die Antwort auf die Frage, warum ich mich der völligen Finsternis aussetze, zu einer Geste des Triumphes. Trotzdem habe ich keinen Grund zum Prahlen, denn solche Nächte am Fluß werden immer Übungsstücke bleiben, über die es wenig zu erzählen gibt." |
Aus: Birgit Unterholzner, Die Blechbüchse. Dialoge in Prag"Bevor sie die Reise antraten, sagten sie, Ohne Risiko fahren wir nicht. Sie sagten es beide und sahen sich dabei lange in die Augen. Es war wichtig zu fahren, soviel spürten sie und es würde ein Wagnis werden. Als handle es sich um ein Experiment, von dem die Frauen nicht wussten, wie es enden würde.
Es ist noch früh am Vormittag. Therese und Franka sind auf dem Trödelmarkt in der Krakovská. Sie schlendern durch ein Labyrinth von Truhen, Porzellan, Öllampen, Grammofonen und Schallplatten. Ein Maler hockt auf einem Schemel und skizziert mit Kohle das Porträt einer Unbekannten. Die Gesichter ehemaliger Modelle lachen aus Klarsichtfolien von seiner Staffelei. Sie sind ausnahmslos amerikanische Vollblut-Beautys. Vom Winde verweht. Feiste Hausfrauen stehen bei den Marktständen. Sie verkaufen Pappvögel, Rechenschieber, Drahtpuppen in Stofffetzen, Rasselnüsse und handbemalte Ostereier. Hinter Aquarellen, hinter Billigpostern lehnen tschechische Familienväter und warten auf mit Ansichten und Kitsch der Goldenen Stadt. Glas und Mundgeblasenes reihen sich dicht an dicht. Therese zieht die zerbrechliche Orchidee aus einer Kupfervase. Sie steckt ihre Nase hinein und denkt, blau, blauer als blau, überrascht schaut sie in die Klarheit der Glasblüte. Diese Farbe kann es nur in Prag geben. Prag ist anders. Prag ist schön. Vielleicht ein wenig traurig und sie kann nicht sagen warum." |
Aus: Renate Skrinzi, Vita Minima. "Ein Glück steigt in sie hinein und breitet sich dort aus. Hüllt sie ein. Und immer mehr noch kommt von dem Glück zu Luise. Bis sie meint noch nie so viel an Glück verspürt zu haben. Ein friedvolles Glück ohne Herzrasen und ohne Feuerwerk. Bis sie dann gar nichts meint. Nur mehr ist: ein großes sanftes Glück ohne Höhen und Tiefen." |
Aus: Elfriede Kehrer, lichtschur.
|
Kopfbahnhof
"»Ins Land der Stille, einfach«, sagte ich zu dem Schalterbeamten. »Ins Land der Stille ... Einfach ...« Und der Schalterbeamte zuckte zurück. Ja. Genau. Sie wissen schon. Sie kennen diese Geste, wenn jemand den Kopf zurückzieht und die Schultern anhebt, den Kopf zwischen die Schultern drückt, und sein Hals kürzer wird und also in die Breite geht. Der Schalterbeamte verharrte einige Sekunden reglos in genau dieser Stellung. Und bewegte sich wieder. Der Kopf ruckte nach vor. Das ausgeprägte Unterkiefer wirkte noch ausgeprägter und die Person dadurch noch energischer. Ich sah ihn an. Und schaute zugleich auch mein Gesicht und meinen Oberkörper an; ich spiegelte mich in der Trennscheibe. Sein Mund, seine Lippen, seine Nase, seine Augen befanden sich auf derselben Höhe wie mein Mund und meine Lippen und also meine Nase und meine Augen. Der Mund des Schalterbeamten kam in Bewegung; während meiner stillstand. Das Wort Wohin? stürzte aus den kleinen, runden, kaum auszumachenden, links und rechts in die Trennscheibenumrandung eingebauten Lautsprechern. Und eben in diesem Augenblick dachte ich, daß sich am Ende meines Gehörgangs ein Bahnsteig befände. Ein Gehörbahnsteig, auf dem ein Zug wartet, in den nur Wörter einsteigen." |
Aus: Magdalena Kauz, wortgestöber.
|
Aus: Raoul Schrott: Triumph der Ewigkeit II. In: Weissbuch. "daß die küste sich über alles hier erhebt brachte mir dieses haus inmitten seiner hecken nahe und den horizont um seine endgültigkeit im gras der kuppe verlor jeder gedanke sich im unermeßlichen der weite jenseits dieser hügel - ihrer uhrzeitlichen resignation und der stille die auf den felsen liegt abseits menschlicher möglichkeiten für eine weile fand etwas in mir zu ruhe und wenn wind aufkam und an den bäumen riß war da nur schweigen es den stimmen anzugleichen unaufhörlich teilnahmslos wie jahreszeiten die erst in reichweite der hand lebendig werden die wahl einzig alles hinter sich zu lassen auf einem weg hinunter zu einem meer das an seinen ufern noch jeden schiffbruch litt" |
Aus: Oswald Egger: Prosa, Proserpina, Prosa. "Gut ist es, vertraut und Zeit, in Trunkmut rasend zu verharrren. Kriechstauden, die verkieselten, Kronblattschatten als ob Sträuchborsten. Fegwolken, die vorüberstiebenden, Brachböden, worauf Äpfel rollen. Golander-Watwassertropfen-Spritzer, Traumel’terten untumult in Bildern.
Den Monat in den Gruben der Vergnügen und in Angelblüten: Bienen. Windstill – zwischen Kram-Ramsch-Maschen aasen diese Trübsel gedrippt, und Blässen kommen, Krokusse Mittelteint-Blüten Sprießeln, die erröten (zeitlos). Ein éventail schimmerte Kornähren, der andere Kornblumen. Andere tun Buchsfarben, Rostspinnen umklackt und haben kleine (weiße) Knöspeln. Wo alles Grabwespe weidet, treideln unschur überrankte und Gespinstlitzen zwischen Rogelgängen entzwei." |
Aus: Günther Loewit, Kosinsky und die Unsterblichkeit. "Vorsichtig wagte er sich näher an den Holzweg heran. Kosinsky war sich sicher, dass jetzt jedes Fahrzeug schon von weitem an seinen Scheinwerfern zu erkennen sein müsste. Aber er mahnte sich noch einmal zur Vorsicht. Vor allem fürchtete er die Fahrräder der Denunzianten und Spitzel, die erst im letzten Augenblick am leisen Knirschen des Schotters unter den Reifen erkennbar wurden. Schon öfter, wenn sie ihn in der Nähe des Sommerhauses im Mittelgebirge vermutet hatten, benutzten sie diese schwarzen Räder bei ihren scheinbar zwecklosen Fahrten. Aber auch wenn er sich einredete, dass er von nun an selbst die Räder rechtzeitig erkennen würde, um sich noch einmal in die Dunkelheit des Waldes zu retten, keimte doch wieder dieses bange Erwarten in ihm. Die Angst, dass etwas Unvorhergesehenes seine Heimkehr für heute verhindern, für immer unmöglich machen könnte. Den ganzen Tag im Wald ertrug er nur in der Hoffnung, seinen Sohn am Abend in die Arme nehmen zu können. Wenigstens in diesen wenigen Stunden wollte er ihm eine Ahnung von Geborgenheit geben. Die Unsicherheit, mit der er selbst aufgewachsen war, wollte Kosinsky von seinem Sohn..." |
Aus: Joseph Zoderer, Wir gingen. "Ich habe zu spät zu fragen angefangen, ich habe nicht mehr viel erfahren können; als ich zu fragen anfing, lebten sie alle nicht mehr, die ich hätte fragen wollen. Ich konnte nur mehr meinen Bruder fragen, meinen Bruder als vage Wissenden, ich als einer, der bis dahin nichts von seiner Vergangenheit und seinem Herkommen hatte wissen wollen. Ich habe gefragt und mir erzählen lassen, denn nur weniges, Unwichtiges, war mir selbst im Gedächtnis geblieben aus Meran: aufgeschichtete Holzscheite an der Hausmauer, ein Brunnentrog, wo ich meiner Mutter und meiner ältesten Schwester beim Wäschewaschen zuschaute, die Finsternis des Hausganges, von wo ich einmal in der Nacht Schreie hörte…" |
Wien, Bozen: Folio, 2004 "Ich bin die Flocke FINTERWALLEN, |
"»Sein Vater habe sich in Luft aufgelöst, sagte der Junge, von einem Tag auf den anderen.« Eines Morgens, als er, schlaftrunken noch, nach unten kam, war es eben passiert. Die Schranktüren in der Küche standen weit aufgerissen, die Schubladen lagen auf dem Fußboden verstreut, und mitten im Durcheinander kniete seine Mutter. Er wird gleich wiederkommen, war das Erste, was sie sagte.“ |
„Dann im Süden will ich mich unter die Zypresse legen und im hohen Gras ringsum werden die Zikaden singen.“ |
„Ein paar von der Hitze verzehrte Blätter liegen am Platz, wo sonst die Busse stehen. Es ist nur eine Erinnerung. Im voraus. Ich überlege nur, was ich nachher wahrscheinlich nicht mehr zu denken imstande bin, denn dann werde ich tot sein. Jedenfalls in einem anderen Zustand. Nichts wird darauf hindeuten, daß ich hier war.“ |
„Der Weg von meinem Hotel zur Kanzlei war ein kurzer, ich nutzte die Zeit, um die Straßen mit Bildern aus meiner Jugend zu vergleichen. Ich ging in dieser Stadt zur Schule, acht lange Jahre, ich kannte jeden Winkel. Die Stadt hatte sich bewegt in den vergangenen Jahren, ich erkannte nur wenige Fixpunkte wieder. Den meisten Lokalen verpaßten eifrige Wirte neue Namen, das Trachtengeschäft, in dem Mutter ihre geschmacklosen Schürzen kaufte, mußte einer amerikanischen Kindermodenkette weichen.“ |
„Diese Bilder habe ich mir nicht ausgedacht. Irgendwann stand die Holzkiste vor mir und war nicht mehr wegzudenken; ganz gleich, wohin ich mich drehte oder wendete, ob ich mich neben, vor oder hinter sie stellte: Sie blieb in meinen Augenwinkeln. Und wenn ich – selten genug – auf sie draufsprang, so war mir klar, daß zwar die Kiste aus meinen Augen verschwunden war, aber daß ich diesen einzigartigen Ausblick, diese Einsicht ins volle Leben, ihrer ständig spürbaren Existenz verdankte.“ |
„Wieder hält die Zeit still. Dann dreht sie sich plötzlich, wie der Wind, der seine Richtung ändert und in ungewisse Gegenden fährt. Die Zeit ist ein Schatten, der dahintreibt über flache Felder, weite Räume und ebene Landschaften.“ |
„Wieviel mehr soll es denn brauchen? Unser Leben mit der Zeit Wenn die Sätze faul werden Weil wir sie nicht umgekehrt haben |
„Erzählen als Auflösung von Verhärtung, als Aneignung von Fremdem, als Strategie des Versöhnens.“ |