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Hundertvierzehn | Willemsens Wecker
Eröffnungsrhetorik

Willemsens Wecker #1. Der tägliche Wachmacher zur Buchmesse, mit Themen, über die es sich heute nachzudenken lohnt, nicht nur, aber auch aus der Welt der Bücher.

 

Lesen Sie weiter:

Willemsens Wecker #2 – Anders als Sauerbraten
Willemsens Wecker #3 – In aller Stille
Willemsens Wecker #4 – Das Unaussprechliche
Willemsens Wecker #5 – Die Terrasse
Willemsens Wecker #6 – Kehraus

Auf, auf! Tag 0 der Buchmesse ist angebrochen! Verlage verlegen, Vermarkter vermarkten, Händler handeln. Wäre nur ein Sepp Blatter des Buchmarkts da, Live-Ticker tickerten es in die Welt: Mögen die Spiele beginnen!

Und alle wichtigen Fragen des Tages wie »Wer ist die schöne Frau an Wolfgang Bosbachs Seite?«, und alle wichtigen Nachrichten des Tages wie »Gezüchteter Penis steht kurz vor Praxistest«, sie weichen zurück vor der Eröffnungszeremonie. In zwei Schritten geht es erst im »Congress Center, Ebene C3« in den »Saal Fantasie 1 + 2« und dann atemlos – in einem »VW Helene Fischer« – ins »Congress Center, Ebene C2, Saal Harmonie«. Dort wird eröffnet. Ich hätte Wolfgang Bosbach, die Schöne an seiner Seite und auch den gezüchteten Penis, so real sie sind, wohl in den »Saal Fantasie 1 + 2« gepfercht und der Buchmesse allein den »Saal Harmonie« reserviert, hat doch die Eröffnung immer alle versöhnt, das Analoge mit dem Digitalen, den Markt mit dem Anspruch, die Macht mit dem Geist, so jedenfalls klingt es seit Jahren aus der Beschönigungsrhetorik.

Roger Willemsen

Roger Willemsen, geboren 1955 in Bonn, gestorben 2016 in Wentorf bei Hamburg, arbeitete zunächst als Dozent, Übersetzer und Korrespondent aus London, ab 1991 auch als Moderator, Regisseur und Produzent fürs Fernsehen. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Bayerischen Fernsehpreis und den Adolf-Grimme-Preis in Gold, den Rinke- und den Julius-Campe-Preis, den Prix Pantheon-Sonderpreis, den Deutschen Hörbuchpreis und die Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft. Willemsen war Honorarprofessor für Literaturwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin, Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins und stand mit zahlreichen Soloprogrammen auf der Bühne. Zuletzt erschienen im S. Fischer Verlag seine Bestseller ›Der Knacks‹, ›Die Enden der Welt‹, ›Momentum‹ und ›Das Hohe Haus‹. Über sein umfangreiches Werk gibt Auskunft der Band ›Der leidenschaftliche Zeitgenosse‹, herausgegeben von Insa Wilke.

Im vorletzten Jahr ziselierte Guido Westerwelle dabei das dadaistisch angelegte Aperçu: »Unser Bodenschatz ist zwischen den Ohren.« Schlagend: Wem der Satz bodenlos vorkommt, beweist damit, wie viel Bodenschatz er selbst zwischen den Ohren hat. Schürfrechte aber sollte er nur an die vergeben, die nicht tiefer schürfen.

Denn wie hörte ich im Parlament Dagmar G. Wöhrl (CSU) die Kultur verteidigen: »Das bedeutet für unser rohstoffarmes Land, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft eine der wichtigsten Zukunftsressourcen in unserem Land ist.« Die Regierung sei ferner »kompromisslos davon überzeugt«, »dass wir in die Kulturschaffenden investieren müssen«. Und während ich selbst, ganz Zukunftsressource, noch überlegte, wie ein kompromissbereite Überzeugung aussehen könnte – »bin Antifaschist,  lasse aber mit mir reden« – fielen mir alle die Kulturschaffenden ein, die nur mit Selbstausbeutung und ohne soziale Sicherheit ihren Bodenschatz zwischen den Ohren pflegen. Alles Brache. Aber dann sagte Wöhrl noch, dass sie sich mit der Stärkung der Kreativwirtschaft auch eine Stärkung des Kunsthandwerks wünsche, und alle Weihnachtspyramiden des Riesengebirges begannen sich spontan zu drehen.

Jahre früher eröffnete Helmut Kohl die Buchmesse immer mit den Worten: »Ich bin eine ausgesprochene Leseratte«. Keine leidenschaftliche Leserin und kein Leser macht sich zur ausgesprochenen Ratte, nicht mal unausgesprochen. Heute aber eröffnet Kohl nicht mehr, er kommt bloß zu einem Fototermin rund um sein neues Buch, das kein neues ist, sondern eine Zusammenstellung von alten Stellen. Die neuen gibt’s bei Heribert Schwan und sind die meist zitierten Sätze der letzten Tage: »Die Merkel hat keine Ahnung.« Und: »Sie lungerte sich bei den Staatsessen herum, sodass ich sie mehrfach zur Ordnung rufen musste.« Vielleicht ein Relikt der DDR-Kultur: das Sich Lungern, eine Hybridform des Sich Streunens, wenn nicht Sich Gammelns.

Gut, dass nach einem FDP- und einem CDU-Eröffner dieses Jahr also einer aus der SPD dran ist. Frank-Walter Steinmeier, nicht gerade Merkels »Kulturpudel«, wie Schröder den seinen nannte, gehörte in der vergangenen Legislaturperiode dem Kulturausschuss des Deutschen Bundestags an, beehrte ihn allerdings keinmal mit seiner Anwesenheit, so wie auch Peer Steinbrück dem Kulturausschuss zwar offiziell angehörte, aber, wie Wolfgang Börnsen süffisant festhielt, an keiner »der bisherigen 80 Sitzungen seiner parlamentarischen Verantwortung gerecht werden« konnte.

Anders gesagt: Mag dieses Mal auch die Rhetorik intakt sein, mache man sich doch auch heute keine zu großen Hoffnungen auf die Erfüllung eines Kulturauftrags durch die Politik. Denn jetzt ist zwar Messe, aber was ist so eine Messe schon anderes als eine Pflege von zerebralen Bodenschätzen durch exzessives Sich Lungern?

Das Hohe Haus

Ein Jahr lang sitzt Roger Willemsen im Deutschen Bundestag – nicht als Abgeordneter, sondern als ganz normaler Zuhörer auf der Besuchertribüne im Berliner Reichstag. Es ist ein Versuch, wie er noch nicht unternommen wurde: Das gesamte Jahr 2013 verfolgt er in jeder einzelnen Sitzungswoche, kein Thema ist ihm zu abgelegen, keine Stunde zu spät. Er spricht nicht mit Politikern oder Journalisten, sondern macht sich sein Bild aus eigener Anschauung und 50000 Seiten Parlamentsprotokoll. Als leidenschaftlicher Zeitgenosse und »mündiger Bürger« mit offenem Blick erlebt er nicht nur die großen Debatten, sondern auch Situationen, die nicht von Kameras erfasst wurden und jedem Klischee widersprechen: effektive Arbeit, geheime Tränen und echte Dramen. Der Bundestag, das Herz unserer Demokratie, funktioniert – aber anders als gedacht.

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Frankfurt am Main 2020
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