Autor: stefanmesch

Writer. Book Critic. Journalist.

#blogfragen: Alles über Buch- und Literaturblogs

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Die (immer gleichen) Debatten über Qualität und Selbstverständnis von Buch- und Literaturblogs verlieren – zum Glück – langsam an Schwung: Niemand, der online über Lesen und Bücher schreibt, muss sich dauernd neu erklären, entschuldigen, rechtfertigen.

Trotzdem habe ich viele Fragen an Rezensent*innen und Blogger*innen – und sammelte Ende September 2015 eine erste Runde: 15 #blogfragen zum Mitnehmen und Beantworten.

über 20 Buch- und Literaturblogs haben seitdem geantwortet:

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Chris Popp von Booknerds.de hat eine Liste mit „unbequemen, stachligen, kratzigen“ Fragen veröffentlicht. Ich habe hier (Link) geantwortet. Eva Maria Höreth hat einen Fragenkatalog an Autor*innen zusammengestellt. Auf ihrem Blog Steglitzmind stellt Gesine von Prittwitz schon seit Jahren Fragen an Blogger: Empfehlung!

Meine 50 Lieblings-Buch- und Literaturblogs habe ich im Juli hier gesammelt und verlinkt.

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Ich habe alle Antworten gelesen, wollte ein paar Lieblings-Statements sammeln und verlinken…

…und habe jetzt, in den letzten sechs Stunden, folgende (monströs lange!) Antwort-Collage montiert. Meine Fragen – und eine Reihe von Antworten, manchmal um einige Sätze gekürzt.

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01 Das Lieblingsbuch meiner Mutter:

Buchimpressionen: „Ob sie EINS hat, weiß ich nicht, auf jeden Fall liebt sie die Lyrik von Eva Strittmatter und stand mit der Schriftstellerin bis zu ihrem Tod in (hand)schriftlicher Verbindung.“

Zürcher Miszellen: „Wahrscheinlich ein 500-Seiten-Paperback, in dem jemand sein Gedächtnis verliert.“

Muromez: „Sie kann sich als Vielleserin nicht festlegen. Vielleicht eins von Iwan Bunin. Kein Konkretes. Meint sie. Wechsle ja ständig.“

Schlaue Eule: „Sie konnte sich nicht entscheiden und ihr sind immer mehr eingefallen! „Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur“ – Vladimir Vertlib, „Glasperlenspiel“ – Hermann Hesse, „Der Fuchs war immer schon der Jäger“ – Herta Müller, „Eine liebevolle Sicht auf die Erde“ – Elisabeth Loibl.“

Buchkolumne, Karla Paul: „Wann schafft endlich mal jemand den Begriff „Lieblingsbuch“ ab? Wer kann sich denn für ein Buch entscheiden und warum müssen wir das eigentlich? Meiner Mutter geht es da wie mir und sie hat verschiedene Bücher gern gelesen – z.B. „Nicht ohne meine Tochter“ oder auch das von mir empfohlene „Drachenläufer“ von Khaled Hosseini sowie „Das karmesinrote Blütenblatt“ von Michel Faber. Sie versinkt gern in Geschichten, Schicksalen und lässt sich dann von fremden Erlebnissen, Charakteren umarmen.“

Denkzeiten: „Meine Mutter las keine Bücher, ging aber jede Woche mit mir in die Bibliothek – so hat sie mich quasi in die Sucht getrieben.“

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02 Das Lieblingsbuch meines Vaters:

Schöne Seiten: „Mein Vater liest alles, was im Haus herumliegt, die Bücher meiner Mutter und die, die ich ihm mitbringe. Vorzugsweise aber Spannungsliteratur. Und er sagt zu allem unterschiedslos: »Ja, war gut.« Er ist kein Mann der großen Worte. Nur Franzens „Unschuld“ fand er ein bisschen anstrengend und Wolf Haas gewöhnungsbedürftig. Ansonsten ist er jedoch leicht zufriedenzustellen.“

Lust auf Lesen, Jochen Kienbaum: „Mein Vater ist ein herzensguter, aber auch ein sehr rationaler Mann, ein Ingenieur, kein Mann der Worte. Die Kraft des Positiven Denkens von Norman Vincent Pearle war vor vielen Jahrzehnten sein Lieblingsbuch, damals vielleicht das einzige, das er wirklich mehr als einmal gelesen hat. Der Titel wurde zum geflügelten Wort in der Familie. Und wie eine Mahnung stand Vaters einziges Buch im Regal. Seit er Rentner ist liest er mehr, viel mehr, auch mit gesteigertem Genuss und gutem Lesegeschmack; gerne politische Sachbücher, Biographien, aber auch viel Belletristik.“

Denkzeiten: „Mein Vater las Zeitungen, jede, die er in die Hände kriegte. Bücher las auch er kaum. Er hatte aber eine ganze Reihe grüner Bücher (wir nannten sie nur „die grünen Bücher“) im Regal stehen mit dem Titel „Die Kulturgeschichte der Menschheit“. So lange ich denken kann, sagte er, dass er die dann mal lesen wolle, wenn er pensioniert sei. Das ist er nun seit bald 20 Jahren, gelesen hat er sie noch immer nicht (was ich nicht anders erwartet hatte 😉 ). Noch immer liebt er aber Zeitungen und Nachrichten, ist der wohl informierteste Mensch, den ich kenne, wenn es um das aktuelle Geschehen auf der Welt geht.“

Nur Lesen ist schöner: „Mein Vater liebt fränkische Krimis. Ich glaube, ihm gefällt dabei besonders der regionale Bezug der Geschichten. Sie sind für ihn viel greifbarer und authentischer. Er hat eben gern handfeste Beweise!“

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03 Ich führe einen typischen Buchblog, weil…

Zürcher Miszellen: „Ich schreibe keinen typischen Buchblog, eher einen Feuilleton-Blog, in dem auch Bücher besprochen werden. Als studierter Journalist, der gerade noch ausschliesslich mit klassischen Medien sozialisiert wurde, neige ich weiterhin auch eher zum klassischen Journalismus. Ich experimentiere aber auch mit freieren Textsorten.“

Lust auf Lesen, Jochen Kienbaum: „…ich eigentlich keinen typischen Buchblog führen möchte. Ich ziehe auch die Bezeichnung Literaturblog vor, weil mir das schärfer und präziser erscheint. Im tausendfachen Heer der Blogs steche ich dann aber doch nicht wirklich hervor. Manchmal bereitet mir das Sorgen, doch die werfe ich schnell über Bord. Dafür macht mir das Bloggen zu viel Spaß, selbst wenn es tausende Andere auch machen. Fußball spielen ja auch tausende Menschen, es ist und bleibt dasselbe Spiel und doch spielt es jeder anders und jeder entwickelt seine individuellen Techniken, seinen Stil, findet sein persönliches Vergnügen.“

Muromez: „…sich hier genügend Rezensionen finden lassen. Damit wird der Vorwurf unterstützt, dass Blogger im Prinzip nichts anderes machen als die professionellen Literaturkritiker (nur schlechter), die medialen Potentiale nicht erkennen und lediglich – und das auch noch vermehrt in der bösen Ich-Form – tippen. Verwerflich, dass ich die Form der Literaturkritik (insofern hier eine stattfindet und das ist eine andere Frage!) benutze und nicht weiterentwickle. Im Übrigen bezeichne ich Muromez als Literaturblog. Buchblogs sind für mich solche, die über wenig bis gar keine literaturkritische Gattungen verfügen, mehr mit Bildern (von Büchern) arbeiten. Zeigen, wie sich ihre Stapel ungelesener Bücher vergrößern, Gewinnspiele anbieten und so weiter.“

Reingelesen: „tue ich das? nö glaub nicht – angefangen hat es als Leseliste für mich selbst, früher eine Exceltabelle heute eben hier, allerdings lasse ich die Sachen, die mir nicht gefallen meistens weg und schreib nur über das, was ich mochte.“

Buchkolumne, Karla Paul: „… ich nicht anders kann? Ich bin damals über das Studium zum ersten Onlineprojekt rund um Literatur gekommen und stieß auf Tausende Leser, die sich im Internet über Bücher austauschen. Hier erreiche ich all die Bibliomaniacs, völlig unabhängig von Zeit und Ort und bekomme sofortige Rückmeldung auf meine Beiträge, Tweets, Statusupdates rund um die schönste Nebensache der Welt: Lesen. Auf meiner Webseite kann ich alles dazu versammeln, Buchtipps, Interviews und Kolumnen. Ob er typisch ist, das weiß ich nicht (was ist ein typischer Buchblog, Stefan?) – er wächst seit Jahren mit mir mit, ich baue ihn um, finde mal mehr und mal weniger Zeit dafür. Es ist mein digitales Zuhause.“

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04 Ich bin anders als die Blogs, die ich gern lese, weil…

Lust auf Lesen, Jochen Kienbaum: „… ich hinter meinem Blog stehe, mit meinen Leidenschaften, Vorlieben und Macken. Hinter den anderen Blogs stehen andere Menschen, mit ihren anderen Leidenschaften, Vorlieben und Macken. Deshalb sind wir alle irgendwie anders, selbst wenn wir über dieselben Bücher schreiben sollten.“

Buchimpressionen: „Vielleicht bin ich inhaltlich ein wenig minimalistischer als andere: keine Blogtouren, keine Lesevents, keine Verlosungen, keine Spielchen, kein Sub, keine Listen, was ich wann mal noch lesen will oder nie geschafft habe, zu lesen, weil…eben all das, was ich woanders auch nicht lese, weil es mich vom Wesentlichen ablenkt. Höchstwahrscheinlich bin ich auch nicht ganz so gut vernetzt wie andere, sehe das aber entspannt.“

Buchstäbliches: „Gerade bei jüngeren Buchbloggern sehe ich häufig sehr bunte Seiten, viele Fantasyromane und eine dynamische Startseite. Dies wollte ich so für mich nicht. Mein Blog hat eine statische Startseite, auf der ich Orientierung bieten möchte, phantastische Literatur bildet nur einen kleinen Teil meiner besprochenen Bücher und das Ganze ist auf jeden Fall sehr textlastig und ohne Bling-Bling.“

Silvia, Leckere Kekse: „…wir den Blog zu zweit machen und dadurch mehr Vielfalt in der Buchauswahl zeigen können. Ausserdem bringen wir noch andere Themen die uns bewegen. Zum Beispiel Kekse…“

Chris Popp: „…unser Ich multipel ist. Derzeit sind wir zu siebzehnt, mit unterschiedlichsten Interessen und Schwerpunkten. Wir legen uns weder auf Genres noch auf Medien fest. Wir schreiben über Bücher, über Hörbücher, über Filme, über Musik, über Serien, schreiben Kolumnen, haben Specials, machen Außenschalten. Und wir haben unseren eigenen Groove. Wir ticken anders. Wir betreiben kakophonen Medienhalbjournalismus. Wir sind awesome. Wir riechen gut und sind der gute Geschmack. Alle wollen uns. Wir nehmen uns nicht immer ernst.“

Muromez: „…der Fokus vermehrt auf osteuropäischer Literatur liegt und regelmäßig Klassiker näher gebracht werden, die sonst scheinbar niemand mehr liest oder über die niemand mehr schreibt/schreiben will. Amerikanische Werke werden hier zum Beispiel kaum behandelt. Auf Short-/Middle-/Long-/whatever-Lists habe ich genauso wenig Bock. Ein Marketing-Preis, den ich wenig bis kaum beachte und der mir nicht diktieren soll, was ich zu lesen habe, um up to date zu sein. Da verzichte ich und pflege lieber eine individuellere Auswahl, genieße meine Freiheit. Ansonsten findet sich hier viel Häftlingsliteratur (Nationalsozialismus, Stalinismus), gerne werden auch Werke behandelt, die von Süchten und Kriegen/Konflikten handeln.“

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05 Am Bloggen überrascht mich / beim Bloggen habe ich gelernt, dass…

Sophie Weigand: „…es einen Alltag und die Art, wie man Bücher liest und rezipiert, völlig verändern kann. Irgendwann kommt der Punkt, an dem man nicht nur gelegentlich mal irgendwas ins Internet schreibt und mal ein Buch liest, sondern das Ganze eine gewisse Ernsthaftigkeit bekommt. Man nimmt es dann auch ernster, stellt Ansprüche an sich, die man vorher nicht hatte.“

Lust auf Lesen, Jochen Kienbaum: „…es viel Zeit und Herzblut kostet. Ein Buch zu lesen ist eine Sache, darüber einen Text zu verfassen, eine andere. Sicher ist: Ich lese inzwischen etwas aufmerksamer, sammle und sortiere bereits bei der Lektüre Gedanken zum Buch. Allerdings: Wenn’s ans Schreiben geht, sind die meist schon wieder entfleucht. Texte, Besprechungen, Kurzkritiken zu formulieren ist harte Arbeit für mich und fordert mich extrem. Am Ende seufze ich oft: Das versteht jetzt niemand, das ist doch gequirlter Unsinn. Bloggen lehrt Demut und Präzision. An beidem mangelt es mir (noch).“

Norman R., Booknerds.de: „…die Resonanz meist nur an der Klickzahl des jeweiligen Beitrags erkennbar wird. Wir sprechen hier zwar von einem dreistelligen Bereich an Leserinnen und Lesern, aber Kommentare kommen dann doch meist nur bei den ohnehin strittigen Themen.“

Mokita: „Immer wieder lehren mich der Blog, das Internet und die direkten und indirekten Folgen für mich, dass selbst meine kleine Spielwiese hier die Leben anderer Menschen beeinflussen kann. Wenn ich sie dabei ein bisschen erfreuen, bereichern oder unterhalten kann, kann ich Gutes tun. Schön, nicht?“

Lust zu Lesen, Sonja Graus: „…sich das Lesen nachhaltig verändert, weil ich durch das Verfassen der Besprechungen noch sensibler und aufmerksamer mit dem Text umgehe. Man wird kritischer bei der Vorabauswahl und lernt durch die Vernetzung mit den anderen Blogs und der persönlichen Auseinandersetzung mit den anderen Meinungen die eigenen Einschätzungen noch mal zu hinterfragen. Überrascht hat mich die Geschwindigkeit, mit der neue Kontakte in sämtliche Bereiche des Literaturbetriebs entstehen.“

Guido Graf: „…mich, wie sonst auch, das am meisten interessiert, was ich nicht verstehe.“

A Million Pages: „Am Bloggen überrascht mich, wie sehr es mich entspannt. Ich konnte mir angesichts meines hektischen Jobs zu Beginn gar nicht vorstellen, dass ich für dieses Hobby viel Zeit erübrigen kann, aber es funktioniert – ganz einfach, weil es Spaß macht und einen guten Ausgleich bietet.“

Buchstäbliches: „…viel Schreiben zu besseren Texten führt. Wenn ich meine ersten Rezensionen lese (die eigentlich ja noch gar nicht so alt sind), juckt es manchmal sehr in meinen Fingern und ich würde sie am liebsten komplett umformulieren. Mache ich aber nicht, weil ein Blog auch sehr schön eine persönliche Entwicklung aufzeigen kann. Die Artikel sind schließlich ein Teil von mir, meine Vergangenheit gehört dazu. Außerdem habe ich gelernt, geduldig zu sein, es dauert, bis man Leser gewinnt und manche Artikel, in die ich sehr viel Energie gesteckt habe, interessieren immer noch niemanden. Damit umzugehen ist ein Lernprozess und klappt nicht immer.“

Muromez: „…ich auch einfach mal auf Veröffentlichen drücken muss, statt weiter stundenlang zu redigieren, herumzudoktern und zu verändern – irgendwann ist gut. Ich verdiene keinen Krümel damit. Es ist nicht mein Lebenswerk, mehr ein sinnvolles Hobby, ein Trainingsplatz und ein Gedankensortiergerät, das gleichzeitig einem persönlichen Literatur-Archiv gleicht. Ehrgeiz ist förderlich, hemmt manchmal aber dennoch.“

Chris Popp: „Überrascht hat mich die Dynamik der Bloggerszene und die beeindruckende Möglichkeit des Netzwerkens. Wenig Konkurrenzdenken, viel Gemeinschaftsdenken. Und wenn Konkurrenz, dann auf eine freundschaftliche, neidlose Art. Auch überrascht hat mich, dass so manche Künstler, Verlage oder was auch immer auf uns zukommen, von denen ich es niemals gedacht hätte. Auch habe ich gelernt, dass man sehr schnell instrumentalisiert und als Werbemultiplikator benutzt werden kann. Da bin ich doch sehr vorsichtig geworden, zuweilen kommt da auch der Zickerich in mir durch.“

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06 Helfen Amazon-Rezensionen? Wobei? Wie?

Literaturina: „Ich lese keine Rezensionen auf Amazon (ups). Nur der Score auf Goodreads lässt mich manchmal aufhorchen. Dort sind die Rezensionen allerdings oft mit Spoilern aller Art gespickt, so dass ein Reinlesen einem Marsch durch ein Minenfeld gleichkommt.“

Astrid, Leckere Kekse: „Nein, mir nicht! Ich kenne die Personen nicht, die sich dahinter verbergen, es ist sehr anonym und immer häufiger vermute ich hinter den Rezensenten Profischreiber. Bücher kaufe ich immer in einer Buchhandlung.“

Chris Popp, Booknerds.de: „Den Oberflächlichen, den ‚Sternenguckern‘, helfen sie in Fastfood-Manier, der Masse zu glauben. Da wird nicht nachgeschaut, was am Buch beziehungsweise am Artikel gut oder schlecht ist, sondern entschieden: „Oh, hat viereinhalb Sterne, muss gut sein, wird gekauft!“. Als ich noch einen Amazon-Account hatte, habe ich eine Kurzversion meiner Rezensionen zu diversen Titeln eingestellt – und musste feststellen, dass die Texte wohl kaum gelesen werden, wenn Du nicht einer der allerallerallerersten Verfasser bist. Es steht in keiner Relation zum Aufwand. […] Ganz schlimm ist die Mauschelei unter diversen Selfpublishing-Autoren, die sich sogar in Facebookgruppen organisieren, um sich gegenseitig mit 5-Sterne-Bewertungen zu pushen.“

Muromez: „Zumindest schaden sie nicht, wenn sie einige mehr Sätze enthalten und über gut, schlechtherzzerreißend oder todtraurig hinausgehen. Mir helfen sie vor allem zu erkennen, ob ein Werk überhaupt aufgenommen und gekauft wird. Bei null Bewertungen tendiere ich dazu, zu behaupten, dass dieses Werk nur wenige Leser hat. Ist das (eigentlich) so?“

Guido Graf: „Sie helfen Amazon.“

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07 Hilft Literaturkritik in Zeitungen und Magazinen? Wobei? Wie?

Zürcher Miszellen: „Ja. Dort schreiben kluge Köpfe, die sich irgendwann und oft zurecht durchgesetzt haben. Wer Literaturkritik als Beruf betreibt, schreibt oft anders und mit mehr Erfahrung als ein Blogger, der in seiner Freizeit schreibt (mich nicht ausgenommen).“

Norman R., Booknerds.de: „In meinem Alltag spielen Kritiken eine große Rolle, weil sie im besten Fall die Augen öffnen und Denkanstöße geben oder zumindest eine grobe Richtung anzeigen, was ich von etwas zu erwarten habe. Dazu gehört allerdings, dass die Kritik in einen Kontext eingebettet wird. Welche Zielgruppe soll angesprochen werden? Wofür steht der Rezensent? Was sagen die anderen? Dann kann Kritik ein hilfreicher Begleiter sein, aber kein Helfer, der einem die Arbeit abnimmt.“

Lust zu Lesen, Sonja Graus: „Sie kann helfen. Dabei, sich einem Buch mal aus einer völlig anderen Perspektive zu nähern. Ich schätze an den Kritiken im Feuilleton vor allem die, in denen dem Autor, seinem Lebenshintergrund und der Entstehungsgeschichte entsprechend Platz eingeräumt wird. Dadurch kann sich die Sicht auf den Text verschieben und ein neues, anderes Lese-Erleben entstehen.“

Buchimpressionen: „Lese ich sehr selten (am ehesten noch „Perlentaucher“), für mich ist das Randinfo und meist nicht hilfreich. Ich denke, da werden Bücher aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, als ich ihn habe. Ich habe keinen hyperintellektuellen Anspruch und muss ein Buch nicht en detail tot analysieren, für mich ist Lesen immer noch zu einem großen Teil Entspannung, das Verlassen des Alltags, Eintauchen in andere Welten. Das darf mich gerne unterhalten und muss mich nicht permanent zu geistigen Höchstleistungen herausfordern.“

Silvia, Leckere Kekse: „Bei manchen Kritikern weiß ich auch: Wenn der das Buch lobt, ist es nichts für mich.“

Chris Popp: „Es kommt ganz darauf an. Hochgestochene Feuilletonschreibe und hochnäsigen Magazinschrieb mag ich gar nicht, und der hilft zumindest mir nicht. Selbiges gilt für schlichtweg schlechte Literaturkritik – die ist gedruckt auch nicht besser, nur weil sie auf Papier ist. Aber wenn Literaturkritik bodenständig, ehrlich und mit Herzblut geschrieben ist, ist sie doch sehr hilfreich – in puncto literarischer Selbstfindung. Wobei mir da weniger um Kauftipps geht, sondern um einen – wenn auch einseitigen – Austausch. Mich interessiert die Meinung einfach.“

Muromez: „Schöne Frage. Ich schreibe gerade an meiner Master-Arbeit zu diesem Thema und könnte jetzt ganz, ganz weit ausholen. Dabei will ich das Verhältnis von Literaturbloggern und professionellen Literaturkritikern herausstellen und zeigen, welche Funktionen beide Parteien haben und ob sie nebeneinander ergänzend existieren können oder im Haifischbecken Literaturbetrieb schwimmen. Und können beide sogar voneinander profitieren, ist das vorzustellen? Um es kürzer zu machen: Wenn die Literaturkritik, die zweifelsohne Platz und Zeilen im Gegensatz zu Literaturtipps benötigt, eine Orientierungs- sowie Informationsfunktion einnimmt und gleichzeitig als Entscheidungshilfe agiert, kann sie helfen. Wobei? Ich glaube, es war Adorno, der gesagt hat, dass Kunstwerke zu ihrer Entfaltung auf Interpretation, Kritik und Kommentare angewiesen sind. Mich muss professionelle Literaturkritik überraschen und sie muss von Expertise geprägt sein. Ich will daraus etwas entnehmen, was mir nach der Lektüre bisher noch nicht bewusst war und damit meine ich nicht den Inhalt oder die Biografie des Autors. Es muss Klick machen, ein Aha-Erlebnis muss sich formen.“

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08 Helfen Blogs? Wobei? Wie? Wem?

Schlaue Eule: „Ja, ich finde schon. Blogger sind wie du und ich.  Wir lesen alles, nicht nur Literatur. Wir sind glaube ich mehr zugänglich als Rezensionen in einer Zeitung.“

Lust zu Lesen, Sonja Graus: „Wenn ich über längere Zeit einem Blog folge, kann ich seinen Verfasser einschätzen, kenne seine Interessen und Schwerpunkte und weiß seine Besprechungen zu deuten. Das muss nicht automatisch heißen, dass ich nur den gerne lese, der sich mit meinen Vorlieben deckt.“

Buchimpressionen: „Sie helfen, Informationen zu bekommen, die mir ein Verkaufsportal nicht bietet. Blogs sind bunt und so verschieden, dass für Jeden etwas dabei ist: der Eine mag es strukturiert, der Andere eher chaotisch mit viel Bling-Bling. Ich hab die Möglichkeit, schnell das zu finden, was mir persönlich liegt und für mich das heraus zu ziehen, was für mich wichtig ist. Unabhängige Blogger sind zum Großteil mit Herzblut bei der Sache und haben kein wirtschaftliches Interesse, von daher messe ich ihren Meinungen eine beachtenswerte Bedeutung bei.“

Chris Popp, Booknerds.de: „Blogs helfen, weil man innerhalb kürzester Zeit unzählige Informationen und Meinungen zu einem Buch lesen kann, man muss nur etwas googlen und sich durchklicken. Die unglaublich unterschiedlichen Schreibstile und Gedankengänge helfen einem dabei, „Seelenverwandte“ zu finden – das ist im Virtuellen um einiges einfacher. Jede „Leserschicht“ hat ihre eigenen Anlaufstellen. Blogs helfen aber auch den finanziell nicht so gut betuchten Menschen, die sich nicht ständig Zeitungen und Literaturmagazine kaufen können.“

Zürcher Miszellen: „Ich hatte die Hoffnung, dass man viele kunst- und literaturinteressierte Leser findet. Bisher habe ich vor allem kunst- und literaturinteressierte Schreiber gefunden. Blogger lesen Blogger. Und vielleicht sollte ich Frisch zitieren: Schreiben heisst: sich selber lesen.“

Buchkolumne, Karla Paul: „Ich mache zwischen der klassischen Literaturkritik und Buchblogs keinen Unterschied – verschiedene Medien und Autoren schreiben über Literatur und ich setze mir über das Internet meine Auswahl als Filterbubble zusammen. Die oft sehr persönlichen Empfehlungen der Blogger sind dabei ebenso wichtig wie die meist sachlicheren Bewertungen der Literaturkritik und beide für mich als Leserin gleichwertig notwendig für die tägliche Entscheidung für oder gegen ein Buch. Zudem sind die Menschen hinter den Blogs inzwischen zum größten Teil zu persönlichen Freunden geworden und der Austausch geht weit über die Bücher hinaus. Ein Punkt mehr für das „sozial“ in „soziale Netzwerke“.“

Norman R., Booknerds.de: „Blogs können dabei helfen, die Meinungsbreite zu erhöhen. Gerade heutzutage wird das immer wichtiger, weil im Kulturbereich generell und damit auch im Kulturjournalismus immer weniger Geld vorhanden ist. Kaum jemand kann heute noch ausschließlich davon leben, und wenn doch, muss er sich mit Arbeit überhäufen. Es liegt die Vermutung nahe, dass Kulturgüter dadurch immer oberflächlicher und schematischer oder aber viel zu überschwänglich und im Konsens analysiert werden. Blogger haben in der Hinsicht die besseren Karten, weil sie ihre Freizeit und damit eher ihr Herzblut investieren und sich etwas mehr Zeit nehmen können als die professionellen Kollegen. Allerdings glaube ich, dass es sowohl Profis als auch „Amateure“ geben muss, damit die Varianz und die Breite der Meinungen erhalten bleibt. Die Frage wird nur sein, ob wir genug für den Erhalt unserer Kulturlandschaft tun, die uns doch eigentlich so am Herzen liegt.“

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09 Wahr oder falsch: “Ich blogge vor allem, weil ich mich über Bücher austauschen will und im persönlichen Umfeld nicht genug Menschen habe, mit denen ich das könnte.”

aus.gelesen: „falsch. ich blogge, damit ich auch in zwei jahren noch weiß, was in dem buch stand und was mich interessierte daran. der austausch über bücher ist ein (sehr) angenehmer nebeneffekt, wobei diskussionen auf meinem blog eher selten sind.“

Dominik Nüse-Lorenz, Booknerds.de: „Es gibt in meinem direkten Umfeld Menschen, mit denen ich mich über Literatur austauschen kann – doch aufgeschrieben, ausformuliert und vielleicht auch etwas tiefergehender analysiert, ist der Blog für mich das ideale Medium.“

Buchkolumne, Karla Paul: „Das war der ursprüngliche Grund, weshalb ich mit dem Bloggen angefangen habe. Oft werden Witze über die Nerds gemacht, die tage- und wochenlang nur mit Büchern im Bett liegen und alles um sich herum vergessen und mit mehr Charakteren als normalen Menschen befreundet sind. Hello, that’s me! So bin ich aufgewachsen und deswegen war das Internet mit all seinen Möglichkeiten der kurzfristigen Vernetzung eine wahre Entdeckung. Seit vielen Jahren lebe und arbeite ich in der Literaturbranche und inzwischen hat es sich umgedreht – ich kenne eigentlich kaum mehr Menschen, die nicht irgendwie etwas mit Büchern zu tun haben. Aber dieser Büchernerd, der bleibt man im Herzen trotzdem und so brauche ich regelmässig meine Wochenenden ohne menschliche Kontakte, tief vergraben in Texten!“

Nur Lesen ist schöner: „Falsch. Ich blogge, weil ich mich mit so vielen Menschen wie möglich über Bücher austauschen möchte. Ich möchte Leidenschaft entflammen und Bücherempfehlungen in die Welt streuen. Ich möchte Büchern, Autoren und Verlage zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen und mit ihnen die Liebe zur Literatur feiern. Da sind genügend Menschen in meinem Umfeld, mit denen ich mich über Bücher austauschen kann. Ich lebe die Devise: Je mehr, umso besser.“

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10 Mein persönlicher Geschmack und meine Prinzipien beim Lesen und Bewerten:

Der Buchbube: „Da Lesen für mich ausschließlich eine Freizeitbeschäftigung darstellt, verfolge ich nur ein einziges Prinzip (dieses aber sehr konsequent): Das, was ich lese, darf mich nicht langweilen.“

Sophie Weigand, Literaturen: „Ich schätze gute und besondere Sprache, die für mich irgendwo zwischen zu opulent (Thomas Wolfe!) und zu karg liegt. Ich mag’s poetisch, aber nicht pathetisch. Mir gefällt es, wenn Literatur mir entweder eine Welt zeigt, die ich nicht kenne oder die Welt, die ich zu kennen glaube, auf eine ganz neue Art (wie im Augenblick Clemens J. Setz!). Wenn sie aktuelle Themen aufgreift. Wenn sie das Allgemeine im Besonderen sichtbar macht und das Besondere im Allgemeinen. […] Je mehr man liest, desto besser kann man Bücher einschätzen, desto besser weiß man, welcher Verlag für was steht und in welche Richtung ein Buch geht. Ob es bloß Trends aufgreift, ein Aufguss von irgendwas anderem ist oder einen eigenen Ton entwickelt.“

A Million Pages: „Ich lese quer durch alle Genres, stelle aber prinzipiell nur die Bücher vor, die mich begeistert haben. Wenn mir ein Roman absolut nicht gefällt, halte ich es für vertane Zeit, ihn vorzustellen und aufzuzeigen, warum er mir nicht zusagt.“

Guido Graf: „Es muss weh tun.“

Lust auf Lesen, Jochen Kienbaum: „Ein Buch darf alles; nur nicht langweilen. Langeweile ist tödlich. Ein Roman kann anstrengend sein, schwierig, komplex, er darf mich fordern, ja sogar überfordern, aber ebenso gut auch einfach nur unterhaltsam sein. In jedem Fall muss er etwas anschlagen in meinem Inneren, etwas zum Klingen bringen, meine Gedanken auf Reisen schicken. Lesen bedeutet für mich, eintauchen zu können in fremde Welten, neue Lebens- und Denkbilder entdecken zu dürfen und meinen Horizont zu weiten. Ein besondere Vorliebe hege ich für die „dicken Dinger“, Bücher, in denen mich die Autoren auf mehr als tausend Seiten in hochkomplexe Geschichten verwickeln. Das können und dürfen auch sehr intellektuelle und abgehobene Bücher sein, solche von denen behauptet wird, sie seien eigentlich unlesbar, total verkopft oder ohne wirkliche Handlung. Nur langweilen, das dürfen sie mich nicht. Wenn ich über Bücher schreibe, auch über die komplexen und herausfordernden, dann möchte ich Neugier wecken, nicht belehren. Ich möchte auf ein Buch zeigen und sagen: Seht her das gibt es, mir gefällt das, versucht es auch einmal, egal ob sofort oder später. Bei der Bewertung von Literatur verlasse ich mich auf meine Intuition, meinen Geschmack und einige Werkzeuge, mit denen ich im Literaturstudium gelernt habe umzugehen.“

Muromez: „»Scheiße, warum bin ich schon am Ende angelangt?«, wenn sich dieser Gedanke festigt, ist ein Buch auf jeden Fall gelungen und kann was. Das muss nicht immer vorkommen, aber Bücher dürfen mich nicht quälen. Damit meine ich nicht, dass sie keinen Anspruch haben sollen, nein. Schwere Kost und komplex darf es ganz im Gegenteil sein, aber sie müssen mich anlächeln und gleichzeitig kein Muss verursachen. Ich muss mich mit dem Stoff anfreunden können, sprachlich, stilistisch, ästhetisch, Logik schätze ich dabei. Ein Buch muss mich weiterbringen, sonst hat es den Zweck verfehlt, und dann auch noch unterhalten. Ich muss entdecken können, worauf der Verfasser hinaus will, was er der Welt und mir als Empfänger senden möchte. Die Prinzipien können beim Lesen und Bewerten immer variieren. Ein Debüt hat z.B. einen Sonderstatus und darf vorsichtiger angefasst werden als ein hochgelobter und etablierter Verfasser.“

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11 Wer liest mich? Habe ich eine Zielgruppe?

Zürcher Miszellen: „Gute Frage. Meine Wunschzielgruppe ist der NZZ-Feuilleton-Leser, die SZ-Feuilleton-Leserin, der/die das Internet entdeckt – und dann mich und meinen Blog. Diese Zielgruppe ist noch relativ klein, darum bin ich auf der Suche nach weiteren.“

Chris Popp, Booknerds.de: „Laut der Liste der Facebook-Liker*innen sind 70% der Leser weiblich, wobei 50% unserer „Leserschaft“ Frauen zwischen 25 und 54 Jahre alt sind. Schade ist das irgendwie, da dies das Klischee der nicht lesenden Männer doch beinahe bis zum Platzen füttert. Ich will das nicht so ganz glauben. Ich denke generell, dass uns die lesen, die qualitativ gute Artikel lesen möchten und nicht viel von Mainstream halten.“

Reingelesen: „mmh das wüsste ich auch gern, vor allem, da sich so viele der Follower nicht äußern, kann ich das schlecht einschätzen.“.

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12 Habe ich Vorbilder?

Schöne Seiten: „Uwe Wittstocks Die Büchersäufer mit der schönen Kolumne »Buch & Bar«. Oder die Wilmvorlesungen von Jan Wilm, wo monatlich je zwei Bücher gemeinsam besprochen werden – stets ein älteres im Paartanz mit einem neueren.“

Lust zu Lesen, Sonja Graus: „Jetzt oute ich mich mal: Ja, definitiv! Und zwar den Literaturblog Günter Keil. Mir sind viele Besprechungen schlichtweg zu lang, verraten zu viel, auch wenn sie ansonsten richtig, richtig gut sind und ich auch die Blogger dahinter sehr schätze. Wenn ich alle Namen der Protagonisten schon kenne, sämtliche Besonderheiten und die meisten Handlungsstränge – warum soll ich das Buch dann noch lesen? Günter Keil bringt es immer fertig, in ein paar Sätzen alles Wichtige unterzubringen, seine Meinung dazu durchschimmern zu lassen und noch Lust auf das Buch zu machen – oder eben auch nicht. Da denke ich dann immer „Yesss, so muss das!“.“

Denkzeiten: „Nein. Ich hatte nie Vorbilder oder Idole. Verehrte auch nie Schriftsteller oder Stars. Ich achte die Arbeit, das Können, finde die Menschen vielleicht spannend, aber: kein Vorbild.“

Buchkolumne, Karla Paul: „Nein. Ich sammel mir im Alltag gute Eigenschaften von tollen Menschen, die mir nahe sind. Von Freundinnen, Geschäftskollegen, von Autoren oder beeindruckenden Dokumentationen. Ich versuche mir von jeder Begegnung und Erfahrung etwas Positives mitzunehmen und all dies fließt natürlich auch in meine Blogarbeit ein. Ich schätze viele Blogger- und Journalistenkollegen, habe aber keine festen Vorbilder.“

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13 Welche Ratschläge würde ich meinem früheren Lese-Ich geben? Kann man lernen, Bücher besser auszusuchen, zu entdecken und zu genießen? Wie?

aus.gelesen: „offen bleiben. die fähigkeit behalten, sich überraschen zu lassen. Bereit sein, ein buch auch wieder ungelesen oder nur angelesen, wegzulegen.“

Literaturina: „Suche dir Leute, die einen ähnlichen Geschmack haben wie du. Vertraue auf ihre Wahrnehmung. Lass dich zu anderen Genre überreden. Lese Bücher, von denen du immer dachtest, du würdest sie nie anfassen. „

Schöne Seiten: „Früher, als Jugendliche und zu Beginn meines Studiums, habe ich Bücher wahllos gekauft und gelesen, ich hatte keine Kriterien und keine Orte, wo ich mich informieren konnte. Inzwischen wähle ich sehr sorgfältig aus, scanne zunächst die Verlagsvorschauen und warte dann die Kritiken ab. Zudem kaufe ich oft nicht sofort bei Erscheinen, sondern mit ein paar Monaten oder gar Jahren Abstand, vieles erledigt sich dadurch von selbst, weil ich das Interesse verloren habe.“

Flying Thoughts: „Kommt drauf an, wie alt mein früheres Lese-Ich ist. Dank des Internets ist es ja noch einfacher geworden, Bücher zu entdecken. Als wir noch keins hatten oder ich das nicht so genutzt habe, wie heute, bin ich in die Buchhandlung gegangen. Etwas, was ich zwar heute auch noch mache, aber wahrscheinlich sind die Besuche eher anders. Dann nehme ich mir ein englisches Buch in die Hand, sehe den Preis und denke mir „Bei Amazon ist das günstiger“.“

A Million Pages: „Mein früheres Lese-Ich hat im Studium streng nach Literaturkanon – Klassiker aller Epochen – gelesen. Zeit für spontane Lektüre hatte ich kaum. Heute suche ich nach für mich interessanten Büchern zwar oft im Internet, aber so richtig Spaß macht es mir, entweder in einer großen Buchhandlung oder auch in einem kleinen traditionellen Buchladen ganz entspannt nach Büchern zu stöbern. Ich glaube im übrigen nicht, dass man lernen kann, Bücher besser auszusuchen, da man sie zumeist nach Interessenlage bzw. nach sehr individuellen Kriterien (manchmal sogar nur nach dem Cover) auswählt. Auf Klappentexte verlasse ich mich nicht mehr allzu sehr, denn es ist mir schon oft passiert, dass ich nach Lektüre eines Romans dachte, dass der Verfasser des Klappentextes das Buch wohl nicht gelesen hat.“

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14 “Verlage brauchen mich für PR. Sie brauchen mich mehr, als ich sie brauche” …oder “Toll! Autoren und Presseabteilungen suchen Kontakt und bieten mir Bücher an. Was für ein Glück!” Was überwiegt?

Schlaue Eule: „Eher das zweite. Ich finde es toll, Vertrauen geschenkt zu bekommen und Bücher zu lesen, auf die ich sonst vielleicht länger warten hätte müssen. Natürlich mache ich eine Art von PR, aber ich sage trotzdem noch meine ehrliche Meinung!“

Buchstäbliches: „Letzteres. Ich denke nicht, dass PR-Agenturen und Verlage gerade mich brauchen, es gibt genug andere Blogs mit viel größerer Reichweite. Umso mehr freue ich mich, wenn ich von Menschen angesprochen werde, die möchten, dass ich ihr Werk rezensiere, gibt es mir doch ein bisschen das Gefühl, dass es richtig ist, was ich mache.“

Sophie Weigand, Literaturen: „Ich freue mich immer über Verlagskontakte, bin aber auch nicht so blauäugig zu vergessen, dass das nicht aus reiner Mildtätigkeit geschieht, sondern weil entsprechende Interessen dahinterstehen. Dass diese Interessen da sind, sehe ich aber nicht als problematisch, so lange man sich ihrer bewusst ist. Auch Blogger haben schließlich Interessen: Kontakte, Vernetzung, Steigerung der Reichweite usw. Im besten Fall haben alle was davon und wissen darum. Nicht die Interessen sind schwierig, sondern womöglich unausgesprochene oder eingebildete Erwartungen, die damit einhergehen.“

Chris Popp: „Mir ging es viele Jahre finanziell dreckigst. Hätte ich nicht wenigstens Rezensionsexemplare in Buch-, Film- oder Musikform bekommen, die ich stets gewissenhaft und so professionell wie möglich rezensiert habe, wäre ich kulturell verkümmert – so war ich gerade in diesen schwierigen Jahren wenigstens ein wenig näher am Puls der Zeit. Dafür bin ich den Verlagen und Labels unendlich dankbar – ich versuche immer, möglichst viel zurückzugeben. Selbst negative Kritiken möchte ich stets so gut und fundiert wie möglich schreiben. Man stellt mir etwas zur Verfügung, und dies behandele ich immer mit Respekt. Heute verdiene ich endlich wieder ausreichend Geld, um mir Bücher und Musik auch kaufen zu können, und meine Sammlung ist ein guter Mix aus Rezensions- und Kaufexemplaren. Ein schlechtes Gewissen habe ich trotzdem nicht – denn es ist nach wie vor auch eine Form der Arbeit – wenngleich sie in Hobbyform betrieben wird.“

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15 Was soll sich tun in meinem Blog und in meinem Leser-/Schreiber-Leben in den nächsten fünf Jahren:

Buchimpressionen: „Gute Frage. Da ich den Blog hobbymäßig betreibe und kein Berufsblogger bin, kann ich mich treiben lassen. Vom Zeitgeist, von persönlichen Vorlieben, vom Spieltrieb bei den technischen Möglichkeiten von WordPress, ich bin da sehr entspannt. Das ein oder andere unausgegorene Projekt geistert schon durch meinen Kopf (Stichwort „Indie“), momentan aber nichts Konkretes.“

Buchkolumne, Karla Paul: „Hoffentlich so viel, dass ich es mir jetzt noch nicht einmal wünschen kann. Im letzten Jahrzehnt hat sich jährlich jeweils sehr viel getan und ich hätte vorher nie gewagt oder gedacht, dass es so kommt, wie es dann kam. Dies hat mich gelehrt, dass ich weniger wünsche und einfach mehr mache und auf mich vertraue. Ich kann hoffentlich weiterhin alle Literaturprojekte gestalten, die mir in den Kopf kommen und damit möglichst viele Leser erreichen. Ich werde in den kommenden fünf Jahren mein erstes Buch veröffentlichen und hoffentlich auch noch ein zweites und drittes. Ich werde eine große Lesereise machen und hauptberuflich einige Digitalprojekte rund ums Buch umsetzen. Ich werde weiterhin möglichst viele Netzwerke für Literatur entdecken und erobern. Ich werde in fünf Jahren hoffentlich immer noch hier schreiben und dann rückblickend sagen – das war verrückt, fabelhaft, großartig – weitermachen!“

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Bei wieviel Prozent der Bücher, die ich gelesen habe, denke ich danach: Mist. Ich wünschte, ich hätte das nie gelesen…? Steigt oder fällt diese Prozentzahl, Jahr für Jahr? Warum?

Der Buchbube: „Bei Büchern niemals, bei Kommentaren in den Sozialen Netzwerken dagegen immer.“

Zürcher Miszellen: „Weniger als ein Prozent. Auch das Lesen von schlechten Büchern bringt einen weiter und naja: Es ist immer leichter, einen Verriss zu schreiben als ein fundiertes Lob, das wissen wir ja alle.“

Chris Popp, Booknerds.de: „Uff. Zwei Prozent?!? Es gibt wirklich kaum Bücher, die ich wirklich für Zeitverschwendung gehalten habe. Geändert hat sich in all den Jahren nichts. Klar, es ist immer mal wieder ein Buch dabei, bei dem ich denke: „Der arme Baum…“, aber offenbar habe ich bei der Auswahl der Bücher, die ich lesen möchte, recht viel Glück. Oder habe andere Ansprüche. Oder andere Maßstäbe. Ich weiß es nicht wirklich.“

Nur Lesen ist schöner: „Es kommt wirklich selten vor, dass ich denke, „Ich wünschte, ich hätte das nie gelesen“, aber am Ende des Jahres sind es schätzungsweise 30 % der Bücher, deren Geschichten zwar nett waren, mich aber nicht vom Hocker gehauen haben.“

Muromez: „Die Prozentzahl sinkt durch eine gründlichere Vorbereitung. Warm machen! Anlesen, prüfen, vorfühlen, vergleichen! Mit einer voranschreitenden Kompetenz verfliegt der Mist danach. Das hat auch damit zu tun, dass man lernen muss, häufiger Nein zu sagen.“

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Bonusfragen:

Ein Buch, das fast niemand mag – aber das ich liebe: [warum?]

Nur Lesen ist schöner: „„Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer. Viele Menschen finden es eklig, die vielen erschreckenden Details aus der Lebensmittelindustrie zu erfahren, mich haben sie fasziniert und ungemein bereichert. Auch wenn ich immer noch gern Fleisch esse, lege ich heute viel mehr Wert auf die Herkunft des Tieres und eine artgerechte Haltung.“

Denkzeiten: „Alles von Thomas Mann… weil ich ihn halt mag.“

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Ein Buch, das fast alle mögen – aber das mich wütend oder ratlos macht: [warum?]

Chris Popp, Booknerds.de: „Ohne zu zögern: „Der Fänger im Roggen“ von J. D. Salinger. Selten ein langweiligeres, nichtssagenderes, blöderes, deprimierenderes und überbewertetes, nervtötendes Buch gelesen. Und DAS soll zahllose Autoren inspiriert haben? An DAS soll Herrndorfs „tschick“ erinnern? Was soll „Der Fänger im Roggen“ denn bitteschön an sich haben, was so fasziniert? Was tun mir die Bäume leid…“

Guido Graf: „Francois Julien: Über die Wirksamkeit“

Buchkolumne, Karla Paul: „Davon gibt es sehr viele – angefangen mit der Schulpflichtlektüre „Die Blechtrommel“ von Günter Grass bis hin zu sämtlichen Romanen von David Safier oder Kerstin Gier, Richard David Precht … Alle paar Wochen stoße ich auf von Anderen so geliebte Bücher und finde selbst keinen Zugang. Deswegen sind die Bücher nicht schlecht, nur eben nicht für mich geschrieben. Viele Leser sollten das vielleicht weniger persönlich nehmen. Manchmal verstehe ich nicht, was sich der Autor dabei gedacht hat und ab und an bin ich ein bisschen angefressen, wenn er/sie es für mein Gefühl schlichtweg hätte besser schreiben können.  Ich freue mich, wenn sich andere dafür begeistern und deswegen ist mir die Zeit auch zu kurz für Adjektive wie „wütend“ oder „ratlos“.“

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Ein Buch, das ich bekannter gemacht habe:

Nur Lesen ist schöner: „„Lieblingsmomente“ von Adriana Popescu, weil es wie eine berauschende Fahrt mit der Gefühlsachterbahn ist und es mich so unfassbar glücklich gemacht hat. Meine Ausgabe ging allein durch sechs Hände, und hat sogar einen anderen Kontinent bereist. Jeder einzelne Leser hat es mir mit einem Lächeln zurückgegeben.“

Denkzeiten: „So wichtig bin ich nicht.“

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Ein Buch, vor dem ich oft und gern warne:

Buchkolumne, Karla Paul: „Das gibt es nicht. Bücher, vor denen ich warnen würde, stehen meist zurecht auf dem Index. Der Rest hat eher etwas mit persönlichem Geschmack zu tun und da können die Leser ruhig selbst für sich entscheiden.“

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Ein schlechtes Buch, das ich gut fand:

Guido Graf: „Pierre Clastres: Archäologie der Gewalt“

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Ein gutes Buch, das ich schlecht fand:

Kurt Drawert: Schreiben

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Ein Geheimtipp, der bisher in Blogs noch kaum besprochen wurde:

Schlaue Eule: „Auf dass uns vergeben werde“ von A.M. Homes.

Chris Popp, Booknerds.de: „Nilowsky“ von Torsten Schulz.

Guido Graf: Franz Josef Czernin – Beginnt ein Staubkorn sich zu drehn. Ornamente, Metamorphosen und andere Versuche. (Brueterich Press)

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Ein Buch, das viel zu oft überall besprochen wurde:

Chris Popp: „„Weil ich Layken liebe“. Ich habe keine Ahnung, worum es da geht. Aber jedes gottverdammte „Schnuffelpupsis Bücherrappelkiste“-Blog hat dieses Buch rezensiert, es fand so eine entsetztliche Hysterisierung statt… grauenvoll.“

Buchkolumne, Karla Paul: „„Girl on the train“ von Paula Hawkins. Nett aufgemachter Psychothriller, dennoch ein reiner Marketinghype – lest und besprecht lieber „Leona“ von Jenny Rogneby, das kann wesentlich mehr!“

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Ein gutes Buch von/über jemandem/n, der ganz anders ist als ich selbst:

Denkzeiten: „Oh, ich denke, die meisten Bücher wurden von jemandem geschrieben, der ganz anders ist als ich, und sie handeln auch von jemandem, der anders ist als ich. Sonst könnte ich ja ständig mein eigenes Tagebuch lesen.“

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Ein gutes Buch von/über jemandem/n, der ganz anders denkt als ich selbst:

Karla Paul: „Der österreichische Autor Thomas Glavinic beschreibt in seinen Romanen und vor allen Dingen in „Das größere Wunder“ eine Lebenseinstellung, eine Hoffnung, die ich nicht in mir trage. Ich kann sie nachvollziehen und wir reden oft darüber, ich versuche mich beim Lesen ranzutasten. Aber es bleibt mir stets ein bisschen fremd, ich komme nicht völlig ran, kann es nicht greifen. Trotzdem oder vielleicht deswegen hat mich kaum ein Roman so sehr beeindruckt.“

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Ein Buch, von dessen Gestaltung/Cover/Design sich Verlage eine Scheibe abschneiden könnten:

Mokita: „Kein Buch, aber ein Designer, der öfter mal eingesetzt werden könnte: Levente Szabó. Er illustriert Klassiker neu, auf eine sehr tolle Weise.“

Denkzeiten: „Mir gefallen Die Bücher des Verlags Hermann Schmidt  sehr gut. Zum Beispiel Felix Scheinbergers Mut zum Skizzenbuch.“

Buchkolumne, Karla Paul: „Besonders (haptisch) schöne Bücher fertigt auch der Verlag Hermann Schmidt, wie z.B. „Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen“ von Frank Berzbach. Der Verlag beschäftigt sich auch als Grundthema mit Design und Typografie und zeigt die Expertise in jedem einzelnen Buch.“

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Ein anderes Produkt, von dessen Gestaltung/Cover/Design ich Verlage eine Scheibe abschneiden könnten:

Mokita: „Erinnert ihr euch an das Design aller Sachen auf der Insel in der Serie „Lost“? Stellt euch einen Buchladen vor, wie sie heute so sind, und mittendrin ein Buch, welches so minimalistisch gestaltet ist.“

Chris Popp, Booknerds.de: „Shape-CDs. War ein nicht allzu langlebiger Trend, aber ich finde so etwas witzig. Diskettenformat, Sägeblatt, an ein Scheunentor genageltes Huhn. Fände ich auch in Buchform cool, wenn es thematisch passt. Gibt es leider viel zu selten.“

Guido Graf: Arduino (www.arduino.cc)

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Das netteste Presseteam / die schönste Erfahrung mit einem Verlag:

Sopie Weigand, Literaturen: „Die Teams von Hanser, Suhrkamp, Dumont, Diogenes, Kiepenheuer & Witsch und der Kirchner Kommunikation (vertritt z.B. Dörlemann) sind schon wirklich ein Kennenlernen wert.“

Chris Popp, Booknerds.de: „Bislang habe ich die Verlagsmenschen ja nur online kennen gelernt, aber von denen gibt es einige, die ich wunderbar finde. Katharina Waltermann von DuMont, Wiebke Maren Ratzsch und Ruth Geiger von Diogenes, Carina Gerner von Loewe, Thomas Vogt von Rapid Eye Movies, Anko Gniwotta von polyband Medien, die Leute von berlinieros, Frau Liebl von Random House, der wunderbar direckte Bertram Reinecke von Reinecke & Voß, die sind schon alle ziemlich klasse.“

Nur Lesen ist schöner: „Die Teams von Dumont, Magellan, arsEdition und Piper sind mir wirklich unfassbar sympathisch. arsEdition und Piper haben mir zwei wunderbare Bookup-Abende geschenkt, die mir sicherlich noch lange im Gedächtnis bleiben werden. Ich freu mich grundsätzlich aber über jede Begegnung mit Herzensmenschen.“

Mokita: „Vor fünf Jahren hatte ich mal die Freude, mit den Leuten vom Argon Verlag zu arbeiten, das war wirklich wunderbar.  Und bis heute sind die Leute supernett, wenn ich sie treffe. Tatsächlich hatte ich aber bisher mit keinem Presseteam von Verlagen schlechte Erfahrungen gemacht. Immer auf Augenhöhe.“

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Autor*innen, die tolle Inhalte auf Facebook und Twitter posten:

Chris Popp, Booknerds.de: „Benedict Wells und Oliver Uschmann, Berni Mayer ebenso. Ich denke, Du redest von Buchautoren, oder? Dann fällt mir noch Richard Lorenz ein. Und Ruprecht Frieling. Und Guido Rohm postet manchmal so herrlichen Unfug.“

Guido Graf: Jan Kuhlbrodt

Buchkolumne, Karla Paul: „Gibt es noch eine Definition von „tolle Inhalte“ dazu? Liebe Autoren, lasst Euch nichts einreden, wie und ob Ihr Social Media zu gestalten habt. Macht es so, wie es sich für Euch richtig anfühlt, geht den Leuten nicht mit zu viel Eigenwerbung auf die Nerven und beachtet die im Internet übliche Netiquette – das wird schon. Ernsthaft, jeder macht das anders, ganz nach Gefühl und Leben und Genre und ich freue mich, dass langsam so viele ihren Platz finden.“

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mein(e) Lieblingskritiker*in/Journalist*in:

A Million Pages: „Meine Lieblingskritiker sind Marcel Reich-Ranicki und Hellmuth Karasek. Das werden sie auch immer bleiben, denn so kluge, streitbare und unterhaltsam-witzige literarische Experten wird es meines Erachtens nicht mehr geben. Auch wenn ich ihre Ansichten nicht immer nachvollziehen konnte, fand ich doch ihre Wortduelle stets großartig. Für mich müssen Literaturkritiker neben einem profunden literarischen Wissen immer auch Primadonna-Flair haben und sich selbst schon recht wichtig nehmen. Das macht schließlich ihren besonderen Reiz aus, denn Literaturkritiker sollten schon auch Provokateure und keine handzahmen Nacherzähler sein.“

Denkzeiten: „Marcel Reich-Ranicki und Helmut Karasek – das waren sie.“

Buchkolumne, Karla Paul: „Günter Keil, Richard Kämmerlings, Daniel Bröckerhoff, Sonja Peteranderl, Nils Minkmar, Julian Heck, Wolfgang Blau, Moritz von Uslar, Ulrike Klode, Jochen Wegner, Anita Zielina, Stefan Niggemeier, Kathrin Weßling …“

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ein toller Text/Beitrag aus einem Verlagsblog:

Guido Grafhttp://www.logbuch-suhrkamp.de/jacob-teich/der-open-mike-rap-battle-der-literatur

Buchkolumne, Karla Paul: „Bitte abonnieren Sie an dieser Stelle sofort die beiden Blogs hundertvierzehn (Fischer Verlag) und Resonanzboden (Ullstein Verlag) – herzlichen Dank. Sehr schön und redaktionell toll aufbereitete Hintergrundinformationen zu den jeweiligen Verlagen als auch der sonstigen Buchbranche, spannende Kooperationen und Gastautoren,“

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ein Lieblings-Blogbeitrag (kein ganzer Blog):

Buchkolumne, Karla Paul: „Ich habe in meinem Herzen ein kleine, dunkle Ecke für Verrisse und dazu gehört der sehr unterhaltsame Rant von meinem Freund Tilman Winterling auf 54books gegen die Büchergilde bzw. deren aktuelles Design.“

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ein Blogbeitrag von mir selbst, auf den ich stolz bin: 

Guido Graf: http://grafguido.de/access-to-awesome-30-thesen-zur-zukunft-der-literaturvermittlung/

Buchkolumne, Karla Paul: „Auf einen Blogbeitrag kann ich schwer stolz sein, aber vielleicht auf die Aktion „Blogger für Flüchtlinge“ aus diesem Jahr, die ich gemeinsam mit anderen Bloggern startete – dies findet hoffentlich bei mir selbst und Anderen Nachahmung.“

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mein erfolgreichster Text/Beitrag:

Lust zu Lesen, Sonja Graus: „Bisher das Interview mit der Übersetzerin Gabriele Haefs. Die Zugriffszahlen und das Tempo des Teilens haben mich völlig überrascht.“

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ein Text/Beitrag von mir, der wenig Beachtung fand, aber mehr Beachtung verdient:

Chris Popp, Booknerds.de: „Kann ich pauschal gar nicht sagen. Bei vielen Artikeln denke ich mir: Mensch, eigentlich müsste das die Leute doch interessieren! Aber die Onlineleserschaft ist unberechenbar.“

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eine Frage, die diesem Fragebogen fehlt:

Mokita: „Zweifelst du an deinem Tun? Und wann sind die Momente, an denen du mit dem Bloggen aufhören willst?“

Guido Graf: „Wann fängst Du endlich an?“

Buchkolumne, Karla Paul: „Was macht Literatur mit Dir, mit Deinem Leben?“

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blogfragen

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und, zum Vervollständigen:

“Das neue literarische Quartett…”

Chris Popp, Booknerds.de: „…interessiert mich genau so wenig wie das alte. Ranickis Empörung auf Knopfdruck fand ich eher lachhaft als unterhaltsam. Aber auch so gibt mir das Format nicht viel. „Was liest du?“ mit Jürgen von der Lippe fand ich da irgendwie schöner und unterhaltsamer. Und nach den Meinungen zur ersten Aufgabe habe ich wohl auch nichts verpasst.“

Laurent Piechaczek, Booknerds.de: „Warum muss Maxim Biller eigentlich überall seinen Senf hinzugeben?“

Denkzeiten: „Ich mag keine Remakes und Kopien. Wenn eine Literatursendung, dann eine neue. Alles andere wird eh zu nichts führen.“

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“Auf der Buchmesse…”

Buchkolumne, Karla Paul: „… bin ich zuhause.“

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“Ich bin sehr überraschend und unerwartet auf ein gutes Buch gestoßen. Und zwar…”

Buchstäbliches: „…auf mehrere Bücher, von Self-Publishern geschrieben.“

Flying Thoughts: „„The Eyre Affair“ von Jasper Fforde ist so ein Buch. Ebenso „The Invisible Library“ von Genevieve Colman. Beides Genre, die ich eigentlich fast gar nicht lese. Aber es hat sich gelohnt.“

Buchkolumne, Karla Paul: „… „The Art of Asking“ von Amanda Palmer aus dem Eichborn Verlag. Die Musikerin, Künstlerin und Frau von Fantasybestsellerautor Neil Gaiman beschreibt darin ihren Lebensweg mit der Musik und wie sie gelernt hat, andere Menschen in ihr Leben zu lassen und sie um Hilfe zu bitten, wie sie die mit 1,2 Millionen Dollar bisher erfolgreichste Kickstarter-Kampagne initiierte und die sozialen Netzwerke für sich nutzt, sie lebt. Ich hielt es erst für ein esoterisch angehauchtes Selbsthilfebuch – stattdessen stieß ich auf eine äußerst spannende Biografie mit der besten Nutzungsanleitung für soziale Medien und gemeinsames Miteinander on- als auch offline.“

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weitere Buchtipps aus den bisher 22 verlinkten Blogposts:

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Schöne Seiten: David Grossmans „Stichwort: Liebe“, Jonathan Safran Foers „Alles ist erleuchtet“, Vladimir Nabokovs „Lolita“, Gabriel García Márquez’ „Hundert Jahre Einsamkeit“, Salman Rushdies „Mitternachtskinder“. Hard-boiled Krimis und Noirs, der Liebeskind Verlag hat in dieser Hinsicht einige aufregende Bücher im Programm. Nino Haratischwilis Das achte LebenDeutscher Meister von Stephanie Bart.“

Literaturen: Clemens J. Setz,  „Sieben Minuten nach Mitternacht“ von Siobhan Dowd und Patrick Ness.  „Gotthard“ von Zora del Buono. „Die Verschwundenen“ von Wolfgang Popp. „Der amerikanische Architekt“ von Amy Waldman. „Limonow“ von Emmanuel Carrère. „Deutschland überall“ von Manuel Möglich.  „Lust und Laster“ von Evelyn Waugh. „Lucky Newman“ von Carl Nixon. Wenn es nicht sowieso ein tolles Buch wäre, hätte ich es wegen des Covers gekauft. Sechs Personen suchen einen Autor” von Luigi Pirandello.

A Million Pages: Henry James: Porträt einer jungen Dame. Helmut Berger: IchDie stille Frau von A. S. A. Harrison. Erika Robuck. The Curiosity vom amerikanischen Autor Stephen P. Kiernan: Ich kann nicht nachvollziehen, warum dieses außergewöhnliche Buch noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde, denn es würde meines Erachtens mit Sicherheit auch hier die Bestsellerlisten stürmen.

Der Buchbube“Der Fliegenfänger” von Willy Russell.

MokitaDas Gefängnis der Freiheit von Michael Ende.

Chris Popp: „Nilowsky“ von Thorsten Schulz, „Amerika-Plakate“ von Richard Lorenz, die David Foster Wallace-Biographie „Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte“ von D. T. Max, Juha Vuorinens „Göttlich versumpft“, Christoph Poschenrieder – Die Welt ist im Kopf; Wolfgang Welt – Fischsuppe; Georges Perec – Das Leben Gebrauchsanweisung; Lothar Baier – Jahresfrist usw.,  usw…

Guido Graf: Georges Didi-Hubermann: Das Nachleben der Bilder, Helen Hester: Beyond Explicit: Pornography and the Displacement of Sex, Ernst Gombrich: über Schatten, Steffen Popps Beuys-Buch

Buchkolumne, Karla Paul: Scarlett Thomas: „Troposphere“, „Was wir fürchten“ von Jürgen Bauer, die Romane der irischen Chick-Lit-Autorin Marian Keyes, JJ Abrams: „Das Schiff des Theseus“, „Shakespeare and Company“ aus dem Suhrkamp Verlag.

Nur Lesen ist schöner: „„Wir sind die Könige von Colorado“ von David E. Hilton. “Schloss aus Glas” von Jeannette Walls. „Zwiterschende Fische“ von Andreas Séché. „Im Schatten des Vogels“ von Kristin Steinsdóttir. „Das hat alles nichts mit mir zu tun“ von Monica Sabolo. „Wir haben Raketen geangelt“ von Karen Köhler. „Liebten wir” von Nina Blazon. Es war eine reine Bauchentscheidung, das Buch zu kaufen, weil mich das Cover so ansprach. Hinter dem Buchdeckel habe ich eine weitaus facettenreichere Geschichte entdeckt, als ich anfangs vermutet habe.

„Naked Boys Reading“: Essay für edel&electric

Foto: Joachim Boepple

Foto: Joachim Boepple

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„Im Sommer 2008 streifte ich den Seitenspiegel eines Autos. Im Sommer 2001 fuhr ich beim Ausparken gegen einen Kleinwagen. Doch das waren meine einzigen Unfälle. Bis mich eine Freundin neulich in die Tiefgarage ihres Wohnblocks lotste: „Du kannst auf unseren Stellplatz!“

Alles war viel zu eng für den Kleintransporter meiner Mutter. Ich wendete. „Winkst du mich raus?“ – „Das klappt so. Fahr!“, sagte sie. Ich rammte einen Pfeiler.

Sie schämte sich. Ich schämte mich. Am meisten schämte sich meine Mutter. Wenn etwas bei mir schief geht, sagt mein Vater bis heute, das läge an ihrer Erziehung. Was ich vermassle, wird ihr zur Last gelegt. Als sie nach Tagen vor Verwandten wagt, den Schaden anzusprechen, lachen alle sie aus.

„Das wissen wir längst! Stefan hat das Auto neulich draußen geparkt: Uns wurde sofort von Freunden erzählt, dass da jetzt eine Schramme ist!“ Man lachte über meine Mutter, weil sie noch glaubte, kontrollieren zu können, wann Peinlichkeiten öffentlich werden. Dabei war alles schon publik: Man hatte nur schadenfroh ihr verschwiegen, dass alle längst darüber lachten, dass sie nicht gut verschweigen und vertuschen kann.

„Was hier am Tisch besprochen wird, geht niemanden was an!“, warnte uns mein Vater jahrelang. „Ich habe neulich ‘Stefan Mesch’ ins Google eingegeben. Aber dann gab es Ergebnisse!“, trumpfte ein Dorf-Rentner auf – als hätte er mich bei irgendwas ertappt. Im Dorf aufwachsen hieß für mich: Gebe ich mehr preis als unbedingt nötig, mache ich mich angreifbar, lächerlich, schwach. Weil alle denken, ich sei zu dumm, meine Geheimnisse zu hüten.

Funktioniert der Literaturbetrieb genauso?“

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Für edel&electric habe ich „Naked Boys Reading“ besucht – eine Nackt-Lesereihe in Berlin. 

Und über Entblößungen geschrieben.

Der vollständige Text ist hier: http://edelundelectric.de/index.php/2015/11/06/naked-boys-reading-eine-nackt-lesebuehne-in-berlin/

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Foto: Joachim Boepple

Foto: Joachim Boepple

Sandra Gugić: „Astronauten“ (Interview)

Sandra Gugic. Foto: Dirk Skiba

Sandra Gugic. Foto: Dirk Skiba

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„Sag Ihnen, du hast mich schweben sehen“

Der erste Roman: Sandra Gugić und ihr Debüt „Astronauten“

von Stefan Mesch

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Mein Lieblingstext beim Open Mike 2012 hieß „Junge Frau, undatiert“. Wegen Sätzen wie „Ich bleibe nie lange. Meine Habseligkeiten passen in einen großen blauen Koffer aus Polykarbonat sowie einen stabilen Rucksack für Laptop, Kamera und Stativ.“

Das altmodische „Habseligkeiten“, das charmant umständliche „sowie“, das klug-präzsie „Polykarbonat“: Sandra Gugić, geboren 1976 in Wien, schafft Atmosphäre, Suggestionsräume – kein Wort wirkt beliebig. Aber jedes strebt in eine andere Richtung.

2015 erschien ihr Debütroman: „Astronauten“ (199 Seiten, C.H. Beck).

Künstler, Taxifahrer, jugendliche Vandalen, verlassene Hotels, schäbige Hinterhauswohnungen, Paranoia im Villenviertel. Ein Großstadt-Mosaik, dessen Anspruch und raffinierte Vielstimmigkeit mich überzeugte – aber hundert Fragen aufwarf. 24 davon habe ich Sandra Gugić gestellt.

Ein Interview, kurz vor Gugićs „Astronauten“-Lesung zum 23. Open Mike 2015.

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Was ist dieser Roman, „Astronauten“? Was erzählst du?

Es ist ja immer recht unangenehm, den eigenen Text zu erklären oder zusammenzufassen. Es steht ja alles drin im Roman. Mich interessieren gesellschaftliche Mechanismen, Parallelgesellschaften, Randexistenzen. Aber wo ist eigentlich der Rand, und wer zieht die Linien?

Was macht unsere Identität aus? Wie funktioniert oder scheitert unsere Gemeinschaft? Das sind die Fragen, die mich beschäftigen und sich auch in dieser formalen Lösung mit sechs verschiedenen Erzählstimmen spiegeln.

Was ist dieser Roman? Ha, jetzt will ich auch mal Pathos schreiben: ein Herz, das schlägt!

Gab es eine Keimzelle – eine erste Idee?

Ich habe mit nur einem Ich-Erzähler begonnen, Darko. Er war die Keimzelle, daraus wurde der Ursprungstext – aber alle späteren Figuren kamen schon vor. Die zweite Stimme war sein Vater, Alen. So ging das weiter, ich glaube in der Reihenfolge Mara, Niko. Alex kam ganz am Schluss dazu, dafür fiel eine andere Stimme raus. Es war einfach so, dass eine Figur nach der anderen das Wort ergriffen hat.

War Kapitel 1 dein erstes Kapitel? Hast du chronologisch geschrieben?

Das erste Kapitel entstand so ungefähr in der Reihenfolge, aber ich arbeite immer parallel, gehe im Text vor und wieder rückwärts, endlose Schleifen. Chronologisch im eigentlichen Sinne aber nicht. Das lineare Erzählen ist nicht meine Sache, mit einer linearen Art des Erzählens kann ich immer nur wieder ähnliche Weltbilder reproduzieren, aber alles geschieht gleichzeitig, parallel zueinander, es bleibt den Wegen zu folgen, die durch eine konsequente Ablehnung von Geradlinigkeit überzeugen.

Das multiperspektivische und nichtlineare Erzählen und Schreiben war für mich logische Konsequenz, um die verschiedenen Stimmen in all ihrer Dringlichkeit, ihren Gedankenschleifen, Parallelen, Widersprüchen und in dem hohen Tempo wiedergeben zu können, in dem sie sich mir erzählt haben.

Ist das ein technisches Problem für dich, bei Print-Büchern? Hättest du lieber ein Netz entwickelt, das man nonlinear lesen kann – oder das Sprünge erlaubt?

Ganz im Gegenteil. Ich sehe kein Problem, weder als technisches noch als erzählerisches, ich sehe eine Herausforderung, das Schreiben als eine Einladung zu Experiment und Spiel, der ich gefolgt bin.

Es gibt keine gerade Linie, weder in den Dingen, noch in der Sprache. Die Syntax ist die Gesamtheit von notwendigen Abwegen, die stets von neuem geschaffen werden, um das Leben in den Dingen sichtbar zu machen. // Deleuze, Kritik und Klinik

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Sandra Gugic, Foto privat

Sandra Gugic, Foto privat

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Wie nah ist das fertige Buch an dem, was du dir zu Beginn der Arbeit vorgestellt hast? Hattest du einen Plan?

Der Plan war: das muss erzählt werden, vieles hat sich mir erst im Schreiben erzählt und erschlossen, also das Verfertigen und Vervollständigen der Gedanken beim Schreiben. Vor allem beim ersten Roman ist das wahrscheinlich normal, ich weiss aber auch nicht, wie es anders gehen könnte. Ich wiederhole: Der Text ist ja angeblich klüger als die Autorin.

“Figuren, die sich mir erzählt haben” klingt schwülstig: Die Autorin als Medium, das fremde Stimmen hört.

Haha, ja Stimmen hören. Genau. Aber was, nichts dergleichen. Was ich meine ist: Das Schreiben beginnt im weißen Rauschen der Welt, Stimmen die sich da rauslösen, dringliche Stimmen, wütende Stimmen, die etwas zu sagen haben oder die angeblich nichts zu sagen haben und es trotzdem sagen. Immer noch schwülstig? Wurschtweil. So lass ich das jetzt stehen!

Hat das Buch eine Hauptfigur?

Es gibt keine Hauptfigur bzw. ist es immer die/der gerade spricht, die nach vorne tritt. Wer spricht, hört sich ja auch nur selbst oder das Rauschen seiner/ihrer Gedanken. Die Figuren waren manchmal launisch oder spröde oder unzugänglich. Ich liebe alle meine Figuren. Durchwegs Spaß gemacht hat mir Zeno, eine Freundin von mir hat gemeint, Zeno und ich, wir haben einiges gemeinsam.

Ging unterwegs etwas schief? Haben dich Figuren überrascht?

Der Weg war die Hölle war die Reise wert. Die Figuren haben mich rechts und links überholt, aber nie dumm sterben lassen.

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"Astronauten", erschienen 2015 bei C.H. Beck

„Astronauten“, erschienen 2015 bei C.H. Beck

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Wie hast du dich aufs Schreiben vorbereitet? Und wie – in welchem Rahmen, Rhythmus – hast du geschrieben?

Ich hab mich nicht vorbereitet. Ich hab einfach geschrieben. Zuhause, weil ich mir kein Büro leisten konnte und Bibliotheken mich nervös machen. Manchmal tagsüber im Café, wenn mir die Decke auf den Kopf gefallen ist. Auf einem baufälligen kleinen Balkon in Pankow. Im Hinterhof auf der Sonnenallee. In Wien, in Leipzig und in Berlin. Manchmal im Zug. Viel nachts, weil das eine unruhige Zeit in meinem Leben war und nachts alles etwas ruhiger ist, keiner ruft an, keine emails, auch die Stadt ist ruhiger als sonst.

Wann wusstest du: Das wird ein gutes Buch?

Alles was ich immer wusste war: Es muss geschrieben werden. Ich hab oft gezweifelt, dann war ich wieder euphorisch. Das ist wohl auch normal so. Aber alles was ich wusste war: Es muss.

War „Astronauten“ ein Kraftakt?

Schreiben ist für mich ein Kraftakt wie auch ein Rausch. Sprachlich und inhaltlich präzise an einem Text zu arbeiten kostet sehr viel Kraft, diese Kraft überträgt sich aber auch, schwingt zurück, wenn dieser Sog entsteht, der einen in den Text hineinzieht und in eine andere Welt katapultiert, ein gigantisches Eskapismuskatapult schleudert einen also raus in einen unbekannten Raum, dazwischen ein Schweben, vielleicht eine Millisekunde Schwerlosigkeit, und am Ende des Textes findet man sich allein wieder, auf sich selbst zurückgeworfen und leicht verkatert wie nach einer allzu langen Nacht, wenn die rauschhaften Gespräche und Begegnungen noch im Kopf nachhallen, die Gerüche, die Musik, die verpassten Gelegenheiten, die Peinlichkeiten, die unerfüllten Wünsche, während die Sonne schon gnadenlos hoch am Himmel steht und die Realität eines neuen Tages hereinbricht.

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Sandra Gugics Facebook-Profilbild. Foto: privat

Sandra Gugics Facebook-Profilbild. Foto: privat

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Warum hat die Stadt keinen Namen?

Die Stadt braucht keinen Namen, nicht in diesem Roman. Ich habe sie aus verschiedenen Orten der Realität zusammengepuzzelt, die Stadtkulisse ist fiktiv, trotzdem höre ich immer wieder von Leser/innen, dass sie diesen oder jenen Ort zu erkennen glauben, sich sicher sind. Das macht mir Spaß, wenn ich mir vorstelle, wie jede/r vielleicht seine Stadt hineininterpretiert. Es würde der Geschichte nichts hinzufügen, hätte die Stadt einen Namen.

Du benutzt Adjektive, bei denen ich Bücher oft weglege: „schneeweiß“, „hauteng“, „raspelkurz“, „blitzschnell“, „haarscharf“. Mir sind diese Worte zu verbraucht, abgeschmackt.

Das kenne ich ebenso, mein persönliches Hasswort ist „schmunzeln“. Was soll das wirklich bedeuten? Wie soll das aussehen, außer idiotisch, und warum macht das irgendjemand? Schmunzeln macht mich aggressiv. Als Wort, versteht sich. Aber ein Satz besteht ja für gewöhnlich nicht aus einem Wort. Und ein ganzer Roman auch nicht. Oder?

„Die Hitze liegt wie Sirup über der Stadt“. Im Ernst? Rollst du nicht die Augen, wenn du das anderswo liest?

Im Ernst: Ein schneeweißer Elefant steht mitten im Raum, die Augen geschlossen. Der Elefant realisiert: Ich bin hier drin, nein, er döst und träumt, wie er Honig aus dem Kopf eines Plastikbären auf ein blasses Stück Toastbrot drückt. Von rechts zischt ein rotes Etwas ins Bild, ein Eichhörnchen, es springt, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, blitzschnell und unfassbar anmutig auf den Rücken des Elefanten, zwischen den Zähnen hat es einen Rotstift, es hält inne und schmiegt sich an die Elefantenhaut, zwischen die Falten, spürt die Wärme, rollt dabei verzückt mit den Augen, getrieben von einer Angst, die Augen zu schließen und abzutauchen in eine Finsternis, die knapp hinter dieser Hautwärme liegt, eine Finsternis, in der das Eichhörnchen vor allem Angst hat, das ihm gerade in den Sinn kommt, jetzt gleitet die Spitze des Stifts über die Elefantenhaut, kritzelt mit manisch rhythmisch schabenden Geräuschen unermüdlich pejorative Hieroglyphen. Die Lider des Elefanten flackern, die Ohren schlackern, er stöhnt leise, vielleicht schwitzt er sogar, auf jeden Fall: Er schmunzelt.

Viele Leserstimmen und Kritiken zu “Astronauten” sind respektvoll, aber ein bisschen verhalten und nervös: Keiner scheint sich sicher, dass er das Buch richtig verstanden, die Handlungsstränge korrekt entwirrt hat. Hattest du Bedenken, dass das Buch zu dicht/verkopft wird?

Habe ich mit „Astronauten“ tatsächlich jemanden nervös gemacht, zum Nachdenken gebracht, auf die Suche nach Lösungen geschickt? Wenn ja, wunderbar. Dann bin ich froh.

In der Textarbeit an „Astronauten“ habe ich mir Fragen gestellt – und will auch keine fertigen Lösungen anbieten, es gibt genau genommen nichts richtig zu verstehen, es gibt nichts falsch zu verstehen. Aber selbstverständliche gibt es etwas zu verstehen.

Nein, ich hatte keine Bedenken, ja ich hatte selbstverständlich alle möglichen Bedenken, weil ich kritisch und hart mit meiner Arbeit bin, aber vor allem habe ich „Astronauten“ geschrieben, ohne an Markt und Konsequenzen zu denken, ich habe das Buch geschrieben, weil ich es genau so schreiben wollte, ich habe ein fertiges Manuskript an die Verlage geschickt, weil ich es ohne Verlagsdruck oder übertriebene Formung/Beeinflussung im Schreibprozess finalisieren wollte, weil ich frei schreiben wollte, auf die Gefahr hin, dass es vielleicht niemand drucken will, auf den Gewinn hin, dass ich genau die erzählerischen Entscheidungen getroffen habe, die ich für richtig gehalten habe.

Respekt! Das verstehe ich gut – und ich glaube, es hat sich gelohnt. Wie war dein Jahr als Debütantin? Und: Waren die Reaktionen in Österreich und Deutschland unterschiedlich?

Das Jahr war großartig und schrecklich und schön und hässlich und lang und zäh und verdammt müde verdammt schnell und auf und ab undsoweiter. Reaktionen waren da, sowohl in Österreich als auch in Deutschland, überaus erfreuliche und weniger erfreuliche. In die Schweiz durfte ich auch reisen, ich erinnere mich an einen Ausflug auf einen Gletscher, da stand ich allein, kurz bevor die letzte Gondel ins Tal zurück fuhr und in diesem Moment war alles gut und das Wasser war kalt und klar.

Aus psychohygienischen Gründen sollte ich mich mit diesen und jenen Reaktionen weder über Gebühr beschäftigen, noch sie auswerten. Was ich muss, ist weiter schreiben.

Kritik ist eilig, packt einen kurz, zwischendrin, und rüttelt einen durch. Relativiert die Mühsal langer Strecken, macht sich auf eine Art lustig über das gewichtige größerer Projekte, in die man sich verbissen hat, Kritik kichert darüber böse, und das hilft einem irgendwie, im Verlorenen. Das stachelt einen immer wieder neu an. Man schreit dann rum. Das tut der Arbeit gut. // Rainald Goetz, „Abfall für alle“.

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Sandra Gugic, Foto privat

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Du bist die einzige Autorin, die ich mit Farbtönen, Farbstimmungen verbinde – weil das “Astronauten”-Cover und viele deiner Social-Media-Fotos mit ähnlichen Farbverläufen arbeiten. Erzähl mehr über diese Farben!

Wenn ich schreibe, arbeite ich nicht direkt mit bestimmten Farben, aber stark mit Bildern. Schnappschüsse, die ich unterwegs mache, sind eine Ergänzung zu meinem Notizbuch. Einige dieser Bilder finden sich dann in den Texten wieder. Wie beispielsweise das tote Eichhörnchen, das in „Astronauten“ vorkommt, ich habe es beim Joggen gefunden. Das „Astronauten“-Cover habe ich selbst gestaltet, das verwendete Foto ist ein Schnappschuss, den ich bei einer Zugfahrt mit meinem Smartphone gemacht habe.

Was hast du aus “Astronauten” gelernt?

Ich habe mir abgewöhnt zu glauben: Der Schreibtisch ist eine Wiese mit Schubladen. 
Ich habe mir abgewöhnt zu erklären: Arbeit macht Spaß.
Ich habe mir abgewöhnt zu hoffen: Spaß könne die Welt verändern.
Ich habe mir abgewöhnt zu meinen: Nur das Interessante ist interessant.
Ich habe mir abgewöhnt zu antworten: Literatur ist überflüssig. 
Ich habe mir abgewöhnt zu antworten: Literatur ist notwendig.
(…) // Wolf Wondratschek, Gewohnheiten

Wem empfiehlst du ‘Astronauten’?

Meinst du nach dem Motto „Kunden, die XX kauften, kauften auch XY“? Oder: „Du bist, was du liest“?

Wenn ich über die Leser/innen nachdenke, die mich nach Lesungen angesprochen haben, waren das sehr unterschiedliche Menschen ohne besondere gemeinsame Merkmale – außer vielleicht: ein wacher Geist, Neugier, eine Prise Ironie. Die Neigungsgruppe „Lesender Mensch“, hungrig auf und aufgeschlossen für Literatur, die auch ein paar Ecken und Kanten haben darf.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass noch folgende Begebenheit zitiert werden muss:

Ein paar Monate nach unserem Interview rief ich Herrn Frisch an, um zu fragen, ob er irgendwelche letzten Änderungen oder Kommentare hinzuzufügen hätte. „Ja“, sagte er. „Sagen Sie denen, dass ich für einen ganz kurzen Moment geflogen bin. Nur für einen Moment. –– Zur Küche und wieder zurück. Aber dass Sie mich haben fliegen sehen.“ // The Paris Review, Max Frisch im Interview

In meinem Fall also: SAG IHNEN, DU HAST MICH SCHWEBEN SEHEN!

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www.sandragugic.com

Stefan Mesch: Veröffentlichungen (Stand: 2015)

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als Ergänzung zur „über mich“-Seite hier im Blog:

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Texte in:

ZEIT Online | Tagesspiegel | der Freitag | Kulturtaustausch

Edit | BELLA triste 1 2 3 | Am Erker | Macondo | Comma | etcetera | Sterz

Buchbeiträge für: Hanser Verlag | Beltz & Gelberg | Frohmann | Mikrotext 1 2 | Büchergilde Gutenberg 1 2 | Siebenhaar Verlag | Kerber Verlag | Allitera | Blumenkamp | Glück & Schiller / Edition Pächterhaus 1 2 3 4 5 6 7 8 u.a.

Literaturkritik.de 1 2 u.a. | Kleinerdrei.org | WDR/Funkhaus EuropaTitel-Kulturmagazin 1 2 | Stadtkind | 14 Magazin | edel&electric | lit.radio | Zebrabutter 1 2 | Literaturfest München | Blog der Frankfurter Buchmesse | schauerfeld.de | ocelot | dandelion | EXOT. Zeitschrift für komische Literatur | IDLE | elementtracking | 54stories | Buchmarkt Magazin | techniktagebuch 1 2 | lit04.de

freier Literaturkritiker und Autor für Deutschlandradio Kultur, u.a. 1 2 3 4

Verlage:

Klett-Cotta (Praktikum, Gutachten, Lektorat) | Luxbooks (Übersetzung) | DK Publishing (Übersetzungen) | ZEIT der verschwundenen Bücher / Eder&Bach (Recherche) | Polar Verlag (Beratung) | Harvill Secker (Gutachten) sowie fürs Goethe-Institut Toronto (Praktikum, Übersetzungen)

Lesungen:

Berlin: Kabeljau & Dorsch | Freiburg: Jos Fritz | Freiburg: Literaturbüro Freiburg | Berlin: Literaturhaus Lettrétage | Köln: Literaturhaus | Frankfurt: Helden der Kindheit: Lois Lane

Preise:

Finalist 20. Open Mike 2012 | Dietrich-Oppenberg-Medienpreis für Kulturjournalismus der Stiftung Lesen 2012 | Finalist Virenschleuderpreis 2015 | Juror beim Buchpreis Seraph 2013 der Phantastischen Akademie | …und 2015 nach der Amy-Hempel-Übersetzung Gast auf Schloss Bellevue, beim Empfang von Bundespräsident Gauck.

Moderationen und Panels:

Literaturgespräch Freiburg (mit u.a. Per Leo, Verena Rossbacher, 2014) | Frankfurter Buchmesse/Orbanism Space (mit u.a. Nora Gomringer, Jan Drees, 2015) | Centraltheater Leipzig (auf Englisch: Fiona Maazel, 2012) | zwischenbrise Festival Freiburg (Sebastian Polmans, Lisa-Maria Seydlitz, Judith Zander, 2012) | Lit.futur, Hildesheim (mit u.a. Karla Paul, 2013) | PROSANOVA, Hildesheim (mit/als Kathrin Passig, 2014) | Literarisches Zentrum Göttingen (mit Harun Maye, 2014) | Berliner Volksbühne: Katersalon (mit u.a. Jörg Sundermeier, Jan Fischer, 2014) | Frankfurter Buchmesse/Deutschlandradio (mit u.a. Nika Lubitsch, Stephan Joß, 2014)

Workshops und Seminare:

Ruhr-Uni Essen: Schreiben fürs Feuilleton, 11/2015 | FU Berlin: Kunst/Kultur/Kritik, 10/2014 und 11/2015 | Leipziger Buchmesse/Autorenrunde: Rezensieren, 03/2015 | Universität Göttingen: Freier Journalismus, 05/2014 | Stadtbibliothek Mannheim: Bloggen und Engagement, 07/2014, Universität Hildesheim: Schreiben über Comics, 05/2012 und 05/2013 | …und, am schönsten: freies Theater Tempus Fugit e.V., Lörrach: Schreibwerkstätten für a) Theaterpädagog*innen, Anfang 20 und b) Schulklassen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz, 12 bis 17, zweisprachig: 06/2014 und 06/2015

Liveblogs und Social-Media-Projekte:

für Suhrkamp, 2010: Arno Schmidt: Schauerfeld.de | für die Literaturwerkstatt Berlin, 2012: Liveblog zum Open Mike | für Literaturhaus Lettrétage, 2014: Schul-Lyrikprojekt Comment | für Büchergilde Gutenberg, 2014/15: „Buchsprechstunde“ auf Facebook | für Deutschlandradio Kultur: Liveblogs Frankfurter Buchmesse 2014 und Leipziger Buchmesse 2015 | ab 11/2015: Blogposts für edel&electric (Mara Giese, Karla Paul)

Interviews:

u.a. Cory Doctorow | Jagoda Marinic | Anne Köhler | Ayelet Waldman | Sandra Gugic | Monika Maron | Barbara HonigmannBrewster Kahle | Sally Pascale | Hans Hütt | …und, für „Straight to your Heart“, ein Dutzend Schauspieler*innen und Autoren von „Verbotene Liebe“, ARD

Interviews mit mir:

Nerv Magazin | ZEIT Magazin | SteglitzMind | Christoph Koch | Auf ein Bier mit | Open Mike | Büchergilde.de | Buchkontor WienBooknerds | Litlog | RTL

Themen:

Gegenwartsliteratur (v.a. deutschsprachig, USA, Kanada, Japan) | US-Serien | Netzkultur | Datenschutz | vergessene und obskure Bücher | Genre-Literatur | Jugendbücher | Mangas und Comics (v.a. Superhelden: Superman, Batman, weibliche Heldinnen) | persönliche Empfehlungen | LGBT und Repräsentation | Tod und Verlust | Blogs, Social Media, Identität | New York | Tagebücher | Feminismus | autobiografisches Schreiben | Mainstream-Kino und -Videospiele

Social Media:

Facebook | Twitter | Youtube | Tumblr: „Zimmer voller Freunde“ | Tumblr: sporadische Fundstücke | last.fm | Criticker | imdb | Goodreads | …und bei Amazon


Ziele:

Print-Feuilleton (Zeit, SZ, FAZ?) | Klagenfurter Literaturkurs | Übersetzungen (Literatur, Genre, Young Adult, Comics bei Panini?) | Wired | Volltext | Literaturspiegel/SPON | taz | …und den Roman abschließen!

smesch@gmx.net

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stefan mesch, foto achim reibach

Was ich liebe. 100 Favoriten.

Stefan Mesch Orbanism #fil15

 

 

Zum Sampeln, Zitieren, Remixen, Spielen:

Für „#fil15 – Falling in Love“ und das Orbanism Festival Berlin 2015 habe ich ein Wochenende lang gesammelt, was ich liebe.

  • Flughäfen – und das Raus-/Weg-/Weiterkommen.
  • Kohlenhydrate! Reis, Brot, Cracker, Kekse.
  • Fragebögen, offene Fragen, Persönlichkeitstests – und gesammelte Antworten.
  • Abwechslung, Steigerung, Beschleunigung, Anspruch.
  • Kunst, die länger, größer, schwerer, vielstimmiger, komplexer ist, als sie unbedingt sein müsste.
  • Journalismus: Menschen, denen wir Geld geben, damit sie fragen, beobachten, nachdenken, Erfahrungen machen.
  • beim Autofahren laut zu singen.
  • gebrauchte Dinge gut zu behandeln/neu zu nutzen.
  • wenn Kinder Sarkasmus oder Übertreibungen verstehen und witzig finden.
  • Empfehlungen zu kriegen – und zu geben.
  • Streams, Archive, Sammlungen, Wunderkammern, Bibliotheken, Rankings, Lexika, Links.
  • Ensembles, Gruppen, Gruppendynamik, Wahlfamilien, Probleme zwischen mehr als zwei Menschen.
  • Menschen, die ihre Arbeit lieben. Und mir Begeisterung für ihr Leben vermitteln.
  • Reste, Häppchen, Potlucks, improvisiertes Essen, spontane Optionen.
  • Ohrstöpsel, Augenklappen, das Ausblenden von Störungen.
  • Alleinsein, Allein-in-fremden-Städten-Sein, Allein-auf-Konzerte-Gehen, Allein-in-Wohnungen-Sein, Allein-Reisen.
  • irgendwo sprechen/bleiben zu müssen, wo ich nur ein, zwei Menschen kenne… und alle Neuen, Unbekannten kennen zu lernen.
  • Gespräche im Gehen zu führen – oder im Auto.
  • Nähe/Verständnis trotz Altersunterschied.
  • Whistleblower, Watchblogs, Menschen, die Unrecht öffentlich machen.
  • Serien, in denen Dinge passieren, bei denen man vorher dachte „DAS darf DA auf keinen Fall jemals passieren.“
  • Frauen, die keine Frauchen sind und Männer, denen ‚Männlichkeit‘ egal ist.
  • Menschen, die ihr Leben so dokumentieren, dass ich ihnen nahe sein kann, ohne, in ihrer Nähe sein zu müssen.
  • Sachen auszusuchen, Sachen anzuordnen oder mich schnell zwischen Sachen zu entscheiden.
  • kurz/gezielt Zeit mit Leuten zu verbringen – statt rumzudümpeln.
  • wenn es sich Freunde leicht machen: kein Geschenkpapier, kein aufwändiges Kochen, kein unnötiger Zeitaufwand.
  • im Liegen zu schreiben/zu arbeiten.
  • auf Partys im Nebenzimmer zu sein, oder zu fotografieren. Dabei zu sein – als teilnehmender Beobachter.
  • in Buchhandlungen, Comicshops, Antiquariaten ins Gespräch zu kommen.
  • Menschen, die sich Gehör verschaffen – obwohl sie jünger/ärmer/fremder etc. sind als Menschen, denen wir sonst zuhören.
  • Websites, die Bücher, Filme, Restaurants, Serien-Episoden etc. bewerten und ranken.
  • Goodreads, TV Tropes, GraphTV, TVinsider, Tumblr, Feminist Frequency, manchmal Reddit.
  • umdrehen, rausgehen, abbrechen zu können, spontan zu sagen: „Dafür ist mein Leben zu kurz, meine Zeit zu wertvoll!“
  • Leute anzufeuern, an Leute zu glauben, Leuten zu sagen, was ich an ihnen mag.
  • Menschen, die mich begeistern, für andere Menschen, die mich begeistern, zu begeistern.
  • Sachen, die ich gerne tue, immer wieder zu tun, als Alltags-Ritual.
  • Sachen zum ersten Mal zu tun, anders zu probieren, an neuen Orten zu sein.
  • Parks, Coffee Shops, Bibliotheken, Third Spaces: Orte, an denen man unter Menschen allein sein kann.
  • einen Unterschied zu machen; zu wissen: DIESEM Menschen habe ich HEUTE etwas zu sagen/zu geben.
  • Speisekarten, Optionen, kurzzeitige Angebote, saisonales Essen, Fundgruben: Wahlmöglichkeiten und Abwechslung.
  • wenn Menschen Adoptiveltern, Stiefgeschwister, Exfreunde des Partners o.ä. RICHTIG toll finden.
  • wenn Geschichten „für Kinder“, „für Frauen“, „für Japaner“, „für Lesben“ o.ä. auch *mir* genug zu denken geben.
  • wenn Nebenfiguren so viel Format haben, so strahlend und interessant sind wie Hauptfiguren.
  • wenn sich Leute mit mir freuen oder Passanten merken, dass ich gute Laune habe/glücklich bin.
  • Sonne, Licht, nicht-Frieren-Müssen, Temperaturen über 25 Grad.
  • Filme, in denen sich Menschen vor Dinosauriern retten müssen.
  • interviewt zu werden. Oder Interviews zu führen. Radiogespräche. Podien. Blind Dates.
  • Leute, die in meinem Tempo laufen, sprechen, einkaufen, tippen: schnelle Partner, die mich fordern und motivieren.
  • traurigen Folk; leise Musik, zu der in TV-Cliffhangern Autos von Klippen schlittern.
  • Journalismus oder Kunst, die mehr als EINE Aussage, EINEN Standpunkt hat, die Fragen stellt, statt Antworten vorzutäuschen.
  • Sammeln, Sortieren, Schneiden, Kürzen, Lektorieren, Ranken, Anordnen, Collagieren.
  • untersetzte, kleine, gedrungene, tuntige Männer.
  • kantige, aufrechte, zupackende, schlaue Frauen.
  • Clark Kent und Lois Lane. Ihre Arbeit als Journalisten. Und: ihre Dynamik als Liebespaar.
  • Leute, die weitermachen, umdrehen, sich neu erfinden, einer Zumutung oder Tragödie etwas entgegensetzen.
  • Leselisten und Film-Watchlists. Ich werde mich nicht umbringen, so lange ich weiß: Da ist noch SO viel, das ich lesen/sehen will.
  • Sachen sofort sehen, öffnen, verarbeiten zu können: langes Warten macht mir keine Vorfreude.
  • in letzter Minute einkaufen zu gehen: vor Ladenschluss, an Heiligabend, spät nachts.
  • Fotos von Freunden. Und nicht nur: die schönen oder spektakulären.
  • Systeme mit mehr als zwei Kategorien. Keine Wahl zwischen A und B, sondern zwischen z.B. A, B, C und D.
  • Räume. Nur bitte keine „gemütlichen“ Küchen, „kuschelige“ Schlafzimmern, „niedlichen“ Hütten usw.
  • Variationen von Produkten: neue Geschmacksrichtungen und Specials.
  • das Seltsamste auf einer Speisekarte zu bestellen: neue Früchte/Fleischsorten/Getränke zu testen.
  • in Städten sein, in denen man jeden Tag einen neuen Ort zum Kaffeetrinken oder Essen findet.
  • das war knapp“-Bewegungen, -Timing, -Choreographien, z.B. im „Ducktales“-Vorspann: https://www.youtube.com/watch?v=0x7W2XG8UNY
  • Schulen, Tutorials, Workshops, soziale Einrichtungen: Orte, die Wissen und Hilfe bündeln.
  • Urban Density statt Urban Sprawl: dicht besiedeltes Terrain, auf dem alles nah beieinander liegt.
  • Leute, die als Einzelperson SO interessant sind, dass ich mich erst nach Wochen frage: „Sind sie eigentlich verheiratet?“
  • eine Erfahrung mit EINEM Menschen machen zu können, fokussiert, konzentriert: Zweierspaß, Zweiergespräche.
  • Kaffee viel mehr als Alkohol, Wachsein viel mehr als Entspannung, Stimulanz mehr als Beruhigung.
  • mich in neue Zusammenhänge und Systeme einzuarbeiten, komplexe Welten verstehen und bewerten zu lernen.
  • Jugendliche, die wissen, was sie wollen; Jugendbücher/Young-Adult-Literatur über Jugendliche, die wissen, was sie wollen.
  • wenn Paare zusammenbleiben, sich viel zu sagen haben: alle Szenen NACH dem „Ja: Ich will.“
  • Leute, die sich preis geben – und denen Mut und Offenheit wichtiger ist als Taktik oder Scham.
  • keinen Hund zu haben, keine Kinder zu haben, kein Versorger zu sein.
  • schlechte Bücher weglegen, aus schlechten Lesungen gehen, Partys verlassen, Kultur abbrechen zu können.
  • Zeit zu haben: Ihr kommt leicht an mein Geld. Aber nicht an meine Zeit!
  • Ausschlafen, Ausgeschlafen-Sein: einen Tag spontan 3 Stunden länger dauern lassen? Toll. 3 Stunden früher aufstehen? Graus.
  • dass Dinge schneller gehen als in meiner Kindheit, Antworten und Menschen viel näher sind.
  • Abende, Feste, Aktivitäten, auf die sich alle Teilnehmer, Besucher, Gäste sehr freuen.
  • fröhlichen Sex, Lachen beim Sex, Sex mit humorvollen Menschen.
  • Meinungen. Ich mag, dass es viele gibt, im Netz so viele nebeneinander stehen können und für mich lesbar sind.
  • Leseproben und die Sammel- und Jagd-Euphorie beim Bücher-Anlesen und -Sortieren.
  • allein in großen Gebäuden zu sein, z.B. nach Feierabend.
  • mehr als EINEN Menschen aus einem Land/einer Kultur zu kennen – das hilft gegen „Ah: SO sind die also alle dort“-Schubladen.
  • ältere Autorinnen, Politikerinnen, Aktivisten etc.; Menschen, die für Gruppen sprechen, die im Alltag zu selten Gehör finden.
  • Photoshoppen, mit Bildern arbeiten. Ich wünschte, es gäbe mehr Gründe/Anreize für mich, da besser zu werden.
  • mit Menschen, die Sushi mögen, Sushi essen gehen zu können – ohne weite Reise/Anfahrt.
  • Exzentriker, Queerness, Feminismus, Kunst, Trotz, Irritation: Gegenentwürfe zu vermeintlichen Selbstverständlichkeiten.
  • Dinge stehen zu lassen, Bäume wachsen zu lassen, Gegenständen einen Platz zu schaffen – an dem sie jahrelang bleiben können.
  • Bücher verschenken – oder sie möglichst persönlich und treffend zu empfehlen.
  • Menschen, die für Dinge brennen und mich mitreißen, anspornen, meinen Hunger verstehen.
  • kalten Kaffee, kalte Pizza, Sushi, Salate, kalte Pasta: sogar Fleisch ist kalt oft besser.
  • #1000tode, das Techniktagebuch, Tumblr… die Möglichkeiten, Erfahrungen und Blickwinkel vieler Menschen zu bündeln und archivieren.
  • knappe, schnelle Gespräche und Verständigung.
  • Sachen festzuhalten, zu dokumentieren, öffentlich zu machen, neuen Leuten zu zeigen.
  • gute Laune beim Einkaufen, Quatsch beim In-der-Schlange-Stehen, mit Freunden öffentlich glücklich zu sein.
  • die Gegenwart, die Zukunft: ich bin froh, heute zu leben – nicht vorher.
  • Vertrautheit, Intimität, an alten Freundschaften festzuhalten.
  • Menschen, die mir erklären, warum sie etwas lieben.

„Ich habe geklopft. Du warst nicht da.“

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Seit 2007 wohnte Freund X. mit seiner Familie im Dorf, in dem wir aufgewachsen sind. Seit 2009 schreibe, arbeite ich im leerstehenden Haus meiner toten Großeltern. Im selben Jahr kaufte X. ein Haus, keine 200 Meter entfernt. Wir gingen oft zusammen spazieren, über die Felder.

Noch öfter aber klopfte er – und ich war nicht da. In Toronto. New York. In München oder Berlin, ein paar Tage, Wochen, Monate. Oder einfach: noch im Bett. Denn X. steht vor sieben Uhr morgens auf. Ich gehe oft erst morgens um drei oder vier ins Bett.

Deshalb schickt er immer wieder Fotos von den Feldwegen zwischen unseren Häusern. Er führt die Hunde aus, und ich kriege Facebook-Bildnachrichten. Immer wieder, zu jeder Jahreszeit.

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Es sind fast immer schnelle, einfache Handy-Fotos. Ich denke nur selten: „Gutes Bild!“

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Aber er KANN gut fotografieren – so gut, dass die meisten meiner „offiziellen“ Fotos von ihm gemacht wurden: Sein Fotografen-Alias ist „Achim Reibach“.

achim reibach 2015

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Ich fotografiere die 200-Meter-Strecke zwischen unseren Häusern ähnlich oft wie er. Aber mit einer Kompaktkamera und mehr… Willen zum Kitsch und zur Idyllisierung. So:

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feld

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Seit sechs Wochen wohnt X. 45 Minuten weiter nördlich: In einem Haus am Wald, nicht mehr am Feld. Er ist mein bester Freund. Wir werden uns weiterhin so oft es geht sehen. Aber ich bin traurig – und froh, gerade in Berlin zu sein. Im Großelternhaus arbeiten, ohne X. in Reichweite und ohne Vorwand/Grund, immer wieder raus zu gehen, über die Felder…

…mir wird das fehlen. Die Welt ist enger geworden.

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Liesfeld Stefan Mesch WordPress

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Im Winter hatte ich folgendes Bild in meiner Facebook-Timeline:

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Foto: Tilman Winterling

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Ich dachte sofort: „X.? Warum der Rollkoffer?“

Aber es war Literaturblogger/Freund Tilman Winterling, irgendwo bei Hamburg. Ich denke bei jedem Feldweg-Foto sofort an X. und die 200 Meter zwischen uns.

„Er schickt dir SO viele Fotos? Von einem Feldweg?“, fragte M. „Wow. Er mag dich. Und du musst ihm ganz schön fehlen.“

Und umgekehrt – ja.

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01 Achim Reibach

Frauen in Comics: Empfehlungen 2015

frauen im comic 2015

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13 US-Comics mit Frauen in der Hauptrolle, die mich begeistern:

Lazarus, Vol. 1: Family  Fun Home. A Family Tragicomic: Eine Familie von Gezeichneten  Ghost World  Queen and Country: The Definitive Edition, Vol. 1  Saga, Volume 1
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Alias, Vol. 1  Catwoman, Vol. 2: Crooked Little Town  Wonder Woman: Down to Earth  Gotham Central, Vol. 2: Half a Life  Batwoman: Elegy
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Promethea, Vol. 1  Ms. Marvel, Vol. 1: No Normal  She-Hulk, Vol. 1: Law and Disorder

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20 neue US-Comicreihen, 2015 gestartet oder als Sammelband erschienen, angelesen und gemocht:

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Black Canary

Black Canary, Vol. 11: Brenden Fletcher & Annie Wu:

„Black Canary“

DC Comics: Superheldin/Rockstar und ihre Band sind auf Tour… und treffen auf Gangster und Ninjas. Ich mag die Figur aus „Green Arrow“-Comics und freue mich, dass sie auch ohne männlichen Anhang funktioniert.

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injection
Injection, Vol. 1 2: Warren Ellis & Declan Shalvie, Jordan Bellaire:

„Injection“

Image Comics: Vor einigen Jahren haben fünf Wissenschaftler*innen – selbstbewusst? größenwahnsinnig? absichtlich oder nicht? – die Welt verschlimmbessert. Jetzt, wo alles aus den Fugen gerät, müssen sie entscheiden, wie sie helfen können. Psychologie/Horror/Politik.

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Archie
Archie, Vol. 13: Mark Waid & Fiona Staples:

„Archie“

Archie Comics: Seit 70 Jahren erzählen die US-Archie-Comics drolligen Alltag an einer High School in Riverdale. Die verwöhnte Veronica, die herzige Betty, der höfliche Archie, sein gefräßiger Kumpel Jughead… Waids Neuauflage ist kantiger, zeitgemäßer, minimal erwachsen. Aber immer noch: nostalgisch-harmloser All-American High-School-Kitsch.

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paper girls
Paper Girls #14: Brian K. Vaughan & Cliff Chiang:

„Paper Girls“

Image Comics: Halloween 1988, in einer US-Kleinstadt in Ohio. Vier Mädchen, die auf Fahrrädern die lokale Zeitung austragen, machen eine Entdeckung. Wollen Außerirdische die Erde erobern? Nostalgischer Comic im „Die Goonies“- und „Der Frühstücksclub“-Stil.

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heart in a box

Heart in a Box5: Kelly Thompson & Meredith McClaren:

„Heart in a Box“

Dark Horse: Magischer Realismus, etwas kitschig. Eine junge Frau mit Liebeskummer wünscht sich, sie hätte kein Herz mehr. Ihr Herz landet in sieben Teilen bei anderen Menschen – und sie zieht los, alle Teile zu finden.

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chilling adventures of sabrina
Chilling Adventures of Sabrina6: Roberto Aguirre-Sacasa & Robert Hack:

„The Chilling Adventures of Sabrina“

Archie Comics: Auch Sabrina The Teenage Witch gehört zu den Archie-Figuren. Nach dem Erfolg des tollen Zombie-Comics „Afterlife with Archie“ wird ihr Hexen-Alltag noch einmal neu erzählt – als düsteres 60er-Jahre-Horror-Drama. Wirkt angestaubt – aber die Kritiken sind großartig, und der Autor toll.

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bitch planet
Bitch Planet, Vol 1: Extraordinary Machine7: Kelly Sue DeConnick & Valentine de Landro:

„Bitch Planet“

Image Comics: „Orange is the New Black“… im Weltall. Ein Frauengefängnis in der Zukunft: Frauenbündnisse, Machtkämpfe, Unterdrückung. Ich mag Kelly Sue DeConnicks „Captain Marvel“ nicht und denke auch hier: gut gemeint. Aber träge erzählt?

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männliche Hauptfiguren oder Teams:

providence

Providence #18: Alan Moore & Jacen Burows:

„Providence“

Avatar: Die Horror-Geschichten von H.P. Lovecraft, neu vermischt zu einer großen, atmosphärischen Meta-Geschichte über Horror, Alltag und die US-Ostküste. Wirkt anspruchsvoll, literarisch.

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We stand on Guard
We Stand On Guard #19: Brian K. Vaughan & Steve Skroce:

„We stand on Guard“

Image Comics: Das Jahr 2124. Was passiert, wenn die übermächtige USA versucht, Kanada zu erobern? Politische Parabel mit Parallelen zum Nahen Osten.

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royals masters of war
The Royals: Masters of War 10: Rob Williams & Simon Colleby:

„The Royals: Masters of War“ (Sechsteiler, abgeschlossen)

Vertigo: Was, wenn die britischen Royals Superkräfte hätten? Könnten sie den zweiten Weltkrieg entscheiden, im Alleingang? Die Kritiken sind mittelmäßig, aber Idee, Zeichnungen und Atmosphäre sprechen mich an.

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autumnlands
The Autumnlands, Vol. 1: Tooth and Claw11: Kurt Busiek & Benjamin Dewey:

„The Autumnlands: Tooth & Claw“

Image: Ein Menschenkrieger, durch Zauberei in einer Welt gestrandet, in der anthropomorphisierte Tiere große Kriege führen. Thema und Stil sind mir zu schwülstig – aber ich halte viel von Autor Kurt Busiek, und bin gespannt, was er hier will/versucht.

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Luther Strode
The Legacy of Luther Strode #112: Justin Jordan & Tradd Moore:

„The Legacy of Luther Strode“ (Fortsetzung zweier Bände von 2012/13)

Image Comics: greller, hyperstilisierter, ironischer (?) Action-Fantasy-Comic voller Kämpfe und Duelle in der Großstadt. Ich bin nicht sicher, ob es mehr sein will als John Woo/Tarantino.

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two brothers
Two Brothers13: Fábio Moon, Gabriel Bá:

„Two Brothers“ (Graphic Novel: keine Heftserie/Reihe)

Dark Horse: Die brasilianischen Zwillingsbrüder haben eines der größten und besten Bücher meines Lebens geschrieben, „Daytripper“. Ihr neues Buch handelt von Zwillingsbrüdern in Brasilien. Einer wird im Libanon erwachsen. Der andere hadert mit seiner Familie.

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Sandman Overture
The Sandman: Overture14: Neil Gaiman & J.H. Williams III:

„The Sandman: Overture“

Vertigo: Prolog zu Gaimans Kultreihe „The Sandman“: überbordende, bunte Doppelseiten voller Symbolik, Schwulst und Meta-Märchen-Mythologie-Bla. Die Kritiken sind großartig, und ich mag die alte Serie sehr, aber bisher konnte ich mich nicht aufraffen, diesen psychedelischen Bildteppich anzustieren, stundenlang.

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rasputin JFK
Rasputin Volume 1 TP: The Road to the Winter Palace15: Alex Grecian & Riley Rossmo:

„Rasputin“ (zwei Bände, dann abgeschlossen)

Image Comics: Rasputin als Unsterblicher, der immer wieder in die Geschichte eingreift. Märchenhafter, melancholischer Fantasy-Thriller.

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ales kot zero
Zero, Vol. 1: An Emergency (Zero #1)16: Ales Kot & Tradd Moore u.a.:

„Zero“

Image Comics: postmoderner, sehr verschwurbelter Agententhriller – könnte das literarischste, anspruchsvollste, komplexeste Comic dieser Liste sein… oder doch nur selbstverliebter (Grant-Morrison-hafter) Quatsch.

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wolf, ales kot
Wolf Volume 117: Ales Kot & Matt Taylor:

„Wolf“

Image Comics: Detektiv und Waisenmädchen versuchen, gemeinsam das Ende der Welt aufzuhalten. Fantasy/Horror/Noir.

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empty zone
Empty Zone18: Jason Shawn Alexander:

„Empty Zone“

Image Comics: Cyberpunk/Horror/Fantasy. Eine junge, zynische Frau kämpft in dystopischen Städten gegen Roboter und Monster.

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manifest destiny
Manifest Destiny, Vol. 1: Flora & Fauna19: Chris Dingess & Matthew Roberts:

„Manifest Destiny“

Image Comics: Die Entdeckungsreise von Meriwether Lewis und William Clark durchs US-Hinterland, erzählt als grotesk-dunkler Historiencomic mit Monstern, Geistern, Steampunk(?)-Überraschungen.

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drifter
Drifter, Volume 1: Out of the Night20: Ivan Brandon & Nic Klein:

„Drifter“

Image Comics: toll gezeichneter, aber konventioneller Sci-Fi-Western über einen Mann, gestrandet auf einem Wüstenplaneten voller Outlaws und Monster/Dinosaurier. Mittelmäßige Kritiken – aber bildgewaltig.

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aktuelle Reihen, die ich lese und empfehlen kann:

Silk, Vol. 0: The Life and Times of Cindy Moon  Spider-Woman #1  Ms. Marvel, Vol. 1: No Normal  Gotham Academy, Vol. 1: Welcome to Gotham Academy  Rat Queens, Vol. 1: Sass & Sorcery (Rat Queens Vol. 1: 1-5)
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The October Faction Volume 1 (October Faction, #1)  The Fade Out, Vol. 1: Act One  Southern Bastards, Vol. 1: Here Was a Man  Nailbiter, Vol. 1: There Will Be Blood  Sex Criminals, Vol. 1: One Weird Trick
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Jupiter's Legacy, Book One  Trees, Vol. 1: In Shadow  Copperhead: Vol. 1  Velvet, Vol. 1: Before the Living End  Lazarus, Vol. 1: Family
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Star Wars: Darth Vader Vol. 1: Vader  Star Wars: Kanan, Vol. 1: The Last Padawan  Afterlife with Archie, Vol. 1: Escape from Riverdale  Saga, Volume 1  Alex + Ada, Vol. 1
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Ich hoffe, „Injustice: Year Three“ und „Batgirl“ sind gut – habe bisher aber kein gutes Gefühl. „Squirrel Girl“ und „Rachel Rising“ habe ich begonnen, aber bin noch nicht überzeugt.

Injustice: Gods Among Us: Year Three, Vol. 1  Batgirl, Vol. 1: The Batgirl of Burnside  The Unbeatable Squirrel Girl, Vol. 1: Squirrel Power  Rachel Rising, Volume 1: The Shadow of Death
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auf der „bald lesen“-Liste:

Arrow Season 2.5  Midnighter, Vol. 1  Grayson, Vol. 1: Agents of Spyral  Hawkeye, Vol. 5: All-New Hawkeye  The Multiversity
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Wonder Woman: Earth One Vol. 1  The Twilight Children  Black Magick #1
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fünf Warnungen: überraschend fade Reihen, gelesen und nicht gemocht.

Descender, Vol. 1: Tin Stars  Wytches, Vol. 1  Lady Killer  Star Wars, Vol. 1: Skywalker Strikes  Thor, Vol. 1: Goddess of Thunder

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verwandte Links:

Star Wars – das Expanded Universe. [Empfehlungen für Deutschlandradio Kultur]

Star Wars extended Universe, Stefan Mesch

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Am 27. Oktober (Dienstag) ab 10.07 Uhr morgens spreche ich bei Deutschlandradio Kultur über das „Expanded Universe“ von „Star Wars“.

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„Star Wars“ kam 1977 in die US-Kinos: die erste Trilogie lief von 1977-83, die zweite (die Handlung spielt 30 Jahre vor der ersten) 1999-2005. Schon in den 70ern und 80ern gab es ergänzende offizielle Romane, Comics, später Videospiele, die Figuren und Elemente aus den Filmen aufgreifen und ausschmücken/weiterspinnen: das „Expanded Universe“, EU.

1991 bis 93 erschien eine Bestseller-Trilogie namens „Erben des Imperiums“, die erzählt, was Hauptfiguren wie Han Solo, Luke Skywalker usw. nach ihrem letzten Filmauftritten erleben: Geschichten über ihre Kinder und Kindeskinder, später (nach 1999 und „Episode 1“) auch viel über ihre Väter und Großväter. Es gibt zahllose (oft: aufeinander aufbauende) Romane/Spiele/Comics usw. sehr verschiedener Qualität und Ausrichtung: Jugend- und Kinderbücher, Kriegsromane, Detektivgeschichten.

2012 kaufte Disney die Rechte an „Star Wars“ und kündigte eine neue Trilogie an: Der erste Teil dieser dritten Trilogie, „Star Wars: Episode 7: Das Erwachen der Macht“ spielt über 30 Jahre nach Teil 6 und zeigt Harrison Ford, Carrie Fischer, Mark Hamill und eine neue Generation von Heldinnen und Helden mehrere Jahrzehnte nach dem Tod Darth Vaders. Das Imperium ist immer noch nicht vollständig besiegt. Zusätzlich zur neuen Trilogie sind auch mehrere Einzelfilme geplant, u.a. über Han Solo.

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Mit dem ersten neuen Film (Kinostart: 17. Dezember) wird das bisherige „Expanded Universe“ hinfällig: offiziell/“wirklich passiert“ sind nur noch die bisherigen sechs Filme sowie zwei Kinder-Animationsserien, „The Clone Wars“ und „Rebels“.
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Dazu erscheinen seit Frühling immer neue Romane, Comics und bilden ein neues „Expanded Universe“, das dem alten widerspricht/das alte ersetzt: es gibt neue Comics von Marvel Comics, es gibt Romane verschiedener Genres… und diese Bücher haben neue Dringlichkeit und finden breiteren Anklang als seit Jahren, denn sie „sind offiziell“ und „zählen“: Wenn in den Marvel-Comics Han Solos (Ex-)Ehefrau vorgestellt wird, könnte diese Frau auch in den neuen Kinofilmen auftauchen.
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Ich habe dieses neue Expanded Universe gelesen/geschaut/besucht in den letzten Wochen (das alte kenne ich auch, von früher) und mir angesehen, wo der Reiz liegt.
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vader extended universe 5
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Sind das wichtige Geschichten? Oder nur Beiwerk und Ausschmückungen? Eine Nebenfigur (aus ‚Darth Vader‘ von Kieron Gillen), weiß, dass sie keine große Rolle spielt, und sagt (als schöner Meta-Kommentar): „My blood is doodling in the margins of a story worth telling.“
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Die meisten Geschichten aus dem „Expanded Universe“ spielen in diesen Margins/Randspalten.
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meine Beobachtungen:
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  • „Star Wars“ hat kaum Frauenfiguren, wenige nicht-weiße Hauptfiguren und bisher in den Kinofilmen auch nur mutmaßlich heterosexuelle Figuren. Die neuen Geschichten mischen das auf. So sehr, dass in JEDEM neuen Comic/Buch z.B. drei, vier kämpferische Frauen vorkommen.
  • weil das Kinoplakat des neusten Films eine Frau in den Mittelpunkt stellt, reden Rassisten in den USA davon, dass „Star Wars“ für einen „White Genocide“ wirbt und Weiße diskriminiert. Tatsächlich werden die neuen Filme zeitgemäßer und multikultureller. Die EU-Geschichten noch einmal VIEL mehr: Im „Leia“-Comic z.B. waren fast alle Männer Beiwerk.
  • alle neuen EU-Bücher sind Ausschmückung und Bonus-Material: Die Geschichten sind kein Muss sondern, im schlechten Fall, Geschäftemacherei und Cross-Platform-Storytelling, dessen Einzelteile für das Gesamtbild kaum Belang haben. Unter der Marke „Star Wars“ werden Geschichten erzählt, die für die große „Star Wars“-Handlung nicht wichtig sind.
  • WEIL die Geschichten nicht sehr wichtig sind, haben die Autor*innen der jeweiligen Romane und Comics viel Freiraum, einen eigenen Ton zu finden. „Kanan“ ist ein wunderbar kluger politischer Coming-of-Age-Comic, „Servants of the Empire“ handelt von Hackern, Datenschutz und Teenagern, die sich politisieren, Militär-Experte Greg Rucka schreibt in „Shattered Empire“ eine für ihn typische Militärgeschichte…
  • …das zeigt, wie bunt der „Star Wars“-Erzählkosmos ist und auf wie viele Arten er bespielt werden kann: clevere Variationen und Versuche. Mir missfällt, dass die besten Erzähler/Künstler/Unterhaltungsautoren mittlerweile immer wieder unter dem Dach solcher großer Marken/Franchises erzählen müssen: „Star Wars“, Disney, Marvel, DC… immer wieder die selben Medienwelten und Figurenkabinette, von Konzernen bewacht und reglementiert.
  • und: die großen Kinofilme werden weiterhin Abenteuer/Verfolgungsjagden/Ritter und Prinzessinnen zeigen. Aber je kleiner die Zielgruppe, je enger der Fokus, desto mehr Freiheiten, Farbe und Eigensinn bewahren sich die EU-Bücher: Als Appetithappen oder Teaser für den neuen Kinofilm haben mich die Bücher nicht überzeugt. als Werkschau aber, wie WILD z.B. ein Darth-Vader-Comic sein kann oder wie politisch ein Jugendbuch über Nebenfiguren aus der „Rebels“-Kinderserie… überzeugen mich die Bücher. Eine Erzähl- und Experimentierfreude und Bandbreite, mit der ich nicht gerechnet hätte!

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Dkultur star wars

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Was genau habe ich gelesen/gesehen, und wo spielt es? Eine kurze Timeline:
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  1. Star Wars 1: The Pantom Menace
  2. 10 Jahre später: Star Wars 2: Attack of the Clones
  3. EU, kurz darauf: Kinder-Trickserie „Star Wars: The Clone Wars“
  4. Star Wars 3: Revenge of the Sith
  5. EU, kurz darauf: der Kinder-Comic „Kanan: The last Padawan“ (über eine Figur aus „Rebels“)
  6. EU, 15 Jahre später: Kinder-Trickserie „Rebels“ und der (sehr gute) Jugendroman „Servants of the Empire“
  7. 4 Jahre später: Star Wars 4: A New Hope [der erste, klassische Film von 1977]
  8. EU, kurz darauf: die Marvel-Comics „Star Wars“, „Darth Vader“, „Lando“, „Princess Leia“, der Han-Solo-Jugendroman „Smuggler’s Run“ und der Liebesroman „Lost Stars“[beginn vor „Rebels“, endet ca. zwei Jahre nach „Return of the Jedi“]
  9. kurz darauf: Star Wars 5: The Empire strikes back
  10. kurz darauf: Star Wars 6: Return of the Jedi
  11. EU, kurz darauf: der Marvel-Comic „Shattered Empire“
  12. fast 40 Jahre später: der Kinofilm 2015, „Das Erwachen der Macht“, der Beginn einer neuen Trilogie

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insgesamt sind gerade knapp 25 EU-Bücher und -Comics erhältlich. Ich habe ca. 10 davon gelesen – alle aktuell erhältlichen Comics, und vier Romane. Liste hier:
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star wars rebels
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  • Die Kinder-Animationsserie „The Clone Wars“ hat tolle Kritiken – aber ich habe mich nie zwingen können, eine komplette Folge auszusitzen: hölzerne Figuren, billige Animationen, eine träge Kameraführung… sogar die Lichtschwertkämpfe sind langweilig.
  • „Rebels“ zeigt eine Gruppe (großteils: jugendlicher) Widerstandskämpfer vier Jahre vor Episode IV: der Pilotfilm langweilte mich noch ähnlich wie die Vorgängerserie „The Clone Wars“, aber das Finale der ersten Staffel, „Fire across the Galaxy“ hat Schwung, Witz, Tempo und anspruchslosen Charme: mit 11 hätte mich das mitgerissen und begeistert. Die „Star Wars“-EU-Geschichte, die bisher am meisten klassische „Star Wars“-Atmosphäre und -Euphorie vermittelt. Empfehlung!
  • „Kanan“ (Comic, geschrieben von Greg Weisman) ist nachdenklicher, düsterer, verkopfter als „Rebels“ – aber bringt mich einer interessanten Figur – einem jugendlichen Jedi-Padawan, auf der Flucht vor dem Imperium – sehr nahe: intelligent, solide gezeichnet, gute Unterhaltung auch ohne, dass man „Rebels“ kennen muss.
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star wars servants lost stars
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  • die vierbändige Jugendbuchreihe „Servants of the Empire“ von Jason Fry zeigt eine Randfigur aus „Rebels“: Zare Leonis, der mit 15 eine Elite-Ausbildung des Imperiums durchlaufen will, aber dabei heimlich seine verschwundene Schwester sucht – und seine Freundin Merei Spanjaf, eine Hackerin („Slicerin“), die sich in Straftaten verstrickt: super-politische, beklemmende, sehr intelligente und süffige Jugendromane über Datenschutz, Überwachung, Engagement und Kompromisse, hat mich so mitgerissen und begeistert wie einige „Harry Potter“-Romane. Aber: Ich habe nur Band 3 und Band 4 gelesen (ohne Mühe verständlich); Band 1 und 2 haben schlechtere Kritiken. Alles in allem: die schönste Überraschung/Entdeckung dieser Liste!
  •  eine politische Young-Adult-Romanze im Star-Wars-Universum, 550 Seiten dick? „Lost Stars“ von Claudia Gray hat überragende Kritiken und erzählt zwei Schicksale zwischen Imperium und Rebellion mit Wucht, Pathos und Kitsch von „Vom Winde verweht“. Die weibliche Hauptfigur hat mich nicht überzeugt, und an vielen Stellen wirkt die Handlung etwas bemüht/konstruiert – aber stilistisch ist es toll, die politischen und moralischen Fragen sind großartig, das Buch ist SO viel ambitionierter, anspruchsvoller, länger, beherzter, als es sein müsste: Wer Young-Adult-Dystopien liebt, wird hier auf hohem Niveau unterhalten und zum Nachdenken gebracht.
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star wars vader han solo marvel
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  • „Smuggler’s Run“ ist ein munterer Unterhaltungs-Kurzroman von einem meiner Lieblings-Comic- und Thrillerautoren, Greg Rucka. Eine simple Abenteuergeschichte, aber sehr charmant und liebevoll erzählt und auch für 11- bis 15jährige problemlos verständlich: einfache Bücher, die Menschen fürs Lesen (und die Figuren) begeistern? Überzeugt mich.
  • Kieron Gillen ist einer der originellsten, aber auch selbstverliebtesten und quatschigsten Comic-Talente, die ich kenne. Sein „Darth Vader“-Comic überzeugt mich psychologisch kein Stück: Hier werden nur absurde und überraschende „Schaut her, wie originell ich bin!“-Momente aneinander gereiht. Das Tolle aber: Sie SIND originell, und sie machen Spaß. Eine verspielte, humorvolle Prahlerei: irgendwie toll, aber irgendwie doof… aber eben doch: toll!
  • Der offizielle Marvel Star Wars-Comic von Jason Aaron spielt kurz nach Episode IV, ist der meistverkaufte US-Comic des Jahres… und wirkt wie durchgepaust, abgekupfert, aufgegossen: eine lustlose, steife Geschichte, bei der ich – anders als bei den anderern Titeln – die ganze Zeit nur dachte „Geldmacherei!“ und „Diese Geschichte ist unnötiges Beiwerk.“ Solide inszeniert – aber… seelenlos. Keine Empfehlung.
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  • „Princess Leia“ von Mark Waid ist wie viele, viele Superheldencomics von Mark Waid, die mich frustrierten: gut gemeint, mit viel Herz und Liebe zu den Figuren erzählt… aber halb durchdacht, voller kleiner Logiklöcher und Unklarheiten, unfertig, fadenscheinig. Ich fühlte mich gut unterhalten – aber je länger ich über die Figur, ihre Psychologie und die Geschichte nachdenke, desto trauriger werde ich: herzig – aber halbgar.
  • Exzellent gezeichnet, solide geschrieben… aber Charles Soules „Lando“ geht nach zwei Kapiteln die Puste aus: eine erwartbare Geschichte erstreckt sich über 100 Seiten, und kleine Twists und Überraschungen (schwule Figuren! Gender-nonconforming Außerirdische! etc.) verpuffen viel zu schnell: ein lebenslustiger, schneller, cleverer Mann… in einer schleppenden und witzlosen, zu langen Kurzgeschichte. Fuchtbar.
  • Der handwerklich schönste Star Wars-Comic (Zeichnungen: Marc Checchetto), geschrieben von Greg Rucka, der wirklich schon Dutzende tolle, kluge, faszinierende Frauen in Uniform in seinen Comics und Thrillern schrieb… aber hier wirkt es witzlos und nebensächlich: In „Shattered Empire“ hat eine Pilotin/Soldatin der Rebellion kurze, episodenhafte Missionen kurz nach Ende von Episode 6. Nichtssagende, substanzlose Kurzgeschichten. Die Figur ist interessant – aber hier wurde sie nicht genutzt, und „Lost Stars“ hat ähnliche Blickwinkel VIEL sinnlicher, klüger, packender erzählt.

LobbyControl: gegen Lobbyismus im Berliner Regierungsviertel

Lobbycontrol Führung Berlin Regierungsviertel

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Der Expertenstaat

LobbyControl will aufdecken, wie Konzerne, Verbände und Agenturen den Bundestag beeinflussen.

Ein Rundgang durch den „Lobbydschungel“ im Berliner Regierungsviertel.

von Stefan Mesch

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Es geht um Input von Expertise.“

Dietmar Jazbinsek steht zwischen Reichstagsufer und Bundespresseamt. Oktober, Sonntagnachmittag. Viel Wind. Viel Sonne. Ausflugswetter: Heute haben über 40 Aktivisten, Touristen, Interessierte eine zweistündige Führung durch Berlin-Mitte gebucht.

Und Sie schreiben mit. Für wen?“ – „Edition Büchergilde.“ – „Aha.“

Ich sage nicht, dass wir Texte zum Thema „Expertentum“ sammeln – zu Wirkung und Vermarktung des Begriffs „Experte“. Doch obwohl er mein Thema nicht kennt, spricht Lobby-Kritiker Jazbinsek auf seiner lobbykritischen LobbyControl-Führung durch die Lobby-Szene Berlins zwar viel von Lobbyisten – aber fast genauso viel, immer weiter, von Experten, Expertise, Expertenwissen. Als gehöre das zusammen: Experten als Lobbyisten. Lobbyisten als Experten.

Lobbyismus kommt von Lobby – dem alten englischen Ausdruck für die Vorhalle des Parlaments. Dort tummelten sich Vertreter/innen unterschiedlicher Interessen, um mit Abgeordneten ins Gespräch zu kommen. Lobbyisten werden manchmal mit schwarzen Koffern voller Geld assoziiert. Dabei sind medialer Druck oder Arbeitsplatzargumente meist wichtigere Mittel.*

Es geht uns nicht um Schwarzgeld, Korruption, Bestechung“, sagt Jazbinsek. „Das überwachen Vereine wie Transparency International.“ LobbyControl e.V. beobachtet seit 2005 Lobbyisten. Die „Initiative für Transparenz und Demokratie“ sitzt in Köln, hat zehn Mitarbeiter und ein kleines Büro in Berlin. Eine eigene Watchgroup – nur für legalen Lobbyismus? Kurz klingt das für mich zweitklassig. Nebensächlich.

Denn beim Wort „Lobbyist“ denke ich an Betteln, Nörgeln, Jammern, Buhlen. An einen schwitzigen Händedruck, gequältes Lächeln, an ängstliche Milchbauern, die von der CSU neue Subventionen erquängeln, an streikende Hebammen, denen niemand zuhört, oder an die Angst der Rechten vor einer dubiosen „Homolobby“: Berufs- oder Bevölkerungsgruppen, die Gefahr laufen, abgehängt zu werden – und laut um Einfluss flehen. Nervige Bittsteller. Zaungäste. Unterlegene.

Auf 622 Bundestagsabgeordnete kommen geschätzte 5.000 Lobbyisten, allein in Berlin. Sie wollen der Macht ganz nah sein, auch räumlich, und mieten ihre Büros zwischen Reichstag und S-Bahnhof Friedrichstraße, zwischen Gendarmenmarkt und Potsdamer Platz. PR-Agenturen, Verbände und sogenannte Denkfabriken, die gezielt Einfluss auf Politik und Gesetzgebung, Medien und Öffentlichkeit nehmen wollen. Um 736 Abgeordnete des Europäischen Parlaments in Brüssel kümmern sich bis zu 20.000 Lobbyisten; auf einen Volksvertreter kommen also mehr als 27, schreibt Evelyn Runge in der ZEIT.

Wir stehen vor der geschlossenen Tür eines Bürogebäudes, in dem u.a. der Deutsche Brauer-Bund für „Erhaltung und Förderung des guten Rufs des deutschen Bieres“ kämpft und wirbt. Wir sind 15 ernste Menschen in Turnschuhen und Übergangsjacken, zwei Drittel über 50, der Rest studentisch. Neben uns ein Hundehaufen. Teure Cafés. Der großen Nachfrage wegen finden heute zwei LobbyControl-Führungen parallel statt: Dietmar Jazbinsek hat das Konzept vor sieben Jahren entwickelt. Um vor Ort zu informieren. Und, um als Aktivist im Viertel der Lobbyisten Präsenz zu zeigen – nah an Empfangstresen, Bürotüren. Und Lobbys.

Tatsächlich passen Industrieverbände und Interessensgruppen wie der Brauer-Bund schlecht zu meinem Bild vom schwitzigen, bettelnden Lobbyisten: „Unternehmen und ganze Branchen suchen Nähe und Kontakt zum Parlament“, erklärt Jazbinsek, „um persönlich auf Gesetzesentwürfe und das politische Klima Einfluss zu nehmen.“ Sie laden auf Partys und Empfänge, schalten Anzeigen, geben Studien und Gutachten in Auftrag, wollen die öffentliche Meinung prägen, Appelle in Medien platzieren.

Seit 1969 kürt das Tabakforum einen prominenten „Pfeifenraucher des Jahres“, charmant, ohne offene Agenda. „2013 zum Beispiel den Herrn Lammert, CDU. Präsident des deutschen Bundestags.“ Der Brauer-Bund ernennt einen „Botschafter des Bieres“, zuletzt u.a. Cem Özdemir, Peter Altmaier, Volker Kauder.

Nichts davon ist verboten. Einiges davon ist anrüchig. Das Meiste ist profane, handwerklich gut umgesetzte Öffentlichkeitsarbeit. Aber zusammengenommen zeigen die Dokumente, wie Konzerne in Deutschland vorgehen, wenn sie Einfluss auf Medien, Politik und Öffentlichkeit nehmen, schreiben Sebastian Heiser und Martin Kaul 2011 in der taz über die „Geheimpapiere der Atom-Lobby“.

Heute, am geschlossenen Brauer-Bund-Büro, erinnert Jazbinsek an die Debatten um Alkopops und jugendliches „Komasaufen“ ab Mitte der Nuller Jahre: Um erst mehr Bier, bald härteren Alkohol bei jungen Frauen abzusetzen, brachten Spirituosenhersteller fruchtige und süße Mischgetränke auf den Markt und warben um junge Käufer. Der Drogen- und Suchtrat forderte Werbeverbote.

Der Brauer-Bund, der Profisport, die Industrie- und Handelskammer, die Werbewirtschaft… alle stellten sich gegen den Suchtrat und gaben eigene Gutachten in Auftrag.“ Von Brauern bezahlte Experten sollten belegen: Falls durch neue Steuern, Werbeverbote und staatliche Regulierung der Absatz und Profit von Brauereien sinkt, geht der deutsche Vereinssport kaputt – weil die Vereine von Brauereien gesponsert werden. Die Bundesliga ist in Gefahr. Das Privatfernsehen. Und: öffentliche Toiletten!

Ein Werbeverbot für vier Billboards [im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg] gilt als unwahrscheinlich. Die Firma Ströer durfte sie aufstellen, weil sie die Instandhaltung einiger Brunnen und öffentlicher Toiletten im Bezirk finanziert. Das ist Sponsoring im Wert von insgesamt 240.000 Euro im Jahr. Ein Betrag, der dem Bezirk fehlen würde – angesichts des erwarteten Haushaltsdefizits von 4,9 Millionen Euro für 2013, schreibt die taz 2013 über den Versuch einer Bürgerinitiative, Außenwerbung einzuschränken – und die unerwarteten Verstrickungen, finanziellen Abhängigkeiten zwischen Staat und Firmen, die solchem Widerstand im Weg stehen.

Lobbycontrol Führung Berlin 2

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Es geht um Vermarktung von Expertise: Interessenverbände geben Gutachten in Auftrag. Für viel Geld kann man bei Agenturen nachweisen lassen, dass z.B. die Erde eine Scheibe ist“, höhnt Jazbinsek. Dabei sind Gutachter, Studien, Experten für parlamentarische Entscheidungen unerlässlich. Denn bevor Abgeordnete über Gesetzesvorhaben abstimmen, müssen sie alle Risiken und Folgen abzusehen versuchen: Sie rufen Kommissionen ein. Kontaktieren Wissenschaftler, Aktivisten, NGOs. Und eben: Wirtschaftsvertreter.

Zu oft, behauptet Jazbinsek, finden solche von der Wirtschaft finanzierten Experten heraus: Was Konzernchefs gut tut, ist für alle gut. Nur, was die Wirtschaft stärkt, hat Zukunft. Je schwächer der Staat, desto stärker die Segnungen des freien Markts. Von Konzernen und Verbänden finanzierte Gutachten entwerfen einen „Himmel“ – oder eine „Hölle“: Überall, wo durch Gesetze und Kontrollen wirtschaftliche Hürden gesetzt oder die Rechte und Interessen Schwächerer über das Wohl von Arbeitgebern gestellt werden, sind Wachstum, Fortschritt, Freiheit in Gefahr. Die einzige Chance auf Zukunft… und auf saubere öffentliche WCs? Lobbyisten sagen: weniger Reglements. Mehr Raum für Unternehmen und Konzerne. Ein starker Staat tue allen weh. Nur eine starke Wirtschaft bringt Menschen weiter.

Fehlt dem Brauer-Bund Geld für Werbung, sehen die Experten des Brauer-Bundes das deutsche Qualitätsfernsehen in Gefahr: ProSieben und RTL II“, sagt Jazbinsek. Die Gruppe lacht – verbittert, überheblich. Die grauhaarige Krankenschwester mit dem Stop-CETA-Button. Die grauhaarige Lehrerin mit Jamie-Lee-Curtis-Frisur. Das Paar mit Trekkingrucksack, Pudelmützen. Keiner hier sieht aus, als könne er mehr als acht private Sender nennen. Oder zwei Serien aus dem aktuellen RTL-II-Programm.

Lobbyisten stellen sich gerne als Informationsdienstleister für die Politik dar. Mit zahlreichen Studien sollen die eigenen Positionen sachlich untermauert werden. Immer wieder fällt auf, dass der vermeintliche wirtschaftliche Nutzen überzogen dargestellt wird, wenn Unternehmen etwas politisch durchsetzen wollen. Ein Beispiel aus jüngster Zeit: die TTIP-Studien der Bertelsmann-Stiftung.*

Wir stehen noch immer auf dem Bürgersteig. Dietmar Jazbinseks Tour führt von einer Bürofassade zur nächsten: Er weist auf Firmenschilder aus Messing oder gebürstetem Stahl, zeigt auf die Eingangstüren und dunklen Lobbys. Doch zu sehen gibt es nichts. Alles hat geschlossen: Sonntag.

Unsere Tour ist ein Selbstläufer. 2014 hatten wir 150 Führungen.“ Gewöhnlich finden sie werktags statt – doch gestern war eine große Demo gegen TTIP, das US-Freihandelsabkommen. „Über Lobbyismus als solchen brauche ich Ihnen nicht viel zu erzählen. Oder? Sie waren gestern auch alle auf der Demo?“ Jeder nickt. 15 Leute, ohne Ausnahme. „Dazu möchte ich Ihnen gratulieren!“

Knapp die Hälfte der Teilnehmer lebt nicht in Berlin. Doch alle haben gestern protestiert – und lassen mit der 10 Euro teuren Führung ihr persönliches Protest- und Engagement-Weekend ausklingen. Spricht Jazbinsek von „Front Groups“ oder „Third Parties“, nicken die älteren Männer. Bei trockenen Witzen schnauben und seufzen die Frauen. Er spricht über „Frau Merkel“ und „den lieben Herrn Söder“, und irgendwer mit grauem Haar wirft allen bitteren Pointen ein süffisantes „Na: Das ist doch toll!“ hinterher.

Seit einigen Jahren schaffen sich Lobbyisten zudem (halb)öffentliche Orte: Flagship-Stores und Showrooms, Musterfilialen und öffentliche Cafés, bis hin zu großen repräsentativen Veranstaltungsräumen (Allianz, Telekom). Dort veranstalten Verbände und Unternehmen Diskussionsrunden und Events, zu denen auch die Politik regelmäßig eingeladen wird. Gerne werden diese neuen Orte auch als Form der Transparenz beschrieben. Allerdings bleibt diese „Transparenz“ oberflächlich.*

Wir stehen am Firmenschild der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, die für freie Wirtschaft und die Interessen der Arbeitgeber wirbt – indem sie eigenes Schul- und Lehrmaterial für den Unterricht anbietet. Dann stehen wir an der Tür der American Chamber of Commerce – deren Anwälte verhindern konnten, dass Togo abschreckende Fotos auf Zigarettenschachteln druckt. Im überdachten Zollernhof des ZDF stehen wir zum ersten Mal länger als zwei Minuten in einem Gebäude. „Manchmal werfen sie mich hier raus. Heute störe ich wohl gerade nicht?“

In mehreren Empfangshallen und Lobbys hat Jazbinsek Hausverbot, „wegen despektierlicher Äußerungen“. Manchmal, sagt er, kommen auch Lobbyisten an die Türschwellen und schimpfen – oder melden sich als Teilnehmer zu Führungen an, um mitzuhören. Er klingt stolz.

Kurz führt er uns in den Showroom von Daimler-Benz. Doch noch bevor er sprechen kann, fragen Anzugträger, was wir wollen. „Nur kucken“, sagt er, dreht sich um – grundlos triumphierend, als hätte er gerade etwas bewiesen. Eine Grauhaarige sagt ihrem Begleiter: „Er wollte uns nur zeigen, wie schnell er wieder gehen muss!“

Jazbinek lobt Sahra Wagenknechts „Impertinenz“ in Talkshows. Er freut sich über die aktuellen VW- und ADAC-Skandale. „Wie kindlich, eigentlich“, sagt mein Freund, als ich vom Nachmittag und all den Fußmatten, Schwellen, Türklinken erzähle: „Zwei Stunden lang im Kalten stehen, vor Firmen- und Klingelschildern? Im Grunde ist das lächerlich.“

Im 300 Seiten dicken „LobbyPlanet“, dem „Lobbyführer“ durch Berlin, zeigt LobbyControl in mehreren Routen, „wo zwischen touristischen Sehenswürdigkeiten und glitzernden Einkaufswelten Politik gemacht wird.“ Der Ton erinnert mich an Foodwatch, Thilo Bodes gut gemeinte und erfolgreiche – aber mir oft populistisch, patzig scheinende – Watchgroup zum Thema Ernährung und Etikettenschwindel:

Unseren Kindern wird in der Schule der Kopf verdreht mit Schulmaterialien und Kooperationsprojekten, die von Unternehmen wie RWE, VW oder Wirtschaftsverbänden angeboten werden: Mittlerweile beteiligen sich 16 der 20 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland an der Erstellung von Unterrichtsmaterialien* Fotos zeigen LobbyControl-Aktivisten mit Schildern: „Bildung statt Meinungsmache!“ Simple Slogans, Unterschriftenlisten. Viel Stolz und viel Empörung: Gestört wird das diskrete Beisammensein von Politikern und Interessenvertretern allenfalls durch die Stadtführungen von LobbyControl, die regelmäßig vor der Aufzugtür Station machen.*

LobbyControl hat einen Etat von 600.000 Euro. „Wenn man erstmal Tagesschau- und Heute-Journal-tauglich ist“, erklärt Jazbinsek, „wachsen auch die Spenden.“ Der Verein übt Kritik an Studien und Konzern-PR, will Gegengewicht und Korrektiv sein, kämpft um Deutungshoheit. Meldungen wie „Vom Ministerium zur Allianz-Lobbyistin: Ex-Staatssekretärin (FDP) wechselt die Seiten“ sollen aufrütteln. Politischen Druck aufbauen.

Lobbycontrol Führung Berlin 3

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Besonders die bezahlten Nebentätigkeiten von Abgeordneten sorgen für Debatten um Einflussnahme, Interessenkonflikte und Transparenz: LobbyControl „setzt sich für erweiterte Offenlegungspflichten ein.“ Oft geht es auch um Greenwashing: den Versuch von Unternehmen, sich durch PR-Aktionen besonders umweltfreundlich zu geben. Und um die „Drehtür“, mit der Lobbyisten in die Politik und Politiker in Lobby-Positionen wechseln und sich ihr Insiderwissen von Konzernen bezahlen lassen. Das „Lobbypedia“-Wiki dokumentiert Verstrickungen.

Lobbyismus zeigt sich deutlicher im öffentlichen Raum. So hängten im Wahlkampf 2013 nicht nur die Parteien Plakate auf, sondern auch Lobbyverbände wie ‚Die Familienunternehmen‘. Auch wenn sich Lobbykampagnen an die Öffentlichkeit wenden, sollen ihre eigentlichen Hintergründe und Ziele, manchmal auch Initiatoren und Geldgeber, nicht selten lieber unerkannt bleiben. Es bleibt für die Öffentlichkeit in vielen Fällen unbekannt, wer auf wichtige Entscheidungen maßgeblich Einfluss hatte.*

Wird wirklich nur, wer sich eigene Räume im Regierungsviertel leisten kann, zuverlässig gesehen und gehört? „Man muss nah an der Politik sein und Abgeordnete ‚positiv begleiten‘, mit viel persönlichem Kontakt. Freunde macht man sich am besten, wenn man sie noch nicht braucht. Erst schafft man Nähe durch Einladungen, gemeinsames Feiern, Preise wie ‚Pfeifenraucher des Jahres‘. Die ersten Forderungen kommen viel später“, erklärt Jazbinsek. So macht Kapital politische Einflussnahme leichter: Verbände behalten Jugend- und Nachwuchsorganisationen der Parteien im Auge wie Bundesliga-Scouts – um möglichst früh an Jungpolitiker zu treten.

Wer einen besseren Zugang und das bessere Kontaktnetzwerk hat, wer früher an Informationen kommt, ist klar im Vorteil. Im Vorteil gegenüber Wettbewerbern, aber auch allzu oft gegenüber schwächeren, am Allgemeinwohl ausgerichteten Interessen. Diese schwächer repräsentierten Interessen geraten leicht unter die Räder.*

Dietmar Jazbinsek ist Mitte 50. Er ist Gesundheitswissenschaftler und Journalist; arbeitet vor allem gegen Tabakkonzerne: die Zigarettenlobby. Während es kühler wird und er uns immer neue Empfangstresen und Fußmatten zeigt, veröffentlichen die ersten Zeitungen Analysen der TTIP-Demo vom Vortag: Was spricht gegen Freihandel? Lassen sich die Demonstranten von simplem Anti-Amerikanismus leiten? Warum marschierten so viele Rechte mit? „Die Proteste gegen TTIP bedienen vor allem rechtspopulistische Ressentiments“, fasst Spiegel Online zusammen.

Ich bin auch dagegen. Weil damit sozusagen die Wirtschaft quasi über die Politik gesiegt hätte und wir dann in allen möglichen Lebensbereichen kein Mitbestimmungsrecht mehr hätten“, erklärt eine Anti-TTIP-Demonstrantin dem Vlog-Reporter Tilo Jung: „Und das würde dann von den Konzernen hier strukturiert werden, das Leben hier, mehr oder weniger, in den sich jetzt noch demokratisch nennenden Ländern. Oder Deutschland. Das wäre schlimm!“

Das Kräfteverhältnis von Journalismus zu PR verschlechtert sich weiter, und auch die Grenzen verwischen häufiger. Vorgefertigte Informationen von Interessengruppen („PR-Material“) finden immer wieder ungefilterten Zugang zu den Medien. Vorproduzierte Beiträge, mediengerecht aufgemachte „Studien“ und attraktives Bildmaterial werden angesichts von Zeitdruck und Personalmangel teilweise ungeprüft übernommen. Über die Beeinflussung der Öffentlichkeit und spezifischer Zielgruppen wie Wissenschaftler/innen, Journalist/innen oder anderen Multiplikatoren üben „Public Affairs“-Agenturen indirekte Einflussnahme auf die Politik.*

LobbyControl will die „massiven Ungleichgewichte“ sichtbar machen – und inszeniert sich als mutiger, engagierter David im Kampf gegen Goliaths, die allesamt „in bester Lage“ Büros einrichten und Politiker hofieren können: „TTIP läuft auf eine Art Staatsstreich hinaus“, sagt Jazbinsek. Alle nicken. „US-Knast“, sagt Jazbinsek, wenn er „Gefängnis“ meint. Alle nicken. „Unsere liebe Frau Merkel“, „unser lieber Herr Kauder“… finden alle Zuhörer diesen „Heute Show“- Sarkasmus gewitzt?

Zu vieles hier klingt für mich harsch, polemisch, vage und pauschal – nach Buhlen, Jammern, Nörgeln, Quängeln: Die Anti-TTIP-Demonstranten gestern, die Anti-Lobby-Aktivisten heute haben den Ton von Bittstellern, Abgehängten, Unterlegenen. Genau so, wie ich mir Lobbyisten vorstellte, bisher: „Und hier ist noch ein teures Büro! In bester Lage!“, sagt Dietmar Jazbinsek triumphierend. Vor wie vielen Klingelschildern kann man stehen und entrüstet sein, in 120 Minuten?

Sobald Begriffe wie „US-Knast“ fallen, lege ich Zeitungsartikel fort. Schon bei „die Tabaklobby“, „die Atomlobby“ fragte ich mich bisher: Sind das nicht Kampfbegriffe? Schreckgespenster? Schubladen wie die „Homolobby“? Wenn Foodwatch den „Goldenen Windbeutel“ für „die dreisteste Werbelüge“ verleiht, klingt das für mich so populistisch, flach, bemüht und abstoßend wie die PR-Texte der Brauer zum „Botschafter des Bieres“. Ich war auf keiner TTIP-Demo. Ich klicke Online-Petitionen fort, deren Anliegen mir wichtig sind – statt meinen Namen unter Texte zu setzen und neben Rednern zu laufen, bei denen mir ein Satz, eine Wendung grell, böse, unpräzise, zu populistisch scheint. Egal, wie gut dieser Aktivismus gemeint scheint.

„In der U-Bahn wurde uns vorgeworfen, dass wir das Kind instrumentalisieren“, erzählt ein Elternpaar: An ihrem Kinderwagen steht auf großen, aber stümperhaft bemalten Pappquadraten „STOP TTIP“. Die Gruppe lacht über den Vorwurf. Ich denke: Doch. In meiner Kindheit war mein Vater CDU-Mitglied. Ich will nicht wissen, welche Schilder und Slogans er an meinen Kinderwagen geheftet hätte.

Deregulieruns- und Privatisierungsmaßnahmen verkleinern den demokratischen Raum. Die Entgrenzung der Märkte hat die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zugunsten großer Unternehmen und der Kapitalseite verschoben. Produktionsstandorte werden verlegt, Gewinne steuersparend zwischen Tochtergesellschaften verschoben und Aktienkurse besser versorgt als die eigenen Angestellten.*

Sind Zuhörer so homogen, dass sich ein Redner kaum Mühe geben muss, sie noch zu überzeugen, sprechen Amerikaner von „preaching to the choir“: Kein Priester muss versuchen, mit seiner Predigt den Kirchenchor zu bekehren – denn der hängt eh schon an seinen Lippen. Und obwohl Jazbinsek ruhig, offen, einfach und, im Großen, überzeugend spricht… fehlt der Tour alle Spannung: Ist jeder hier, um sich erzählen zu lassen, was er eh schon weiß? Wollen wir uns als Protest- und Kapitalismuskritik-Experten fühlen – indem ein echter Experte unsere Ängste, Ahnungen, Ressentiments bestätigt? Und uns persönlich zum Demonstrieren gratuliert?

Lobyisten prägen mit, wie unsere Welt aussieht“, fasst Jazbinsek zusammen. Die Kommissionen im Bundestag laden „zu Experten ernannte Interessensvertreter ein. Vordergründig geht es um externen Sachverstand, Expertise.“ Aber, so „LobbyPlanet“: „Das Ideal einer ausgewogenen und gleichberechtigten Interessenvertretung, bei der sich das beste Argument durchsetzt, ist eine Illusion.“

Ich bin Journalist. Fakten müssen stimmen. Und ich bin Autor. Ich will, dass der Ton stimmt. Jazbinseks Anekdoten sind oft großartig – aufschlussreich, klar, mit überraschenden Zusammenhängen: „Taiwan und der Iran sind wichtige Märkte für US-Tabakkonzerne. Denn Rauchen gilt als patriarchal. Überall, wo Frauenrechte erst allmählich zum Thema werden, werden auch Zigaretten begehrter: Sie werden zum Symbol moderner, emanzipierter Frauen.“

Warum kommen mir Sätze wie „Verbände wollen die öffentliche Meinung prägen, Appelle in Medien platzieren“ grenzwertig vor: einen Tick zu grell, populistisch? Warum hätte ich einen Satz wie „Die Atomlobby will ihre Botschaften in Medien platzieren“ sofort als „paranoid“ verworfen?

Dazu kommen Stiftungen und sogenannte Denkfabriken (Think Tanks). Kampagnen sollen den Eindruck vermitteln, dass man eine mehrheitsfähige Meinung vertritt. Mit Slogans wie ‚Mehr Mut zum Markt‘ (Stiftung Marktwirtschaft) soll etwa der Rückbau des Sozialstaates in den Köpfen der Menschen als unumgänglich und zu ihrem eigenen Wohl geschehend verankert werden.*

Lobbycontrol Führung Berlin 4

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2011 entdeckten US-Wirtschaftspsychologen den „IKEA-Effekt“: Menschen falteten Origami-Tiere und sollten eine Summe festlegen, die sie für ihre fertigen Tiere zu zahlen bereit waren. Was sie selbst falteten, kam ihnen wertvoller vor als die Arbeit anderer. Scheinen uns IKEA-Möbel ein bisschen wertvoller – weil wir Mühe hatten, sie aufzubauen? Sind wir so stolz auf unsere Leistung, dass Dinge für uns kostbarer werden… die uns etwas abverlangen?

Ich gebe noch eine Liste herum“, sagt Dietmar Jazbinsek zum Abschied: „Tragen Sie Ihre Mailadressen ein, dann schicken wir weitere Informationen.“ – „Sie meinen aber nicht den LobbyControl-Newsletter?“, fragt eine Grauhaarige zurück. „Den haben wir doch schon lange!“ Wieder nicken alle. Preaching to the choir.

Nach Auskunft des Bundestags haben fast 1000 Lobbyisten dauerhaften Zugang zu Gebäude, [weil ihnen die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen Hausausweise ausstellen]. Sie können ihrer Tätigkeit im Verborgenen nachgehen. Der Bundestag weigert sich, die Namen der Einflüsterer bekannt zu geben. Es wird nicht einmal eine Liste ihrer Organisationen veröffentlicht, schreibt Robert Roßmann in der SZ.

So lange Büros im Regierungsviertel den Verbänden wichtig sind, um Nähe, Präsenz zu zeigen… sind Demonstrationen, Lobbyführungen, aus-dem-Haus-Gehen den Gegnern von Verbänden wohl genauso wichtig – aus den selben Gründen. Empfehlen kann ich den Spaziergang nicht – wenn alles auch ausführlicher, faktensatt im „LobbyPlanet“ steht und online. Doch vielleicht geht es weniger um meinen persönlichen Widerwillen, zuzuhören, wenn Menschen „unsere liebe Frau Merkel“ sagen, oder „sich jetzt noch demokratisch nennende Länder“.

Sondern darum, sich anzuziehen. Eine Tour zu buchen. Zu bezahlen. Auf Fußmatten und neben Hundehaufen zu stehen, zu frösteln und durch die Glasscheiben auf „die da drinnen“ zu schauen, die mit „denen da oben“ per du sind. Dass ich bisher bei Lobbyisten an schwitzige Schlipsfiguren dachte, die jeder ignoriert, und bei „die Tabaklobby“ an polemische Kampfbegriffe, zeigt, wie dringend es Gegengewichte braucht. Fakten und Kontexte, wie sie LobbyControl seit zehn Jahren sammelt, gewichtet, erklärt und verbreitet.

Abgeordnete sind nicht dumm“, sagt Jazbinsek. „Sie wissen, dass Wirtschaftsvertreter einseitig argumentieren – und hören bewusst auch Gegenstimmen an.“ Im besten Fall sind die Kommissionen Sammelbecken für jede Sorte Experte. Im schlechtesten Fall machen Lobbyisten Stimmung im Parlament. Und Anti-Lobbyismus-Lobbyisten Stimmung vor der Tür. Stimmungsmache gegen Stimmungsmacher. Feuer – bekämpft mit Feuer.

Mit * markierte Zitate: LobbyPlanet Berlin 2015, teilw. gekürzt

lobbycontrol berlin führung 2015

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Stefan Mesch, geboren 1983, ist Autor und Kulturjournalist. Er schreibt für ZEIT Online, der Freitag, Deutschlandradio Kultur und den Berliner Tagesspiegel und ist Experte für u.a. US-Literatur, Superheldencomics, die Seifenoper „Verbotene Liebe“ und das Entdecken vergessener Bücher.

mehr Infos zum „Experten“-Projekt der Edition Büchergilde: hier.

2014 / 2015: My Personal Soundtrack [18, Quick List]

stefan mesch, ost 2014 2015

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I started keeping a diary on October 26th, 1997. I was 14 and in 9th grade. I kept up until 2004, and every year, I made a ‚personal soundtrack‘ with songs that reflected last years‘ themes and storylines.

Here are 20 songs for ‚Season 18‘, October 2014 to October 2015.

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  • Matt Nathanson: „Sky High Honey“
  • Joy Kills Sorrow: „Was it you“
  • Rachel Platten: „Fight Song“
  • San Fermin: „Casanova“
  • Oscar and the Wolf: „Strange Entity (Rock Werchter 2014)“
  • Travis: „Warning Sign“
  • Shannon McNally: „Pale Moon“
  • Ozark Henry: „Indian Summer“
  • Danny Michel: „Ashes to Ashes“
  • Matthew Barber: „Revolution of the Sun“
  • A-ha: „Lifelines“
  • Admiral Fallow: „Guest of the Government“
  • Withered Hand: „Love in the Time of Ecstasy“
  • Die Heiterkeit: „Wohin gehst du, Cary Grant?“
  • Hoozier: „Someone New“
  • Mark Kozelek & Jimmy Lavalle: „Gustavo“
  • Peter Broderick: „More and more (Mouth Trumpet Version)“
  • Glen Hansard/The Swell Season: „Drown Out (live)“
  • Roxette: „Spending my Time (live, acoustic)“
  • Dadafon: „Slow Day“

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Some of these songs are on Youtube. Let’s see how long it takes before they are taken down. Here are the videos: Watch them while the links still work!

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  • Matt Nathanson: „Sky High Honey (Decibelle Session)“

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  • Joy Kills Sorrow: „Was it you“

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  • Rachel Platten: “Fight Song”

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  • San Fermin: “Casanova””

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  • Oscar and the Wolf: “Strange Entity (Rock Werchter 2014)”

 

  • Travis: “Warning Sign”

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  • Shannon McNally: “Pale Moon”

 

  • Ozark Henry: “Indian Summer”

 

    • Danny Michel: „Ashes to Ashes“

 

    • Matthew Barber: “Revolution of the Sun (live)”

 

    • A-Ha: “Lifelines”

 

    • Admiral Fallow: “Guest of the Government”

 

    • Withered Hand: “Love in the Time of Ecstasy”

 

    • Die Heiterkeit: “Wohin gehst du, Cary Grant?”

 

    • Hoozier: “Someone New”

 

    • Mark Kozelek & Jimmy Lavalle: “Gustavo”

 

    • Peter Broderick: “More and more (Mouth Trumpet Version)”

 

      • Glen Hansard/The Swell Season: “Drown Out (live)”

[Start: 1:02:50]

 

    • Roxette: “Spending my Time (live, acoustic)”

 

    • Dadafon: “Slow Day”

 

related Links:

Holland / Niederlande – Gastland der Frankfurter Buchmesse 2016: Buchtipps und Empfehlungen

Gastland Niederlande Buchmesse 2016 - hollländische Literatur
Niederlande und Flandern sind gemeinsam Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse 2016.

Ich habe die letzten Wochen über sehr viel belgische und (vor allem:) holländische Literatur angelesen, vorgemerkt, entdeckt – meine Vorauswahl der literarischen Klassiker, Neu- und Wiederentdeckungen bis 2016.

Die meisten Bücher wurden ins Deutsche übersetzt. Einige erschienen nur auf Englisch. Viele sind antiquarisch erhältlich, wenige aktuell in großen Verlagen lieferbar.

Beliebte niederländische Autorinnen und Autoren, mit denen ich nicht warm wurde: Harry Mulisch, Maarten t‘ Hart, Arnon Grunberg, Jessica Durlacher, A. F. Th. van der Heijden, Margriet de Moor, Hella Haasse, Tommy Wieringa und der Nister. Gefeierte und auch in Deutschland populäre Autor*innen – die mich bisher nicht überzeugten und von denen ich nichts empfehlen kann. Auch J.J. Voskuils Zyklus „Das Büro“ lässt mich fürs erste kalt.

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drei Bücher, die ich las und sehr mag: Empfehlungen!

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1. GERBRAND BAKKER, „Der Umweg“

  • stiller, schlichter, aber sehr packender, schneller, mitreißender Roman über eine Holländerin, die ein Bauernhaus in Wales bezieht, spontan.
  • 228 Seiten, Suhrkamp 2012 (Original von 200x)
  • für ZEIT Online schrieb ich 2013: „Stille Wiesen. Karge Dörfer. Ein Grüppchen Gänse und ein Fuchs, der nachts um die Ställe schleicht: Der Umweg, dritter Roman des niederländischen Gärtners, Schlittschuhlehrers und Erzählers Gerbrand Bakker, zeigt Kitsch- und Sehnsuchtsräume von Landlust-Lesern… in atemloser, neuer Perspektive. Ohne Warnung, Abschied und Begründung flieht eine Frau von Amsterdam nach Caernafon (Wales) und wartet auf den Winter. Ein neuer Alltag, ohne Zwänge? Freiheit? Oder dumpfe Isolation? In Schärfe und Bildkraft, die schaudern lassen, zeichnet Bakker einen Rückzug, ein Haus und eine drastische, faszinierende Entscheidung. Ein Kammerspiel? Ein Thriller? Beides!“

“An klaren Tagen kann man in der Ferne das Meer sehen: Es ist ein schöner Flecken Erde, den Agnes sich als Versteck ausgesucht hat. Die Gedanken an das, was sie von Amsterdam vertrieben hat lassen sich so leichter im Zaum halten. Nur manchmal wird ihr alles zuviel: daß der Fuchs sich eine Gans nach der andern holt oder daß der grobe Nachbarsfarmer schon morgens um neun in Socken vor ihr sitzt. Da nistet sich eines Tages der junge Bradwen bei ihr ein. Ähnlich wie Agnes gibt er kaum etwas über seine Vergangenheit preis.” [Klappentext, gekürzt.]

Der Umweg

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2. MARIA DERMOUT, „The Ten Thousand Things“/“Die zehntausend Dinge“

  • nüchterne Sprache, aber eine grausame, schöne, tolle Welt: ein Garten in Indonesien/Java und eine junge Frau, die als Erwachsene einen Kindheitsort neu begreift. Autobiografisch.
  • deutsch nur antiquarisch erhältlich (z.B. Büchergilde Gutenberg, 1959)
  • die US-Version gelesen und sehr gemocht: 224 Seiten, New York Review of Books 2002
  • Original von 1955: Roman bei Wikipedia  |  Autorin bei Wikipedia

The Ten Thousand Things is a novel of shimmering strangeness—the story of Felicia, who returns with her baby son from Holland to the Spice Islands of Indonesia, to the house and garden that were her birthplace, over which her powerful grandmother still presides. There, objects tell tales, the dead come and go, and the past is as potent as the present. First published in Holland in 1955, Maria Dermoût’s novel was immediately recognized as a magical work, like nothing else Dutch—or European—literature had seen before, a book that is at once a lament and an ecstatic ode to nature and life.” [Klappentext, gekürzt.]

The Ten Thousand Things

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3. VALERIAN TORNIUS, „Zwischen Hell und Dunkel: Ein Rembrandt-Roman“

  • deutscher Roman von Valerian Tornius über Leben und Kunst von Rembrandt.
  • eines meiner Lieblingsbücher 2014 (Top 20 hier).
  • 336 Seiten, Original von 1932.
  • altmodische Sprache, aber scharfer und liebevoller Blick und viel Wissenswertes über die Geistes- und Kulturgeschichte des Bürgertums in Leiden und Amsterdam. Ein atmosphärischer/stimmungsvoller, kluger Schmöker.

“Der Roman von Valerian Tornius enthüllt die durch Anlage, Neigung, gesellschaftliche und geschichtliche Umstände bedingte Tragödie des Genies Rembrandt.” [Klappentext]

Zwischen Hell und Dunkel. Ein Rembrandt-Roman

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20 Bücher, angelesen, gemocht, vorgemerkt:

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01: J. BERNLEF, „Bis es wieder hell ist“ (alter Titel: „Hirngespinste“)

  • großer Klassiker, bis heute populär: Roman über Demenz/Alzheimer
  • 163 Seiten, Nagel & Kimche 2007 (Original von 1984)

„1984 wagte es Bernlef als Erster, in einem Roman den Prozess einer Alzheimer-Erkrankung aus der Innensicht zu schildern. Außerdem erzählt er darin die ergreifende Liebesgeschichte eines alten Ehepaars. In Holland eine halbe Million Mal verkauft, dazu verfilmt und auf die Bühne gebracht, wurde „Bis es wieder hell ist“ gefeiert wegen seines fast unheimlichen Vorstellungsvermögens und seiner erhellenden Nachvollziehbarkeit.“ [Klappentext, gekürzt]

Hersenschimmen

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02: GEERT MAK, „Das Jahrhundert meines Vaters“

  • Mak dokumentiert das Leben seiner Familie – etwas Pathos, aber recht soziologisch
  • 576 Seiten, Neuausgabe bei Pantheon 2014 (Original von 1999)

„Anhand des Mikrokosmos seiner Familie schildert Geert Mak das 20. Jahrhundert in den Niederlanden: das Landleben um 1900, den Ersten Weltkrieg, die Not und Entbehrungen, die Zwischenkriegszeit, die Zerstörung Rotterdams, die deutsche Besetzung 1940, und schließlich den Aufstieg des Landes zwischen Meer und Marsch zu einem Musterland Europas.“ [Klappentext, gekürzt]

Das Jahrhundert meines Vaters und, vielleicht: In Europe: Travels Through the Twentieth Century

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03: ETTY HILLESUM, „Das denkende Herz. Tagebücher 1941 bis 1943“

  • die Tagebücher einer säkulären Jüdin, deportiert und in Auschwitz ermordet
  • ca. 224 Seiten, u.a. Rowohlt 1985 (erstmals veröffentlicht 1981)

„Die nach vierzig Jahren entdeckten Tagebücher einer knapp dreißigjährigen holländischen Jüdin, die in Auschwitz ermordet wurde, inzwischen in elf Ländern erschienen und zu einem vielbeachteten Dokument der Menschlichkeit geworden.“ [Klappentext, gekürzt]

Letters From Westerbrook

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04: WILLEM FREDERIK HERMANS, „Nie mehr schlafen“

  • Romanklassiker über einen tragischen Taugenichts in der Wildnis
  • 319 Seiten, Aufbau 2011 (Original: 1966)

„Alfred Issendorff will in die Geschichte seiner Wissenschaft eingehen. Das könnte gelingen, falls er eine These seines Professors beweisen kann: Entstanden bestimmte Seen in der Finnmark durch Einschläge von Meteoriten? Issendorf reist nach Tromsø und schließt sich einer geologischen Expedition ins nördliche Norwegen an. Voller Sarkasmus erzählt Hermans von Grenzsituationen und kläglichem Scheitern.“ [Klappentext, gekürzt]

Nooit meer slapen

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05: GEBRAND BAKKER, „Oben ist es still“

  • Familien- und Landroman über einen verbitterten Sohn, der sich zum Neuanfang zwingt
  • 315 Seiten, Suhrkamp 2010 (Original von 2006)

„Helmer van Wonderen räumt auf. Er verfrachtet seinen bettlägerigen Vater ins Obergeschoss des alten Bauernhauses, entrümpelt das Erdgeschoss, streicht die Wände und schafft neue Möbel an. Doch die ländliche Ruhe währt nicht lang, denn der junge Henk soll auf Helmers Hof das Arbeiten lernen. Ausgerechnet Henk, dessen Mutter einmal mit Helmers verstorbenem Zwillingsbruder verlobt war…“ [Klappentext, gekürzt]

Oben ist es still

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06: HUBERT LAMPO, „Die Ankunft des Joachim Stiller“

  • magischer Realismus: könnte etwas platt/simpel sein, ist aber seit Jahrzehnten ein beliebter Klassiker
  • 208 Seiten, Mitteldeutscher Verlag 2008 (Original von 1960)

„Freek Groenevelt, Schriftsteller und Journalist im Antwerpen der Nachkriegszeit, wird aus der Bahn geworfen, als ein mysteriöser Joachim Stiller mit einem an ihn verfassten Brief plötzlich in sein Leben tritt: Dass der Brief laut Poststempel vor seiner Geburt aufgegeben wurde, lässt Groenevelt zunächst an einen Scherz glauben. Woher sollte jemand wissen, wo Groenevelt 38 Jahre später als Erwachsener lebt? Im Laufe der nächsten Monate jedoch erhält er weitere rätselhafte Briefe und Telefonate. Und immer wieder taucht derselbe Name auf: Joachim Stiller. Auf der Suche nach ihm begegnet Groenevelt der jungen Simone Marijnissen und verliebt sich in sie. Während Antwerpen in einer Weltuntergangsstimmung versinkt, fühlen sich die beiden auf unerklärliche Weise von Joachim Stiller geschützt. Hinweise mehren sich, dass Stiller bereits vor mehreren Jahrhunderten geboren wurde.“ [Klappentext, gekürzt]

The coming of Joachim Stiller

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07: MICHEL FABER, „Das karmesinrote Blütenblatt“

  • Historienroman mit soliden Kritiken: Faber selbst schreibt auch Krimis und (semi-)anspruchsvolle Schmöker
  • 1054 Seiten, List 2004 (Original von 2002)

„London 1874: William Rackham, glückloser neigender Erbe eines Parfümimperiums, trifft auf die Hure Sugar: Ein erotischer Roman, der meisterhaft mit den Mitteln der erzählerischen Verführung spielt – vor allem aber eine unvergessliche Geschichte um die Hoffnungen und Täuschungen der Liebe.“ [Klappentext, gekürzt]

Das Karmesinrote Blütenblatt

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08: RENATE DORRESTEIN, „Herz aus Stein“ / „Heart of Stone“

  • Familien- und Erinnerungsroman in simpler Sprache: domestic fiction.
  • Original von 1994, US-Ausgabe (lieferbar) von 2001.
  • Deutsch bei Bertelsmann (272 Seiten), 2009, vergriffen (Amazon)

„Ellen ist siebenunddreißig und schwanger, als sie kurz entschlossen das leer stehende Haus ihrer Eltern kauft. Anhand eines Fotoalbums versucht sie zu verstehen, wie der so glückliche Familienalltag in einer Tragödie enden konnte. Drei Geschwister und Ellens Eltern wurden dabei getötet. Warum hat gerade sie überlebt?Suggestiv, psychologisch dicht und voller Spannung erzählt Renate Dorrestein von einer Frau, die nach langer Zeit die Kraft findet, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen.“ [Klappentext, gekürzt]

A Heart of Stone

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09: FERDINAND BORDEWIJK, „Charakter. Roman von Sohn und Vater.“

  • Antikriegs-Kultroman, im katalanischen Original erschienen 1956.
  • 368 Seiten, dtv 2010 (Original von 1938)
  • es gibt auch eine Übersetzung von Cees Noteboom – dann mit dem Untertitel „Roman von Vater und Sohn“
  • Verfilmung von 1997, gute Kritiken

„Rotterdam, zwischen den Kriegen. Der ehrgeizige Jacob Katadreuffe arbeitet sich buchstäblich aus der Gosse bis in die oberste Etage einer Anwaltskanzlei. Doch ein Widersacher wirft ihn erbarmungslos immer wieder zurück: sein eigener Vater. Will er sich dafür rächen, dass Jacobs Mutter ihn einst zurückwies? Oder schickt der Vater den Sohn durch die harte Schule des Lebens, um ihn zu festigen?“ [Klappentext, gekürzt]

Charakter Roman Von Sohn Und Vater und: Charakter

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10: DAVID VAN REYBROUCK, „Kongo. Eine Geschichte“

  • Sachbuch: van Reybrock, ein recht junger belgischer Autor, über die Kolonialgeschichte Kongos und deren Folgen
  • 783 Seiten, Suhrkamp 2013 (Original von 2010)

„Fesselnd und atemberaubend erzählt David Van Reybrouck die Geschichte Kongos – von der belgischen Kolonialzeit über die 32-jährige Mobutu-Diktatur und den »afrikanischen Weltkrieg« in den neunziger Jahren bis in die Gegenwart, er berichtet aus der eindrücklichen Perspektive derjenigen, die in ihrem Land leiden, kämpfen, leben.“ [Klappentext]

Kongo - Eine Geschichte

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11: CEES NOTEBOOM, „Rituale“

  • Flaneur- und Großstadtroman, vielleicht etwas verquast oder gesucht drollig: alle Nooteboom-Romane wirken recht ähnlich, und „Allerseelen“, der einzige, den ich komplett las, war eine verblasene Altmänner-Nullrunde.
  • 231 Seiten, Suhrkamp u.a. 1985 (Original von 1980)

„Das Amsterdam der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre erscheint hier in der Perspektive von Inni Wintrop. Dieser will Selbstmord begehen in seinem WC.“ [Klappentext, gekürzt. Der US-Text klingt besser:] „A man of independent means oddly suited to survival amid the chaos of modern life, Inni Wintrop is a committed dabbler, content to casually wander the streets of Amsterdam, speculate in art and love, and write a newspaper horoscope column. But his inconsistencies are interrupted when he meets two men who are the epitome of order and regulation.“

Rituals

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12: BARBARA STOK, „Vincent“

  • sehr simpel gezeichnete, aber sympathische Graphic Novel
  • noch nicht auf Deutsch erhältlich
  • 144 Seiten, englische Ausgabe bei Selfmadehero Books 2014 (Original von 2012)

„The turbulent life of Vincent van Gogh is a constant source of inspiration and intrigue for artists and art lovers. This beautiful graphic biography documents the brief and intense period of creativity Van Gogh spent in Arles, Provence. Away from Paris, Van Gogh falls in love with the landscape and light of the south of France. But attacks of mental illness leave the painter confused and disorientated.“ [Klappentext, gekürzt]

Vincent (Art Masters)

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13: ARTUR JAPIN, „Der Schwarze mit dem weißen Herzen“

„Die ersten zehn Jahre meines Lebens war ich nicht schwarz“, sagt Kwasi Boachi, der asantische Prinz, über sich. Im Jahre 1837 war er zusammen mit seinem Cousin von seiner afrikanischen Heimat in die Niederlande gebracht worden. Dort wurden sie als Weiße erzogen und bei Hofe vorgeführt. Arthur Japin schildert die historisch belegte Geschichte der beiden Prinzen, er erzählt von Entwurzelung, Freundschaft und dem Schmerz, zwischen zwei Kulturen gefangen zu sein.“ [Klappentext]

Der Schwarze mit dem weißen Herzen

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14: STEFAN HERTMANS, „Der Himmel meines Großvaters“

  • recht konservativ/betulich erzählte Biografie/Lebensgeschichte. Freunde fanden es zu brav und bieder.
  • 320 Seiten, Hanser 2014 (Orginal 2013)

„Eine ergreifende Familiengeschichte vor dem Panorama einer untergegangenen Welt. ‚Man kann alles, wenn man will!‘, sagt der alte Mann zu seinem Enkel und schwingt sich in den Kopfstand. Die wahre Willenskraft seines Großvaters begreift Stefan Hertmans jedoch erst, als er dessen Notizbücher liest, und beschließt, den Roman dieses Lebens zu schreiben. Eindringlich beschwört er eine bitterarme Kindheit in Belgien, zeigt den 13-Jährigen, wie er bei der Arbeit in der Eisengießerei davon träumt, Maler zu werden, und stattdessen im Ersten Weltkrieg an die Front nach Westflandern gerät. Dass der Mann, der dieses Grauen überlebt, fast am Tod seiner großen Liebe zugrunde geht, ist eines der Geheimnisse, denen der Enkel auf die Spur kommt.“ [Klappentext, gekürzt]

Der Himmel meines Großvaters

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15: PAUL VERHAEGEN, „Omega Minor“

  • Geschichten- und Historienmosaik mit Thriller-Elementen, David Mitchell recht ähnlich.
  • 955 Seiten, Eichborn 2006 (Original von 2004)

„Berlin. Immer in Bewegung, balancierend auf dem gefährlichen Grat zwischen Glanz und Verfall. Dort leben Menschen wie die Filmstudentin Nebula, die von Hugo gerettet wird, dem strohblonden Riesen in den schwarzen Stiefeln. Dazu der Psychologe Paul Andermanns, der seine Zivilcourage fast mit dem Tod bezahlt. Und im Krankenhaus neben Johann de Heer erwacht – ein alter Mann, der seine Geschichte Paul erzählen will: die Geschichte eines Berliner Jungen mit jüdischen Vorfahren…“ [zu pathetischer Klappentext, gekürzt]

Omega Minor

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16: STEPHAN ENTER, „Spiel“

  • Erinnerung, Coming-of-Age… recht bürgerlich/erwartbar, aber literarisch überzeugend
  • 304 Seiten, Berlin Verlag 2009 (Original von 2007)

„Norbert ist neun und verliert beim Scrabble jedes Mal gegen seine Großmutter. Für ihn ist das der Beweis, dass sie ihn ernst nimmt — und er liebt sie dafür wie niemanden sonst. Als er Jahre später doch gegen sie gewinnt, erkennt er schlagartig, was Älterwerden bedeutet — für sie beide. Bei Indianerspielen, Schach und in den Machtspielen der Jungen lernt er, seine Rolle einzunehmen. Stephan Enter spürt jenen kleinen Verschiebungen des Blicks nach, die das Vertraute unwiederbringlich verändern können, in einem ebenso fesselnden wie poetischen Roman.“ [Klappentext, gekürzt]

Spiel

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17: HEERE HERESMA, „Ein Junge aus Amsterdam“ (1938-46)

  • eine Kindheit im besetzten Amsterdam, durchwachsene Kritiken, aber guter erster Eindruck
  • 180 Seiten, Ammann Verlag 2008, vergriffen (Original von 2007)

„Eine der schönsten Städte Europas – im Ausnahmezustand. Amsterdam ist unter deutscher Besatzung. Der kleine Junge lernt ein neues Gefühl kennen, eine Mischung aus Angst, Spannung und Sensation. Täglich wieder verschwindet einer seiner jüdischen Freundinnen und Freunde, und niemand scheint zu wissen warum und wohin. Der Vater hat als Theologe ein besonderes Interesse an jüdischer Religion und Gebräuchen. Der Judenstern wird eingeführt, Juden werden versteckt, auch im Elternhaus. Der Junge hat viel Verantwortung zu tragen.“ [holpriger Klappentext, gekürzt]

Een jongen uit plan Zuid '38-'46

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18: TED VAN LIESHOUT, „Bruder“

  • schwuler Jugendlicher liest das Tagebuch seines toten Bruders: kurzer, sympathischer YA-Roman.
  • im ähnlichen Stil: Edward van de Vendels „Die Tage der Bluegrass-Liebe“ (2008, Original 1999)
  • mehr schwule/lesbische/queere Jugendbuchtipps hier (Link)
  • 150 Seiten, vergriffen bei Mittelhauve (1999), 2005 als Taschenbuch bei Beltz & Gelberg (Original 1996)

„Seit einem halben Jahr ist Marius nun schon tot, morgen wäre er fünfzehn geworden. Mam möchte auf ihre Art von ihm Abschied nehmen, sein Zimmer einfach leer räumen und alles im Garten verbrennen. Für Luuk ist das so, als habe es seinen Bruder nie gegeben. Ob Mam auch das Tagebuch verbrennen wird? Auf der ersten leeren Seite fängt Luuk an, seine Gedanken aufzuschreiben. So entsteht ein geheimes Zwiegespräch, das enthüllt, was beide jahrelang voreinander zu verbergen suchten. Deutscher Jugendliteraturpreis.“ [Klappentext, leicht gekürzt]

Bruder

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19: RIEN PORTVLIET und WILL HUYGEN, „Gnomes“/“Das große Buch der Heinzelmännchen“/“Leven en Werken von de Kabouter“

  • naturkundlicher Bildband über Anatomie, Kultur und Lebenswelt der Kabauter/“Heinzelmännchen“: ein All-Ages-Wichtelbuch, etwas kitschig, aber bemerkenswert detailverliebt und atmosphärisch
  • 464 Seiten, 11. September, Ullstein

„Gibt es Heinzelmännchen wirklich? Und wenn ja, wo leben sie? Und wie? Helfen sie wirklich Menschen und Tieren in Not? In diesem Buch erfahren wir die Wahrheit.“ [kindischer Klappentext, extrem gekürzt]

Gnomes

Die Vorlage der RTL-Trickserie „David, der Kabauter“ (1985 bis 87, deutsch im „Li-la-Launebär“, ab 1989)


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20: LOUIS-PAUL BOON, „Sommer in Ter-Muren“

„The story of Ondine and Oscarke, a young married couple adrift in a Belgian landscape that is darkening under the spread of industry and World War I. Ondine, who „came to serve god and live,“ finds that she must „serve the gentlemen“ instead. Oscarke, an aspiring sculptor, finds himself unsuccessfully scouring Brussels for work and, when he is finally hired, too tired to make his own art. They grow old and their four children grow up as „technology and mechanization, unemployment, fascism, and war“ take over around them.“ [US-Klappentext, gekürzt]

Summer in Termuren …und der Vorgänger: Chapel Road

 

Bücher, weder auf Deutsch noch auf Englisch erhältlich, auf die ich Lust habe:

Sprakeloos  Kees de jongen  Wij zijn maar wij zijn niet geschift  Birk  Woesten

Kom hier dat ik u kus  De onderkant van sneeuw  Doelwit  Verbroken  Hex
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in deutscher Übersetzung, aber vergriffen oder ohne Leseprobe:

Visions of Hanna  Geheime kamers  Käse  Vater / Zwei Koffer  De larf: over kinderen en metamorfose

The Captain  Der Anwalt Der Hähne  I.M. Ischa Meijer - In Margine. In Memoriam Logbuch eines unbarmherzigen Jahres Jij zegt het

 

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Kinder- und Jugendbücher, noch nicht angelesen:

Turmhoch und meilenweit  Tigeraugen. Ein Zukunftsroman.  Die Gärten von Dorr  Eine Welt dazwischen  Als gäbe es einen Himmel  Kapitän Bontekoes Schiffsjungen

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verwandte Posts:

Deutscher Buchpreis 2015 an Frank Witzel: Empfehlung. „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1968“, Matthes & Seitz Verlag

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Für „der Freitag“ las ich alle sechs Romane auf der Shortlist zum deutschen Buchpreis 2015:

„Und was, falls dann doch Frank Witzel gewinnt? Für seinen brillant verquasten, übervollen, herrlich sperrigen Jugend- und Provinzroman Die Erfindung der Rote Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969? 800 Seiten Jugendängste, Wahn, 60er-Jahre-Jargon, Katholizismus und Neurosen, in 99 grellen Kapiteln immer neu gekreuzt, verschränkt. Literarische Apophänie: Was, wenn die Beatles Märtyrer wären? Mein Leben ein Schneider-Jugendbuch? Die RAF unser Kinderclub? Was, wenn dieses eigensinnige, wagemutige, bekloppte, brillante Buch Bestseller wird? Und Tagesgespräch?“

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“Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969”, Frank Witzel, Matthes & Seitz

“Ein Spiegelkabinett der Geschichte im Kopf eines Heranwachsenden: Erinnerungen an das Nachkriegsdeutschland, Ahnungen vom Deutschen Herbst; das dichte Erzählgewebe ist eine explosive Mischung aus Geschichten und Geschichte, Welterklärung, Reflexion und Fantasie: ein detailbesessenes Kaleidoskop aus Stimmungen einer Welt, die 1989 Geschichte wurde. Ein mitreißender Roman, der den Kosmos der alten BRD wiederauferstehen lässt.” [Klappentext, gekürzt.]

Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

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Der 800-Seiten-Roman spielt 1968 in einem Vorort von Wiesbaden und folgt einem 13jährigen, in 99 Kapiteln – von denen fast jedes anders klingt und viele einen parodistischen Quatsch-Tonfall haben, z.B. die Floskeln eines Jugendbuchs oder den Panik-Tonfall der RAF-Berichterstattung.

Es geht um Sprachmüll, BRD-Muff und die Armut, mit den falschen Worten etwas festhalten, ausdrücken, auf den Punkt bringen zu müssen – ein Gefühl, das 13jährige gut kennen.

Der Roman ist sehr verspielt – jedes Kapitel ist eine literarische Versuchsanordnung, in dem Jargon (z.B. aus einer Musikzeitschrift) auf ein anderes Themenfeld (z.B. auf die Schule) getragen wird. So entsteht viel… wilder, windschiefer… Quatsch. abgegriffene Worte, in neuen, überraschenden Zusammenhängen.

Literarisch/psychologisch mach das viel Spaß: ein Junge, der als Messdiener jahrelang Gewäsch über Heilige und Märtyrer aufgesaugt hat und jetzt in Musikzeitschriften über die Beatles und in den Nachrichten über die RAF hört, spricht über die Beatles… wie über Märtyrer. Über die RAF… wie Popstars. Nicht als witziges Spiel – sondern aus Unvermögen: seltsame Welten werden durch die jeweils falschen Sprach- und Wahrnehmungsbrillen betrachtet. Die einzigen Brillen/Wortschätze eben, die der 13jährige bisher hat.

Warum ist das literarisch toll – und warum dauert es 800 Seiten? Weil Witzel noch etwas Größeres probiert/durchspielt/erzählt, das mich sehr überzeugt: Apophänie ist die Störung, Zusammenhänge und Leitmotive zu sehen: https://de.wikipedia.org/wiki/Apoph%C3%A4nie

…und die meisten Romane nehmen eine Figur, ein Stück Gegenwart oder Zeitgeschichte und ein paar Motive und sagen: „Schaut. Winnetou und die RAF – da sind schon Parallelen“ oder z.B. „Dawson Leery und Stephen Spielberg: Das wird immer wieder interessant gegeneinander gestellt und hinterfragt – dieser All-American Idealismus.“ wir erzählen uns unsere Leben selbst in solchen Mustern, finden uns in Popkultur, ziehen Parallelen.

Witzel zieht 800 Seiten lang Parallelen, die IMMER beliebiger und absurder und wahnhafter werden und dabei zeigen: Solche Netze sind sehr schnell gesponnen. Aber dabei eben oft: spinnert. „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1968“ setzt, versuchsweise, ALLES in Zusammenhang – auch, um dabei zu zeigen, wie leichtfertig und hilflos Menschen solche Zusammenhänge suchen, um sich ihr Leben zu erklären, und – Meta, Meta! – wie schnell Autor*innen solche Zusammenhänge zimmern können.

Wie gesagt: Ich finde es schwierig, ein Buch zu empfehlen, bei dem ich z.B. von Seite 200 bis 300 dachte „Hm. Das hätte man jetzt alles einfach streichen können.“ Der Roman ist sehr lang, und ich weiß nicht, ob er Gelegenheits- und Hobbylesern genug gibt, über diese 800 Seiten hinweg. Versteht man erstmal, worum es geht – Lebenswelten in jeweils „falschen“ Sprachwelten durchzunudeln, in immer anderen Kombinationen – passiert nicht mehr viel: es nudelt halt 99 Kapitel lang durch. sprachlich toll. aber einen packenden Plot oder besondere Auflösungen zum Schluss gibt es nicht.

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Im Freitag (Link) schreibe ich:

„“Wer 2015 nur ein einziges Buch lesen kann, dem empfehle ich gestrost Jenny Erpenbeck, Gehen, ging, gegangen. Kosten: 19 Euro 99, Umfang: 352 Seiten. In kaum zehn Stunden Lesezeit bewältigt und verstanden. Simple Sprache. Viel Wissenswertes zu Asylrecht und Geflüchteten. Der Alltag afrikanischer Männer in einer Berliner Unterkunft, beäugt von einem skeptischen deutschen Professor in Rente. Altern, Heimatlosigkeit, DDR-Vergleiche. Kulturen im Dialog. Fünf von fünf Sternen. Lesenswert! Besonders auch für Schulklassen. Aber zählt dieser simple, muntere, gut gemeinte Asylroman zu den größten literarischen Leistungen 2015? Ist er buchpreiswürdig?“

„Egal, wer 2015 gewinnt: Favoritin Erpenbeck, Meister Witzel oder einer der holprigeren vier Titel: Keines dieser sechs angreifbaren, erstaunlich windschiefen Bücher im Finale passt gut zum Preis. Alle haben Angriffsflächen, große Schwächen. Peltzer, Witzel sind zu träge, Schwitter, Lappert zu seicht, Mahlke, Erpenbeck keine augenfällig „große“ Literatur. Ich will kein Buchhändler sein, der den Gewinner durchs Weihnachtsgeschäft bringt.“

Deshalb nochmal, als gefälligere Verschenk-Empfehlung:

Jenny Erpenbeck, “Gehen ging gegangen”, Knaus

  • Shortlist zum deutschen Buchpreis 2015
  • 352 Seiten, Knaus
  • Professor mit Sinnkrise sucht Kontakt zu Geflüchteten am Berliner Oranienplatz
  • politischer Roman über die Frage, wie Engagement hilft und was Menschen einander geben können: die Sprache ist sehr simpel, vieles wirkt didaktisch, erklärend, etwas kunstlos… aber keinem Buch wünsche ich 2015 mehr Leserinnen und Leser. Informativ, menschlich, sympathisch und klug.
  • ich mochte “Das alte Kind” nicht, Erpenbecks staubige, viel zu betuliche Kurzgeschichten. auch hier im Portrait wirkt sie verkrampft (Link: könnte aber auch an der Journalistin liegen). aber “Heimsuchung” gehört zu meinen Lieblingsbüchern. Erpenbeck ist keine sehr “junge” oder frische Erzählerin.

“Wie erträgt man das Vergehen der Zeit, wenn man zur Untätigkeit gezwungen ist? Richard, emeritierter Professor, kommt durch die zufällige Begegnung mit den Asylsuchenden auf dem Oranienplatz auf die Idee, die Antworten auf seine Fragen bei jenen jungen Flüchtlingen aus Afrika zu suchen, die in Berlin gestrandet und seit Jahren zum Warten verurteilt sind. Und plötzlich schaut diese Welt ihn an, den Bewohner des alten Europas, und weiß womöglich besser als er selbst, wer er eigentlich ist.” [Klappentext, gekürzt.]

Gehen, ging, gegangen …und, große Empfehlung: Heimsuchung

#blogfragen von Booknerds.de: Stefan Mesch

achim reibach

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heute schreibt Booknerds-Autor Chris Popp: „Man könnte noch ein Stückchen weiter gehen und auch die ein oder andere unbequemere, stacheligere und kratzigere Frage einstreuen, die sich nicht mal eben so locker beantworten lässt.“

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meine Antworten:

 

Welche Daseinsberechtigung hat Dein Blog?

Tagesaktuelles, vergängliches Zeug für meine Freunde/Follower poste ich bei Facebook – aber Inhalte, die noch in ein paar Jahren interessant sein könnten, für eine größere Öffentlichkeit: hier im Blog.

Der Blog oder das Blog?

Meist „der“… aber ab und zu ertappe ich mich beim „das“.

Einer Deiner Artikel wird von einem anderen Blogger oder beispielsweise einem Amazon-Rezensenten geklaut. Wie reagierst Du?

„The problem for most artists isn’t piracy – it’s obscurity.“ Ich nehme das als Kompliment. Meist wird mein Name genannt. In zehn Jahren passierte das…. zweimal?

Dein Blog ist urplötzlich offline, nichts geht mehr. Wie reagierst Du dann?

Noch nie passiert. Lit03.de, eine Website, für die ich Hunderte Bücher rezensiert habe, ist seit letztem Jahr offline – aber will ich Zeit/Energie aufbringen, elf bis sieben Jahre alte Artikel und Rezensionen noch einmal neu zu bloggen/online zu stellen?

Du hast einen Gutschein erhalten, um 2.500 gleiche Artikel Deiner Wahl mit dem Logo Deines Blogs als Werbeartikel anfertigen zu lassen. Allerdings sind Flyer, Lesezeichen, T-Shirts und Kugelschreiber tabu. Welchen Artikel würdest Du auswählen?

Autos. Everybody gets a car! Nein, ernsthaft: Ich glaube nicht, dass „Werbeartikel“ meinem Blog gut täten – ich würde mit dem Geld z.B. ein Ebook planen oder irgend ein Gemeinschafts-Schreibprojekt mit Mehrwert.

Nenne zwei Bücher und Deinen persönlichen perfekten Soundtrack dazu.

„Zwei“ macht diese Frage verwirrend und schwer: zwei Bücher, die harmonieren – UND dann noch passende Songs?

Ich würde gerne mal eine Szene lesen, die Energie und Drama DIESES Songs aufgreift: „Ghosts“ von Lonesome Leash.

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Schreibst Du Deine Rezensionen handschriftlich vor?

Ich mache *nichts* handschriftlich. Würde ich vloggen, würde ich mir Sätze in einem Skript vorformulieren. Aber ich bin nicht gut in langen Übungs- und Vorbereitungs-Ritualen.

Verunstaltest Du Bücher für deine Schreibarbeit mit Knicken, Markierungen etc. oder behandelst Du sie eher wie ein rohes Ei?

Ich lese fast nur Second-Hand-Bücher, die ich gebraucht in Antiquariaten oder bei Amazon Marketplace kaufe und die eh ramponiert sind – und markiere interessante Stellen mit (grünem oder orangefarbenem) Leuchtstift.

Wenn Du eine Schreibblockade hast – wie gehst Du vor, um diese zu überwinden?

Ich arbeite immer an mindestens zwei Texten/Projekten gleichzeitig: Wenn ich in einem nicht weiterkomme, wechsle ich zum anderen. Wenn gar nichts mehr geht, lese ich Leseproben oder recherchiere neue Themen im Netz.

Schreibe ein kleines Gedicht (mindestens Vierzeiler) über Dein(en) Blog.

Bestenliste (Link) (Link)

Linkliste (Link) (Link) (Link)

verwandte Themen (Link) (Link) (Link)

auch interessant: (Link)

Du liest in einer anderen Rezension absoluten (tatsächlichen!) Unfug – sie quillt über vor inhaltlichen Fehlern. Wie reagierst Du? Kommentierst Du? Schreibst Du den Verfasser an? Oder hältst Du die Finger still?

Ich poste den Link auf Facebook und erkläre dort länger/ausführlich, wo die Schwächen, Probleme und Unwahrheiten liegen und warum sie mich stören.

Hast Du schon mal eine Idee von anderen Bloggern geklaut?

Mein Layout ist so schlicht und altmodisch – ich bin oft auf Buchblogs wie Buzzaldrins.de und denke „Wow! So soll das bei mir auch aussehen!“ Also: gestalterisch sind mir andere Blogs oft Jahre voraus.

Hast Du Dich schon mal einer Formulierung in einer anderen Rezension bedient, die Du gerne so ähnlich auch in einem Deiner Texte haben wolltest?

2006 habe ich mal eine Lektorin interviewt, die ständig „herrlich“ sagte. Nachdem ich tagelang unser Gespräch abgetippt/transkribiert habe, sagte ich ebenfalls oft „herrlich“. Was einzelne Wendungen angeht: Leif Randts Sprachbilder sind oft sehr originell und elegant, und wenn ich ihn gelesen habe, muss ich aufpassen, nicht plötzlich ähnlich zu klingen.

Das exotischste Buch in Deiner Sammlung ist:

Ich habe großen Respekt vor Büchern, die Freund*innen gut kennen und die an mir bisher vorbeigegangen sind. Im Moment lese ich diese Textsammlung zu einem Kunst-/Erzählprojekt aus der Schweiz: „Die 10 wichtigsten Ereignisse meines Lebens“ von Mats Staub. Nicht super-exotisch. Aber eben: eine plötzliche, unerwartete Empfehlung. Mehr davon! http://www.zehn-wichtigste-ereignisse-meines-lebens.net/de/

 

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Runde 2 – Gemischte Fragen an Blogger, Redakteure und mehr (medium+ und hardcore):

Stell Dir vor, man böte Dir an, Dein(en) Blog oder zumindest Deine Internetadresse für einen ordentlichen Batzen Geld zu verkaufen. Was würdest Du tun?

Mein Blog ist mein Name („stefanmesch.wordpress.com“): die Inhalte, die unter diesem Namen publiziert werden, muss ich selbst bestimmen.

Geld verdienen mit Deinem Blog – wie weit würdest Du gehen?

Ich schreibe beruflich. Ich lebe vom Schreiben. Und: Ich bin Kritiker. Meine Glaubwürdigkeit ist mein Kapital. Egal, für wen ich arbeite (aktuell z.B. die Büchergilde Gutenberg): Ich würde kein Buch loben, hinter dem ich nicht stehen kann.

Hast Du schon mal heimlich ein Buch gelesen/einen Film gesehen/eine Serie geschaut, obwohl Du eigentlich sagtest: „Den Mist? Never ever!“?

Nein. Ich lese oft – ziemlich schlechte – Superheldencomics, weil ich die Figuren mag. Aber das steht dann öffentlich in meinem Goodreads-Profil. Es gibt keine Bücher oder Filme, die ich heimlich sehe.

…oder zählt Pornografie?

Liest Du Dich selbst gern?

Ich will immer neu lektorieren und alles ändern. Meine Facebook-Beiträge sind in Alltags- und Plaudersprache verfasst. Die schreibe ich schnell, und oft denke ich beim Nochmal-Lesen: „Passabel so.“ Aber je anspruchsvoller und komplexer ich formuliere, desto länger denke ich bei jedem Satzteil: „Ist DAS eine gute Lösung? Oder nochmal überarbeiten?“

Man lobt Dich für einen Deiner Beiträge oder gar für Dein ganzes Blog total in den Himmel. Wie gehst Du mit diesem Lob um?

Wer zu viele Superlative und Schwärmereien benutzt, klingt oft etwas marktschreierisch (und, mit der Zeit: sehr unglaubwürdig). Ich freue mich, wenn jemand sagt „Der Text von Stefan ist toll“. Aber bei Postings wie „Stefan ist der Tollste“ denke ich oft: „Oh. Du tust dir und deiner Glaubwürdigkeit gerade keinen Gefallen: ein übertriebenes Lob ist nicht viel wert.“

Man attestiert Dir aufgrund einer Kritik keine Ahnung. Wie reagierst Du auf so etwas?

Ich stelle die Kritik auf Facebook zur Diskussion. Wenn ich Fehler gemacht habe, sage ich das gerne auch öffentlich. Wenn die Vorwürfe Quatsch sind, poste ich kurz, warum ich sie für Quatsch halte.

Man wirft dir als Blogger/Journalist vor, Du übtest Deine Arbeit nur aus, um so möglichst viele Rezensionsexemplare abzugreifen. Wie begegnest Du diesem Vorwurf?

Ich bin recht hart als Kritiker, und ich glaube, viele Leute/Verlage, die mir Manuskripte schicken, sagen sich danach „Hm. Jetzt hat er dem Buch auf Goodreads 2 Sterne gegeben, 1000 Menschen auf Facebook davor gewarnt und eine sehr kritische Rezension geschrieben. Keine gute PR für uns.“

Insofern bin ich froh, dass mir Verlage überhaupt etwas schicken. Ich lese meist .pdfs/.epubs/digitale Fahnen statt der fertigen Bücher: Kein Verlag wird arm, wenn er mir sowas mailt. Aber für mich sind das keine besonderen Perlen/Bonbons/Kleinode… sondern Text, durch den ich mich arbeite – oft mit geringem Vergnügen.

Ein Autor oder Verlag verlangt von Dir, Deine Rezension abzuändern oder gar zu löschen. Wie wirst Du handeln? Oder ist Dir das gar passiert? Falls ja: Wie hast Du gehandelt?

Ich habe 2004 in rascher Folge ein deutsches Debüt gelesen und „Engel im Schnee“ von Stewart O’Nan – und gemerkt, dass das deutsche Buch die selbe Figurenkonstellation, eine sehr ähnliche Eröffnungsszene usw. hat. Ich nannte das deutsche Buch auf lit04.de „Plagiat“, der deutsche Autor meldete sich und sagte, der Begriff sei „justiziabel“ und die Redaktion hat meinen Text vorsichtshalber gelöscht.

Heute würde ich stattdessen eine Textanalyse bloggen/auf Facebook posten, die Fakten gegeneinanderstellen und den Lesern sagen: „Hier sind die Parallelen. Macht euch euer eigenes Bild.“

Der Autor/Verlag droht mit einer Klage, wenn Du die Rezension nicht abänderst/löschst. Und nun?

Ich hole mir juristische Beratung im Freundeskreis und entscheide dann.

Hast Du bei Rezensionen schon mal geschummelt (beispielsweise das Buch nicht zu Ende gelesen und trotzdem eine vollständige Rezension geschrieben)?

Nein. Wie gesagt: Ich verdiene damit meinen Lebensunterhalt. Faule Kompromisse kann ich mir nicht leisten. Oft sehe ich das auch als… Karma-Frage: Ich muss soviel Zeit investieren, um meine Arbeit zu teilen, zu promoten, mich bei Verlagen anzubieten usw. – ich schneide mir ins eigene Fleisch, wenn ich es mir beim Rezensieren zu einfach mache.

Sind Zugriffszahlen/Like-Zahlen und Followerzahlen wichtig für Dich? Wie wirken sie sich hinsichtlich Motivation aus?

Sie sind unglaublich wichtig – aber demotivierend. Mein Blog-Counter funktioniert für mich wie eine Skinner-Box. Ich probiere viel aus, um die Zahlen zu steigern – aber es bleibt ein Glücksspiel (und: frisst zu viel Energie und Aufmerksamkeit, enttäuscht mich dann meist).

Liest Du auf dem Klo?

Ja, aber ich bin nicht gerne länger als nötig auf dem Klo und lese ungern nur eine halbe Seite: mir bringt das wenig. Vor allem lese ich beim Zähneputzen. Gerade „Wittgensteins Neffe“ von Thomas Bernhard.

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Runde 3 – Zur Entspannung. Du als Konsument (softcore und seicht):

Gab es schon mal einen Protagonisten in einem Buch oder eine Figur in einem Film oder einer Serie, und Du dachtest: Verflucht, kennt der Autor mich?

Als „Six Feet Under“ 2004 in Deutschland startete, dachte ich: Ich MUSS mein Leben ändern – bevor ich wie David Fisher ende. Das war… ein produktiver Schreck-Moment. Kaoru, die steife, misstrauische, nervöse und gehemmte Hauptfigur aus „Sakamichi no Apollon“ erinnert mich an mein Schul-Ich.

Und… ich bin oft hart und sehr, sehr wertend: Ich habe Ruth Klügers „weiter leben“ an meine besten Freunde verschenkt, weil ich dachte „Wow. Da ist NOCH jemand, der sehr unerbittlich lebt und ungefragt beurteilt.“

Stell dir vor, Du könntest die Protagonisten oder beliebige andere Figuren aus zwei Büchern/Filmen/Serien miteinander vertauschen. Wen und warum?

Das ist mir zu abstrakt. Tony Stark/Iron Man (Marvel, die Avengers) würde ich gerne im DC-Universum (neben Superman, Batman usw.) sehen. Und schade, dass Storm (Marvel, die X-Men) nicht in der selben Comicwelt wie Wonder Woman (DC) lebt.

Welches ist Dein peinlichstes Lieblingsbuch/Dein peinlichster Lieblingsfilm/Deine peinlichste Lieblingsserie?

Ich mag die „Freaky Friday“-Verfilmung mit Lindsay Lohan. Serien: „Verbotene Liebe“ und „One Tree Hill“, in Ausschnitten „As the World Turns“. Bücher: Benjamin von Stuckrad-Barre hat Textschnipsel aus albernen Google-Suchanfragen in Spaß-Listen sortiert, für ein Buch namens „Was.Wir.Wissen“. Das fand ich… herrlich! Und bei Alltags- und Familienromanen bin ich oft leichter zu kriegen als zynischere Leser. Elizabeth Hartley Winthrops „December“ hat vernichtende Kritiken. Ich mochte es sehr.

Welches war das frustrierendste Buchende/Filmende/Serienfinale für Dich? Wie hätte es ausgehen sollen? Warnung an die Leser der Antworten: Spoileralarm!

Ich hasse „Oh wie schön ist Panama“.

Einer der dümmsten Filme, die ich kenne, ist „Monsters Ball“. Nach der dritten, vierten konfusen Wendung habe ich nur noch wütend-hämisch gelacht. Und die Kinder-Trickserie „Die Bluffers“ handelt von Tieren, die ein „Geheimnis“ lüften wollen, das nie gelüftet wird. Solche Bluffs ärgern mich bis heute.

Wenn Dein Leben oder Deine persönliche momentane Situation als Buch oder Film veröffentlicht würden: Wie hieße das Buch/der Film?

Irgendwas mit Würfeln/Glücksspiel. Ich sagte gestern: „Ich will gerade nur Sachen machen, die etwas verändern könnten.“ Also: Es geht viel um Glück, Chancen, Unwägbarkeit.

Welches Buch/welcher Film/welche Serie hat Dich derart beschäftigt und aufgewühlt, dass Du tagelang an kaum etwas anderes denken konntest?

Das passiert ständig. 10 Beispiele, die mir als erstes in den Sinn kommen: „Neon Genesis Evangelion“, „Ist das Leben nicht schön?“, „Europa“ (Lars von Trier), „Six Feet Under“, „Vanilla Sky“, „Boyhood“, „I am a Hero“ (Manga), „Gilbert Grape“ (die Romanvorlage von Peter Hedges; den Film kenne ich noch nicht), „Die Wand“ (Marlen Haushofer), Meike Winnemuths „Das große Los“…

Hast Du schon einmal einer Figur aus einem Buch, einem Film oder einer Serie nachgeeifert? Oder wurdest Du hierdurch zu einer Handlung/Tat inspiriert?

Oft, ja! In der Pubertät mochte ich Ermittlerinnen und Ermittler, die private Traumata mit… Würde trugen und sich durchgebissen haben: Frank Black aus „Millennium“, Sam Waters aus „Profiler“, Fox Mulder aus „Akte X“. G’Kar aus „Babylon 5“ fand ich immer sehr souverän und psychisch gesund. Seit ein paar Jahren wünsche ich mir einen Freundeskreis wie in der Sitcom „Happy Endings“: Ich kann das nicht kucken, ohne, neidisch zu werden.

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Runde 4 – Drei Dinge, die…

…das Schreiben schreibenswert machen:

  • Präzision (man denkt vage irgendwas. beim Schreiben bringt man es endlich auf den Punkt)
  • Festhalten (Dinge sind nachzulesen, zu googeln, für andere Menschen einzusehen, nachvollziehbar)
  • Lesen ist meine liebste Form von Informationsvergabe: schneller als Zuhören/Sprechen, einfacher als persönlich-irgendwo-Hingehen. Mir hilft, wenn Dinge nachzulesen sind.

…Dir bei manch anderem Blog mächtig auf die Nerven gehen:

  • „mich persönlich hat es SEHR beeindruckt.“
  • „mir persönlich hat es SEHR gefallen.“
  • „natürlich kann man darüber streiten, aber ich kann es JEDEM ans Herz legen.“

…Du Dir bei deinem eigenen Blog schon ewig vorgenommen, aber noch nicht verwirklicht hast:

  • längere persönliche Texte zu großen Lieblingsbüchern
  • mehr Interviews
  • mehr Vlogs (Videos)

…Dir das Lesen spontan madig machen:

Floskeln/verbrauchte Sprache, Erzählwelten, in denen nur der Autor/Ich-Erzähler/die Hauptfigur klug und kompetent wirkt… und Figuren (besonders Kinder und Frauen), die nur eingeführt werden, um zu sterben.

…Du gerne als Ausrede nutzt, nur um mehr Zeit zum Lesen zu haben:

  • „Das ist Recherche. Ich pitche später einen Artikel dazu.“
  • „Zum Schreiben bin ich zu müde. Jetzt geht nur Lesen.“
  • „Ich bin Kritiker. Das ist mein Fachgebiet. Dass ich das kenne/gelesen habe, wird sich später lohnen.“

…nicht so wichtig sind wie dein Blog:

  • andere Artikel/Beiträge von mir, die man nur offline lesen kann/findet
  • Jobs, die mir Geld, aber keine Leser/Texte bringen
  • eine Promotion

…Dir definitiv wichtiger sind als dein Blog:

  • mein Roman
  • meine Facebook-Pinnwand
  • Arbeit, die ich mit Redakteuren mache, fürs Feuilleton

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Runde 5 – ein paar Sätze zum Vervollständigen:

Amazon ist…

…ein Konzern, dem Bücher nicht wichtig sind – aber der Goodreads besitzt, die für mich wichtigste Seite im Internet.

In meinem Wohnort…

…gehe ich kaputt. Ich MUSS mir genug Geld verdienen, um Zimmer in Städten mieten zu können, bald.

Ein Autor schreibt Bücher, weil…

Er sich durchgesetzt hat oder durchsetzen konnte. Oft genug, weil er ein älterer Mann ist und andere ältere Männer seine Stimme und Ansichten schätzen.

Marcel Reich-Ranicki fand ich…

…so weit weg von mir wie sehr viele dieser allgegenwärtigen älteren Männer in den Buchhandlungen, Feuilletons oder an meiner Uni: ihr Schreiben, ihr Sprechen und ihre Seilschaften haben nichts mit meiner Lebenswelt zu tun – ich hoffe, ich kann Autor sein, ohne, so wie sie werden zu müssen.

(Unterhaltsam/sympathisch fand ich ihn immer. Aber… Elke Heidenreich ist ein Vobild und Role Model. Reich-Ranicki ist ein Freak/Alien/mir völlig Fremder.)

Hysterisierung und Pathetisierung in der Literatur…

…das ist mir zu platt und reißerisch. Wer genau ist gemeint?

Was ich im Literatur-/Film-/Serienbusiness niemals verstehen werde, ist…

…wie viele Leute Filme gern mehrmals sehen, immer das selbe sehen, Serienepisoden halb oder nebenher sehen, „einfach nur entspannen“ wollen.

Wenn ich die Bibliographie eines bestimmten Autoren/einer bestimmten Autorin einfach auslöschen könnte, dann die von _________, weil __________.

Ich glaube nicht, dass Robert Kirkmans „The Walking Dead“ schlimm oder schrecklich ist – aber die Fans sind oft sehr pragmatisch, mitleidslos und… sozialdarwinistisch. Tatsächlich schlimm: John Boynes KZ-Roman „Der Junge im gestreiften Pyjama“. Ein Jugendbuch, das über den Holocaust aufklären will und dabei voller Fehler und schlimmer „poetischer Freiheiten“ steckt:

Lieber gar nichts wissen als dieses furchtbare, dumme, verlogen sentimentale Buch.

Ich würde unheimlich gern eine Literatur-Diskussionsrunde mit folgenden Personen sehen:

Ich will nicht zuschauen – ich will mitmachen. Und, generell: mehr Frauen, mehr junge Leser, mehr Diversity.

Wie kann man eigentlich nur solch ein Kultursnob sein wie _______!

…der abgeschmackte Slavoj Zizek

Ich fände es großartig, wenn _____ auf meinem Blog einen Gastbeitrag schreiben würde.

Greg Rucka – ein sehr politischer Comic-Autor und Feminist.

Ich würde ______ gerne mal fragen, ob _______ …

…all meine Facebook-Freunde gerne mal fragen, ob sie mir weitere Menschen empfehlen und uns bekannt machen können – und ihnen zuhören, wenn sie mir die Geschichten hinter solchen Freundschaften erzählen.

Ich würde ______ gerne mal sagen, dass _______ …

…der Welt gerne mal sagen: „Geschafft! Mein Roman ist fertig.“ Noch… zwei Jahre? :-/

Booktuber…

Machen mir Spaß, wenn mir die Haltung/Ausstrahlung/das Gemüt der Menschen zusagt: Ich höre Leuten zu, falls ich auch gerne persönlich Zeit mit ihnen verbringen würde. Am wichtigsten: Energie, Tempo, Scharfsinn und etwas Albernheit/Selbstironie.

Dieser Fragebogen…

War furchtbar lang (das ist gut! gerne noch mehr!), sympathisch – aber nicht halb so „kantig“, wie ich erwartet hatte.

Gerne nochmal in richtig böse/tricky: fiese Fragen!

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(mir gehen die brauchbaren Portrait-Fotos aus.)

Buchtipps Weihnachten, Herbst, Frankfurter Buchmesse 2015: die besten Romane

die besten Romane 2015 wordpress

Angelesen, vorgemerkt, entdeckt: meine Vorauswahl der literarischen Neuerscheinungen im Herbst 2015. Neue Bücher für die Zeit zwischen Herbstanfang, Frankfurter Buchmesse und Weihnachten.

Jeden Winter suche ich Romane / Neuerscheinungen und mache eine erste Liste für die Bücher des Jahres:

Jeden Spätsommer mache ich eine Liste mit Neuerscheinungen zur Frankfurter Buchmesse (Link 2014): eine erste Longlist der Bücher, die ich bis Ende des Jahres u.a. für ZEIT Online(an-)lesen, sichten, sortieren will.

Hier meine Auswahl für Herbst und Winter 2015. Ergänzungen / Empfehlungen sind willkommen – vielen Dank! Bücher aus kleineren Verlagen sind noch nicht auf der Liste, weil ich bisher nur via Goodreads gesucht und sortiert habe; und Indie-Bücher oft keine Goodreads-Einträge haben.

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fünf aktuelle Bücher, gelesen: Empfehlungen!

1. “Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969”, Frank Witzel, Matthes & Seitz

  • Shortlist zum deutschen Buchpreis 2015
  • 800-Seiten-Kindheits-und-Erinnerungsbuch über die BRD, Matthes & Seitz
  • sehr überbordend, albern, mäandernd, voller Zitate und Zeitgeschichte
  • ein anspruchsvoller und ca. 350 Seiten zu langer Roman: es gibt deutlliche Hänger… aber so viel Erzählfreude, Originalität, Überraschungen: tatsächlich ein literarisches Ereignis.

“Ein Spiegelkabinett der Geschichte im Kopf eines Heranwachsenden: Erinnerungen an das Nachkriegsdeutschland, Ahnungen vom Deutschen Herbst; das dichte Erzählgewebe ist eine explosive Mischung aus Geschichten und Geschichte, Welterklärung, Reflexion und Fantasie: ein detailbesessenes Kaleidoskop aus Stimmungen einer Welt, die 1989 Geschichte wurde. Ein mitreißender Roman, der den Kosmos der alten BRD wiederauferstehen lässt.” [Klappentext, gekürzt.]

Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

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2. Jenny Erpenbeck, “Gehen ging gegangen”, Knaus

  • Shortlist zum deutschen Buchpreis 2015
  • 352 Seiten, Knaus
  • Professor mit Sinnkrise sucht Kontakt zu Geflüchteten am Berliner Oranienplatz
  • politischer Roman über die Frage, wie Engagement hilft und was Menschen einander geben können: die Sprache ist sehr simpel, vieles wirkt didaktisch, erklärend, etwas kunstlos… aber keinem Buch wünsche ich 2015 mehr Leserinnen und Leser. Informativ, menschlich, sympathisch und klug.
  • ich mochte “Das alte Kind” nicht, Erpenbecks staubige, viel zu betuliche Kurzgeschichten. auch hier im Portrait wirkt sie verkrampft (Link: könnte aber auch an der Journalistin liegen). aber “Heimsuchung” gehört zu meinen Lieblingsbüchern. Erpenbeck ist keine sehr „junge“ oder frische Erzählerin.

“Wie erträgt man das Vergehen der Zeit, wenn man zur Untätigkeit gezwungen ist? Richard, emeritierter Professor, kommt durch die zufällige Begegnung mit den Asylsuchenden auf dem Oranienplatz auf die Idee, die Antworten auf seine Fragen bei jenen jungen Flüchtlingen aus Afrika zu suchen, die in Berlin gestrandet und seit Jahren zum Warten verurteilt sind. Und plötzlich schaut diese Welt ihn an, den Bewohner des alten Europas, und weiß womöglich besser als er selbst, wer er eigentlich ist.” [Klappentext, gekürzt.]

Gehen, ging, gegangen …und, große Empfehlung: Heimsuchung

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3. Ulrich Peltzer, „Das bessere Leben“

  • Shortlist zum deutschen Buchpreis 2015
  • 448 Seiten, S. Fischer
  • sehr kühler, sperriger, aber kluger Roman über Manager über 50, die 2006 aus dem Koffer leben und entscheiden müssen, welchen Platz sie Beruf, Familie und Liebe einräumen.
  • erst ab ca. Seite 240 nimmt der Roman Fahrt auf: viel Vorlauf, viele Zeitsprünge und Auslassungen, an vielen Stellen prätenziös, ins Leere laufend.
  • den deutschen Buchpreis hat Peltzer nicht verdient. aber ich hatte Spaß daran, mich durch ein sehr trockenes, aber komplexes und überraschend warmherziges Buch zu beißen.

„Aus ehemaligen Revolutionären sind Manager geworden, Akteure der Wirtschaft. Sie sind involviert in globale Geschäfte zwischen Mailand, Südamerika und China, ihre Deals sind dubios. Haben sie alles verraten? Was heißt es heute in dieser Welt, gut zu leben? Jochen Brockmann ist erfolgreicher Sales Manager, doch er verstrickt sich in ein abstürzendes System. Die Bank gibt keinen Kredit mehr, Indonesien investiert nicht, es bieten sich die Chinesen an. Sylvester Lee Fleming ist ein skrupelloser Geschäftemacher, Finanz-Investor und Risiko-Berater. Er erscheint, als Retter, Verführer und Versucher. Ist er ein Abgesandter des Teufels oder nur ein Psycho? Er kreuzt Brockmanns Weg. Ist das Zufall oder Plan?“

Das bessere Leben

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4. David Levithan, „Two Boys kissing – jede Sekunde zählt“

  • 288 Seiten, S. Fischer
  • das beste Jugendbuch, das ich 2013 las, endlich auf Deutsch.
  • mehr schwule, lesbische, queere Jugendbuch-Tipps hier.
  • für ZEIT Online schrieb ich 2013: „In US-amerikanischen Jugendbüchern tut sich stilistisch oft nicht viel: Stakkatosätze. Präsens. Sekundenrealismus, nah am Ich-Erzähler. Alles klingt gleich. Nichts irritiert. Eine Ausnahme ist David Levithan, der in zehn Jahren fast 20 Bücher über Paare, Selbstverwirklichung und Partnerschaft-als-Selbstverwirklichung schachtelte. Jedes klang anders. Allerdings ist Two Boys Kissing der erste Levithan-Roman, der mich überzeugt: Acht schwule Jugendliche auf dem Land, 50 Stunden persönlichste Katastrophen und Triumphe, brillante Perspektivwechsel, Schnitte. 200 Seiten nichts als Sätze, die Leser zum Weinen bringen wollen. Vor Wut. Freude. Begeisterung. Ein hoher Ton.“

„Craig und Harry wollen ein Zeichen für alle schwulen Jungs setzen. Dafür küssen sie sich. 32 Stunden, 12 Minuten und 10 Sekunden. So lange dauert es, um den Weltrekord im Langzeitküssen zu brechen. So lange dauert es, das Leben aller schwulen Pärchen in der Umgebung für immer zu verändern… Geschickt verwebt David Levithan all ihre Geschichten zu einer großen Geschichte über homosexuelle Jugendliche von heute.“ [Klappentext, gekürzt.]

Two Boys Kissing: Jede Sekunde zählt

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5. Arthur Miller, „Fokus“ (alter deutscher Titel: “Brennpunkt”)

  • 280 Seiten, S. Fischer
  • “Mad Men”-artiger Büro- und Kleinbürger-Roman über Rassismus und Antisemitismus in Manhattan und Brooklyn 1945. Eins meiner Lieblingsbücher 2014.

„Mr. Newman ist ein kleiner Angestellter mit einem großen Ehrgeiz. Von seinem gläsernen Büro aus überwacht er die ihm unterstellten Stenotypistinnen. Doch eines Tages lässt seine Sehkraft nach. Als der Arzt ihm eine Brille verordnet, beginnt sein Leidensweg. Denn plötzlich wirkt Newman in den Augen seiner Mitmenschen irgendwie »jüdisch«. Newman, bislang rassistischen Diffamierungen gegenüber vollkommen gleichgültig, steht plötzlich selbst im Brennpunkt antisemitischer Hetze.“ [Klappentext, gekürzt]

Focus

 

21 neue Bücher, angelesen, gemocht, vorgemerkt:

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01: IRENE RUTTMANN, „Adèle“

  • kluge und berührende Romanze im 1. Weltkrieg
  • 362 Seiten, 8. August, Suhrkamp/Insel

„Der junge deutsche Drogist Max ist im Dezember 1916 an der Aisne in Frankreich als Krankenträger im Fronteinsatz. In einem verlassenen Ort sucht er nach Kräutern, um die Bauchschmerzen seiner Kameraden zu lindern, als er Adèle, das Mädchen aus der Champagne, trifft. Behutsam entwickelt sich eine Liebesgeschichte während der blutigsten Schlachten im Ersten Weltkrieg.“ [Klappentext, gekürzt]

Adèle

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02: SERHIJ ZHADAN, „Mesopotamien“

  • ein junger Freundeskreis im Zweistromland – ohne Sozialromantik.
  • 362 Seiten, 8. August, Suhrkamp/Insel

„Romeo, zwanzig Jahre alt, ist zum Studium nach Charkiw gekommen. Vor dem Hintergrund des Krieges, der bereits begonnen hat, kämpfen Marat, Romeo, Sonja, Ivan, Bob gegen die drohende Verfinsterung ihres Lebens, um ihre Liebe, um ein mutiges, freies Verhältnis zueinander, dem auch der Tod nichts anhaben soll.“ [Klappentext, gekürzt]

Mesopotamien

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03: EIMEAR McBRIDE, „Das Mädchen ein halbfertiges Ding“

  • Gestammel? oder große Poesie? ein Buch, erzählt in atemloser, verkürzter Sprache
  • 256 Seiten, 4. August 2015, Schöffling

„Eine junge Frau wächst in der Enge einer irischen Kleinstadt auf, das Leben ihrer Familie ist von der Krankheit ihres Bruders geprägt. Ihr wahres Leben spielt sich im Kopf ab. Der Debütroman hat mit seiner unvergesslichen Sprache für Furore gesorgt.“ [Klappentext, gekürzt]

A Girl Is a Half-formed Thing

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04: JÜRGEN BECKER, „Jetzt die Gegend damals“

  • Schreib- und Perspektive-Experimente um Erinnerung und Identität: Jürgen Becker erschreibt sein Leben, aus Sicht des fiktiven Alter Egos Jörn Winter
  • 161 Seiten, 8. August 2015, Suhrkamp

„Eine Chronik der angehaltenen und zugleich vergehenden Zeit: Jörn Winter folgt den biographischen Wegen des Verfassers Jürgen Becker; sie gehen zurück in die dreißiger Jahre, in Kriegs- und Nachkriegszeit, in die fünfziger Jahre, in die Gegenwart, und Jörn spricht davon, als wäre es sein eigenes Leben: Becker beschäftigt ihn als Alter Ego, um die Distanz zum eigenen Lebenslauf zu wahren; als Korrespondenten, der von Orten und Personen, Landschaften und Gegenden die Geschichten erzählt, die vom Jetzt und vom Damals handeln. “ [Klappentext, gekürzt]

Schnee in den Ardennen. Journalroman [Vorgängerbuch. „Jetzt die Gegend damals“ ist noch nicht auf Goodreads.]

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05: SABINE RENNEFANZ, „Die Mutter meiner Mutter“

  • Erinnerungsbuch über Traumata und häusliche Gewalt in der deutschen Nachkriegszeit
  • 256 Seiten, 14. September 2015, Luchterhand

„Als der Krieg zu Ende war, fing für die vierzehnjährige Anna der Kampf erst an. Am Hof der Familie Wendler kann sie als Magd härteste körperliche Arbeit leisten. 1949 kehrt Friedrich Stein aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft nach Kosakenberg zurück. Ein gebrochener Mann, zwanzig Jahre älter als Anna. Anna macht die Traurigkeit in seinen Augen vom ersten Tag an Angst. Trotzdem muss sie Friedrich heiraten. Über die Umstände wissen die drei Töchter, die aus der Ehe hervorgehen, lange nichts. Erst zwanzig Jahre nach dem Tod des Vaters kommt ein Geheimnis ans Licht.“ [Klappentext, gekürzt]

Die Mutter meiner Mutter

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06: KARL-OVE KNAUSGARD, „Träumen“ (Band 5 [von 6] aus „Mein Kampf“)

  • geschwätzig? banal? langweilig? oder der größte, wichtigste autobiografische Romanzyklus über Wahrnehmung, künstlerische Selbstfindung und Scheitern im Bürgertum seit Proust?
  • 800 Seiten, 21. September 2015, Luchterhand

„14 Jahre verbrachte Knausgård in Bergen, bevor er aus der norwegischen Küstenstadt regelrecht nach Stockholm floh: Jahre, in denen er so unermüdlich wie erfolglos versuchte, Schriftsteller zu werden, in denen seine erste Ehe scheiterte, in denen sich Momente kurzer Glückgefühle mit jenen tiefster Selbstverachtung die Hand gaben. Dabei hatte es am Anfang so gut ausgesehen. Er hatte einen Studienplatz an der Akademie für Schreibkunst ergattert, endlich eine Freundin gefunden…“ [Klappentext, gekürzt]

Träumen

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07: NICHOLSON BAKER, „Das Regenmobil“

  • ein überraschend launiger Versager- und Schwerenöter-Roman von Sprachkünstler Baker
  • 288 Seiten, 18. Dezember, Rowohlt

„Paul ist Dichter (mäßig erfolgreich) und vermisst seine Exfreundin Roz, die ihn verlassen hat. Um seinem Leben wieder Sinn zu geben und seinen drohenden Fünfdundfünfzigsten zu vergessen, besorgt er sich eine akustische Gitarre und sattelt auf Pop- und, vor allem, Protestsongs um. Er weiß nicht, was ihm mehr zuwider ist: Amerikas Drohnenkrieg oder Roz‘ neuer Freund. Während er auf seinem alten Bauernhof in Maine darüber nachdenkt, erheitern allerlei tröstliche Alltagsvergnügen sein schwankendes Gemüt: sein Traum-Rasensprenger, die Saiten seines Eierschneiders, die einen fast perfekten Mollakkord ergeben, einige Experimente mit Tabak…“ [Klappentext, gekürzt]

Das Regenmobil

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08: EDWIGE DANTICAT, „Kein anderes Meer“

  • Coming-of-Age in Haiti: magischer Realismus und existenzielle Not. vielleicht etwas süßlich.
  • 256 Seiten, 24. August, Hanser

„Am Morgen hatte sie noch wie jedes Jahr mit ihrem Vater Nozias das Grab der Mutter besucht. Jetzt ist die siebenjährige Claire spurlos verschwunden, am Strand von Ville Rose auf Haiti. Sie sollte ihr Heimatdorf verlassen, von einer reichen Tuchhändlerin adoptiert werden. Ist sie deshalb geflohen? Die haitianisch-amerikanische Autorin Danticat erzählt märchenhaft und doch realistisch von Ville Rose, einem Ort, wo Bäume in den Himmel fliegen und Frösche in der Hitze explodieren.“ [Klappentext, gekürzt]

Claire of the Sea Light

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09: JOAN SALES, „Flüchtiger Glanz“

  • Antikriegs-Kultroman, im katalanischen Original erschienen 1956.
  • 576 Seiten, 28. September, Hanser

„Im belagerten Barcelona wütet das Chaos. Lluis, Atheist, ehemaliger Anarchist und Skeptiker, verlässt seine Frau, um in den Bergen mit den Republikanern zu kämpfen. Doch es ist eine „tote Front“, wo die Anarchisten Klöster verwüsten und Zivilisten hinrichten. Lluis ist entsetzt, überschreitet aber selbst die Grenze der Moral und sucht Antworten auf seine Fragen nach dem Ursprung des Bösen, nach Gott und den Möglichkeiten der Liebe.“ [Klappentext, gekürzt]

Flüchtiger Glanz

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10: RICHARD FLANAGAN, „Der schmale Pfad durchs Hinterland“

  • im schlimmsten Fall ist das ein Mainstream-Schmöker in der Tradition von „Der englische Patient“. stilistisch aber überzeugt es mich erstmal.
  • 448 Seiten, 14. September, Piper

„Dem begabten Chirurgen Dorrigo Evans steht eine glänzende Zukunft bevor. Doch als der Zweite Weltkrieg auch Australien erreicht, meldet er sich zum Militär. Während er in einem japanischen Gefangenenlager mit seinen Männern gegen Hunger, Cholera und die Grausamkeit des Lagerleiters kämpft, quält ihn die Erinnerung an die Liebe zur Frau seines Onkels.“ [Klappentext, gekürzt]

Der schmale Pfad durchs Hinterland

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11: MARTIN AMANSHAUSER, „Der Fisch in der Streichholzschachtel“

  • Spaßroman, dick aufgetragen – aber originell und sympatisch schrullig.
  • 576 Seiten, 27. Juli, Deuticke

„Auf der Karibik-Kreuzfahrt, die Fred mit seiner Frau Tamara und dem pubertären Nachwuchs unternimmt, herrscht Langeweile. Dann trifft er an Bord ausgerechnet auf seine Exfreundin Amélie, das Schiff gerät in einen Orkan, der Kontakt zur Außenwelt ist unterbrochen und eine Horde eigenwilliger Piraten aus der Vergangenheit kapert das Schif. Diese haben es auf Pfefferstreuer und Toilettenpapier abgesehen und reagieren panisch auf die technischen Errungenschaften aus dem 21. Jahrhundert. Eine hinreißende Satire, eine Liebesgeschichte mit Humor aus einer Welt voller Wunder.“ [Klappentext, gekürzt]

Der Fisch in der Streichholzsch​achtel

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12: EDITH WHARTON, „Zeit der Unschuld“

  • Neuauflage des US-Gesellschaftsromans von 1920.
  • 400 Seiten, 8. September, Manesse

„Der ehrgeizige New Yorker Anwalt Newland Archer muss sich entscheiden: Will er sein Leben mit May Welland teilen, einer jungen Frau aus gutem Haus und wie geschaffen für sein berufliches Fortkommen? Oder steht er zu seinen Gefühlen für Mays Cousine Ellen Olenska, die im Begriff ist, gegen alle Konventionen zu verstoßen?“ [Klappentext, gekürzt]

Zeit der Unschuld

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13: WILLIAM FAULKNER, „Absalom, Absalom!“

  • düsterer, anspruchsvoller Südstaaten-Romanklassiker in neuer Übersetzung
  • 480 Seiten, 25. September, Rowohlt

„In neuer Übersetzung von Nikolaus Stingl: Aus der biblischen Geschichte von Absalom, in die Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs versetzt, wird die Geschichte der Sutpens, die sich über mehr als ein Jahrhundert erstreckt. Thomas Sutpen stammt aus einer armen weißen Familie, heiratet auf Haiti die reiche Eulalia Bon und taucht 1833 plötzlich mit einem Haufen schwarzer Sklaven in Jefferson auf, wo er Land kauft, ein Herrenhaus errichtet, ein zweites Mal heiratet und gesellschaftliches Ansehen erwirbt. Es geht um Schuld und Schuldgefühle der Sklavenhaltergesellschaft, den unmöglichen Versuch, die Niederlage im Bürgerkrieg als notwendig zu erkennen, die Macht des Geldes und die Verwüstungen, die es anrichtet.“ [Klappentext, gekürzt]

Absalom, Absalom!

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14: EMILY ST. JOHN MANDEL, „Das Licht der letzten Tage“

  • ein sanfter und stiller Roman über den Alltag einer Wandertheatertruppe, 20 Jahre nach einer verheerenden, weltweiten (?) Seuche.
  • 416 Seiten, 14. September, Piper

nichtssagender, entsetzlicher deutscher Kitsch-Klappentext: „Niemand konnte ahnen, wie zerbrechlich unsere Welt ist. Ein Wimpernschlag, und sie ging unter. Doch selbst jetzt, während das Licht der letzten Tage langsam schwindet, geben die Überlebenden nicht auf. Sie haben nicht vergessen, wie wunderschön die Welt war. Sie vermissen all das, was einst so wundervoll und selbstverständlich war, und sie weigern sich zu akzeptieren, dass alles für immer verloren sein soll. Auf ihrem Weg werden sie von Hoffnung geleitet – und Zuversicht. Denn selbst das schwächste Licht erhellt die Dunkelheit. Immer.“

Das Licht der letzten Tage

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15: WILLY VLAUTIN, „Die Freien“

  • Vlautins Romane sind mir oft zu dick aufgetragen und mit zu schlichtem Gut-Böse-Rollen. Hier geht es um ein Ensemble – deshalb bin ich optimistisch(er).
  • 320 Seiten, 5. Oktober, Berlin Verlag

„Versehrt ist Leroy Kervin aus dem Einsatz im Irak zurückgekehrt. Jetzt kämpft er ums Überleben. Und die Menschen an seiner Seite haben in ihrem Alltag nicht weniger zu kämpfen: Für Freddie McCall ist die Nachtschicht in Leroys Wohngruppe nur einer der Jobs, die er braucht, um die Arztrechnungen seiner Tochter zu bezahlen. Die Krankenschwester Pauline kämpft verzweifelt um das Leben ihrer jungen Patientin Jo. Für die Helden dieses Buches sind die USA ein kaltes Land ohne Gnade. Freiheit? Für die einfachen Menschen scheint es sie nicht zu geben.“ [Klappentext, gekürzt]

Die Freien

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16: OLIVER BOTTINI, „Im weißen Kreis“

  • Freiburg-Krimis (Band 6 einer Reihe), stilistisch überzeugend. Die Beschreibung des Plots klingt überkonstruiert und „Tatort“-haft.
  • 350 Seiten, 24. September, Dumont

„Louise Bonì, Hauptkommissarin der Kripo Freiburg, erhält von einer Informantin den Hinweis, dass ein Mann zwei Waffen bei russischen Kriminellen gekauft habe. Ihre Ermittlungen führen sie in die Neonazi-Szene, und durch einen Zeitungsartikel stößt sie auf ein »perfektes Opfer«: Ludwig Kabangu, ein Ruander, der von der Universität Freiburg die Gebeine eines Ahnen zurückfordert. Deutsche Wissenschaftler hatten diese hundert Jahre zuvor zum Zweck der Rassenforschung nach Freiburg gebracht.“ [Klappentext, gekürzt]

Im weißen Kreis

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17: CLAIRE NORTH, „Die vielen Leben des Harry August“

  • süffiger und klug konstruierter Young-Adult-Science-Fiction-Roman
  • 496 Seiten, 12. November, Lübbe

„Harry August stirbt. Mal wieder. Es ist das elfte Mal. Er weiß genau, wie es weitergehen wird: Er wird erneut im Jahr 1919 geboren werden — mit all dem Wissen seiner vorherigen Leben. Harry hat akzeptiert, dass er in dieser Zeitschleife festhängt, auch wenn er nicht weiß, wieso. Doch dann steht plötzlich ein junges Mädchen an seinem Sterbebett und überbringt ihm eine erschütternde Botschaft: Der Untergang der Welt steht bevor! Und das auslösende Ereignis findet vermutlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt. Harry, der bald wieder im Jahr 1919 sein wird, muss nun nicht weniger tun, als diese Zukunft zu verhindern.“ [Klappentext, minimal gekürzt]

Die vielen Leben des Harry August

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18: HORACIO CASTELLANOS MOYA, „Der Traum von Rückkehr“

  • Thema? toll. Stil? toll. ich wünschte nur, das Buch wäre länger und hätte mehr Zeit, diese Themen auszuloten.
  • 176 Seiten, 20. August, S. Fischer

„Der große Exilroman des salvadorianischen Schriftstellers. Zweimal aus dem Heimatland vertrieben, ist ›Der Traum von Rückkehr‹ ein persönlicher: Mit trockenem Humor und einer gehörigen Portion Selbstironie enthüllt der Protagonist Erasmo Aragón eine ebenso spannende wie verworrene Geschichte. Das politische wird zum existentiellen Exil.“ [Klappentext, gekürzt]

Der Traum von Rückkehr

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19: DARRAGH McKEON, „Alles Stehende verdampft“

  • die ersten Seiten lesen sich wie ein gut gemeinter TV-Mehrteiler vom „Emergency Room“-Team: ein bisschen behäbig, aber toll recherchiert.
  • 464 Seiten, 11. September, Ullstein

„April 1986, ein kalter Frühlingsmorgen in Weißrussland. Der dreizehnjährige Artjom darf zum ersten Mal mit den Männern des Dorfes auf die Jagd gehen. Das Vieh auf den Weiden blutet aus den Ohren, und kurz darauf fallen die Vögel tot vom Himmel. Im benachbarten Tschernobyl ist das Undenkbare passiert. Die Katastrophe von Tschernobyl teilt das Leben in ein Davor und ein Danach ein: Der Bauernsohn aus Weißrussland, der Moskauer Chirurg vor den Trümmern seiner Ehe, seine Exfrau, die Dissidentin, und ihr Neffe, das Klavierwunderkind, sie alle werden durch den Super-GAU unwiderruflich verändert. Darragh McKeon zeichnet das Psychogramm einer hochtechnisierten Gesellschaft im Angesicht einer selbstverursachten Katastrophe. In eindringlichen Bildern und mit großem Einfühlungsvermögen für seine Figuren zeigt der Autor, wie eine solche Ausnahmesituation Menschen zu Fall bringen und Staatsapparate zerstören kann.“ [(toller) Klappentext, nur leicht gekürzt]

Alles Stehende verdampft

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20: LISA WILLIAMSON, „Zusammen werden wir leuchten“

  • Jugendbuch über eine junge Transsexuelle: sympathische Ich-Erzählerin, aber alles ein bisschen schlicht gestrickt, langsames Erzähltempo
  • 384 Seiten, 10. Dezember, S. Fischer

„Es ist Davids vierzehnter Geburtstag und als er die Kerzen ausbläst, ist sein sehnlichster Wunsch… ein Mädchen zu sein. Das seinen Eltern zu beichten, steht auf seiner To-do-Liste für den Sommer – gaaaanz unten. Bisher wissen nur seine Freunde Essie und Felix Bescheid, die bedingungslos zu ihm halten und mit denen er jede Peinlichkeit weglachen kann. Aber wird David jemals als Mädchen leben können? Und warum fasziniert ihn der geheimnisvolle Neue in der Schule so sehr?“ [unangenehm biederer Klappentext: Transsexualität ist keine „Peinlichkeit“, die „gebeichtet“ werden muss]

Zusammen werden wir leuchten


21: KATE RACCULIA, „Willkommen im Bellweather Hotel“

  • „Glee“ trifft „The Shining“? eine Young-Adult-Satire mit überdrehten und exzentrischen Musikern
  • 448 Seiten, 23. November, Limes

„Jedes Jahr im November findet in dem alten, einst prachtvollen Bellweather Hotel ein landesweiter Musikwettbewerb statt. Hunderte von Nachwuchstalenten strömen durch die Flure, darunter auch der schüchterne Rabbit Hatmaker und seine divenhafte Zwillingsschwester Alice, die bereits jetzt an ihren Memoiren schreibt. Auch Minnie Graves ist nach fünfzehn Jahren zum ersten Mal ins Bellweather zurückgekehrt. Damals, als kleines Mädchen, wurde sie Zeugin einer schrecklichen Tragödie, die sich in Zimmer 712 ereignete. Als die Hotelgäste von einem gewaltigen Schneesturm überrascht werden und eine begnadete Flötistin verschwindet – ausgerechnet aus Zimmer 712 –, treffen bei der Suche Personen aufeinander, die mehr miteinander gemeinsam haben, als sie ahnen.“ [Klappentext, gekürzt]

Willkommen im Bellweather Hotel

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Bonus:

drei Bücher aus Frühsommer und Frühling, die ich erst jetzt entdeckte:

ANN LECKIE, „Die Maschinen“

  • sperriger, aber preisgekrönter Science-Fiction-Roman über eine künstliche Intelligenz und ihre Rolle als Kriegsmaschine
  • 544 Seiten, 9. Februar, Heyne

„Was wird aus den Menschen, wenn die Maschinen frei sein wollen? Breq ist eine Kämpferin, die auf einem einsamen Planeten auf Rache sinnt. Hinter ihrer verletzlichen, menschlichen Fassade verbirgt sich mehr: Sie wurde von den Radch geschaffen, die nach und nach das gesamte Universum unterworfen haben. Breq ist nur dem Äußeren nach eine Frau, vor allem aber ist sie ist eine perfekt konstruierte Maschine, abgerichtet zum Erobern und Töten. Nun aber beschließt sie das Unmögliche: Ganz allein will sie es mit Anaander Mianaai aufnehmen, dem unbesiegbaren Herrscher der Radch. Denn Breq will endlich frei sein.“ [Klappentext, gekürzt]

Die Maschinen

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POLINA SCHEREBZOWA, „Polinas Tagebuch“

  • simples, bewegendes Tagebuch einer jungen Tschetschenin
  • 592 Seiten, 6. März, Rowohlt

„Neun Jahre alt war Polina Scherebzowa, als in Grosny Krieg ausbrach. In diesem Jahr, 1994, begann sie ihr Tagebuch, das sie zehn Jahre lang und über einen zweiten Konflikt hinaus führte. Es ist eine fesselnde Chronik vom Leben in Zeiten des Krieges, von der Schönheit und Grausamkeit des Daseins, die Polina stilistisch glänzend und mit der tiefen Lakonie eines Kindes, später einer jungen Frau beschreibt.“ [Klappentext, gekürzt]

Polinas Tagebuch

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SUSAN ABULHAWA, „Als die Sonne im Meer verschwand“

  • Mainstream-Roman über Israel und den Gazastreifen, klar und sympathisch erzählt
  • 448 Seiten, 23. November, Limes

„In Amerika aufgewachsen, kennt die Palästinenserin Nur die malerischen Dörfer ihrer Heimat bloß aus den Erzählungen ihres Großvaters. Doch dann trifft sie Jamal, der als Arzt in Gaza arbeitet und sie dorthin einlädt. Zum ersten Mal reist Nur zu ihrer Familie und erlebt, wie eng deren Geschichte mit der Israels und Palästinas verflochten ist.“ [Klappentext, gekürzt]

Als die Sonne im Meer verschwand

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verwandte Posts:

#blogfragen für Buchblogger: 15 Fragen, zum Mitnehmen und Beantworten

blogfragen

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Ich kenne tolle Buchblogs und tolle Leser*innen und Rezensent*innen. Aber ich habe viele Fragen, die mir die „über mich“-Seite oder die kurzen persönlichen Gespräche mit Bloggern oft nicht beantworten.

Deshalb habe ich – aus Neugier und ohne besondere Forschungs-, Umfrage- oder Analyse-Absicht – 15 Fragen gesammelt, die ich fast jedem Literaturblogger gern stellen würde. Falls ihr Zeit und Lust habt:

Leitet sie weiter. Beantwortet so viele (oder wenige), wie ihr wollt.

Ergänzt und kommentiert.

Ich freue mich auf Antworten und Antwort-Postings in euren eigenen Blogs: kurz oder lang. ausführlich oder in Bruchstücken.

meine Fragen:

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01 Das Lieblingsbuch meiner Mutter:

02 Das Lieblingsbuch meines Vaters:

03 Ich führe einen typischen Buchblog, weil…

04 Ich bin anders als die Blogs, die ich gern lese, weil…

05 Am Bloggen überrascht mich / beim Bloggen habe ich gelernt, dass…

06 Helfen Amazon-Rezensionen? Wobei? Wie?

07 Hilft Literaturkritik in Zeitungen und Magazinen? Wobei? Wie?

08 Helfen Blogs? Wobei? Wie? Wem?

09 Wahr oder falsch: „Ich blogge vor allem, weil ich mich über Bücher austauschen will und im persönlichen Umfeld nicht genug Menschen habe, mit denen ich das könnte.“

10 Mein persönlicher Geschmack und meine Prinzipien beim Lesen und Bewerten:

11 Wer liest mich? Habe ich eine Zielgruppe?

12 Habe ich Vorbilder?

13 Welche Ratschläge würde ich meinem früheren Lese-Ich geben? Kann man lernen, Bücher besser auszusuchen, zu entdecken und zu genießen? Wie?

14 „Verlage brauchen mich für PR. Sie brauchen mich mehr, als ich sie brauche“ …oder „Toll! Autoren und Presseabteilungen suchen Kontakt und bieten mir Bücher an. Was für ein Glück!“ Was überwiegt?

15 Was soll sich tun in meinem Blog und in meinem Leser-/Schreiber-Leben in den nächsten fünf Jahren:

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eine offene, kompliziertere Frage, die mich selbst sehr beschäftigt: Bei wieviel Prozent der Bücher, die ich gelesen habe, denke ich danach: Mist. Ich wünschte, ich hätte das nie gelesen…? Steigt oder fällt diese Prozentzahl, Jahr für Jahr. Und: Warum?

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BELLA triste Essay Stefan Mesch WordPress 06

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Bonus: Empfehlungen!

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Ein Buch, das fast niemand mag – aber das ich liebe: [warum?]

Ein Buch, das fast alle mögen – aber das mich wütend oder ratlos macht: [warum?]

Ein Buch, das ich bekannter gemacht habe:

Ein Buch, vor dem ich oft und gern warne:

Ein schlechtes Buch, das ich gut fand:

Ein gutes Buch, das ich schlecht fand:

Ein Geheimtipp, der bisher in Blogs noch kaum besprochen wurde:

Ein Buch, das viel zu oft überall besprochen wurde:

Ein gutes Buch von/über jemandem/n, der ganz anders ist als ich selbst:

Ein gutes Buch von/über jemandem/n, der ganz anders denkt als ich selbst:

Ein Buch, von dessen Gestaltung/Cover/Design sich Verlage eine Scheibe abschneiden könnten:

Ein anderes Produkt, von dessen Gestaltung/Cover/Design ich Verlage eine Scheibe abschneiden könnten:

Das netteste Presseteam / die schönste Erfahrung mit einem Verlag:

Autor*innen, die tolle Inhalte auf Facebook und Twitter posten:

mein(e) Lieblingskritiker*in/Journalist*in:

ein toller Text/Beitrag aus einem Verlagsblog:

ein Lieblings-Blogbeitrag (kein ganzer Blog):

ein Blogbeitrag von mir selbst, auf den ich stolz bin: 

mein erfolgreichster Text/Beitrag:

ein Text/Beitrag von mir, der wenig Beachtung fand, aber mehr Beachtung verdient:

eine Frage, die diesem Fragebogen fehlt:

und, zum Vervollständigen:

„Das neue literarische Quartett…“

„Auf der Buchmesse…“

„Ich bin sehr überraschend und unerwartet auf ein gutes Buch gestoßen. Und zwar…“

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Frankfurter Buchmesse 2011 WordPress

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Ich liebe Fragebögen.

Ich habe viele geschrieben, u.a. an meinen Ex-Professor, an den größten „Green Lantern“-Comicfan, Sally Pascale, an die Literaturkritik und, für Deutschlandradiokultur, „fiese Fragen“, die u.a. Karla Paul, Hans Hütt, Tilman Winterling, [edit, 2018:] Linus Giese und Christiane Frohmann beantwortet haben.

Ich beantworte auch gerne Fragebögen, z.B. für die ZEIT, Christoph Kochs „Mein Medien-Menü“ oder den Open Mike. Im Mai habe ich Fragen über meine Arbeit als Übersetzer beantwortet, hier (Link).

Ich freue mich über jeden Blog-Autoren, der meine Fragen beantworten will – und bin gespannt auf die Antworten.