Der Prozess des Prozesses
„Allerdings hatte er es mit einem Konvolut von losen, meist beidseitig beschriebenen und aus verschiedenen Quartheften herausgerissenen Blättern zu tun, bei dem eigentlich nur feststand, was der Anfang und was das Ende war. Zwar hatte Kafka das Material rudimentär in Bündel geordnet – jene mit fertigen «Kapiteln» hatte er mit Deckblättern und jene mit unfertigen «Kapiteln» mit Einschlagblättern (aus dem Typoskript des «Heizers»!) versehen, wobei er auf jedes der Blätter stichwortartig Inhaltsangabe bzw. «Titel» notierte. Indes ging aus dem Sammelsurium von Fertigem, Halbfertigem und Angerissenem weder die Abfolge der Handlung klar hervor noch, was genau als Teil oder Fragment zu werten war.
Es war Brod wichtig, die Dinge zu vereinfachen, zu bündeln und zu glätten, um einer breiteren Leserschaft «eine eigenwillige, befremdliche nicht zur Gänze vollendete Dichtwelt zu erschliessen» – und sie nicht mit dem Fragmentcharakter des Romans zu belasten. Brod setzte die Stücke nach Bauchgefühl zusammen, wobei er nicht eben zimperlich verfuhr, was Ergänzungen (von Kommas und Punkten), Vereinheitlichungen (von Namen), Weglassungen, Verschiebungen sowie Korrekturen von (wirklichen – «ich» statt «er» – und vermeintlichen) Fehlern betraf. Was nicht passte, liess er zunächst weg und verbannte er später in einen Anhang mit Bruchstücken. Für die Drucklegung schrieb er sogar eigenhändig Steno-Transkriptionen und Anweisungen auf die Manuskripte. …
Dank Max Brods Verve konnte «Der Prozess» nur zehn Monate nach Kafkas Tod im Berliner Verlag Die Schmiede 1925 erscheinen.“
Andreas Breitenstein berichtet in der NZZ über die aktuelle Ausstellung „Der ganze Prozess“ im Literaturmuseum der Moderne in Marbach, die noch bis zum 9. Februar läuft.
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