Literatur auf dem Monte Verità
Heute erzählt Jan Küveler in der WELT vom zweiten Literaturfestival in Ascona auf dem Berg der Wahrheit:
„Während der Fahrt vom Aeroporto Lugano herüber an den Lago Maggiore, an dessen nordwestlichem Ufer sich der Monte Verità erhebt, auf dessen Gipfel das Literaturfest Eventi Letterari stattfinden sollte, hatte mich meine Mitreisende, die polnische Autorin Joanna Bator gefragt, wie sie so sei, die Herta Müller. Und weil wir gerade über Körpergröße sprachen, hatte ich gesagt: "eine winzig kleine Person, die nie größer sein wollte."
Wie auch, wenn die prägenden Ereignisse ihres Lebens erdrückend waren. Müller war wohl eingeladen worden, weil das Festivalthema "Utopie und Dämonen" lautete und sie die Überlebende einer Utopie ist, des Kommunismus, den es bekanntlich – das ist ja das Wesen von Utopien – nie gab. In Wirklichkeit, zum Beispiel im Arbeitslager Nowo-Gorlowka, von dem sie im Roman "Atemschaukel" aus dem Nobelpreisjahr 2009 berichtet und aus dem sie jetzt las, gab es nur Greuel und Grausamkeiten.
Die Menschlichkeit zeigte sich höchstens in Form eines Taschentuchs, ein Geschenk, das der nach dem Dichter Oskar Pastior modellierte Held des Buchs von einer ukrainischen Bäuerin erhält, die innerlich um ihren zum Kriegsdienst verdonnerten Sohn weint. Weiß und aus knisterndem Batist, ist es viel zu schade zum Hineinschneuzen. Es dient vielmehr dazu, ein frisch geborenes Geschwisterrudel Mäuse in die Latrine zu tragen, ins dunkle Loch eines gnädigen Todes.“
Neuen Kommentar schreiben