Lust am Text
Roland Barthes 1967 (Quelle: politicsoffashionuiuc.wordpress.com)
Klaus Englert rezensierte gestern im Deutschlandfunk:
Ottmar Ette: "Roland Barthes. Landschaften der Theorie". Konstanz University Press 2013
"Ettes Buch erkundet die Denk- und Schreiblandschaften von Roland Barthes. Es handelt von den Überschwemmungen in Paris, vom Eifelturm und der Pariser Stadtlandschaft, von den Landschaften Griechenlands. Schließlich vom verschiedenen Blick auf die Landschaften: dem wissenschaftlichen und literarischen Blick, dem fotografischen und poetischen Blick. Ottmar Ette erkundet, wie Barthes durch diese unerwarteten Verknüpfungen zu einem neuen Sehen und Denken beiträgt.
Eine berühmte französische Karikatur von Maurice Henry zeigt vier Indianer im Lendenschurz, die um ein Lagerfeuer sitzen: Michel Foucault ergreift gestikulierend das Wort, Jacques Lacan sitzt stoisch mit verschränkten Armen daneben, Claude Lévi-Strauss vertieft sich in ein Manuskript. Nur Roland Barthes, der vierte Indianer, ist dem Wortführer zugewandt: Er stützt seine Arme nach hinten ab und hört seinem Gegenüber aufmerksam zu.
Als Maurice Henry 1967 die Karikatur veröffentlichte, war Roland Barthes im Zenith seiner kometenhaften Karriere angelangt. Der französische Semiologe befand sich gerade in einem folgenschweren Umbruch: Ein Jahr zuvor fügte er noch die Bausteine seiner streng strukturalistischen Literaturtheorie zusammen. Doch bereits im Revolutionsjahr 1968 stellt er diese Methode, die den Text als Ordnungsgefüge enthüllt, bereits radikal in Frage: In einer lustvollen Balzac-Lektüre vergleicht er den Text mit einem "Sternenhimmel", der unendlich viele Zugänge bietet. Plötzlich war die Redeweise vom "pluralen Text" geboren, einem Text, dessen Struktur nicht homogen, sondern – wie Roland Barthes betont - "ständig gebrochen" ist. Wenig später publizierte Barthes, der die seltene Gabe besaß, Wissenschaft und Literatur miteinander zu vereinen, "Le plaisir du texte" – "Die Lust am Text"."
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