Herr Claussen, was hat der Mittwochabend mit der europäischen Identität zu tun?
Identität gibt es nur dann, wenn man gemeinsam etwas erlebt. Das meiste, was man teilen kann, ist lokal oder höchstens national – eine Wahl zum Beispiel. Der Europapokal schuf ein Gefühl von Konkurrenz auf einem vergleichbaren Niveau und Zusammengehörigkeit. Die Champions League hat dieses Gefühl verstetigt.
Welche Rolle spielte das Bosman-Urteil für den europäischen Fußball?
Obwohl viel gejammert wurde, war das Bosman-Urteil für alle Europäer wichtig. Die freie Wahl des Arbeitsplatzes jenseits nationaler Grenzen ist ein Grundrecht aller Arbeitnehmer. Die Stars können das verlangen, aber auch wir selbst.
Soziologisch betrachtet – wird das Phänomen Fußball in seiner Wirkmächtigkeit auf Gesellschaften immer noch unterschätzt?
Der Fußball wirkt nicht auf Gesellschaften, er ist ein Teil von ihnen. Aber er ist keine »wichtige Nebensache« mehr, wie noch im 20. Jahrhundert. Am Fußball lässt sich viel ablesen, was gut und was schlecht in einer Gesellschaft funktioniert. Das heißt nicht, dass die Gesellschaft des Weltmeisters auch die beste ist; denn der Fußball hat in der Tat auch seine eigenen Gesetze. Das Unvorhersehbare ist einer seiner schönsten thrills.
Lesen Sie Detlev Claussens Essay ›Europa, immer wieder mittwochs‹ auf www.eutopiamagazine.eu
»Eutopia« wird gemeinsam herausgegeben von den Verlagen Editori Laterza (Italien), Éditions du Seuil (Frankreich), Editorial Debate (Spanien) und S. Fischer (Deutschland). Weitere Kooperationspartner sind das European Institute der London School of Economics und das Telekommunikationsunternehmen Telecom Italia.