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Hundertvierzehn | Essay
Kein offener Krieg

Beim Zusammenstellen von »Hundertvierzehn Gedichte« war das Ziel, die gegenwärtig aktiven Autoren möglichst vollständig in die Sammlung aufzunehmen. Ann Cotten wollte uns kein Gedicht zur Verfügung stellen – stattdessen hat sie einen Essay über die Hintergründe der pauschalen Ablehnung der Teilnahme am Projekt »Hundertvierzehn Gedichte« geschrieben.

 
Ann Cotten

Ann Cotten wurde 1982 in Iowa geboren und wuchs in Wien auf. Ihre literarische Arbeit wird nicht nur in der Literaturszene, sondern auch in den Bereichen der Bildenden Kunst und der Theorie geschätzt und wurde zuletzt mit dem Klopstock-Preis und dem Ernst-Bloch-Förderpreis ausgezeichnet. Sie lebt in Wien und Berlin.

Für die Gelegenheit, mich mit einem einmaligen Beitrag so distanziert beteiligen zu dürfen, bedanke ich mich bei der Redaktion. Es ist, als ob ich mich für meine Ablehnung entschuldigen müsste: Pauschale Ablehnung einer Gesprächsgelegenheit vorab schaut arrogant aus, und besonders unbeliebt macht man sich natürlich bei denen, die mitmachen. Es ist halt so, dass die differenziertesten Überlegungen auch nur in einem Ja oder Nein münden. Daher ist es vielleicht ganz gut, wenn ich noch was dazu sagen kann.

Gedichte stellen eine unendliche Provokation dar, und daher unterhalte ich mich oft und gerne über sie, doch nicht unter allen Bedingungen. Das Genre des Online-Kommentars ist strukturell eine Maschine für Unverhältnismäßigkeit und Ärger. Liegt es an seiner Unendlichkeit, seinem Nichtort – trotz des schönen Layouts –, seiner tiefsitzenden Ineffektivität? Dieses Genre scheint aus irgendwelchen Gründen immer das Schlimmste aus allen herauszuholen. Als müssten sie die Peinlichkeit der Tatsache, dass sie hier sitzen und rumgiften, an den anderen rächen.

Hundertvierzehn Gedichte

Alle Gedichte finden Sie hier

Gerade in der versatilen Klamotte der Gedichtbesprechung ist viel möglich, und es geschah auch viel. Das Tricksterhafte des Gedichts hilft dabei, bekannte diskursive Sackgassen zu vermeiden. Die Gedichte sollen den Raum dazu schaffen, haben aber nicht etwa das exklusive Recht, anders zu sprechen: unerhörte Sprechakte anzuwenden oder wenigstens aus den ödesten Diskursschienen auszubrechen. Immerhin schaffen sie Spielraum. Wo Sprache sozialen Regeln unterliegt, mehr, als dass sie sie gestalten kann, ist das radikale Sprechexperiment schwerer zu leben. Umgekehrt wird, merkt man ja, beim wilden Sprechen das Soziale unberechenbar, die Hackordnungen geraten durcheinander und so weiter. Also voll die Anarchie beim Gedichtebesprechen an sich. Bei der Anarchie kommt alles darauf an, mit wem zusammen man sie zu navigieren hat.

Spielregeln

114 Gedichte (von 88 lebenden Gegenwartsautorinnen und -autoren und 18 Geistern) werden von sechs Leserinnen und Lesern, einem Zeichner und den Autorinnen und Autoren der Gedichte durch Randnotizen (bis zu 500 Zeichen) kommentiert.
Auch die Randnotizen können kommentiert werden.
Die Gedichte werden wöchentlich in Gruppen veröffentlicht (zuerst 39 Gedichte am 24.2., dann drei Mal je 25 Gedichte am 2., 9. und 16. März), die Randnotizen täglich erweitert. Die Autorinnen und Autoren werden erst in einem Anhang genannt.
Die Gedichte und Randnotizen begleiten drei Essays: Franz Mon schreibt hier über das Vorbild von »Hundertvierzehn Gedichte«, Michael Braun erörtert hier Möglichkeiten, über Lyrik zu schreiben, und Ann Cotten schreibt hier über die Hintergründe der pauschalen Ablehnung der Teilnahme an dem Projekt.

Es waren ein paar Namen, die Anlage »auf nett« (die immer Fiesheiten in den Ecken ausbrütet) und das technisch-mediale Dispositiv, die ausschlaggebend waren für die Entscheidung, dass, sich hier zu beteiligen, einem langgezogenen Ärgernis gleichkommen würde. Die Namen repräsentieren einen Typus männlicher egokranker Sensibelchen, dessen Zutext-Potential ich fürchten gelernt habe. Urteilsorientiert. Darum soll es im Folgenden gehen. Diesen Typus halte ich nicht für eine inferiore Rasse oder so etwas, sondern bloß für ein Phänomen der Zeiten wie das der Checker-Zicke Er ist eine Ausgeburt der Übergangszeit von einer chauvinistisch organisierten zu einer gleichberechtigteren Gesellschaft. Ein Phänomen, für das niemand etwas kann, das aber trotzdem nervt, besonders wenn es sich mit Relikten realer Machtstrukturen zu beklemmend unfreien Situationen kombiniert. Meine Hoffnung beim Schreiben von Text hierzu wäre, dass eine abstrakte Beschreibung oder Karikatur ein paar typische Deformationen lächerlich und dadurch rar machen könnte. Ich halte übrigens jeden, mich und alle anderen, für mehr oder weniger unschuldige Spielbälle ihrer Situation und ihres Charakters. Die Verantwortlichkeit und somit Schuld für den eigenen Nervfaktor beschränkt sich auf diesen kleinen Spielraum des »mehr oder weniger«. Wenn einer wenigstens auf die Idee kommt, dass er nerven könnte, verzeiht man ihm eh schon viel.

Eitelkeit, wie sie mir und den meisten, die veröffentlichen, eigen ist, ist wohl der allerklassischste Charakterfehler von Schriftstellern. Er erscheint wie Maulwurfshügel ein bisschen, aber nicht allzu sehr überraschend. Nichts lähmt mehr als das Dispositiv, erfolgreich zu sein, ob positiv oder negativ gewendet, und eventuell sieht man mich deswegen andauernd irgendwo am Glatteis schlittern: Ich möchte natürlich nicht selbst in diese Falle tappen, schon gar nicht im illusorischen Berufsbild »erfolgreicher Dichter«. Es gibt aber noch bessere Gründe für mich, nicht mitzumachen. Nicht nur schreibe ich selten und aus den falschen Gründen Gedichte, sondern ich bin auch eine notorisch schlechte Leserin von Lyrik, unduldsam, immer bereit, das Buch zuzuklappen oder sich über irgendwas aufzuregen, nur um vom Gedicht wegzukommen. Das Arsch-sein ist mir offenbar unterhaltsamer als das seriöse Lesen von Lyrik. Wie Mr. Jackson mir aufzeigte, kommt nicht immer meine schlechte Laune von schlechten Texten, manchmal ist es auch umgekehrt. Und wenn ich dann doch ernsthaft lese, bemerke ich, dass ihr die Qualitäten, die ich bemerke, die ganze Zeit schon besprecht. Gedichte als brave Arbeit. Als Arbeitsweise. Als Methode der Erkundung von Gebieten, Dérive. Da seid ihr alle schon längst unterwegs, und ich stehe noch und wundere mich.

Was ich beitragen kann, ist also ohnehin nur eine Posse, eine Karikatur von Lyrik, von Lyrikkritik. Nutzbar machen, was man aus welchen Gründen dagegen haben kann. Wie eine Meinung aussieht, wenn sie nabeltief im Meer steht. Nehmt also hier Kritik und Karikatur als Zeichen, dass ich Lyrik und Meinungen sehr wohl respektiere und nicht einfach vermeide.


Die Plastikschwemme

Es liegt anscheinend in der Natur von Diskursveranstaltungen, dass im Vorfeld die rosigsten Vorstellungen herrschen über die guten Gespräche und Erkenntnisse, die durch sie ermöglicht werden, sonst wäre es ja auch schwer, die Energie und das Geld aufzubringen, sie zu organisieren. Diese Vorstellungen, deren imaginiertes Niveau durch die notwendige Selbstrechtfertigung in der zunehmenden Dichte der Veranstaltungen in schwindelerregende Höhen steigt, kann nur enttäuscht werden. Das ist nicht so schlimm, wie es klingt. Es entspricht einfach der Vorgehensweise beim Aufbau aller großen und kleinen Unternehmen.

Trotzdem befinden wir uns gegenwärtig in einer kollektiven Hilflosigkeit, was das Leben mit Text betrifft. Keiner würde Nein zu Kultur sagen wollen, doch jedem ist klar, dass es zu viel Text gibt, was den Text als Kommunikationsform schwächt. Von daher ist es völlig richtig, den Fokus auf Konzeptionen zu richten: Über alles wurde schon mal gesprochen oder geschrieben, und es ist auch zugänglich. Keine Vergriffenheit gibt mehr Anlass zu einer paradigmatischen Neusichtung von irgendwas, alles könnte man immer neu sichten, nur muss es halt dann auch allen mitgeteilt werden, damit sie nicht ihrerseits zugleich anders sichten. Das heißt, die Werbe-Robotik der Wichtigkeitsproklamation rennt, rennt, bis sie an eine Wand kommt, dann weiter: denn alles ist unendlich wichtig und braucht maximal viel Geld und Unterstützung. So die Dynamik des Umherhetzens im Netz, alle verdienen ihren Lebensunterhalt mit Kultur, also mit Wichtigkeit. Schon dabei gilt es, eine Strategie markanter Wege und Gewohnheiten zu entwickeln. Das ist Webdesign, war früher Buchdesign – und wurde bei »Hundertvierzehn Gedichte« fein realisiert.


Haken schlagen im Interweb

Wer schreibt also wo, zu wem, wann, wie und wie lang. Das ist die Frage, die sich eigentlich vor jedem Satz stellen muss. Der sogenannte Inhaltismus ist ein Relikt aus einer Zeit, wo schriftliche Äußerung bloß eine Selbstverständlichkeit war, ein Gebrauchsgegenstand im intellektuellen Leben, über den man nicht länger nachzudenken brauchte, weil er in ausreichendem Maß, aber nicht im Übermaß vorhanden war, und das war banal physikalisch bedingt, Papier, Tinte, Arbeit. Vor der Druckerpresse war die Schriftlichkeit ein aufregendes Problem, weil Text so rar war und so viel Schreibfleiß verlangte. Jetzt ist das Problem die unendliche Leichtigkeit, mit der Textmasse erzeugt werden kann. Vielleicht ist das sogar ein geheimer ästhetischer Aspekt der »Flüchtlingskrise«: Als Angstbild spiegelt die Vorstellung eines unendlichen Stroms von Menschen wie eine infernalische Karikatur den unendlichen Strom von Information.

Jetzt nagt also bei den Text gebrauchenden (und auf den Rest der Welt nervös schielenden) Individuen ein dringender, tief empfundener grundsätzlicher Textskeptizismus alles an und bringt doch weiterhin Texte hervor: Die Systeme sind träge. Ich nutze sie auch noch. Es ist so wie das Plastikproblem: während am Recycling[1] und an der Reduktion des Verpackungskonsums gearbeitet wird, steigt weiterhin – entsprechend der herrschenden ökonomischen Logik – die Produktion von Plastik ebenfalls an. Zum Glück kann man Text auch vermeiden, etwa am Land, in Erdlöchern wie dem Berghain etc. Aber unsere Psychen ähneln schon eher den naiven, am Plastik krepierenden Meeresvögeln. Programmiert aufs Buchstabenpicken, scheinen wir angesichts der mit blitzenden Reizen flottierenden Massen von Text den Automatismen unseres sprachlichen Begehrens ausgesetzt, das sich, wenn überhaupt, erst in ein paar hundert Jahren an die neue Textsituation anpassen wird.

Das kann man in Form von Mikrodramen bei der Besprechung von Gedichten beobachten. Was als Magenbewegung bei Reizung hurling heißt, ist eigentlich ein Versuch, die Bedingungen, nämlich etwas Ruhe, für die gesuchte verdauende Enzymreaktion herzustellen: das Urteil. Die Entscheidung. Es ist essentiell beim Import von Text in mein Gehirn und mein sozusagen Herz, welche beide im Vergleich zum mechanischen Teil des Lesens frustrierend langsam die zugeführten Texte verarbeiten.


Periphere Überhitzung

Das Bewusstsein bemerkt ja nicht nur das, worauf es zielt, sondern alle Daten aus der Peripherie. Zweck dieser Peripherwahrnehmung ist es, herannahende Gefahren zu erkennen, um sich darauf vorbereiten zu können. Mein Bewusstsein hält in dieser Zone etwa die Daten darüber bereit, wie viele Fenster auf dem Desktop und in der Realität offen sind, wie viele Aufgaben ich heute noch zu erledigen habe, wie lange mein Körper es noch in der Sitzposition aushält und so weiter. Diese Verarbeitung peripherer Wahrnehmung wird zugleich aber auch benutzt, um Verhältnismäßigkeit in meinem Verhalten zu gewährleisten. Orientierung wird aufgrund der bekannten Daten hergestellt, und automatisch schätze ich die relative Wichtigkeit der Angelegenheiten ein. Was bei Diskussionen passiert, in der Kneipe, am Gartenzaun und online, ist zu einem großen Anteil nichts anderes als ein Ausverhandeln dieser Verhältnismäßigkeiten. Man stimmt die Wahrnehmung aufeinander ab. Die Urteile werden im Übrigen in den seltensten Fällen binär vollstreckt, meistens erfolgt die Bewertung in der Währung von Zeit und Aufmerksamkeit, und der unendliche Talk[2] ist dabei gleichzeitig Theorie und Praxis.

Ganz normal ist es also, dass man das Denken ins Reden oder Schreiben auslagert und somit gewissermaßen kollektiviert, indem man sich vom Verlauf der Diskussion mitprägen lässt. Diese Dauerarbeit von allen Sprachbenutzern wurde historisch gestört von der Schriftlichkeit, die einen bestimmten Text fixierte. Es gab einen Zeitpunkt der Entscheidung für eine richtige, definitive, die Zukunft in künstlich erhöhtem Maß prägende Version.[3] Nun aber wird der unendliche Talk der Menschheit zum zweiten Mal durch eine Erfindung gestört, diesmal durch die unendlichen Wucherungen des selektiv reproduzierten Schriftlichen. Die Verbindung von allem mit jedem erhöht noch den überwältigenden Eindruck. All diese Orientierung umdröhnt ständig einen, dem es aus welchen Gründen auch immer – vielleicht wegen Neugier und Realismus – nicht gelingt, eine radikale, entschiedene Selektion bei sich selbst durchzusetzen. Das schlägt sich auf sehr verschiedene Weisen im Stil nieder.


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Schauprozesse

Ein Bekannter beschäftigt sich mit den Moskauer Schauprozessen, er macht eine Performance daraus. Wichtiger ist, dass er von seinen Lektüreeindrücken erzählt, aber die Performance muss halt sein. Mit Gedichten ist es so wie mit Performancekunst. Dass man sie als Produkt, also Objekt, behandelt, ist eine Absurdität der Funktionsweise der Marktwirtschaft.

Gedichte sind aber bekannterweise keine Konsumgüter, sondern schaffen eher Probleme.Aber es gibt naheliegende Lösungen. Ordnungssysteme, die mit den Gedichten doch zu Rande kommen. So bauen Gedichtkommentatoren Textchen, die wirken wie Sicherheitsnetze unter Akrobaten, »damit nichts wesentliches unter den Tisch fällt«. Unter den Tisch fällt, dass auch die Kommentare Form haben, sich nicht notwendigerweise eine Stufe unter die Gedichte (oder eine Stufe über sie) stellen müssen. Komischerweise gelingt die schöne Form am ehesten bei den leichthin geschriebenen, tatsächlich noch spielenden Kommentaren.


Zum moralischen oder gerichtlichen Aspekt

Es gibt nun kaum eine gründlichere Form der Machtrepräsentation, als die Zurschaustellung willkürlicher Fiktionen im Theater der Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit ist ein Vorwand. Das Theater wird benutzt. Bewundert und zur Kenntnis genommen werden sollen die Macht, das Geschick der Protagonisten. Ganz wie in der Justiz wollen die Individuen innerhalb des Studio-Gerichtssaals in ihren Anzügen glänzen, das heißt für deutsche Männer: Schneid zeigen. Das wiederum heißt für deutsche Männer, eine gewisse launische (»italienische«) Unberechenbarkeit an den Tag legen, mal richtig gemein sein, um Aufmerksamkeit zu bekommen, dann wieder überraschend sensibel, so, dass alle Exen, die mitlesen, sich weinend in drei Flaschen Rotwein verkriechen. Es entspricht den Verhaltenstechniken aufmerksamkeitsheischender Kleinkinder. Und sobald diese Dynamik anfängt, ist das Forum kaputt, das funktionieren soll wie eine Unterhaltung unter gebildeten Männern, das heißt, um den bekannten[4] Satz umzudrehen, wie ein Streichquartett. A certain level-headedness oder Augenhöhe. Nicht soll man klein sein, treten und brüllen, bis dank der nächsten Nuckelflasche (Gedicht) wieder kurz Ruhe einkehrt.


Ein plötzlicher Verdacht

Mit diesem Forum wird sich an den LyrikerInnen gerächt. Ihr schreibt, was ihr wollt, ihr Viecher? Wir schreiben auch, was wir wollen, und zwar über euch.
Das ist diese auffallende unappetitliche Note.
Freiheit verträgt sich nicht gut mit Rache. Ein Tropfen Rache vergällt hunderte Millionen Liter Freiheit.


Kommentare bitte in Socken, schelmisch schleichend

Im Grunde haben Elke Erb und Sascha Anderson mit »Berührung ist nur eine Randerscheinung« noch immer die besten mir bekannten Randnotizen zu Gedichten gemacht. Die Güte dieser Anthologie hat mit der Höllerers die konzentrierte, zugleich gewissenhafte und idiosynkratische Handschrift gemeinsam, die ermöglicht, Herausgeberschaft als den Filter einer natürlichen Person zu lesen, die sich um Umsicht und Professionalität bemüht, aber auch darum, den Gedichten mit allen Mitteln seiner notwendig privaten Geisteskraft gerecht zu werden. Aber alle köpfeln immer gleich ins Prinzipielle und plaudern auf Literaturwissenschaftsstudentisch daher, dass »es keine Objektivität gibt«, »jedes Urteil subjektiv« ist und so weiter, so dass genau das Feld von Anstand oder Professionalität, also die Möglichkeit, auch Gedichte zu schätzen, die man subjektiv nicht liebt, verschwindet.
Die Anonymität der Beiträge ist dann noch ein anderes Spiel, das, wie auch im Forum ausführlich besprochen wurde, nicht letztlich von großer Relevanz ist, ein Spiel eben. Die Qualität von Marginalien hängt von den Autoren ab. Keine Methode ist in der Lage, aus Betriebsheinis skrupulöse, schlaue, respektvolle Leute zu machen. Kein Autor aber ist ganz allein in der Lage, launige freie Formen mit Esprit zu meistern, es braucht dazu die Atmosphäre einer guten Gesellschaft, weil wesentlich dazu gehört, so zu schreiben, als ob man davon ausginge, dass das Gegenüber ebenso belesen, begeisterungsfähig, humorbegabt, höflich und sensibel ist wie man selbst. Das tun aber schon die Lyriker nicht. Ein guter Teil der Star-Lyriker scheinen im Glauben zu arbeiten, sie wären essentiell anders und ragten bedeutend zwischen ihren Lesern hervor, die uninteressante Leute sein müssen. Das ist unangenehm zu lesen.


Welche fucking Arena?

Beim Spiel »114 Anonyme Meister« geisterte ein völlig ungebetenes Daumen-Rauf-Runter durch die Meldungen, das doch niemand bestellt hatte. Als wäre das Modell der in Frage stehenden Sprechformen dem Kampfgluckentum gewisser Talentshows entnommen. Das Spiel, bekannte Autoren zu anonymisieren, zieht scheinbar eher die Energien derer an, die immer Appetit auf ein bisschen Intrige haben, und die alles in einer einzigen Währung messen, wobei den Goldwert die Qualitäten darstellen, für die sie sich selbst lieben. Sie störten die Ansätze zu beschreibender Erhellung mit ihrem intrigengeilen Gekläff. Die fast intimen Geständnisse von Lektüreeindrücken bräuchten aber einen Raum jenseits vom Tonfall der schnellen Urteile, und so war die Sache ja wohl auch gedacht gewesen. Bei Nacht zu nutzen und nicht im Rahmen des Tagesgeschäfts.

Im Grunde sind solche Bekenntnisse überhaupt nichts für eine zirzensische Öffentlichkeit, denn sofort schnappt auch bei ihnen der Reflex der ehrgeizigen Selbstdarsteller zu. Es findet genau das selbe Nacktturnen statt wie bei der Lyrik selbst: Meine Eindrücke sind zärtlicher als deine Eindrücke. Mein Geistesleben ist schärfer als das im Umland. Weil Kritiker sonst ihren Job verlieren könnten, weil sie in einer gewissen Logik nicht gut sein müssen, sondern bloß besser als die Konkurrenz. In ihren Brüsten schlagen die Herzen von Karriereleiterratten, meist als Zweitherzen implantiert.

Besonders nervt übrigens der voraussehbare Schlagabtausch derer, die bei jeder Gelegenheit erläutern, dass sie selbst ja keine Anonymität brauchen, weil sie von Natur aus mit einem unabhängigen Urteil geboren wurden (»ich geb ja nicht so viel auf die Namen, ich sehe nur den Text«). Wer das ausspricht, was ja eigentlich selbstverständlich ist, tut nichts, als allen anderen zu unterstellen, sich von namentlichem Ruhm beeindrucken zu lassen, was nur kindisch ist. Und besonders ärgerlich für die, die daran denken wollen, dass der Aspekt sich kontinuierlich entwickelnder Arbeit durchaus wesentlich sein kann. Die einzelnen Stücke wirklen ja wirklich manchmal geradezu lächerlich: ein paar Bretter zusammengenagelt, Krakelei und die üblichen Vorwürfe. Schon wieder nimmt man das werttragende Einzelobjekt so bierernst und stellt es in einer missverstandenen Überschätzung seiner Autonomie so hin, dass es keinem ernsten Blick mehr standhält. No man is an island, warum sollte es ein Gedicht sein?


Zur eigentlichen Frage

Was ist ein Gedicht? Worüber reden wir, wenn wir über Gedichte reden? Natürlich ist das Gedicht als Objekt ein Vorwand, ein »conversation piece«. Hier verweise ich auf das Reden über das an die Wand gehängte Gedicht im Rahmen der japanischen Teezeremonie. Es ist wahrscheinlich unvermeidlich, und es ist wahrscheinlich schon in Ordnung, dass es darauf keine verbindliche Antwort gibt. Das heißt aber, und das ist auch das Interessante an diesem Spiel, dass moralische und sittliche Gesetze herrschen. Kategorische Imperative gelten im Gedicht genauso wie im Umraum. Das Gedicht ist keine Nato-Enklave, kein Dejima, keine Narrenzone, kein Bärenkäfig mit heißer Eisenplatte. Das Coole ist: Das ist genau die Grundlage, dank welcher wir über Gedichte sprechen können. Aber die Art von Gedichten, die einer Krakauerwurst nachempfunden sind, ist schwer in sittliche Kategorien einzufügen, auch seine Teile nicht, weil man fürs respektvolle Besprechen doch ein Mindestmaß an Kontext braucht, sonst kann es bloß willkürliches Unsinnreden werden.
Aber was hat man gegen willkürliches Reden? Das ist das Mysterium der deutschen Lyrik, niemand wagt, es zu knacken. Aber jetzt, plötzlich, in der U2, Gleisdreieck, bei der Lektüre eines Gedichts dämmert es mir mit unerbittlicher Einleuchtung: Es ist eben die Sehnsucht nach Freiheit, die auch die manchmal geradezu dadaistische Note der Gewalt der SS-ler antrieb, quasi der negative Schatten der strengen, ja ätherischen Reinheit und Strenge, die dem deutschprachigen Gedankengut (Kant, Bach, Mozart, Goethe, Hölderlin, ... äh ... Spengler?) so heftig eingeschrieben ist (alle anderen Nationen sind irgendwie realistischer, körperlicher). Und weil alles Gute, Reine und Schöne schon mit dieser Strenge assoziiert wird, und weil geradezu jeder Satz und jede Musik schon wieder ins Regelwerk, in die Reinheit, in die Kathedrale führt, bleibt etwas Formloses in der Freiheit, die seit der Aufgabe der sittlichen Gesetze als Freiheit von gedacht wird, über. Wenn das mit Macht oder Gewalt versehen wird, passiert SS. Quälerei mit Freude an der Willkür. Das ist bitteschön nur ein kleiner Aspekt der dichterischen und künstlerischen Freiheit, aber wer mal so ein willkürliches Gedicht und einen jungen Neonazi-Kneipenpöbler nebeneinanderhält, wird den ähnlichen Ton gleich bemerken. Mit Stiefeln in die Stube, Sätze auf den Tisch gelegt, provozieren mit Rücksichtslosigkeit und Sinnfreiheit. Letztlich ist es die klassisch konservative Verweigerung der Diskussionen: Ich bin hier auf meinem Gut, ich brauche nicht kommunizieren.


Elements of Style[5]

Zum Beispiel gilt im Gedicht wie bei seiner Besprechung: Quäle nicht deine Mitmenschen vorsätzlich, also ertappe selbst deine sadistischen und deine dummen Tendenzen, deine Exhibitionismen, wenn sie nicht mehr anmutig, deine Protzereien, wenn sie nicht mehr frisch sind, ertappe deine Fehler und eliminiere sie, bevor du sie öffentlich vertrittst (es ist ja dann schwer, zurückzurudern). Langweile nicht, sei respektvoll, missbrauche nicht deine Macht, überschätze nicht deine Macht, sei umsichtig, etc.


Problem Freiheit

Als wäre die Willkür nicht geil genug, wird in der Lyrikwelt die poetische Lizenz sogar als Lizenz zum gezielt toxischen sprachlichen Handeln missbraucht. Die Freiheit wird als Gelegenheit zur Durchführung von sprachlichen Handlungen benutzt, gegen die es wirklich gute Gründe gibt. Enthemmung! Schluss mit dem guten Benehmen! Füße auf den Tisch und eine Zigarre angezündet! Das hat das deutsche Gedicht nicht nur mit dem Karneval, sondern ironischerweise auch mit dem Internet gemeinsam. Es sind quasi die kürzesten und längsten Extremformen von ansonsten nicht definiertem Text. Wenn nun seit etwa zwanzig Jahren Pilotversuchen das Internet auf Gedichte losgelassen wird, bedeutet es philosophisch und praktisch gesehen eine Diskussion darüber, was Freiheit ist.

Manche Leute verstehen halt jede Gelegenheit zur spielerischen Übung der Freiheit als ein längst festgelegtes, also durchkodiertes Spielfeld. Sie packen sofort das übliche Rugby-, Cricket- oder Snookerzeug ihrer Urteile aus und sehen sich nach Gleichgesinnten um. Das sind tendentiell die Leute, die der unerschütterlichen Meinung sind, man beteilige sich ab der ersten Zellteilung an der kapitalistischen Marktwirtschaft. Für sie gibt es kein sprachliches Handeln, das nicht irgendwem etwas wegnimmt oder irgendwem etwas auf Kredit gewährt, es wird unausgesprochen in diesen Psychen ständig Buch geführt. Das kann nun positiv sein in der Form eines Händlerdenkens, oder an Problemen orientiert wie bei Blutsfehden oder dem alten Ehrenkodex, allerdings auf kleinteiligster Ebene wie eine automatisierte Börsensoftware.


Motivationen

Elias Canetti spricht vom Befehl als Stachel, als Kränkung. Der zum Stachel-Relais erzogene Mensch, auch autoritärer Charakter genannt, wird nie in der Lage sein, einfach Sachen zu machen. Die Sachen, die er macht, sind immer in irgendeine Rechnung einbezogen – sonst hätten sie für ihn keinen gefühlten Sinn. Ich spreche hier schon auch von der Selbstbeobachtung: Emanzipation von diesen Gewohnheiten bekommt man nicht über Nacht ins Haus geliefert. Aber die in und von dieser symbolischen Ordnung lebenden Existenzen können sich nur durch in der Stachelwirtschaft wohlbekannte Rollen und Sinngebungen überhaupt zum Handeln motivieren. Ich weiß es genau, denn in selbstmotivierten, respektgetränkten Handlungsräumen stehe ich selbst erst mal ratlos in der Gegend herum und suche den Gegner. Friede ist viel schwieriger als Krieg.
Soweit ist es aber leider noch nicht im Literaturbetrieb, sondern hier herrscht noch massivster Anzugträgerzirkus, ererbt von den Vätern, den Kindern der Kriege. Erstaunlich voll auch noch mit der Rhetorik der Bismarckzeit.[6] Was jenseits und außer Reichweite dieses Regiments, dieses geordneten Kampffelds stattfindet, ist ausgeschlossen.
Weiberzeug. Angelegenheiten von Bauern, Kindern, Heiden. Ungültige, namenlose Sachen, weil nicht Teil des Wertschöpfungsprozesses, und wiederum genau dadurch nicht Teil des Wertschöpfungsprozesses. Es lebt in den Seilschaften weiter. Die Lyrik arbeitet ihre Seilschaften allerdings aus Seidenfäden und Gaze, hier ließe sich babyleicht ein Umdenken üben, und es ist auch schon im Gange.


Sprache an sich schon umweltschädlich

Auch wenn man nämlich nicht explizit so denkt wie ein voll ausgebildeter autoritärer Charakter – und bei LeserInnen von Gedichten würde das in der Tat überraschen –, dieser ständig ablaufende Schacher mit Ehre, Prinzipien und selektiver Gültigkeit ist tief in die Kultur oder Unkultur des geschriebenen Worts verwurzelt, vergraben, verfilzt. Nicht nur in Europa oder im sogenannten Abendland, sondern überall, wo geschrieben wird, findet man die toxischen Auswirkungen der Vorstellung, es gäbe herausgehobene Wichtigkeit.

Komischerweise kann unter Umständen die Idee heiliger Texte als Gegengewicht zur Ehrenwirtschaft wirken, denn wenn man etwas Göttliches gelten lässt, kann wenigstens eine kurze Zeit lang so etwas wie eine angemessene Demut vor allen Teilen der Welt gedeihen.


Was ist so provokativ an Sinnlosigkeit?

Ein Gedicht – wenigstens ein halbwegs gutes, also gedichtförmiges – muss so einen Stachelhändler provozieren. Dieses Faktum macht die Gedichtbesprechungskunde produktiv. Er kann das Gedicht nicht auf sich sitzen lassen. Er muss eine, seine Lesart dem Gedicht und anderen potentiellen Gedichtrezipienten gegenüber durchsetzen. Bestätigen und absichern lassen, dann kann er ruhig schlafen. Mehrdeutigkeit ist deswegen so beliebt wie Prostituierte. Das motiviert ihn nämlich wieder: ein Text, den man so auslegen kann, wie man will. Das reine Lesen erscheint ihm sinnlos, unangenehm. (Hier bin ich übrigens dʼaccord.) Wenn er Gedichte liest, phantasiert er immer sein Urteil darüber. (Auch das kenne ich. Habe ich doch, wie viele Frauen, den Weg gewählt, möglichst großes Geschick im Emulieren männlichen Gehabes zu kultivieren, um aus der langweiligen Frauenschiene zu kommen und mich frei in der Welt bewegen zu können. Ich urteile gerne, weil ich gerne Sachen aus dem Weg räume. Ich bin aber nicht ganz sicher, ob dass der richtige Grund ist, den man fürs Urteilen haben soll, denn es hat mit richtig und falsch nichts zu tun.)
Höchstens kann es sein, dass dieser Stachelhändler ganz privat doch etwas leicht Gefährliches tut, nämlich, im Rahmen eines kleinen Spiels der Selbstprovokation, Ideen und Bilder in sich aufzunehmen.[7] Was das Gedicht hier darf, darf niemand anderer, kein Freund, Kollege, gar Vorgesetzter, nicht einmal ein Sexualpartner. Niemand darf zusehen. Das ist der geheime Sinn auch des »poetischen Acts«.

Das Gedicht als nicht satisfaktionsfähiges Objekt ist also doch ein wichtiges kleines Ding, zumal – sofern Musik ohne deklarierten Sinn – Trickster-Götter, die provokativen Nichtsnutze in Lokalen und so weiter zusehends wegfallen, je mehr eine Gesellschaft durchrationalisiert wird. Seit auch Frauen als satisfaktionsfähige, also vollgültige, Geschöpfe gelten, können nur mehr Kinder und Hunde den Narren spielen, sie tunʼs aber nicht so qualifiziert wie eine ganze Klasse von Intelligenzen, also die Frauen fehlen als Unterströmung, seit sie auch oben schwimmen dürfen. Nun bleiben nur mehr Gedichte, um Sachen mitzuteilen, gegen die man sich nicht verteidigen kann, weil es schon peinlich wäre, sie auszusprechen. So kommt es vielleicht, dass in den Dichterberuf Leute gefunden haben, die ein besonders sensibles Organ für Kränkungen auszeichnet, und wenn etwas sie im Dunklen kränkt, müssen sie es ins Licht der Öffentlichkeit zerren, damit sie die Kränkung loswerden. Auch wenn es für sie eigentlich peinlich ist, das ist ihr Mut. Wahrheitsliebe und »das Konto begleichen« sind für sie eins. Für all das scheint das Gedichtebesprechforum ein Raum zu sein.

Zuletzt will ich uns mit einem Bild aus der kanonischen altchinesischen Gedichtsammlung, übersetzt von Arthur Waley, erfreuen. In den Vorworten zu dieser Gedichtesammlung schwärmen alle vom Humor kollektiver Situationen, wofür die Schönheit der Natur manchmal drollige Bilder abgibt, zu denen aber auch das Ziehen in einen Krieg gehört, der nur den Fürsten interessiert. In diskreten Liedern fragen die Bauern sich und einander, wann sie wieder ihre Felder bestellen dürfen. Diese Lieder sind sehr schön. Sie sind effektive Kommunikation, inoffiziell, effektiv. Man grinst traurig, als Leserin im Kollektiv.


[1] http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=5515&ausgabe=200212
[2] Von wem ist dieser Satz noch mal?
[3] (Genaugenommen muss man wiederum die Beobachtung hinzufügen, dass der bindende Spruch, der Schwur oder Zauberspruch, schon im Oralen fixiert und daraus wohl die Vorstellung auf die Schrift angewendet wurde – außer man schrieb in den Sand und in Knoten – aber das ist ja nicht überliefert ...)
[4] Für Hinweise auf die Quelle bedankt sich die Autorin.
[5] Stilfragen als Grundsatzfragen zu behandeln (und nicht als zu bewahrende Werte) ist logischerweise ein wichtiges Thema besonders für die Amerikaner, die sich die Frage beantworten müssen, inwieweit sie die bürgerlichen Sitten Europas nachbilden wollen. Das maßgebliche Werk für literarischen Stil aller Arten ist dort Strunk and Whiteʼs »Elements of Style«.
https://faculty.washington.edu/heagerty/Courses/b572/public/StrunkWhite.pdf
Aber auch der russisch-amerikanische Mathematiker Polya hat zu diesem Thema sich einen irgendwie typisch amerikanischen Merksatz geschrieben: »The first rule of style is to have something to say.«
[6] (Ich verwende noch diese Maschine. Gedichte zerlegen sie längst. LyrikerInnen legen die Bauteile in ihrer Schönheit auf saubere Tücher, als wären sie friedfertig. Sie lächeln einander friedfertig an. Noch in den Goethe-Instituten werden die Bauteile als harmlose Maschinenteile verkauft. Nur ich meine die Schussmacht der zusammengebauten Kampfrhetoriken noch in der Wirklichkeit zu brauchen. Gegen die KritikerInnen, die auch noch offen mit Waffen sprechen, vorallem aber gegen die latente Gewalt der bürgerlichen Existenzform, für die die Lyriker der Schmuckdeckel sind. Vielleicht aus Paranoia nehme ich von den ach so harmlosen Kollegen und Vorgesetzten nur die Fratzen wahr. Ich will den Gedichten helfen, indem ich mit eroberten Waffen noch ein paar Gegner des Friedens erledige. A. braucht nur ein Wort für meine Tätigkeit: Friedenstruppen. Diese Fußnote: ein Bunker. Reiche mir jemand eine weiße Blume und ich höre auf zu reden.)
[7] Etwas in sich aufzunehmen außer Essen, wie beispielsweise beim Analsex, ist etwas traditionell als Demütigung benutzbares, vielleicht weil es heikel und zart ist und man dabei leicht Schaden nehmen kann, wenn es achtlos oder brutal geschieht (Salmonellen, Kinder, Bakterien, Schmerzen). Die Glorie des Penetrierens hängt damit zusammen und die ebenfalls alte Abwertung von Frauen gegenüber weiblichen Jungfrauen, während es bei männlichen Hetero-Jungfrauen genau umgekehrt gewertet wird. Wäre ich eine bessere Mathematikerin, könnte ich sagen, warum sich evolutionär kein Jungfernhäutchen am Arsch entwickelt hat, das muss in der Kombinatorik erklärlich sein.

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Kommentare

Hendrik Jackson

Freitag, 18.03.2016

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gefinkelt

haha man weiß nich, was gefinkelter ist, die Pose der Redaktion, die sich wie ein verschmähter Geliebter an Ann wirft, um sie umzustimmen und solcherart in die Falle der Doch-Beteiligung lockt oder Anns Antwort die durch eine voluminöse Überbeteiligung das Konzept aus den Angeln zu heben versucht. jedenfalls hat Ann Cotten vergessen in ihrer Aufzählung all der Niedertrachten, die sich hinter den Kommentaren verbergen und dem, was sie nervt, die Nervensäge aufzuzählen, die, indem sie, anstatt den sehr vielen schönen Aspekten nachzugehen, die sich in etlichen wunderbaren Kommentaren (vor allem zu Beginn) finden, auf dem beiläufgen Kollateraltheater rumhackt. ohne Roß und Reizer zu nennen (Raushalten ohne sich raushalten, na ja). dadurch gehen die sehr interessanten Reflexionen zwischendurch zum Lektüreverhalten, Lietarturströmen etc. ein wenig unter im eigenen Strom (ein bißchen performativ gedacht?!) p.s. und ich meine, die beste methode gegen das, was ann bemängelt, sei immer noch genaues und weiterführendes lesen, nicht so sehr kursorische lektüre als sprungbrett für reflexionen über psychische dispositive, obwohl das mitunter auch unterhaltend sein kann
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Hendrik Jackson

Mittwoch, 16.03.2016

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nacktturnen

aber lyrikkommentare als nacktturnen ist natürlich toll und stimmt 100%
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Uwe Kolbe

Montag, 21.03.2016

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offener Krieg

Liebe Ann Cotten, das Hauptwort Ihres rauschenden, raufenden und - Sie gestatten - vielfach vorläufigen, in spontaner Rauigkeit belassenen Textes "Kein offener Krieg", der eine offensichtliche Kriegserklärung enthält (oder auch: ist), deren Ursachen und Angriffsziele für Außenlesende wie mich wenig ersichtlich sind..., das Hauptwort steht, scheint mir, in der Eröffnungskolumne: Sie erwähnen da HACKORDNUNGEN im Zusammenhang mit dem Besprechen von Gedichten. Und in beinahe allem, was Sie dann noch wortgewaltig und theorielüstern anfügen, greifen Sie nur noch diese Hackordnung(en) an. Die scheinen nicht nur beim Internet-Besprechen von Gedichten zu herrschen, sondern auch da, wo überhaupt Gedichte öffentlich werden zwischen Buchdeckeln, Weblinks und Lese-Bühnen jeglicher Art. Was ist los? Ihr Text sagt es mir nicht. Mit Hendrick Jackson läge es für mich von außen erst recht nahe, nach Ross und Reit(!)er zu fragen. Aber das will ich nicht tun. Das ist nicht meine Absicht. Da liegt nicht mein Interesse. Auslöser Ihres Textes, der Ihrer Absage an das schlichte Projekt der Plattform "Hundertvierzehn" nachfolgt wie das Beil dem Dichter in Heines Deutschland. Ein Wintermärchen..., sind offenbar Verletzungen, die irgendwo stattgefunden haben. Sie zeigen die immer wieder in den Worten, die Sie benutzen. Sie bringen Sie damit zur Anzeige. Aber deutlich machen Sie für Außenlesende nicht, was Sie umtreibt. Das geht für meinen Geschmack auch mindestens einmal brachial über die Grenze: Spätestens bei Ihren anti-deutschsprachigen Auslassungen mit dem ganzen AUFMARSCH an SS-Vergleichen usw. geben Sie etwas preis, das - mit Verlaub - billig und gewöhnlich ist. Können Sie wirklich nicht anders: Deutsches Gedicht vom deutschen Mann=SS? Denken Sie wirklich so? Blindwütig, weil verletzt? von wem wann wo - schreiben Sie es bitte ins Gedicht, wenn es Stoff ist. Oder in einen Essay, der mehr ist als Wutausbruch. Es sieht hier viel verdammt privat aus. Liefert ab einem bestimmten Punkt nur noch Klischees. Das allzeit verständliche Identitätsproblem (ich gehöre zu denen, die Identität wichtig finden und überall und für jede und jeden verteidigen möchten) - nur leider ist dieses Problem bei Ihnen nicht Essay geworden, nicht Form. Ich wusste nicht, dass es diese Welt der Hackordnungen gibt beim Besprechen, Kommentieren, öffentlichen Wahrnehmen von Gedichten. Ich weiß selbstverständlich von Deutungshoheit, von Mächten, die im Kulturbetrieb wirken, vom Größenwahn von Kritik und Kritikern usw. Aber davon schreiben Sie ja nicht. Sie schreiben von etwas, das ich leicht auf eine bestimmte Szene beziehe könnte, in der Sie unterwegs sind – ist es so? Wie auch immer, Ihre Suada könnte mich traurig stimmen. Tut sie aber nicht. Auf Empathie ist sie wahrlich nicht aus, bietet sie auch nicht an. Dass Sie der schlichten Einladung von HUNDERTVIERZEHN.de nicht folgen mochten, war mir vor Ihrem Essay vollkommen verständlich. Als ich von Ihrer ausdrücklichen - öffentlichen - Ablehnung las, dachte ich noch, mein Gott, stimmt, sie hat Recht, was soll der Unsinn, was will ich selbst denn da (habe derlei noch nie mitgemacht, habe keine Ahnung), was wollen alle die anderen da außer wieder etwas zu tun, was jederzeit überall möglich ist und ja auch betrieben wird. Woran, wenn ich mir die Namen so anschaue, auch alle oft genug teilnehmen. Und Sie, Ann Cotten, selbst wohl auch seit Jahren – jedenfalls schließe ich das aus Sequenzen Ihres Textes. Verstehendes Lesen von Gedichten, die Rezeption durch die wesentliche Instanz des Lesers, der Leserin braucht keine Dispute im virtuellen Raum, braucht den ganzen Aufwand des sich selbst in alles Beißens, was nur irgend verbal vorsteht, nicht. Hat es in den letzten ca. 5 Tausend Jahren nicht gebraucht. Ich widerspreche Ihnen nebenbei in der Behauptung, nun hätte nach dem Buchdruck das Internet wiederum alles verändert. Einen Schmarren hat es. Was mich freut an Ihrem – vermutlich aus emotionalen Gründen – ausführlichen Ausbruch, ist sein Ernst und damit ein großer Ernst, der dahinter steht. Es geht Ihnen um etwas. Ich sehe, lese, weiß nicht genau, worum. Das macht aber nichts. In vielen bemühten Kunst-Äußerungen, gerade auch lyrischen, finde ich diesen Ernst nicht. Hier bei Ihnen kocht er und schäumt. Nebenbei geht aus dem Text hervor, dass Sie aus was für seltenen Gründen auch immer hier und da am Gedicht arbeiten und für das Gedicht streiten. Kommunikation ist ja nur ein Aspekt des Gebrauchs der Sprache. Das gilt auch für die deutsche. Mit besten Grüßen Uwe Kolbe
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Theresia Prammer

Samstag, 26.03.2016

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Liebe Ann, an deinem Kommentar ist natürlich nichts distanziert, das weißt du ja selbst, mitgehangen mitgefangen, und ein solches Projekt ist doch immer zuerst einmal das, was man daraus macht. Teilnahme schließt Skepsis aber nicht aus und auch wenn dein Instinkt vielleicht richtig war, hast du ihm doch nicht zugetraut, dieses Richtige sozusagen nonverbal zu vertreten. Eine Absage, die so wenig selbsterklärend ist, ist aber dann schon wieder ein halbes Zugeständnis an die „Wichtigkeit" des Ganzen. Doch ob das wirklich so prinzipielle Fragen sind, ob es nicht auch hätte anders kommen können oder ob nicht doch etwas Bedenkenswertes war an dem Projekt, wenn sich so Grundsätzliches (Freiheit!, Frausein!, Mentalitäten!, Gedichte im Netz und ohne Netz! usw.) daran bricht, das frage ich mich angesichts deiner Widerrede schon. Und so hätte es auch wieder sein Gutes. Eine Apologie ist im Übrigen überhaupt nicht angebracht, klar, die Gedichte waren exponiert, aber wer sie kommentierte, war es nicht minder, es gab die üblichen, zum Teil von dir aufgezeigten Dynamiken: in oder auf Texte etwas zu projizieren, was nicht im Text ist, eine polemische Bemerkung um der Pointe willen sich nicht verkneifen, das schnelle Urteilen, um den Text abzuschütteln (dafür würde das Wort „effizient“ gut passen, finde ich), es gab mitunter den Wunsch nach einem Widerspruch, um im Dialog zu entfalten, was in der Glosse nur angedeutet war. Es gab den Impuls zur Selbstkorrektur, weil es in der Tat leichter ist, auf eine exponierte sprachliche Haltung einzudreschen, als hinter Vorurteile zurückzugehen, aber auch in dem Fall fällt es doch wohl auf die Kommentierende zurück, wenn unbegründet, aus dem Bauch heraus oder des Querschlags halber argumentiert wird. Insgesamt schien mir aber, trotz der erwähnten Kleinlichkeiten und Eitelkeiten, trotz der Tendenz der raschen schriftlichen Reaktion zum Jargon und zum denkfaulen Selbstläufer, trotz alldem also schien mir in diesem Forum weitaus größere Freiheit zu walten als etwa in der Feuilletonkritik, die zwangsläufig und mit möglichst wenig Fragezeichen zu einem Schluß kommen muß, die gerne ein Symptomatisches ausruft und dabei dem Einzelgedicht problemlos ausweichen kann und überhaupt die vielstimmigen Spielräume des Widerspruchs nicht hat. Wären alle Operationen der Lyrikkritik von so viel Selbstreflexion begleitet, deinen Aufsatz eingeschlossen, könnte man doch nur von Glück reden! Giftig war das Ganze auch, aber nur anflugsweise, öfters neugierig, manchmal ratlos oder Rat suchend, dann wieder allzu selbstsicher, aber es gab nicht wenig Kommentare, die sich symbiotisch zu den Gedichten verhielten, mit ihnen mitgingen, ohne ein Besserwissen zu affirmieren. Freilich passten die Register da oft nicht zusammen, oder ein Register zog ein anderes ins Lächerliche. Das war aber zugleich das Scheitern und das Gelingen des Projekts: denn wer sagt denn, daß es eine gemeinsame Sprache geben muß? Warum den Kommentaren weniger Identität und Schrulligkeit als den Gedichten zugestehen? Vielleicht waren die vorbildlichen Höllerer-Kommentare ja auch idiosynkratischer als es scheint und würden im Grunde keinen Zweitkommentar neben sich dulden, während bei 114 die Kommentare zumeist auf diese eigenartig aneinander vorbeiredende Weise aufeinander aufbauten. Der leicht didaktische, zweckoptimistische Unterton, der mich im Paratext des Projekts ein wenig gestört hat, blieb in den Kommentaren doch eigentlich aus, es ging um die Gedichte und nicht primär um das Brückenbauen, für das sich heute eh so viele zuständig fühlen. „Unerhörte Sprechhaltungen“, sofern denn welche darunter waren, sah ich nicht bedroht, auch nicht durch taube Ohren, eher stach die Großzügigkeit ins Auge, das Sichfestlesen an den positiven Aspekten. Brückenbauen also meinethalben, aber eher in die andere Richtung, zum Autor hin, einräumend. Für Autorinnen war es im Übrigen denkbar, nur mit Gedicht oder mit Gedicht und Stimme oder eben gar nicht dabeizusein (nicht wenige „wichtige“ Autoren fehlen); viele Gedichte schienen sehr selbstbewusst und vorausschauend in Hinblick auf die Situation ausgewählt, Leser-Irreführung inbegriffen; nur bei manchen älteren oder sogar verstorbenen Autoren war mir manchmal unbehaglich zumute: Weiß er/sie, worauf er sich da eingelassen hat bzw. würde er / sie diese Aktion gutheißen? Die Lebenden und zum Gutteil recht jungen Dichterinnen wußten bestimmt, woran sie waren und die meisten gefielen sich in der Personalunion Dichter-Kritiker wohl auch recht gut. Allfällige Allianzen wurden sichtbar, Bosheiten blieben aber zumeist beim Urheber hängen. Wenn die Pose stärker wurde als die Position, gab es immer noch die Möglichkeit, sich zurückzuziehen. So würde ich den spielerischen Aspekt dieser interaktiven Anthologie (?) ihrem tatsächlichen Erkenntniswert überordnen: Um wirklich einen Diskurs voranzutreiben, war der Austausch zu stark auf Schlagfertigkeit abgestellt, und was doch so regelgerecht als Glosse, Position und Interpretation an Kommentaren formuliert wurde, stand manchmal sehr verloren im Raum herum. Ein hybrides Ding also, aber nicht hybrider vielleicht als das Forum der 13 und andere vom täglichen Input lebende Internetprojekte. Schwierig bei 114 fand ich, daß die Diskussion, die oft keine war, auf so vielen parallelen Schauplätzen stattfand, so vielen roten Fäden zugleich kann man gar nicht folgen, und in der Regel gab es auch keinen Grund, sie zusammenzuführen. Die Gedichte jedenfalls, und das würde dem Zeitgeist ja durchaus entsprechen, waren so wehrlos nicht, sondern integraler Teil des Diskussionspanoramas, auch bisweilen mitmischend um den Preis der gelungensten Selbstdarstellung und des flagrantesten Exhibitionismus. Und Freiheit muß auch auf den Sekundärtext beziehbar bleiben, sonst wäre es doch eine höchst kindische Freiheit des ungestörten Untersichseins, die kritische Lektüren ohnehin desavouiert. Mir ist immer noch nicht ganz einsichtig, wovor man die Gedichte hätte schützen müssen, es sei denn vor sich selbst, was du auch andeutest, wenn du erklärst, daß die zur Schau gestellte Freiheit der Gedichte Blödheit und Willkür nicht ausschließt. Wenn solche, ihrer eigenen Freiheitsintention gegenüber fahrlässigen Texte auf ideologiesensible Leser stoßen, wäre das doch nur begrüßenswert. Die Gedichte wären dann so frei, dumm zu sein und die Kommentare so frei, diese Dummheit zu maßregeln und dabei ihre eigene Dummheit für alle sichtbar zu machen. Wenn es dann diese geteilte und mitgeteilte Dummheit ist, die alle Akteure zusammenbringt, was spricht dagegen! Wenn nicht, bleibt zumindest die temporäre Anwendung von Freiheit (wenn auch nicht alle in gleich kaltes Wasser springen), einer Kneipp-Kur vielleicht vergleichbar - um deinen Nacktturnvergleich aufzugreifen. Nicht mitzumachen, um fernab des Forums einem anderen „Arsch-Sein“ zu frönen, bietet sich als Lösung auch nicht wirklich an. Dann lieber gleich ganz angezogen bleiben, mit allen Folgen für Leib und Seele.
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